Marianne Kröger - Carl Einstein 1936-1939: Als Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg

1936 war ein international ereignisreiches Jahr mit nachhaltigen Auswirkungen. Bei den französischen Wahlen im Mai gewann die Volksfrontregierung unter Léon Blum aus Kommunisten, Sozialisten, Liberalen und Gewerkschaften, woraufhin wichtige Reformen durchgeführt wurden : die 40-Stunden-Woche, Tarifverträge, bezahlter Urlaub, die ersten Verstaatlichungen und die Statusänderung der Nationalbank. Mitte Juli erfolgte der Putsch in Spanien. Er wurde von vielen Linken aufgrund des spontanen bewaffneten Widerstands der Arbeiterorganisationen sofort als der ersehnte Entscheidungskampf gegen den Faschismus wahrgenommen und führte dazu, dass aus zahllosen Ländern Freiwillige nach Spanien aufbrachen, um daran teilzunehmen. Auch aus Frankreich kamen - noch vor der Rekrutierung für die Internationalen Brigaden im Oktober - bekannte Intellektuelle in verschiedenen Funktionen nach Spanien, darunter Jean-Richard Bloch, Jean Cassou, Paul Nizan, André Malraux, Simone Weil und Benjamin Péret.[2] Einige europäische Linke befanden sich zum Zeitpunkt des Putsches wegen ihrer beabsichtigten Teilnahme an der Arbeiterolympiade bereits in Spanien ; andere wiederum lebten als Exilanten bereits im Land. Mitte des Jahres fand ferner der erste der drei großen Moskauer Schauprozesse gegen Revolutionäre der ersten Stunde als vermeintliche Konterrevolutionäre statt. Die Nachricht, dass sich die politische Situation in der Sowjetunion verschärfte und führende politische Köpfe verhaftet wurden, drang rasch auch in die westeuropäischen Länder vor. Im November erschien zudem André Gides desillusionierter Reisebericht aus der Sowjetunion, Retour de l’U.R.S.S.

Bevor Einstein, ohne viel Aufhebens darum zu machen und ohne sich von seinen engsten Freunden zu verabschieden, nach Spanien fuhr, erschien im Mai noch seine Rezension über Célines Erinnerungen in der Prager Presse. Es ist bisher noch nicht geklärt, wann genau, auf welche Weise und in welcher Begleitung Carl Einstein nach Spanien gelangt ist. (Lyda folgte ihm etwas später nach.) Seinem am 10. Dezember 1936 in der Wochenschrift Neue Weltbühne abgedruckten Artikel „Die Kolonne Durruti“ ist eine Einleitung vorangestellt, in der erwähnt ist, dass Einstein vor einem Vierteljahr als Journalist nach Spanien gereist sei und erst dort den spanischen Anarchisten Durruti kennengelernt habe, dessen Kolonne er sich daraufhin anschloss.[3] Auch Helmut Rüdiger, bei dem Einstein in Barcelona kurzfristig wohnte, erinnerte sich viele Jahre später daran, dass Einstein sich eigentlich den Kommunisten hatte anschließen wollen und - „wahrscheinlich im August“[4] - zufällig ins Hauptquartier der anarcho-syndikalistischen CNT geraten sei, der er sich dann nach eingehender Erkundigung mit großem Enthusiasmus anschloss, da er nicht mit der Existenz einer solch starken libertär-kommunistischen Massenbewegung gerechnet hatte. Sie war in der Tat einzigartig in Europa und hatte in Katalonien nach dem Zusammenbruch der regulären öffentlichen Regierung in den ersten Monaten nach dem Putschversuch die regionale Macht de facto übernommen. Auf die Besonderheiten des Spanischen Bürgerkriegs kann hier jedoch nicht detailliert eingegangen werden.[5] Man stieß damals allerdings nicht ‚zufällig’ auf die Angehörigen der CNT-FAI, denn die CNT-Milizionäre kontrollierten bereits die Einreisenden an der Grenze zu Frankreich und schickten sie mit entsprechenden Papieren versehen nach Barcelona, damit sie sich dort als Ausländer registrieren und überprüfen ließen. Über die anarchistische Anlaufstelle für ausländische Freiwillige ist bei Helmut Kirschey nachzulesen.[6] Personell bestand sie aus deutschen Exilierten, die bereits vor 1936 in Spanien lebten. Die Auslandsabteilung der CNT unter Leitung des deutschen Anarcho-Syndikalisten Augustin Souchy betreute die angereisten Journalisten, Schriftsteller, Politiker und andere freiwillige Beobachter. Wie Recherchen ergaben, trafen schon am 28. Juli zwei Züge mit ausländischen Freiwilligen - darunter Auslandsspanier, Franzosen und Italiener - in Barcelona ein.[7] Möglich ist, dass Einstein sich unter dieser Gruppe befand, falls er nicht schon mit einer kleineren Gruppe eingereist war und sich direkt der Kolonne Durruti angeschlossen hatte, die am 24. Juli als erste Milizkolonne nach Aragon aufbrach. Später, in einem 1938 geschriebenen Brief an Daniel-Henry Kahnweiler, beschreibt er, was er hinter sich gelassen hatte : „je laissais mes contrats, une maison d’édition que l’on était en train de monter et pas mal de choses.“[8]

