Oppositionelle Strömungen in der CNT/FAI

"Zunächst ist jede offizielle Theorie ein Nonsens. Um den Mut und einen Vorwand zu besitzen, sich aufzuzwingen, muß sie sich als absolut proklamieren, und die Zeit des Absoluten ist vorüber, wenigstens im Lager der Revolution - das Absolute ist für die Männer der Freiheit und der Menschheit das Absurde. Ferner, da eine bestimmte Theorie nie wirklich das Produkt des individuellen Denkens Aller war und sein kann, da alle Theorien, insoweit als sie ausführliche und aufgeschlossene Theorien sind, stets von einer kleinen Zahl Menschen ausgearbeitet sind und sein werden, weil die sogenannte absolute Theorie in Wirklichkeit nie etwas anderes darstellt als den von dem Denken einiger auf das Denken aller ausgeübten Despotismus, - einen theoretischen Despotismus, der nie verfehlen wird, in praktischen Despotismus und Ausbeutung umzuschlagen." (Michail Bakunin)

Angesichts der oben geschilderten Ereignisse und Politik der CNT/FAI scheint es kaum verwunderlich, daß innerhalb der anarchistischen Organisation oppositionelle Gruppierungen von sich reden machten. Der Widerstand, der von Anfang an gegen die Beteiligung führender Anarchisten an der Regierung bestand und sich im Laufe der Monate verstärkte, zeugte davon, daß - auch vor dem Hintergrund, daß die Entscheidung zur Regierungsbeteiligung auf höchster Ebene und im geheimen fiel - sich die Beziehung Basis-Führung in der anarchistischen Gewerkschaft immer mehr verschlechterte. Bereits im Spätherbst 1936 mißlang ein innergewerkschaftlicher Aufstandsversuch der Verteidigungskomitees von Barcelona, die den Sekretär des katalanischen Regionalkomitees stürzen wollten. Oppositionelle Stimmen konnten bis Ende 1937 regelmäßig in den Publikationen "Nosotros" und "Tierra y Libertad" zu Wort kommen, ab 1938 war dies jedoch durch die innergewerkschaftliche Zensur unmöglich geworden. Bezeichnend für das gereizte Klima unter den Anarchisten war auch, daß die Nationalregierung mitsamt ihren anarchistischen Ministern bei ihrem Umzug von Madrid nach Valencia beinahe von einer anarchistischen Kolonne wegen Verrats erschossen worden wäre.

Theoretisch geleitet wurde die anarchistische Opposition von dem in Barcelona lebenden italienischen Anarchisten Camillo Berneri. Er schrieb im November 1936: "Bedauerlich ist es außerdem, einen Fortschritt der Bolschewisierung innerhalb der CNT feststellen zu müssen, der durch die Tatsache zum Vorschein kommt, daß die Elemente der Basis immer weniger eine wachsame, aktive und unmittelbare Kontrolle über die Arbeit der Organisationsvertreter in den Regierungskomitees bzw. der Räte ausüben können."

Versprengte Teile der "Eisernen Kolonne", die monatelang Widerstand gegen ihre Militarisierung leisteten, sowie weitere "unkontrollierbare Elemente" bildeten im März 1937 die "Freunde Durrutis" (Amigos de Durruti). Mit ihren 5000 Mitgliedern, vor allem "einfache" Anarchisten, war diese Gruppe zwar zahlenmäßig von geringer Bedeutung, aber dennoch drückte sich in ihrer Gründung ein Unbehagen an der offiziellen Politik der Führung der CNT aus, welches zu diesem Zeitpunkt unter den Basismitgliedern weit verbreitet war.

