Gaston Leval - Sozialismus ohne Staat
Die CNT und die FAI müssen dem spanischen Volk und der Weltmeinung gegenüber erklären, welches ihre Stellung ist zu den Fragen des sozialen Wiederaufbaus.
Wir tun das nicht gern. In der gegenwärtigen Stunde sollten der Krieg, der rasende Angriff auf Madrid, die Landung von deutschen und italienischen Truppen alle unsere Sorge und alle unsere Kräfte restlos in Anspruch nehmen. Aber die Partei-Politik ist wieder auf den Schauplatz der spanischen Ereignisse getreten. Und diese zwingt uns als Antwort auf versteckte und unterirdische Angriffe offen und loyal zu erklären, wie unser Aufbauprogramm beschaffen ist. Denn es geht um entscheidende Fragen. Man hat spontan Arbeiterkomitees gegründet, die Kapitalisten enteignet, für den Fortgang der Produktion gesorgt. Aber das ist nicht genug. Das kann Berührungspunkte mit dem Anarchismus geben, ohne selbst Anarchismus zu sein. Wir müssen feststellen, bis zu welchem Punkte es sich um vorübergehende Massnahmen, die unserer Auffassung entsprechen oder sich von ihr unterscheiden; was uns als Grundlage für spätere konstruktive Arbeit dienen kann.
Alle Menschen, die die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen nicht wollen, sind mit dem Sozialismus auf ökonomischem Gebiet einverstanden. Dieser Sozialismus ist gerechtfertig nicht nur vom primitivsten ethischen Standpunkt aus, sondern auch durch den völligen Bankrott der kapitalistischen Organisation, die seit 1929 eine Krise herbeigeführt hat, die ohne gleichen ist in der Geschichte der Welt-Wirtschaft, und die die Menschheit schon mehr Geld gekostet hat als der Weltkrieg, und mehr Opfer, als auf seinen Schlachtfeldern gefallen sind.
In Spanien ist der Sozialismus noch gerechtfertigter als in anderen Ländern. Der wichtigste Grund hierfür ist, dass Spanien, entgegen der Meinung derer, die die Naturbedingungen des Landes nicht studiert haben, ein armes Land ist. Vom geologischen Standpunkt aus gesehen sind die landwirtschaftlichen Bedingungen des Landes schlecht. Nur 10% des Bodens sind wirklich schwerer und ergiebiger Boden. 25% dagegen sind für landwirtschaftliche Zwecke völlig unbrauchbar. Dazu kommt, dass der Durchschnitt der jährlichen Niederschläge nicht über 500 mm jährlich hinausgeht und also eine gründliche landwirtschaftliche Durcharbeitung nicht erlaubt. Auch die Temperatur ist sehr unregelmässig: Frost -und Trockenperioden wechseln ab auf den weiten Ebenen des Landes, besonders in Kastilien und Extremadura. Es ist ein harter Kampf mit den ungünstigen Naturbedingungen, den ¾ der spanischen Bevölkerung kämpfen muss.
Nachdem wir also die Notwendigkeit des Sozialismus auf ökonomischem Gebiet erkannt haben, stellen wir die Frage unserer politischen Überzeugungen. Sie sind föderalistisch, und Ausdruck des Willens und der geographischen Struktur des Landes. Es gibt natürlich verschiedene Arten von Föderalismus. Bürgerlicher Föderalismus, d.h. Separatismus, regionaler "Patriotismus" ist nicht proletarischer; dieser politische Föderalismus hat nichts zu tun mit sozialistischem. Wir verteidigen also nicht das föderalistische Prinzip in dem traditionellen Sinne der Zerreissung Spaniens in isolierte Staaten. Wir wollen keinen gesellschaftlichen Aufbau auf der Basis Dorf, Bezirk, Region als politisch abgeschlossene Bezirke. Unser sozialistischer Föderalismus gründet sich auf ökonomische und soziale Gesichtspunkte. In der ökonomischen Wirklichkeit der Völker und in der Spaniens vielleicht ganz besonders ist eine Isolierung der einzelnen Gegenden völlig unmöglich. Katalonien ist eine Industriegegend, braucht Kohle aus Asturien, Eisenerze aus Biskaya, Kupfer aus Huelva, Wolle aus der La Mancha und Extremadura, Baumwolle aus den Vereinigten Staaten oder aus Ägypten, Getreide aus Kastilien usw. Seinerseits braucht Kastilien Stoffe aus Katalonien, Landwirtschaftsmaschinen aus Katalonien oder Biskaya, Öl und Früchte aus Andalusien und Levante. Und alle übrigen Regionen befinden sich in ähnlichen Verhältnissen. Jede von ihnen braucht die andere. Man kann also das klassische föderalistische Prinzip — die Isolierung der einzelnen Regionen — nicht aufrechterhalten. Man kann sie auch nicht aufrechterhalten aus ethischen Gründen. Bis heute haben Katalonien, Biskaya und andere Regionen durch Austausch und Handel andere viel ärmere Regionen wie Kastilien, Extremadura, Andalusien ausgebeutet, wo die Menschen unter Bedingungen leben, die zwei und dreimal schlechter sind, als die der Arbeiter in den Grosstädten. Infolgedessen müssen wir das Wirtschaftsleben unter dem kollektiven Gesichtspunkt erfassen und entsprechend den Bedürfnissen des ganzen Landes; alle - Güter, die produziert werden, sollen allen Bewohnern unter gleichen Bedingungen zugänglich sein.