Sowohl von den deutschen als auch von den spanischen Anarchisten wurde Carl Einstein mit offenen Armen empfangen, und zwar wahrscheinlich deshalb, weil er durch seine Teilnahme am Ersten Weltkrieg Kriegserfahrungen vorweisen konnte und sie sich auch in publizistischer Hinsicht viel von ihm versprachen. So erhielten er und Lyda, ohne zuvor Mitglied der FAUD in Deutschland gewesen zu sein, umgehend Mitgliedsausweise der Gruppierung Deutsche Anarcho-Syndikalisten (DAS) in Barcelona, die ansonsten lediglich langjährige Anarchisten akzeptierte. Die DAS hatte insgesamt 45 Mitglieder.[9] Helmut Rüdiger quartierte beide Einsteins bei sich zu Hause ein und berichtete Rudolf Rocker in den Vereinigten Staaten begeistert von diesem unerwarteten Beistand : „Wenn ein Mann wie Carl Einstein heute mit unwiderstehlicher Gewalt von dieser Urkraft erfasst wird, so ist das ein Beweis für ihre übermächtige Bedeutung.“[10]

Die DAS war nach dem Aufstand gegen die Putschisten aus einer winzigen Gruppierung zur „politisch einflußreichsten deutschen Exilgruppe in Barcelona avanciert“[11] und hatte wichtige Aufgabenfelder übernommen. Geleitet wurde sie von Elly Götze, die aufgrund politischer Differenzen den Vorsitz im April 1937 an Rudolf „Michel“ Michaelis abgeben musste. Die DAS zerschlug die NSDAP-AO in Spanien und beschlagnahmte deren Waffen, Mitgliederkartei und Dokumente über das Gesamtspanien umfassende Netzwerk der Auslandsorganisation der NSDAP. Der DAS wurde vom Zentralkomitee der Antifaschistischen Milizen in Katalonien auch die Kontrolle über alle deutschsprachigen Ausländer in Barcelona übertragen. „Faktisch hatte die DAS damit die Funktion einer Ausländerpolizei in Barcelona. Dies beinhaltete die Grenz-, Post-, Hafen- und Eisenbahnkontrolle.“[12] Sie betrieb zwei Handwerkerkollektive für arbeitslose deutsche Emigranten, ein Restaurant, einen Buchladen und einen Verlag. Zuständig war sie ferner für die Betreuung und die politische Kontrolle der deutschsprachigen Freiwilligen in der ‚Grupo Internacional’ der Kolonne Durruti.

Während Lyda als Krankenschwester arbeitete, schloss sich Carl Einstein jener Internationalen Gruppe der Kolonne Durruti an, deren Generaldelegierter der Franzose Louis Berthoumieu war. Im Oktober 1936 verzeichnete die ‚Grupo Internacional’ der Kolonne Durruti rund 200 ausländische Freiwillige. Es gab jeweils eine französische und eine deutsche Hundertschaft. Von August 1936 bis April 1937 gehörten insgesamt 150 deutsche Freiwillige der Grupo Internacional an.[13] Im Verlauf der Kämpfe hatte sie große Verluste aufzuweisen. Im Vergleich zu den Interbrigadisten hatten die Milizionäre viel Kontakt zur Bevölkerung, halfen den Bauern bei der Ernte, unterrichteten sie im Lesen und Schreiben und unterstützten sie bei den Problemen der Kollektivierung. Es wurde - anders als in den späteren Internationalen Brigaden - viel und ausgiebig diskutiert, unter anderem über die Gegensätze zwischen den Anarchisten und den Kommunisten.[14] Für Carl Einstein war dies sicherlich die eindrucksvollste Zeit seines Lebens, da er hier erstmals in engem Verhältnis zur einfachen Bevölkerung stand und an den Erfolgen der Sozialen Revolution in Katalonien Anteil hatte. Seine über Radio gesendete, später gedruckte Gedenkrede zum Tode Durrutis, „Die Kolonne Durruti“, ist ein Beleg hierfür. (W 3, S. 459-462)
 