Die "Eiserne Kolonne (Columna de Hierro)" war eine anarchistische Kolonne, die, wie alle anderen anarchistischen Milizen auch, selbstverständlich die Insassen der Gefängnisse, die bei der Zerschlagung der alten Polizei- und Militärverbände freikamen, in ihre Verbände integrierte. In der Eisernen Kolonne kämpften so hunderte ehemalige Strafgefangene des Valencianischen Gefängnisses San Miguel de los Reyes. Am 1. Oktober 1936 marschierte die Kolonne nach Valencia, um daran zu erinnern, was revolutionäre Ordnung sei. Sie entwaffnete Wachposten, besetzte das Gerichtsgebäude und vernichtete Akten. Bei Razzien in den Nachtlokalen wurden die wohlhabenden Gäste beraubt. Ihre Aktionen in Valencia begründete die Eiserne Kolonne wie folgt:

"... Wir Männer; die wir an der Front von Teruel unter der Bezeichnung "Eiserne Kolonne" gegen die klerikale und militaristische Reaktion kämpfen, kümmern uns als Anarchisten ebenso um die Probleme der Front wie um die Probleme im Hinterland. Als wir daher sahen, daß sich die Dinge in Valencia nicht in einer Weise entwickelten, wie wir es uns gewünscht hätten, als wir feststellen mußten, daß das Hinterland, statt uns Sicherheit zu bieten, eine Quelle der Besorgnis, des Zweifels wurde, da entschieden wir uns, einzuschreiten und schickten an die entsprechenden Organe die folgenden Forderungen:

1. Völlige Entwaffnung und Auflösung der Guardia Civil 2. Sofortige Verschickung aller bewaffneten Körperschaften, die im Dienste des Staates stehen (Sturmgarde, Carabineros, Sicherheitspolizei etc.) an die Front 3. Zerstörung aller Archive und Unterlagen sämtlicher kapitalistischer und staatlicher Institutionen..." (in: Jose Peirats, La CNT en la revolucion espanola, Paris 1971, zit. nach: Rainer Huhle, Die Geschichtsvollzieher, Gießen 1980, S.99f.)

Ende Oktober wurde die Kolonne bei dem Begräbnis einer ihrer Führer von kommunistischen Truppen zusammengeschossen. Das Verhältnis der Amigos de Durruti zu den politikbestimmenden Personen der CNT schilderte James Balius, Sekretär der Amigos so: "Unser Verhältnis zu den Führern der CNT und FAI war etwas schwierig, da wir Gegner der Kollaboration mit dem Staat und der Regierung und Feinde eines Ausgleichs mit den Stalinisten waren."

Aus diesem kleinen Zitat wird auch deutlich, daß die Spaltung keineswegs zwischen einer syndikalistischen CNT und einer anarchistischen FAI in der Politik im Bürgerkrieg gesehen werden kann, denn gerade die Führer der anarchistischen Bewegung, die Minister, kamen aus der FAI. In einem Flugblatt vom März 1937 stellten die Amigos folgende Bilanz auf: "Acht Monate Krieg und Revolution sind vergangen. Wir beobachten mit tiefem Schmerz die Einbuchtungen in der Flugbahn der Revolution. Ein antifaschistisches Komitee, Nachbarschaftsausschüsse, Kontrollstreifen waren geschaffen worden, und nichts ist nach acht Monaten übrig geblieben. Der Krieg und die Revolution sind zwei Gesichtspunkte, die sich nicht voneinander trennen lassen. Unter keinen Umständen dürfen wir dulden, daß die Revolution bis zum Abschluß des militärischen Konflikts vertagt werde."

Nach den Maiereignissen 1937 in Barcelona riefen die Amigos zu einer neuen Revolution auf. Sie forderten die sofortige Konstituierung einer revolutionären Junta, die sich mit der Führung des Krieges sowie der revolutionären Ordnung beschäftigen sollte.