Unser Föderalismus trägt also ausgesprochen ökonomischen Charakter. Die Landleute, die Getreide produzieren in Katalonien in Aragon, in Kastilien, in Andalusien, sind nicht unabhängig von einander, denn sie erfüllen eine und dieselbe Funktion: der ganzen Gesellschaft Brot zu geben. Vom industriellen Gesichtspunkt aus gesehen, sind die Tatsachen die gleichen. Wir wollen also die Organisierung der Arbeit mittels breiter Industrieföderationen, die sich über die ganze Nation erstreckend alle Tätigkeiten regulieren, die in ihren Bereich fallen. Diese aus den lokalen Industriesyndikaten zusammengesetzten Föderationen ernennen ihrerseits Technische Verbindungskomitees der Produktion die nach Prüfung der Bedürfnisse die Arbeit über die verschiedenen Regionen verteilen, danach die Rohstoffe, Arbeitskräfte, technische Hilfsmittel, über die sie verfügen.
Diese verschiedenen Föderationen sind Parallelorganisationen, die durch die Verbindungskomitees in ständigem Kontakt sind und so zu einer Koordinierung ihrer Tätigkeiten kommen.
Für die Landwirtschaft ist es genau so. Wir brauchen die Föderation der Getreidebauer, Föderation der Gemüsebauer, Fruchtföderalion, Föderation des Industriepflanzenbauer, Föderation der Tierzucht etc. Alle diese Zweige stehen in dauernder Verbindung miteinander und werden auf föderalistische Art geleitet, denn die Technischen Verbindungskommissionen sind wiederum dem gemeinsamen Kongress für ihre Tätigkeit verantwortlich.
Unsere Auffassung von der Organisation der Wirtschaft, die ich heute nur unter dem Gesichtspunkt der Produktion betrachte, ist also eine technische. Sie schaltet den Staat aus. Sie legt die Leitung der Produktion in die Hände der Produktionsorganismen selbst. Sie gibt den Konsumenten und ihren Organismen die sämtlichen Funktionen der Verteilung; den Transportorganismen die Organisation der Verkehrsmittel. Man kann uns sagen, dass das eine Planwirtschaft ist. Und es kann sein, dass dem so ist. Wir wollen zuerst die Bedürfnisse der Bevölkerung kennen und uns organisieren, um diesen ihren Bedürfnissen zu entsprechen. Das ist das notwendige und logische Prinzip jeder Gesellschaft, in der das Gesamtinteresse über das Einzelinteresse geht. Aber diese Wirtschaftsform, die man Planwirtschaft nennen könnte, hat nicht das geringste zu tun mit der Planindustrie des Kapitalismus. Dieser organisiert sich in Trusts und Kartellen, um die Welt auszubeuten. Wir organisieren uns, um die Welt zu retten.
Bei dieser Arbeit haben die politischen Parteien nichts verloren. Wir wollen aber zu den ehrlichen Leuten innerhalb der Parteien sagen, dass sich alle mit uns verstandigen können auf wirtschaftlichem Gebiet. Wir können uns alle verständigen — offen und ehrlich — auf der Grundlage der Gleichheit, denn wir alle sind Produzenten. Ausschließlich diese Auffassung kann die Revolution retten. Nehmen wir an, dass morgen der Faschismus besiegt sei und man die Regierung vor die Aufgabe des wirtschaftlichen Neuaufbaus Spaniens stellte. Wir haben da die republikanischen Fraktionen, die sich vorübergehend geeint haben, wir haben die rechten und die linken Sozialisten und wir haben die Kommunisten. Jede einzelne dieser Parteien will regieren. Und ihre Regierungsansprüche, die logisch sind, weil sie der Existenzgrund der Parteien sind, bringen die einen gegen die anderen und daraus könnte ein neuer blutiger Krieg entstehen, der zu einer neuen internationalen Intervention führen könnte.
Vermeiden wir also, dass so etwas geschehe. Und wir können das nur vermeiden, wenn wir uns strikt auf den Standpunkt der wirtschaftlichen und technischen Organisation der sozialen Tätigkeiten stellen. Wir bitten alle Parteimänner, die es ehrlich meinen, diese Realität zu bedenken. Wir sind entschlossen, um dem zuvorzukommen, die gemeinsame Aktionsplattform aufrechtzuerhalten, die wir geschaffen haben; wir sind sogar bereit, wenn es nötig ist, die Confederación Nacional del Trabajo aufzulösen und uns mit den anderen Arbeiterorganisationen zu verschmelzen zur Schaffung des Sozialismus und zur Rettung Spaniens. Wir sind bereit zu sterben im Kampfe gegen den Faschismus. Wir sind bereit zu sterben, damit unsere Kinder nicht ähnliche Schrecken erleben müsen wie wir jetzt. Wir sind bereit zu sterben, um den künftigen Generationen dieses Landes das Minimum an Wohlstand und Freiheit zu garantieren, auf das sie ein Recht haben.
Aus einem Vortrag Gaston Levals in Barcelona
Aus: Die Soziale Revolution Nr. 5-6, 1937. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ä zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.