Die Begeisterung Einsteins hielt nicht lange an. Helmut Rüdiger berichtete von zum Teil heftiger Kritik Einsteins an der offiziellen Politik der CNT, die sich - völlig entgegen ihrer Prinzipien - inzwischen an der Zentralregierung beteiligte und eine - in den Hochburgen der Sozialen Revolution nicht immer verständliche - immer gemäßigtere und auf eine Volksfront abzielende politische Linie vertrat. Da nicht nur er, sondern auch ein Großteil der internationalistischen Anarcho-Syndikalisten dies scharf kritisierte, verloren als Folge davon eine Reihe von anarchistischen Internationalisten ihre Positionen innerhalb des CNT-FAI-Apparates ; ihre Funktion wurde durch die neu gegründete Hilfsorganisation SIA (Solidaridad Internacional Antifascista) übernommen.[15] Der Historiker Dieter Nelles weist darauf hin, dass diese Spannungen zwischen der IAA und der CNT von einem großen Teil der ausländischen Anarcho-Syndikalisten personalisiert wurden, indem man einzelne Personen dafür verantwortlich machte.[16] Diese Frustrationen schafften ein mehr und mehr vergiftetes Klima, in dem Beschuldigungen, ‚Mobbing’, Verbitterung und Ausschlüsse nicht selten waren.

Ab November 1936 engagierte sich Einstein zusammen mit anderen gegen die Militarisierung der Milizen. Als eine politische Stellungnahme dieser Art muss auch Einsteins bereits erwähnte Rundfunkrede „Die Kolonne Durruti“ betrachtet werden. Obwohl die Mängel des Milizsystems offenkundig waren, sahen die Milizionäre vor allem die Notwendigkeit der Einführung von militärischem Drill und anderen Disziplinierungsmaßnahmen sowie der Hierarchisierung innerhalb der Armee nicht ein. Es kam zu Spaltungen und Austritten. Einstein blieb jedoch, was wahrscheinlich mit der modifizierten Form der Umwandlung der CNT-Milizen zu tun hatte, denn sie wurden als geschlossene Formationen in Brigaden und Divisionen der Volksarmee reorganisiert.

Im letzten Quartal des Jahres 1936 drangen neue besorgniserregende Nachrichten aus der Sowjetunion bis zu dem Kreis ausländischer Anarchisten und CNT-Sympathisanten nach Barcelona vor. Molly Steimer, eine russisch-jüdische Anarchistin, die einige Zeit in Berlin gelebt hatte und nun für die DAS-Gruppe eine wichtige Verbindungsperson in Paris war, informierte sowohl die Exilanten als auch die spanischen Genossen über Verfolgungsmaßnahmen in Moskau. So erfuhren sie vom zeitweiligen ‚Verschwinden’ von Zenzl Mühsam in Moskau und vom Parteiausschluss einiger deutscher Emigranten in Moskau, denen trotzkistisch-unsowjetische und andere konterrevolutionäre Verbrechen gegen die Arbeiterklasse vorgeworfen wurden ; Nachrichten, die Molly Steimer wiederum von Meta Kraus-Fessel aus Wien bezogen hatte.[17] An Mercedes Comaposada, spanische Anarchistin und Pädagogin, ab 1936 Gründungsmitglied der anarcho-syndikalistischen Frauenorganisation Mujeres Libres, hatte Molly Steimer bereits am 8. April 1936 Meldungen von Verhaftungen, Verbannungen, Folter und Ermordungen in der Sowjetunion weitergeleitet.[18] Sowohl die spanischen als auch die deutschen Anarchisten in Barcelona waren weitgehend auf dem aktuellen Stand über die politische Verfolgung in der Sowjetunion und engagierten sich für die inhaftierten Anarchisten - etwa mit Postkartenaktionen, die ihre Freilassung einforderten. Dies kann Carl Einstein nicht entgangen sein.

In Paris heiratete Einsteins Tochter Nina im Jahr 1936 den jungen Franzosen Jean Auproux, was sich für sie später als wichtige Überlebensmaßnahme erweisen sollte.
 
Im Januar 1937 begann in Moskau der zweite der drei großen Schauprozesse. Er hatte Auswirkungen auf Spanien, denn die stalinistische Verfolgung der POUM und der offene Machtkampf gegen die Anarcho-Syndikalisten stellte eine Erweiterung jener Terrorwelle im Ausland dar.