Auch andere Teile der anarchistischen Organisationen wurden gegen die zunehmende Preisgabe anarchistischer Grundsätze aktiv. Zwar war in Madrid die anarchistische Jugendbewegung JJLL für die Regierungsbeteiligung gewesen und hatte sich mit der kommunistischen Jugend JSU in Lobhudelei auf die Regierung und das Heer zu übertreffen gesucht. In Katalonien aber blieb die anarchistische Jugend weitgehend widerspenstig gegen die Zähmungsversuche der offiziellen CNT-Politik. Im Februar 1937 verhandelte sie mit der Jugendbewegung der POUM, der JCI, über die Bildung einer gemeinsamen "Revolutionären Jugend", als Gegenstück zur antifaschistischen Jugend der Kommunisten, Sozialisten und Madrider Anarchisten gedacht. Sie glaubten zu erkennen, daß die ab Dezember 1936 einsetzenden Repressionsmaßnahmen der Kommunisten gegen die POUM langfristig auch die Anarchisten treffen würden.

"Wir sind aber bereit, im Notfall in den Untergrund zu gehen und erbarmungslos gegen alle Fälscher, Volkstyrannen und elende Kleinkrämer der Politik zu kämpfen. Heute sagen wir es noch einmal: Bevor wir den Kampf gegen den Faschismus aufgeben, wollen wir in den Schützengräben sterben! Bevor wir die Revolution aufgeben, wollen wir auf den Barrikaden sterben. Was uns betrifft, erklären wir heute feierlich: wir waren bewaffnet, wir sind bewaffnet und wir werden bewaffnet bleiben. Rodriguez Sala mag sagen, was er will. Für uns hat diese Maßnahme überhaupt keinen Wert. Damit kein Zweifel darüber besteht, werden wir weiter mit unseren Waffen hinausgehen - jeder wird seinen vorschriftsmäßigen Ausweis bei sich tragen - und wer es trotzdem versuchen sollte, uns zu entwaffnen, muß uns zuerst töten. Wir werden schon sehen, wer wen besiegen wird!"
 
Die Maiereignisse erschienen der inneranarchistischen Opposition die letzte Möglichkeit, auf den Gang der Ereignisse in der CNT/FAI Einfluß zu nehmen. So forderten sie die Einheitsfront von CNT/FAI, POUM und JJLL, sowie der Reste der noch nicht militarisierten Milizen. Diese Einheitsfront sollte die anarchistischen Minister aus der Regierung zurückziehen und die Kommunisten entwaffnen. Die letztere Forderung war sicherlich zu diesem Zeitpunkt schon illusorisch, die der Einheitsfront lag aber durchaus im Bereich des Möglichen. Hatte es doch während der Maitage zum ersten Male in der spanischen Geschichte eine weitgehende Annäherung zwischen CNT und POUM gegeben, als am 3. Mai das Exekutivkomitee der POUM und das Regionalkomitee der CNT gemeinsam tagten. Doch die unterschiedliche Einstellung über das "wie" der Gleichzeitigkeit von Revolution und Krieg trennte beide Organisationen zu stark. Als das Ende der Maitage in Barcelona den Sieg der Regierung und die Fortsetzung der reformistischen Politik der Anarchisten zur Folge hatten, wurde auch die inneranarchistische Opposition zunehmend schwächer und wurde von den offiziellen anarchistischen Publikationen und den Führern als Provokateure und Agenten des Faschismus denunziert. In diesem Punkt unterschieden sie sich in keinster Weise von den Hetzparolen der Kommunisten. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, daß bereits am 28. März 1937 das Nationalkomitee der CNT eine Konferenz der Delegierten der gesamten CNT und FAI-Presse in Barcelona abhielt, die beabsichtigte, die Unterordnung aller anarchistischen Presseorgane unter die Anweisungen des Nationalkomitees zu erzielen. Jeder Anschein von Uneinigkeit in der Organisation und besonders die Freiheit bestimmter Zeitungen am Verrat der "Genossen Minister" an den libertären Prinzipien Kritik zu üben, sollte unterbunden werden. Dieser Vorschlag, aus den Presseorganen die bloßen Fürsprecher der offiziellen CNT-Politik zu machen, wurde mit einer Stimme Mehrheit auf dem Kongreß angenommen, allerdings wollte die unterlegene Seite diesen Beschluß nicht akzeptieren.

