Chaia Heller - Libertärer Kommunalismus
Transkription eines Videos von O. Ressler, aufgenommen in Leverett, USA, 32. Min., 2005
Mein Name ist Chaia Heller, ich lebe in Leverett, Massachusetts. Seit mehr als 22 Jahren – das ist fast die Hälfte meines Lebens – bin ich am Institut für Sozialökologie in Vermont beschäftigt. Als ich hierher kam, war ich 21 Jahre alt und begann soeben, mich zu politisieren. Ich ging zum ISE, dem Institut für Sozialökologie, und wurde dort in den letzten beiden Jahrzehnten politisch geformt. Ich verstehe mich selbst als libertäre Linke, als Sozialökologin und Feministin. Diese Identität hat sich innerhalb der letzten Jahrzehnte entwickelt, während sich die Bewegungen um mich herum stark verändert haben. Ich war in die grüne Bewegung involviert, die linke grüne Bewegung, die grüne Jugendbewegung, die ökofeministische, die anarchistische und in die Ökologiebewegung in ihren vielfältigen Formen. Beruflich war ich Aktivistin und Pädagogin, ich habe am ISE sowohl Umweltphilosophie als auch feministische Theorie unterrichtet. Daneben hielt ich öffentliche Vorträge, war viele Jahre mit dem SprecherInnen-Büro „Speak Out“ auf Reisen und schrieb Bücher.
Murray Bookchin, der ehemalige Direktor und Mitbegründer des ISE, bewegte sich auf seiner Reise durch die Sozialökologie in den 1950ern, 1960ern und 1970ern in Richtung dessen, was ein wirklich kohärenter und umfassender Korpus politischer, philosophischer und anthropologischer Ideen genannt werden kann. Bookchin ist als Linker aufgewachsen, sozusagen von der Muttermilch an. Er war der Sohn kommunistischer russischer MigrantInnen, wuchs in Brooklyn, New York City, auf und wurde im Kontext marxistischer, insbesondere kommunistischer und sozialistischer, Bewegungen groß. In den 1960er Jahren bemerkte Bookchin, als er sich in der politischen Landschaft umsah, dass viele der Neuen Sozialen Bewegungen, die um ihn herum entstanden, nicht mehr mit marxistischen Kategorien beschrieben werden konnten. Das galt vor allem für die Bürgerrechtsbewegung, die offensichtlich keine Initiative war, die allein durch den Blick auf Klasse, Arbeit oder Fabrik erklärt werden konnte. Er nahm die Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Identitätspolitiken wahr, die zu dieser Zeit auftauchten. Auch die Schwulen- und Lesbenrechtsbewegung und die feministische Bewegung konnten von einem marxistischen Verständnis historischer Notwendigkeit oder davon, wer ein historisches Subjekt hervorruft und konstituiert, nicht plausibel interpretiert werden. Zudem sah er die Ökologiebewegung als eine wirklich interessante historische Erscheinung an. Sie präsentierte etwas, das über die Klassen hinausging, etwas, das die Idee ermöglichte, sich den Globus als universelle Einheit zu vergegenwärtigen oder vorzustellen, die weltweit den Einflüssen der Unternehmen und Regierungen unterliegt, und dass die Auswirkungen dieser Einflüsse auf einem globalen Niveau erfahrbar sind. Er begann, die Ökologie als das Potenzial zu betrachten, das die Grundlage für etwas Klassenübergreifendes sein könnte.
Die Sozialökologie war tatsächlich Bookchins Versuch, als Linker den auf Identitäten beruhenden Neuen Sozialen Bewegungen und der Ökologiebewegung Rechnung zu tragen. Er wollte eine klassenübergreifende Theorie erarbeiten, die sowohl die Anliegen der sozialen Gerechtigkeit als auch jene der Ökologie umfasst und einen linken Rahmen dafür bildet. Er befand, dass der Marxismus eine unzulängliche Grundlage zur Schaffung dieser Theorie bot. Stattdessen wandte er sich dem Anarchismus zu, insbesondere jener Form, die er sozialen Anarchismus nannte. Wenn ich sozialer Anarchismus sage, dann gehe ich davon aus, dass Bookchin den Anarchismus tatsächlich als die Verkörperung zweier Formen von Spannung betrachtete: Die eine ließe sich als individualistischer und romantischer Anarchismus bezeichnen, der die Befreiung des individuellen Selbst gegenüber der Regierung und allen Formen von Autorität hervorhebt. Die andere Variante ist jene Ausformung, in welcher die Notwendigkeit neuer Formen nichthierarchischer, kollektiver Regierung betont wird. Bookchin hat sich sehr entschieden mit der Letzteren identifiziert. Die Sozialökologie war ein Versuch, diese Art des sehr lockeren Gedankengebäudes namens „sozialer Anarchismus“ aufzugreifen und als Grundlage für eine neue linke Theorie zu nutzen.
