Ein Portrait des Anarchisten und Widerstandskämpfers Ernst Friedrich
Es macht wenig Sinn, in dieser Zeitschrift den großen Friedenskämpfer und Anarchisten Ernst Friedrich (*Breslau [Wrocaw] 25. 2. 1894, †Le Perreux bei Paris 2. 5. 1967) vorzustellen, doch sollen dem Leser seine wichtigsten Lebensstationen kurz in Erinnerung gerufen werden.
Das dreizehnte Kind einer Waschfrau und eines Sattlers verdingte sich nach einer 1908 begonnenen und kurz darauf abgebrochenen Buchdruckerlehre als Fabriksarbeiter, bildete sich daneben privat als Schauspieler aus und durchwanderte 1912 bis 1914 Dänemark, Schweden, Norwegen und die Schweiz als "Kunde". Sein schauspielerisches Debut gab er in seiner Vaterstadt und war dann 1914 eine zeitlang am Königlichen Hoftheater in Potsdam. 1911 der Sozialdemokratie beigetreten, machte ihn der Erste Weltkrieg zum engagierten Pazifisten. Seine Weigerung, eine Uniform anzuziehen, hatte seine Einweisung in eine Beobachtungsstation für Geisteskranke zur Folge.
1917 verweigerte er den Einberufungsbefehl und unternahm stattdessen einen Sabotageakt in einem patriotischen Musterbetrieb, wofür er erstmals ins Gefängnis mußte. 1916 nahm er Kontakt zu einer illegalen Anarchistengruppe in Breslau auf und schloß sich 1918 in Berlin der "Freien Sozialistischen Jugend" an, deren antiautoritären Flügel, die "Freie Jugend", er 1919 ins Leben rief. Er gab auch deren Organ, die "Freie Jugend. Jugendschrift für herrschaftslosen Sozialismus" heraus, welche eine Auflage bis zu 40.000 Stück erreichte. Außerdem initierte er 1921 eine permanente "Arbeiter-Kunst-Ausstellung" mit Werken von Käthe Kollwitz, Hans Baluschek, Otto Nagel, Heinrich Zille und anderen. Mit Genossinnen und Genossen seiner "Internationales Haus" genannten Wohnkommune begann er 1923 die Einrichtung des "Internationalen Anti-Kriegsmuseums", welches Ostern 1925 eröffnet wurde. Nach dem Zerfall der "Freien Jugend" Ende der 20er Jahre widmete er sich verstärkt seinem Museum und der Kunstausstellung, hielt Rezitationsabende und wissenschaftliche Vorträge (vor allem über Individualpsychologie und Sexualwissenschaft). Auch als Schriftsteller war er äußerst erfolgreich; so erreichte sein Buch "Krieg dem Kriege" (Berlin 1926) bis 1930 zehn Auflagen mit 50.000 Exemplaren. Wegen der im Auftrag der KPD gedruckten Zeitschrift "Die Rote Fahne" (Berlin) wurde er im April 1930 verhaftet und im November 1930 wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu einem Jahr Festungshaft auf den Festungen Gollnow und Wesermünde/ Lehne verurteilt.
Nach seiner Entlassung begann er, Archivmaterial ins Ausland zu schaffen, da die Übergriffe der Nationalsozialisten nicht mehr zu ignorieren waren. Auch Friedrich selbst wurde deren Opfer, als er im November 1932 von Angehörigen der SA vor seinem Museum zusammengeschlagen wurde. In der Nacht des Reichstagsbrandes verhaftet und kam in sogenannte Schutzhaft, während noch im März 1933 SA-Horden sein Museum zerstörten und das "Internationale Haus" zu ihrem Sturmlokal machten. Im September 1933 wurde er – über Intervention amerikanisch Quäker – als kranker Mann freigelassen. Nachdem bereits ein neuer Prozeß gegen ihn festgesetz war, floh er im Dezember 1933 mit seiner Frau Charlotte (geb. Meier; 1915 hatte er sie geheiratet und nach jahrzehntelanger Trennung wurde die Ehe 1952 geschieden) und seinen Kindern Heidi und Ernst über Prag in die Schweiz, wo er sich um den Wiederaufbau seines Anti-Kriegsmuseums im Aargau bemühte. Im Juli 1935 ausgewiesen, flüchtete er über die Niederlande nach Belgien, wo mit Hilfe der belgischen Gewerkschaften und der "Parti Ouvrier Belge" im Oktober 1936 sein zweites Anti-Kriegsmuseum, das "Musée Mondial contre la Guerre", in Brüssel eröffnet wurde.