Über Einstein weiß man, dass er zunächst innerhalb der Kolonne Durruti zum technischen Offizier ernannt worden war und verantwortungsvolle Aufgaben übernommen hatte.[19] Nach der Umstrukturierung der Kolonne Durruti in die Division Durruti am 10. Januar 1937 stand zur Debatte, dass Einstein sogar militärischer Leiter (técnico de guerra) der gesamten Division werden sollte, was er jedoch abgelehnt hat. Nachweisbar ist lediglich sein Kommando über einen 9 km langen Frontabschnitt bei Osera an der Aragon-Front.[20] „Einstein arbeitet produktiver [als H. Rüdiger, MK] ; er ist jetzt ständig im General Quartier und wohnt in Pina [de Ebro]“[21], heißt es bei Helmut Rüdiger über ihn. Von Januar bis April 1937 wurde die Aragon-Front mangels Waffenlieferungen aus Barcelona politisch und militärisch gezielt kaltgestellt und konnte ihren ursprünglichen Auftrag, Zaragoza zu erobern und damit die Front um Madrid zu entlasten, nicht in die Tat umsetzen. In jener Zeit verfasste Einstein, der bereits mehrmals verwundet worden war, sowohl politische als auch literarische Schriften. Gegen die Entmachtung der CNT-FAI durch die Kaltstellung der Milizverbände an der Aragon-Front - und damit gegen die immer offensiver durchgesetzte Politik der Kommunisten in Spanien - wandte er sich in seinem Vortrag „Die Front von Aragon“, der auch auf Deutsch und Spanisch erschien, im Original, in der Frontzeitung Die soziale Revolution der CNT-FAI abgedruckt, allerdings noch den Untertitel „Der Krieg der an der Aragon-Front geführt wird ist eigener Art“[22] trug (W 3, S. 463-467). Ein undatierter Brief Helmut Rüdigers, damaliger Generalsekretär der IAA in Spanien, CNT-Mitarbeiter, Herausgeber der Soziale[n] Revolution beim Deutschen Informationsdienst der CNT-FAI und Mitglied der Gruppe DAS in Barcelona, enthält einen Hinweis auf einen weiteren Artikel Einsteins in der Publikation der anarchistischen Jugendorganisation Juventudes Libertarias, Cultura y Porvenir, der bisher noch nicht aufgefunden werden konnte.[23] Im April erwähnte Helmut Rüdiger Carl Einstein erneut in einem Brief an Rudolf ‚Michel’ Michaelis : „Eine gute Denkschrift über die ganze Front, kritisch und sachlich, legt er heute M. [unleserlich, zweifellos Martin Gudell, da Mariano Vázquez dessen Vorgesetzter war, MK] vor und will er auch Vázquez zugänglich machen.“[24] Im selben Brief berichtete Rüdiger weiter: er empfindet auch das Bedürfnis, für unsere Sache schriftstellerisch zu wirken - und er hat einen weiten Aktionsradius, und es wäre so dringend nötig. Wären die Verhältnisse an der Front befriedigender, so empfände er das nicht so stark. E. kritisiert auch stark die Politik der CNT ; man habe in der Forderung nach Waffen versagt […] Aber all das ist wenig wichtig. Wir können froh sein, dass wir den Mann haben, und ich hoffe, er kann als Militär und Schriftsteller noch viel für uns leisten ; was in diesem Falle kein zweiter wie er kann.[25]

Die Wertschätzung Rüdigers für Einstein teilten damals nicht alle aus den anarchistischen Emigrantenkreisen, zumal er keine langjährige Mitgliedschaft in anarcho-syndikalistischen Organisationen vorweisen konnte. Innerhalb der Gruppe DAS wurde offenbar von verschiedenen Fraktionen sehr heftig gegeneinander konkurriert, und, als Folge davon, intrigiert und polemisiert. Ein Mitglied einer kleinen anarchistischen Abspaltung, die sich Sozialrevolutionäre Deutsche Freiheitsbewegung nannte und aus der DAS ausgeschlossen worden war, schrieb an Martin Gudell am 6. April 1937 in einem äußerst diffamierendem Stil, wobei er auch Einstein namentlich erwähnte: 2. Der Freund, Hausgenosse und engste Mitarbeiter dieses Herren [gemeint ist Helmut Rüdiger, MK], der angebliche „franzoesische Capitan“ Karl Einstein, hat die alten Gehaessigkeiten der DAS bei unserer Arbeitsstelle, der Militaerkommission der Frente de la[s] Juventudes Revolu[c]ionarias in uebelster Weise zu seinem persoenlichen Vorteil ausgestreut und dadurch bereits wieder die Atmosphaere etwa[s] vergiftet. - 3. Ein anderer Freund und Hausgenosse des selben Herren, Michel, der bisher mit unbestreitbarem Erfolg die Frontgruppe „International“ der Division Durruti desorganisierte, ist jetzt zum Vorsitzenden der DAS gemacht worden. Man hat die Veraenderung mit Kampfmassnahmen gegen uns begruendet. […][26]