Diese Wissenschaft kann grob in drei verschiedene Projekte unterteilt werden: Das eine ist als linke Epistemologie oder als Form des Denkens und Wissens entwickelt worden. Bookchin ging davon aus, dass es nicht genügt, die Umweltprobleme nur auf der technischen Ebene zu begreifen, wenn man wirklich die Krux der ökologischen Kämpfe erfassen möchte. Seiner Auffassung nach müssen wir verstehen, was Natur in ihren ontologischen und physikalischen Dimensionen ist, und erkennen, dass wir ein neues organisches Verständnis der Natur entwickeln und dafür neue Wege des Denkens nutzen müssen. Um dies zu tun, wich er von den Traditionen ab, in denen er durch seine Herkunft stark verwurzelt war – die hegelianische und die marxistische Tradition –, und versuchte, eine neue, von ihm so genannte naturalistische Herangehensweise an die dialektische Tradition zu entwickeln. Die Dialektik, die in der Moderne mit Hegel und Marx assoziiert wird, ist tatsächlich ein Ansatz, um historische Phänomene oder Veränderungen über die Zeit hinweg zu erklären und sie im Kontext eines Verständnisses dieser Phänomene des Kampfes als durch eine Serie von Entwicklungsphasen hindurchgegangene zu fassen; als eine Entwicklung, in der eines aus dem anderen hervorgegangen ist und in der die vorherige Reihe von Phasen möglicherweise auf einer historischen oder dynamischen Dimension miteinander existiert hat.
Was Bookchin im Wesentlichen tat – und das halte ich für so hervorragend und kreativ –, ist, Natur als einen Fortgang natürlicher Evolution zu betrachten. Er würde sagen, in der Sozialökologie ist Natur derjenige Prozess, durch den sich die Natur selbst schafft und der ermöglicht, was er eine zweite Natur nennt, nämlich die Entstehung der Kultur und der Menschen. Für Bookchin ist Natur nun dieser komplizierte und großartige kreative Prozess, die erste Phase, die er „erste Natur“ nennt. Er hat diesen auf die vormoderne Philosophie zurückgehenden Begriff nicht geprägt. Aber er hat denjenigen Ideen neue Bedeutung verliehen, die die Natur wirklich als Verfahren des Naturgeschichte-Machens auffassen.
Das ist wichtig, denn Bookchin will tatsächlich die Menschheit innerhalb dieser natürlichen Evolution verorten. Dies ist insbesondere bedeutend in einer Zeit, in der ÖkologInnen sehr verunsichert sind über die Rolle der Menschheit innerhalb der natürlichen Entwicklung. Die Leute waren verwirrt durch die potenzielle Beziehung zwischen Menschheit und Natur. Bookchin geht davon aus, dass die Menschheit die Möglichkeit hat, eine sehr kreative und konstruktive Rolle innerhalb des Prozesses des Naturgeschichte-Machens einzunehmen. Er glaubt, dass Menschen nicht nur konstruktiv sein, sondern dabei helfen können, die natürliche Evolution zu leiten, wenn sie eine rationale und ökologische Gesellschaft schaffen – im Gegensatz zur Orientierung der Herrschenden, die eher die Auflösung der Natur herbeiführen.