Beim Einmarsch deutscher Truppen in Belgien 1940 wurde auch dieses Museum zerstört. Ernst Friedrich, inzwischen Mitglied der "Légion Etragère", wurde inzwischen mit seinem Sohn nach Frankreich evakuiert, wo er nach dem Waffenstillstand vom Juni 1940 ins Internierungslager in Saint-Cyprien, 1941 in Gurs kam. Nach eineinhalb Jahren konnte er aus dem Lager fliehen und erhielt in der unbesetzten Zone bei Barre-des-Cévennes (Lozère) den Bauernhof "La Castelle" zur Bewirtschaftung, dessen Ertrag er teilweise Famiien von in deutscher Gefangenschaft befindlichen Franzosen überließ. Hier lernte er seine zweite Frau, das Bauernmädchen Marthe Saint-Pierre, kennen.
Nach der Besetzung Rest-Frankreichs durch die Deutsche Wehrmacht im November 1942 wurde der inzwischen in Deutschland zum Tode verurteilte Friedrich von der GeStaPo im Februar 1943 aufgespürt und verhaftet. Nachdem Ernst Friedrich fliehen konnte, wurde sein Sohn in Geiselhaft genommen. Sein Pflichtgefühl veranlaßte nun den überzeugten Pazifisten, sich der französischen Widerstandsbewegung anzuschließen, und er trat in die in den Cervennen in Florac (Lozère) neu aufgestellten 104. Kompanie des 5. Bataillons "Marquis Lozère" der "Armée des Forces Franç aises Libre de l’Intérieur" ein, der er 1943/44 achtzehn Monate lang angehörte. Er war bei der Befreiung von Nîmes und Alès dabei, wurde zweimal verwundet und rettete unter anderem etwa siebzig Kinder eines jüdischen Kinderheims vor der Deportation. Nach dem Krieg schloß er sich der Sozialistischen Partei Frankreichs (Section Franç aise de l’Internationale Ouvrière) an und bemühte sich seit 1947 in Paris um den Wiederaufbau eines Anti-Kriegsmuseums.
Mit den von einem internationalen Fonds erhaltenen 1.000 Dollar kaufte er einen alten Schleppkahn, den er zum Friedensschiff "Arche de Noé" umbaute, und das er auf einer Seine-Insel nahe Paris (Villeneuve-la-Garenne) verankerte. Als Werbeorgan gab er drei Nummern der Zeitschrift "Bordbrief" (Paris; 1950-1953) heraus. Mit der Entschädigung, die er 1954 für die Zerstörung seines Besitzes und für erlittene körperliche Schäden im Dritten Reich erhielt, kaufte er etwa 3.000 Quadratmeter bewaldeten Gebietes auf einer Seine-Insel nahe Le Perreux-sur-Marne (Val-De-Marne), wo er ein internationales Jugendzentrum errichtete; der hier gebaute "Schweizer Pavillon", der "Berliner Pavillon" und das "Tolstoj-Haus" hatten zusammen fünfzig Betten. Mit Hilfe der deutschen Gewerkschaft ÖTV (Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr) wurde die "Île de la Paix" (Friedensinsel) seit 1961 eine internationale Begegnungsstätte der arbeitenden Jugend. Friedrich, der sich symbolisch zum "Welt-Friedensminister" ernannte, vermachte alles der "Gesellschaft der Freunde der Friedensinsel e.V.". So starb er, zuletzt von schweren Depressionen geplagt, wie er stets gelebt hatte: arm an Besitz, aber überreich an Visionen, die er in seiner schier unerschöpflich scheinenden Schaffenskraft voll romantischem Optimismus immer wieder in Wirklichkeit umsetzte – als kleine Bausteine einer Welt des Friedens und der Herzlichkeit.
Nach dem Tod von Ernst Friedrich wurde die Friedensinsel verkauft, um Erbschaftsansprüche befriedigen zu können. Dabei wurde auch sein schriftlicher Nachlaß achtlos vernichtet.
Reinhard Müller
Auf http://oeh.tu-graz.ac.at/~arge-kdv/fb499_a3.html findet ihr Auszüge aus drei Briefen Ernst Friedrich`s an den österreichischen Anarchisten Leopold Spitzegger aus den 50er - Jahren.
Aus: "Friedolins Befreiung" Nr. 4/1999
Leicht gekürzt, den Originaltext findet ihr auf: http://oeh.tu-graz.ac.at/~arge-kdv/fb499_a3.html