Diese internen Spannungen und Feindseligkeiten, zusammen mit den militärischen und politischen Fehlern und Misserfolgen, führten Einstein - wie dem weiteren Verlauf der Korrespondenz zu entnehmen ist - in eine tiefe Krise, in der er auch für die offizielle CNT-Politik immer weniger Verständnis aufbrachte. Die Lage spitzte sich mit den blutigen Mai-Unruhen in Barcelona, jenem offenen militärischen Schlagabtausch zwischen kommunistisch angeführten Regierungskräften einerseits, POUM- und CNT-Milizionären andererseits, noch zu. Während der blutigen Zusammenstöße kamen etliche politische Weggefährten Einsteins aus dem anarchistischen Spektrum ums Leben oder wurden ermordet oder in die berüchtigten Spezialgefängnisse des sowjetischen Geheimdienstes NKWD in Spanien verschleppt und dort verhört. Gleichzeitig stellte dieser in Barcelona ausgetragene Machtkampf der kommunistischen Kräfte gegen die CNT-FAI und die POUM den Auftakt zum Niedergang der CNT-FAI und zur Beendigung der Sozialen Revolution dar. Danach wurde es für die Sympathisanten der CNT-FAI und der POUM oder auch die Vertreter einer nichtkommunistischen linksradikalen Position riskant, ihre oppositionellen Ansichten offen zu vertreten. Die Morde an Alfredo Martínez, mit dem Einstein befreundet war, Camilo Berneri und Andres Nin sind nur die bekanntesten Beispiele für den stalinistischen Terror in Spanien, dem sich auch andere, weitaus zurückhaltender agierende Intellektuelle wie etwa Franz Borkenau nur durch glückliche Zufälle zu entziehen vermochten.[27] Nach Dieter Nelles’ Recherchen wurden bis auf wenige Ausnahmen alle Mitglieder der DAS und ihr politisch nahestehende Emigranten nach den Mai-Ereignissen verhaftet. Wichtig in Bezug auf Carl Einstein ist die folgende Passage:

Die DAS-Mitglieder wurden zum Teil in staatliche Gefängnisse, zum Teil in kommunistische Privatgefängnisse eingeliefert. Ihnen wurde „Spionage“ und die Beteiligung an den Maiereignissen vorgeworfen. Die Verhöre wurden von deutschen und russischen Kommunisten geleitet. Die Gefangenen wurden über ihre Aktivitäten in Spanien, aber auch intensiv über ihre illegale Arbeit in Deutschland befragt. Zwar wurden sie nicht direkt gefoltert, waren aber demütigenden und langen Befragungen sowie äußerst miserablen Haftbedingungen ausgesetzt. Von den rund dreißig verhafteten Mitgliedern der DAS […] befanden sich Anfang Januar 1938 noch vier im Carcel Modelo in Barcelona und acht Gefangene in einem Gefängnis in Segorbe. Von letzteren wurden fünf, Gustav Doster, Egon Illfeld, Fred Hessenthaler, Helmut Kirschey und Michaelis, im April 1938 befreit, die anderen […] blieben bis Ende 1938 in Haft.[28]

Im weiteren Verlauf des Jahres 1937 hatte sich nicht nur die Gruppe DAS in Barcelona, sondern auch die Anzahl der deutschen CNT-Mitglieder, die in deren Verwaltungsapparat mitgearbeitet hatten, aufgelöst bzw. verringert. Viele verließen das Land oder fanden individuelle Lösungen der weiteren militärischen Teilnahme, schlossen sich den Internationalen Brigaden oder regulären spanischen Einheiten der Volksarmee an. Sie fanden zudem wenig Rückhalt bei ihren spanischen Genossinnen und Genossen, die sich auch ihrer Kritik gegenüber alles andere als aufgeschlossen erwiesen.

Von einer Verhaftung des DAS-Mitglieds Einstein und seiner Frau ist bisher nichts bekannt. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, er habe sich dieser Repressionswelle erfolgreich entziehen können. Ob dies auf einem glücklichen Zufall beruhte - etwa, weil er sich nach der verlustreichen Schlacht am 13. April 1937 bei Tardienta mit gravierenden Verletzungen längere Zeit im Hospital befand -, oder unter Hinweis auf seine taktischen Kompetenzen oder auf seine frühere KP-Mitgliedschaft in Berlin geschah, wissen wir nicht. Der Schlüssel zu diesen Kenntnissen liegt in den Moskauer Archiven, da die der CNT nahe stehenden Freiwilligen in Spanien alle unter Observation standen.

Am 26. April zerstörten neun Flugzeuge der deutschen Legion Condor das Städtchen Guernica im Baskenland.

Im Juni begann die Broschüren-Affäre, die Carl Einsteins Verhältnis zu Helmut Rüdiger nachhaltig beeinträchtigen sollte. Wie Rüdiger am 27. Mai 1938 von Paris aus dem für die FAI tätigen Egon Illfeld in Barcelona erläuterte, hatte Einstein ihm noch im Juni 1937 eine längere Schrift von bis zu 200 Seiten über den spanischen Anarcho-Syndikalismus angeboten.[29] Helmut Rüdiger hatte ihm dafür am 14. August 1937 fast 500 Pesetas im Voraus unter der Bedingung ausgezahlt, jenen Text drei Wochen später zu erhalten. Diese Affäre zog sich in verschiedenen aufgefundenen Korrespondenzen bis Juni 1938 hin ; an der Suche nach Einstein waren einige der früheren DAS-Genossen beteiligt. Sie hatten den Auftrag von Rüdiger, entweder das Geld zurückzufordern oder den Text abzuholen.