Die Evolution, die Millionen und Abermillionen Jahre brauchte, um sich zu entfalten, wird nun in atemberaubender Geschwindigkeit ausgelöscht. Das drückt sich in Artensterben, Waldsterben oder einfach in der allgemeinen Zerstörung des Ökosystems aus. Für Bookchin können Menschen nicht nur eine destruktive Rolle spielen, sondern eine konstruktive Funktion erfüllen, indem sie ökologische Technologien, ökologische Landwirtschaft und Produktionsformen sowie ökologische Wirtschafts- und Politikformen hervorbringen. Indem sie diese Dinge tut, kann die Menschheit einen positiven Rang in ihrer eigenen Naturgeschichte einnehmen.
Der politische Arm der Sozialökologie ist der Libertäre Kommunalismus. Murray Bookchin kam aus der marxistischen Tradition und war davon überzeugt, dass die Philosophie in der Welt lebendig sein und im Dienste der Menschheit stehen muss. Der Libertäre Kommunalismus ist im Kern eine Philosophie, derzufolge BürgerInnen, Dörfer, Gemeinden und Städte überall auf der Welt auf vernünftige Weise in der Lage sind, sich selbst zu regieren. Bookchin versuchte mithilfe des Libertären Kommunalismus die Prinzipien von Autonomie und Kooperation in eine Balance zu bringen, denn Gemeinschaften, die auf lokaler Ebene über Autonomie verfügen, werden immer durch ein größeres Kollektiv, die Föderation, eingeschränkt. Es gibt also eine Spannung zwischen der sich selbst regierenden Gemeinde (dem Dorf, der Stadt) und der größeren Föderation, dessen Teil die Gemeinde (das Dorf, die Stadt) ist. Die BürgerInnen sind durch eine gemeinschaftliche und auf einer Reihe ökologischer und sozialer Prinzipien beruhenden Verfassung miteinander verbunden, die auch die Föderation bestimmt.
Es gibt eine intensive Debatte unter Linken darüber, was Demokratie ist und wie sie aussehen sollte. Aus der Perspektive der Sozialökologie besteht der Sinn von Demokratie in dem Potenzial einer direkten Demokratie. Das bedeutet, dass die Leute in den Städten, Gemeinden und Dörfern sich als BürgerInnen in einer lokalen Stadtversammlung, die man Generalversammlung, öffentliche Versammlung oder BürgerInnenversammlung nennen könnte, zusammenfinden. Diese Körperschaft wäre dann die treibende Kraft der Politik in einer Gesellschaft.
Die Idee ist, dass die Herrschaft im Namen der Bevölkerung bei derselben liegt und deshalb Politik für die Bevölkerung gemacht wird. Der Libertäre Kommunalismus ist ein Versuch, diese Vision einer direktdemokratischen Gesellschaft zu formulieren, ohne sie in ein Rezept, eine Blaupause oder einen Ratgeber zu verwandeln – was meines Erachtens eine gefährliche Sache ist und die Vision ihrer gesamten Poesie entleeren würde.
Das Modell des Libertären Kommunalismus ist mit Absicht ein bisschen vage, weil davon ausgegangen wird, dass die Beteiligten in den Bewegungen selbst darum kämpfen müssen, wie sie ihre allgemeinen Prinzipien der Nicht-Hierarchie, der Kooperation, der direkten Demokratie, der sozialen Gerechtigkeit und der Ökologie spezifizieren wollen. Dies sind ein paar allgemeine Prinzipien, denen ich einige hinzufügen oder weglassen könnte.
Im Zentrum des Libertären Kommunalismus steht – basierend auf dem Prinzip der direkten Partizipation oder der Selbstbestimmung – die Vorstellung, dass sich die Menschen über die direkte Demokratie selbst regieren. Wie unterscheidet sich das von einer repräsentativen Demokratie, wie sie heute in einem Großteil der modernen Welt herrscht? Grundlegend dafür ist der Gedanke, dass die Massen nicht wirklich fähig sind, sich selbst zu managen. Sie versuchen sich zusammenzutun und die am besten geeignete Person auszuwählen, die ihre Hoffnungen und Träume auf eine Art und Weise repräsentieren bzw. artikulieren soll, die ihnen möglichst nahe kommt. Wir tun das durch Wahlen auf kommunaler oder staatlicher Ebene, und die Leute wählen Funktionäre, die über die Macht verfügen, die Richtlinien der Politik zu bestimmen.
Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig es ist, dass der/die RepräsentantIn in der repräsentativen Demokratie, der/die angeblich im Namen einer entmachteten Wählerschaft handelt, die Macht zum Politikmachen innehat. In der libertär-kommunalistischen Vision gibt es keine RepräsentantInnen. Es gibt BürgerInnen, die in den Versammlungen zusammenkommen, um in ihrem eigenen Namen Entscheidungen zu treffen. Es sind diese BürgerInnenversammlungen, die über politische Bestimmungsmacht verfügen.
Für administrative Zwecke, um spezielle lokale Gemeindeverwaltungen mit anderen Gemeindeverwaltungen oder einem Teil der Föderation zu koordinieren, würden die verschiedenen Gruppen einen Delegierten ermächtigen, der oder die sich eindeutig von einem/einer RepräsentantIn unterscheidet. Ein Delegierter ist einem Boten sehr ähnlich, er überbringt im Wesentlichen den Willen, den Auftrag der Gruppe und geht zum Rat der Föderation, wo das Mandat abgeliefert wird. Der/die Delegierte ist immer abberufbar, hat eine begrenzte Einsatzdauer oder einen begrenzten Auftrag, und die Funktion wird nie professionalisiert. Innerhalb der direkten Demokratie des Libertären Kommunalismus gäbe es keine BerufspolitikerInnen. An ihre Stelle würde eine aktive Bürgerschaft treten. Das hätte revolutionäre Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Demokratie funktioniert. Es würde keinen Lobbyismus für PolitikerInnen und RepräsentantInnen geben, damit sie uns sorgfältiger präsentieren. Wir als BürgerInnen würden für uns selbst sprechen, unsere Hoffnungen, Träume und unsere eigene Vorstellung davon, wie die Dinge laufen sollten, selbst und direkt in die BürgerInnenversammlung einbringen.
Ich habe in meinem Buch „Ecology of Everyday Life: Rethinking the Desire for Nature“ (1999) im Zusammenhang sozialer Wünsche den Gedanken ausgeführt, dass Menschen das Bedürfnis nach gegenseitiger Hilfe und komplexen aber kreativen politischen und ökonomischen Vereinigungsformen haben. Menschen haben den Wunsch nach einem reichhaltigen und vielseitigen sozialen Leben, das nicht auf der einfachen Beziehung von Kommando und Kontrolle beruht. Hier gibt es den Einwand, der betont, dass Hierarchien eine sehr viel einfachere Form des Zusammenschlusses wären als Partizipation und dezentralisierte und kooperative Formen der Vereinigung. Denn diese Formen der Assoziation erfordern einen enormen Grad an Selbstbewusstsein, Vermittlungsfähigkeit, Fürsorge, Empathie und der Fähigkeit, die Bedürfnisse und Wünsche der anderen zu berücksichtigen. Es ist eine sehr viel komplexere Verhaltensweise als die einfache Beziehung von Befehl und Kontrolle, die nicht nur das moderne Zeitalter, sondern einen großen Teil der vormodernen Zeit beherrscht hat.
Linke Theorien, mögen sie anarcho-syndikalistisch, sozialistisch oder libertär-sozialistisch sein, tendieren dazu, die Produktion und den Produktionsprozess – sprich die Ökonomie – als die zentrale menschliche Aktivität zu betrachten, über welche Gesellschaften und sozialer Wandel mobilisiert werden. Die Sozialökologie hat eine andere Herangehensweise und sieht die Menschen nicht in erster Linie als Arbeitstiere, sondern zuallererst als das, was Aristoteles das „politische Tier“ nannte, als Tiere mit Bewusstsein; als Tiere, die in der Tat die Fähigkeit besitzen, vernünftig und mitfühlend zu denken, zu reden und miteinander zu kommunizieren. Wie jeder andere Aspekt der Gesellschaft müsste die Ökonomie in die Hände der BürgerInnen der Generalversammlung gelegt werden. In der kommunalisierten Ökonomie bzw. der Ökonomie der direkten Demokratie gehören die wirtschaftlichen Angelegenheiten zu den Dingen des alltäglichen zivilen Lebens der BürgerInnen. Die Menschen würden sich in der Generalversammlung mit anderen treffen und sorgfältig die Bedürfnisse und Wünsche der Gemeinschaft erwägen. Dabei würden sie auch auf jene anderen Gemeinschaften Rücksicht nehmen, mit denen sie sich zusammengeschlossen haben. Das bedeutet auf eine sehr konkrete Art und Weise, dass die Ökonomie nicht in den Händen der ArbeiterInnen oder der Fabrik liegt, sondern in denen der normalen BürgerInnen.