Ende Mai wurden die oppositionellen Gruppierungen der Anarchisten aus der CNT ausgeschlossen und bis Ende 1937 war die Linksopposition innerhalb der anarchistischen Organisation völlig ausgeschaltet, was sich auch im tatenlosen Zusehen der Gewerkschaft bei der Auflösung des Verteidigungsrates von Aragon äußerte.

Ohne Kritik aus der eigenen Organisation ließen sich jetzt leichter die anarchistischen Grundsätze zugunsten einer an der Praxis orientierten Politik des Machbaren opfern. Der "Verrat der kleinen Chefs" am Anarchismus begann.

"Noch nie hat es in der libertären Bewegung eine derartige Neigung zur Unterdrückung von Willensäußerungen, zum repressiven Verhalten gegenüber der freien Meinungskundgebung gegeben. Die Minderheit, die vom offiziösen Wortschatz und der offiziösen Linie abweicht, wird mundtot gemacht. Die syndikalistische und anarchistische Presse weist ihre Artikel zurück. Die Propagandabüros drängen sie an den Rand des öffentlichen Wirkens. Die gröbsten Bezeichnungen werden diesen Männern gegenüber angewandt, die der ideologischen Integrität gegenüber treu geblieben sind." (Santana Calero in einer Protestschrift Ende 1937)

Daß die anarchistischen Organisationen CNT und FAI, vor dem Bürgerkrieg wohl die am wenigsten bürokratisierten und zentralisierten Organisationen, im Bürgerkrieg doch im äußerst beunruhigenden Tempo zu eben solchen wurden, ist eine der Besonderheiten und Kritikpunkte aus heutiger Sicht. Sie wurden zu Organisationen, in welchen sehr schnell die Werte der Gesellschaft, die abzuschaffen man angetreten war, wie Hierarchie, Disziplin, Unterdrückung und Führerkult, die Oberhand gewannen. In Spanien wie bei so vielen revolutionären Bewegungen, brachten die spontanen Aktionen der Massen für einen kurzen Augenblick die Dinge ins Rollen, wurden die Überzeugungen des libertären Kommunismus ohne zentrale Anleitung gelebt. Die Anarchisten, die in Spanien auf eine lange revolutionäre Tradition zurückblicken konnten, mußten sich mangels revolutionärer Strategie im Bürgerkrieg der Politik der anderen politischen Gruppierungen anpassen. Diese aber, allen voran die Kommunisten, wiesen auf die externen Bedingungen und Kräfteverhältnisse hin und leiteten die spontanen Aktionen in gelenkte Bahnen, bremsten sie, um sie dadurch am Ende völlig zu zerstören.

Sollte uns das spanische Beispiel gerade diese unbequeme Tatsache lehren, daß nämlich keine Organisation, und sei sie noch so libertär und antizentralistisch eingestellt, auf Dauer in Krisensituationen einer Revolution der Bürokratisierung und Hierarchisierung entgehen kann? Oder lag diese Entwicklung innerhalb der anarchistischen Organisationen vielleicht nur daran, daß man keine eigene Strategie für die revolutionäre Phase besaß und sich deswegen notgedrungen der des Gegners oder Gruppierungen des eigenen Lagers anpassen mußte?

Lagen nicht die Gründe für dieses Scheitern des Anarchismus in Spanien und die Anpassung ans bürgerliche und kommunistische Lager schon wenige Monate nach Beginn des Bürgerkriegs, die daraus resultierende Anpassung auch in der innerorganisatorischen Struktur, nicht in der Geschichte der Bewegung in Spanien begründet?

Aus: H. Auweder / M. Schumann: A las barricadas. Triumph und Scheitern des Anarchismus im spanischen Bürgerkrieg. Trotzdem-Verlag, 1999. Digitalisiert von www.anarchismus.at mit freundlicher Genehmigung des Trotzdem-Verlags.


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