Einstein hatte sich mit seinem Angebot in eine diffizile Situation hineinmanövriert. Das Thema legt nahe, dass er mit seiner angebotenen Schrift über den Anarcho-Syndikalismus die Aufklärung des Auslands im Blickfeld hatte, da jenseits der spanischen Grenzen wenig über die CNT als Massenbewegung bekannt war.

Diese Anarchisten verfügen kaum über eine einflußreiche Internationale und eine wirksame Auslands-Propaganda. Man kennt und beurteilt sie nach den Wertungen ihrer Gegner. Man kennt sie aus einer überalterten Vulgärliteratur, die allzu oft den Pistolero beschreibt. Kaum einer draußen hat auf europäische Art den Anarchosyndikalismus dargestellt, der durchaus konstruktiv ist (W 3, S. 465), lautet die Schlüsselstelle für seine Motivation schon in der von ihm verfassten politischen Schrift „Die Front von Aragon“. Das darin beschriebene Defizit kam auch dadurch zustande, dass die CNT-FAI sehr nationalistisch und selbstbezogen war, Kontakte mit dem Ausland, sogar zur IAA, eher vernachlässigte und auch die ausländischen Freiwilligen - insbesondere bei politischen Meinungsverschiedenheiten - oftmals eher als Störenfriede denn als Verbündete betrachtete. Es waren beispielsweise aus mangelndem Interesse nicht gezielt internationale Freiwillige für die CNT angeworben worden. Der Historiker Dieter Nelles stellt dazu fest:

Für die CNT-FAI hatten die ausländischen Freiwilligen keine große Bedeutung. Im September 1936 erklärte die CNT-FAI in der libertären Presse des Auslands, daß man Waffen, aber keine weiteren Freiwilligen benötige. Durruti bat in einem seiner letzten Briefe die französischen Genossen, ihre „visites de touriste“ zu begrenzen. Die Solidaritätsarbeit in Frankreich sei wichtiger, als an der Front zu kämpfen. Nach der Aufstellung der Internationalen Brigaden im Oktober 1936 hatten die ausländischen Anarchosyndikalisten darauf gedrängt, im Gegenzug die internationalen Einheiten in den Milizen zu verstärken. Daß diese Pläne letztlich von der CNT-FAI abgelehnt wurden, kritisierte Rüdiger als einen schweren politischen Fehler. Denn besonders die Aufstellung der Internationalen Brigaden habe es den Kommunisten ermöglicht, die „Achse der antifaschistischen Bewegung“ im Ausland zu bilden und damit den Einfluß der CNT-FAI einzuschränken.[30]

Auch in dieser Vorgehensweise bestand also keine Übereinstimmung zwischen den ausländischen Freiwilligen und den spanischen Anarchisten. Einstein, Helmut Rüdiger und viele andere begeisterte deutsche Exilanten erkannten aber gerade darin einen sinnvollen Aufgabenbereich für sich selbst, um als Brücke zwischen den spanischen und den internationalen Genossen zu fungieren. Als Einstein die Broschüre anbot, konnte er schon kaum noch eine Erfolgsgeschichte der CNT-FAI schreiben, denn die Machtverhältnisse in Spanien hatten sich bereits beträchtlich verändert, und die CNT-FAI sah sich immer mehr gezwungen, von ihren eigenen Grundprinzipien abzuweichen, sich den politischen Sachzwängen anzupassen und der Kriegsabwehrpolitik der Volksfrontregierung unterzuordnen. Es war die Internationalisierung des Krieges, die die weitere Entwicklung in Spanien bestimmte, nicht mehr die Soziale Revolution und die Kollektivierungen, welche sogar sukzessive rückgängig gemacht wurden. Aufgrund dieser Widersprüchlichkeit zwischen Theorie und Praxis wurde es zunehmend schwieriger, eine wohlwollende Darstellung der CNT-FAI zu verfassen, ohne auf diese heikle Veränderung, auf ihre zahlreichen politischen Fehler und ihren zunehmenden Machtverlust einzugehen. Kurz darauf, am 10. August, wurde die Rückgängigmachung der Kollektivierung durch die Auflösung des revolutionären Rates von Aragonien besiegelt, eine der letzten anarchistischen Errungenschaften. Was hätte Einstein nun noch Optimistisches über die CNT-FAI vermitteln sollen, zumal sie ihre internationale Propaganda bald darauf, Ende 1937 - was sich abgezeichnet hatte -, nicht mehr auf eine Aufklärung über den Anarchismus und Anarcho-Syndikalismus stützte, sondern stattdessen ihren Antifaschismus ins Zentrum der Auslandspropaganda stellte ?[31] Helmut Rüdiger musste sich mit dieser Ambivalenz ebenso befassen und schrieb - wie zuvor bereits Camillo Berneri - eine scharfe interne Kritik am spanischen Anarcho-Syndikalismus. Rudolf Rocker, der intellektuelle Kopf innerhalb der deutschen Anarchisten, verfasste von den USA aus 1937 eine Broschüre mit dem Titel The Spanish Tragedy, die ebenfalls die Perspektive auf die internationale Ebene erweiterte : darin stehen bereits der Krieg, die Interessengegensätze der Großmächte, deren Einfluss auf den Verlauf des Spanischen Bürgerkriegs sowie die gegenrevolutionäre Politik der Kommunisten im Mittelpunkt, welcher die spanischen Anarchisten nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Einsteins Themenschwerpunkt war also bereits überholt - und das Buch wurde wohl auch deshalb nicht mehr von ihm geschrieben.