Für Bookchin ist das ein viel demokratischerer Weg, die Ökonomie zu organisieren. Es wird immer Sektoren innerhalb einer Gesellschaft geben, die aus vielfältigen Gründen wie Alter, unterschiedlichen Fähigkeiten oder Interessen für einige berufliche Aktivitäten zentral oder marginal bleiben werden. Aber auf einer philosophischeren Ebene ist es viel wichtiger, dass dies der demokratischste Weg ist, mit der Ökonomie umzugehen und die Entscheidungsmacht den BürgerInnen und dem Allgemeininteresse zu übergeben. Das bedeutet nicht, dass jeder/jede BürgerIn in jedem Job arbeiten würde und die Autorität besäße, über die Besonderheiten des Arbeitsablaufes jedes Arbeitsplatzes zu bestimmen. Ich denke, in einer guten Gesellschaft werden die allgemeinen BürgerInnen und die allgemeine BürgerInnenschaft die allgemeinen Prinzipien und die Konturen umreißen, um diese Ökonomie zu organisieren. Gruppen von ArbeiterInnen hätten eine begrenzte Autonomie, um über jenen Bereich des Produktionsprozesses zu entscheiden, in den sie involviert sind.
Wenn beispielsweise eine Vereinigung beschließt, Fahrräder herzustellen, wird die Gesellschaft nach ökologischen und kooperativen Prinzipien die Fahrradproduktion auf kooperative, dezentralisierte und ökologische Weise organisieren. Aber ich denke, die Leute, die dann dafür zuständig sind, die Fahrräder zu bauen, sollten eine begrenzte Autonomie und Autorität darüber haben, die Feinheiten, die Form und den Rhythmus ihres Arbeitsplatzes zu bestimmen. Sie hätten allerdings keine Befugnis beispielsweise die Entscheidung zu treffen, das gesamte Öl, das sich in einer Fabrik ansammelt, in den Fluss zu kippen. Das verstöße gegen das Prinzip der Ökologie, dem sich die Stadt, der Ort oder das Dorf verschrieben hat. Sie verfügen jedoch über den Freiraum, eigene Arbeitspläne zu erstellen und über die Kultur ihres Arbeitsplatzes zu bestimmen.
Innerhalb des Libertären Kommunalismus existiert immer eine Spannung zwischen dem Lokalen und dem Föderalen. Es gibt zwei Momente, die es ziemlich eindeutig als Philosophie oder als plastische Vision ausweisen, dass die Idee einer direkten Demokratie als ermächtigte Lokalität relativ sinnlos wäre, würde sie nicht durch die Idee der Föderation ergänzt. Ansonsten ginge es nur um einen Haufen von Gemeinschaften, die im Eigeninteresse handelten und in antagonistischen und bestenfalls sich tolerierenden Beziehungen nebeneinander existierten. Es ist wieder die Dialektik des Individuellen und der Gemeinschaft, der einzelnen Gemeinschaft und der größeren Föderation, die das Besondere am Libertären Kommunalismus ausmacht. Während die Generalversammlung die Struktur ist, die die Politik der lokalen Gemeinschaft bestimmt, ist der Rat der Föderation die Einrichtung, die all die sich selbst regierenden Körperschaften oder Städte, Orte und Dörfer miteinander verbindet. Die bevollmächtigten Delegierten würden dann zum Rat der Föderation gehen, der die einzelnen Räte dann vielleicht damit beauftragt, regionale, kontinentale oder interkontinentale Föderationen zu bilden. Ich benutze absichtlich nicht Worte wie „national“ oder „international“, weil ich denke, Politiken und Grenzen würden in vollkommen anderen Formen neu gestaltet werden. Aber es wird Räte der Föderationen geben, deren Zweck sich sehr von dem des Staates unterscheidet.
