Adi Marti - Persönlichkeit...

Eine Frau - eine wirklich sehr angenehme Frau - hat vor einiger Zeit auf der Versammlung der P.S.U.C. und der U.G.T. (1) im "Gran Price" eine Rede gehalten. Warum erinnere ich mich gerade an dieses für unsere schnelllebige Zeit bereits längst vergangene Detail? Ich nehme an, vielleicht deshalb, weil ich neulich bei einem Gespräch mit einer anderen Genossin, auch von der P.S.U.C. und der U.G.T., daran erinnert worden bin. Sie hat in dem Gespräch mit mir - das wir beinahe eine freundschaftliche ideologische Polemik nennen könnten -, vielleicht ohne es zu merken, dieselben Vorstellungen, sagen wir besser: dieselben Gemeinplätze vertreten, wie jene erwähnte Frau, die vor einiger Zeit im "Gran Price" gesprochen hat. Und das erscheint mir, ehrlich gesagt, abscheulich ...

Jedes Mal, wenn eine Frau in der Öffentlichkeit redet, ob sie nun dem gewerkschaftlichen oder ideologischen Bereich angehört, dem ich angehöre oder auch nicht, erscheint vor meinen Augen, die schon durch die vergangenen Erfahrungen so skeptisch geworden sind, der Lichtschimmer einer Illusion, warm und kindisch. Vielleicht ist es diese sage ich mir, die ich in der Tiefe meines Unbewußtseins naiv bin. Liebevoll und unbesonnen gehe ich hin, sie zu hören ... Aber fast immer - und ich betone: "fast" - komme ich am Ende zu dem für mich angenehmen Schluß, daß jene Frau, jene Genossin, auf die ich im Augenblick meine Hoffnungen gesetzt hatte, auch nichts Neues sagte, wenigstens nichts aus weiblichem Munde, was nicht andere schon gesagt hätten, wenn auch mit anderen Worten. Sie hat wieder nichts gesagt, was wenigstens auf eine verborgene, aber reale, authentische und vor allem weibliche Persönlichkeit hinweisen könnte. Auf eine Persönlichkeit, die zwar noch nicht herausgebildet ist, noch scharfe Kanten hätte, die noch zu glätten wären, mit fehlenden Charakterzügen zwar, die man noch nicht als endgültig herausgebildet betrachten könnte, aber ... endlich eine Persönlichkeit ...

Und vor allem weiblich. Denn darauf kommt es an: Frau sein zu können, Frau zu sein. Nicht wie ehemals ein Weibchen. Das nicht mehr. Das eine waren wir, das andere werden wir sein. Vom Weibchen zur Frau. Von der Sklavin zur Genossin. Von der Liebhaberin zur Freundin, im besten Sinn des Wortes. Für sie (die Männer, d. Übers.) und für uns (die Frauen, d. Übers.). Vor allem für sie. Nicht für die, die bereits leben - die nicht immer so gebildet sind, um es zu verstehen -, sondern für diejenigen, die noch kommen werden und die von uns kommen werden. So viel wie von ihnen oder mehr als von ihnen. Wenigstens deswegen, für das, was von uns kommen muß, sind wir gezwungen, diese Persönlichkeit herauszubilden, auf die ich vorher eingegangen bin. Wenigstens deswegen, Genossin…

Fußnote:
1.) Anm.d.Übers.: P.S.U.C: Partit Socialist Unificat de Cataluna, Sozialistische Einheitspartei Kataloniens - Katalonische Sektion der Kommunistischen Partei Spaniens. U.G.T.: Union General de Trabajadores - Allgemeine Arbeiterunion; Sozialistische Gewerkschaft, der sozialdemokratischen Partei (P.S.O.E.) nahestehend.

Aus: "Mujeres Libres", Nr. 10

Originaltext: Mary Nash: Mujeres Libres. Die freien Frauen in Spanien 1936 - 1978. Karin Kramer Verlag, Berlin 1979. Digitalisiert von www.anarchismus.at mit freundlicher Genehmigung des Freundeskreis Karin Kramer Verlag. Das Copyright des Textes liegt weiterhin beim Karin Kramer Verlag, der Text darf ohne Rückfrage nicht weiter kopiert oder gedruckt werden. Im Karin Kramer Verlag sind zahlreiche Bücher zum Anarchismus erhältlich.


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