Am Anfang Juli 1937 in Madrid und Valencia stattfindenden Internationalen Schriftstellerkongress nahm Einstein, wie bereits in Paris, nicht teil, begab sich jedoch in das Hotel, in dem Nico Rost als Kongressbesucher abgestiegen war. Ihm, der den Kommunisten nahe stand, schilderte er den Anarcho-Syndikalismus von der besten Seite.[32] Ab dem 18. August 1937 hielt sich Hubertus Prinz zu Löwenstein für zwei Wochen im republikanischen Spanien auf. Auf Bitten der spanischen Regierung bereiste er in seiner Funktion als früherer Leiter der demokratischen Jugendverbände und führender Katholik mehrere Frontabschnitte sowie die Städte Barcelona, Valencia und Madrid. Er hielt Radioansprachen und gab Pressekonferenzen, bei denen er unter anderem erwähnte, dass die Bedeutung des Krieges in Spanien für Europa noch nicht ausreichend verstanden würde, vor allem nicht, dass ein faschistisches Spanien auch eine direkte Bedrohung Frankreichs und der übrigen demokratischen Länder sein würde. Seine Radioansprachen über den spanischen Kurzwellensender waren direkt nach Deutschland gerichtet und riefen das deutsche Volk zur Revolution auf.[33] Carl Einstein berief sich im Frühjahr 1940 in seinem Bittbrief an Löwenstein, der die American Guild für German Cultural Freedom gegründet hatte, um von den USA aus in Not geratene, staatenlose Schriftsteller im Exil zu unterstützen oder ihnen aus Europa herauszuhelfen, auf ihr Zusammentreffen in Barcelona bei Jaume Miravitlles, dem damaligen Vertreter der Esquerra Republicana, einer linksliberalen katalanischen Partei. Miravitlles war zu Anfang des Putsches und seiner revolutionären Niederschlagung Vertreter der Generalitat von Katalonien, bevor er den Posten des Verwaltungsgeneralsekretärs des Zentralkomitees der Antifaschistischen Milizen Kataloniens übernahm.[34]

Verfolgt man die weiteren bekannten Aktivitäten Einsteins, so wird deutlich, dass er versuchte, sich so weit wie möglich aus den internen Konflikten und Intrigen der linken Kräfte und Grüppchen herauszuhalten. Er tat dies, indem er zum einen seine technisch-pragmatischen Kompetenzen hervorhob, die er an der Front ja auch in die Praxis umgesetzt hatte und sich damit auch für die Zukunft für die republikanische Seite nützlich machte, denn internationale Freiwillige mit militärtechnischen Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg wurden dringend gebraucht. Zum anderen legte er möglichst sachlich gehaltene Schriften vor, die die Aufmerksamkeit auf das Ausland und die Internationalisierung des anfänglich innerspanischen Konfliktes lenkten. So arbeitete er Ende 1937 an der in dieser Arbeit im Anhang erstmals wiederveröffentlichten Broschüre „La Intervención alemana en España - Algunos juícios sobre la política de Hitler“, um auf die Zusammenarbeit Deutschlands und Italiens sowie auf die akut drohende gesamteuropäische Kriegsgefahr hinzuweisen und wahrscheinlich auch, um sowohl den Nichteinmischungsausschuss zu einer Veränderung seiner Politik[35] als auch England und Frankreich durch Appell an deren vermeintliche Eigeninteressen zur Unterstützung der spanischen Republik zu bewegen. Wie die Broschüre außerdem zeigt, bestand ein weiteres politisches Ziel Einsteins - in Übereinstimmung mit Hubertus Prinz zu Löwenstein - darin, durch Gegenaufklärung in Deutschland zur Durchführung eines Militärputsches gegen Hitler und dessen noch nicht gänzlich konsolidierten Apparat im Deutschen Reich aufzufordern. Mit diesen, explizit das Ausland einbeziehenden Zielsetzungen hatte er sich aus der engen Gefolgschaft an die CNT-FAI-Politik und von deren vorwiegend nationaler und regionaler Fokussierung weitgehend gelöst, ohne jedoch zur machtpolitisch effektiveren Gegenseite im Konflikt der Linkskräfte - den Kommunisten und der PSUC - überzulaufen.
 