Bei dieser gesellschaftlichen Ordnung handelt es sich keinesfalls um eine Abwandlung des bürgerlichen Staates. Das lässt sich an zwei Aspekten nachweisen: 1. Es gibt keine mit Entscheidungsmacht ausgestatteten RepräsentantInnen. 2. Die Räte der Föderationen haben für sich genommen keine Entscheidungsbefugnis. Sie sind Treffen im Sinne von Delegiertenversammlungen einer Stadt, die von ihren Gemeinden, Städten, Orten oder Dörfern abberufbar sind. Sie haben eine rein administrative Funktion – das ist das wirklich Besondere an der Idee des Libertären Kommunalismus. Die lokalen Versammlungen kümmern sich um administrative Fragen der Bildung, beispielsweise in Bezug auf ein lokales Universitätssystem oder hinsichtlich regionaler oder kontinentaler Schul- und Bildungsprogramme. Fragen des Verkehrswesens würden vom Rat der Föderation verwaltet, das Thema Kommunikationstechnologien könnte von den Räten der Föderation koordiniert werden. Diese Bereiche der Koordination und der Verwaltung sind sehr wichtig, da eine dynamisch-kooperative Beziehung zwischen diversen Lokalitäten und Gemeinden für das Funktionieren des kommunalistischen Systems notwendig ist.
Der Libertäre Kommunalismus befindet sich nach wie vor in einer experimentellen und embryonalen Phase. Er ist eine im Entstehen begriffene Idee, die auf ein gewisses Maß an Praxis in so genannten politischen Experimenten zurückgreifen kann. An einem davon war auch ich vor vielen Jahren beteiligt. Es gab einige Schlüsselexperimente, eines davon fand in Uruguay statt, wo sich eine Gruppe von SozialökologInnen in den 1980er und 1990er Jahren im Sinne der Politik des Libertären Kommunalismus sehr engagierte. Auch in Montreal gibt es KollegInnen, die eine libertär-kommunalistische Politik betreiben. Ich selbst war in den später 1980er/frühen 1990er Jahren an einer Gruppe in Vermont beteiligt. In Schweden und Norwegen befindet sich die wahrscheinlich aktivste und effektivste Organisation dieser Richtung. Sie nennt sich „Demokratische Alternative“ und versucht vom Untergrund aus, libertär-kommunalistische Politiken und Visionen zu praktizieren.
Ich habe viele verschiedene widersprüchliche Dinge gelernt. Zuallererst: Wie sieht der Untergrund aus, wie beginnt man mit einer libertär-kommunalistischen Bewegung? Es gibt dabei drei allgemeine Phasen: Aber noch einmal, dies ist keine Blaupause, für eine andere Gruppe kann es ganz anders verlaufen, aber es scheint eine Tendenz zu sein, die Organisationen bei der Umsetzung einschlagen. Zunächst gibt es demnach eine Phase der Gruppenformierung, in der die Initiative zusammenkommt und Leute gesucht werden, die interessiert sein könnten. Sie versuchen, etwas über den Libertären Kommunalismus zu lernen und zu planen, wie man ihn zukünftig in die Praxis umsetzen könnte.
Die erste Phase ist also in erster Linie eine Bildungsphase. Die Leute engagieren sich in selbstbestimmten Studiengruppen, in denen sie eine Reihe von Literatur durcharbeiten, oft Schriften über direkte Demokratie von verschiedenen Gruppen aus einer Vielzahl von Regionen. Viele lesen die Werke von Murray Bookchin oder anderen libertären KommunalistInnen. Dabei geht es um den Versuch der Gruppe, einen Sinn für Solidarität zu entwickeln und durch den Bildungsprozess ein Gefühl der Souveränität entstehen zu lassen.
Die nächste Phase zielt meist darauf ab, eine Bewegung ins Leben zu rufen. In dieser Periode entwickelt die Gruppe eine Identität im Hinblick auf die Selbstorganisierung. Im Fall der Gruppe, der ich angehörte, nannten wir uns die Burlington Grünen (nach dem Ort in Vermont). Wir bestimmten eine Reihe von Prinzipien, die in einem breiteren linken, grünen Netzwerk in den 1980er und 1990er Jahren sehr verankert waren. Ich kann mich nicht an alle Prinzipien erinnern, aber generell waren es soziale Gerechtigkeit, Ökologie, direkte Demokratie und kommunalistische Ökonomie. Die Idee bestand darin, eine Organisation und eine auf der Organisation beruhende Identität zu gründen. Die nächste Aufgabe besteht darin, Positionen in verschiedenen Situationen innerhalb der Gemeinschaft einzunehmen.
Die dritte Phase der libertär-kommunalistischen Organisierung ist die, in der die Leute in Betracht ziehen, tatsächlich einen Kandidaten oder eine Kandidatin für die Wahl aufzustellen. Für die meisten AnarchistInnen und linken Libertären erscheint das vollkommen widersprüchlich. Und das ist es auch, es sei denn, man berücksichtigt die Tatsache, dass der Wahlprozess nur als Mechanismus der Bildung genutzt wird, um als eine Minderheit die Aufmerksamkeit der Mehrheit der Stadt, des Ortes oder des Dorfes auf sich zu ziehen. Vor allem gehen die Wahlen, an denen wir teilnehmen, nie über die kommunale Ebene hinaus. Denn innerhalb der Philosophie des Libertären Kommunalismus ist die einzige legitime Einheit im Sinne der Demokratie die Stadt, der Ort oder das Dorf. Sobald diese Ebene überschritten wird, bewegt man sich auf der Ebene des Staates, der als illegitime politische Institution betrachtet werden sollte. Im Falle Burlingtons stellten wir einen Kandidaten für einen Wahlkreis auf.
Besonders interessant an diesem Prozess ist, dass er zwei Formen von Widersprüchen beinhaltet: 1. Der Wahlprozess verfolgt nicht das Ziel, zu gewinnen. Das ist nicht das Hauptziel. 2. Wenn wir mit einem Kandidaten/einer Kandidatin gewonnen haben, besteht das Ziel für ihn/sie nicht darin, ein/e Repräsentanten/eine Repräsentantin zu werden. Denn in Wirklichkeit war der Sieg durch die Agenda oder das Programm des Libertären Kommunalismus erlangt worden. Das ist das ultimative Paradox dieses Prozesses und erscheint vielen sehr verwirrend, dabei ist es recht einfach: Werde ich als Delegierte, nicht als Repräsentantin aufgestellt, dann propagiere ich das Programm der direkten Demokratie, der kommunalistischen Ökonomie, der Ökologie und der sozialen Gerechtigkeit. Wenn mich die Leute dann wählen – wobei wir davon ausgingen, dass es eine sehr lange Zeit dauern würde, bis wir in der Lage wären, eine Mehrheit zu erlangen –, würde ich nicht als Person, sondern als Unterstützerin des Libertären Kommunalismus siegen. In der Folge könnte die Stadt tatsächlich dazu übergehen, das Generalversammlungsmodell der direkten Demokratie zu übernehmen.
Der Libertäre Kommunalismus würde am besten funktionieren, wenn er im Kontext breit angelegter Kämpfe entstehen würde. Das könnte auf vielfältige Weise geschehen. Erstens waren viele SozialökologInnen in einer Vielzahl von verschiedenen Bewegungen aktiv, in der anarchistischen, der feministischen und der Ökologiebewegung. Die soziale Initiative kann tatsächlich ein Forum der Bildung sein, so wie eine Stadt oder ein Dorf. So waren beispielsweise einige der wichtigen Akteurinnen und Akteure, die die Proteste von Seattle organisierten, Studierende von mir am Institut für Sozialökologie. Es gab eine Menge teach-ins und Workshops in Seattle. Einige SozialökologInnen haben Vorträge zu Fragen des Freihandels gehalten und dabei eine sozialökologische oder libertär-kommunalistische Perspektive eingebracht. Ich bin davon überzeugt, dass sich der Liberatäre Kommunalismus und die Sozialökologie am besten im Rahmen sozialer Bewegungen etablieren können.
Übersetzung: Jens Kastner
Weitere Information: http://www.social-ecology.org
Originaltext: http://www.ressler.at/de/libertarian_municipalism/