Über Einsteins Aktivitäten im Jahr 1938 liegen inzwischen eine Reihe von Einzelfakten vor, deren Zusammenhang relativ schwierig herzustellen ist. Die von ihm verfasste Broschüre über die militärstrategischen Expansionspläne der Achsenmächte Italien und Deutschland erschien im Zeitraum zwischen dem 10. Dezember 1937 und Anfang Februar 1938, allerdings anonym. Die Anonymität war wichtig, um sich und die Seinen nicht zu gefährden ; die andere Lösung wäre ein Pseudonym gewesen, was weit verbreitet war. Kirschey bestätigt dies in seinen Erinnerungen : „Viele von uns Freiwilligen [in der Internationalen Gruppe der Kolonne Durruti, MK] hatten einen Nom de Guerre angenommen, ein Pseudonym.“[36]

Die Broschüre versucht, die neue Art der Kriegsführung NS-Deutschlands und Italiens systematisch darzustellen und ihr Bedrohungspotential zu zeigen. Auf die innerspanischen Konflikte wird nicht eingegangen. Ein Umdenken in Bezug auf Großbritannien und Frankreich ist ersichtlich : Wurden diese in „Die Front von Aragon“ noch heftig als verkappte Kolonialmächte mit einer lediglich geschickteren Ausprägung kapitalistischer Herrschaft kritisiert, so werden von Einstein in der Broschüre von 1937/1938 die vermeintliche Kaltblütigkeit, ein wohlüberlegtes pragmatisches Handeln Großbritanniens angesichts der NS-Außenpolitik sowie die militärische Stärke Frankreichs beinahe suggestiv beschworen. Diese Annäherung an die Westmächte bedeutet de facto, dass Einstein inzwischen davon ausging, dass Hilfe für die spanische Republik nun nur noch von außen kommen konnte. Diese würde befördert werden, wenn Spanien als ein gewichtiges Element in der internationalen Politik betrachtet werden würde. Wurde bereits vorher die Zauderpolitik und das Desinteresse am Überleben der spanischen Republik als wohlüberlegtes Abwarten verkannt, so wurde eine solche Hoffnung durch das Münchner Abkommen vom September 1938 endgültig zerschlagen. Historisch gesehen, hat sich auch die Einschätzung, die Waffen- und Materiallieferungen an Franco würden in diesem enormen Umfang von Deutschland und Italien nicht kontinuierlich aufrecht erhalten werden können, würden deren Rüstungsproduktion schwächen und dadurch langfristig die weiteren europäischen Kriegspläne zunichte machen, als falsch erwiesen.[37] Falsch war ebenso die Vorstellung von einer wehrhaften französischen Republik, die sich Expansionsgelüsten des östlichen Nachbarstaates gegenüber als überlegen zeigen würde. Die Annahme, dass vor der Umorganisierung der Wehrmacht, die kurz darauf, am 4. Februar 1938 tatsächlich vorgenommen wurde, noch anti-nationalsozialistische Offiziere darin einen gewissen Einfluss besaßen, war nicht gänzlich falsch, deren Motivation zum Aufstand und eine ablehnende Haltung der deutschen Bevölkerung den Machthabern gegenüber nach fünf Jahren repressiver Naziherrschaft erwies sich jedoch als Wunschdenken eines Exilanten. Recht behalten sollte er mit der Einschätzung, dass ein Staat letzten Endes unweigerlich unterliegt, der sich durch seine Welteroberungspläne sämtliche der ihn umgebenden Großmächte in voller Absicht zu Feinden gemacht hat, und dass ein solches Unterfangen ein Blutbad sondergleichen bedeuten würde. Die Broschüre von Carl Einstein zeigt noch einmal deutlich, dass es ihm im Spanienkrieg keineswegs nur um die Verteidigung irgendeiner abstrakten ‚Idee’ oder pures „politisch-revolutionäre[s] Pathos eines von der Utopie Besessenen“[38] ging, wie es manche Literaturwissenschaftler vermuten, sondern dass er die reale Bedrohung durch die Faschisten von Anfang an in Europa wahrgenommen hatte, und zwar nicht so sehr aufgrund ihrer alles überragenden Stärke, sondern ihres forschen, kompromisslosen und einschüchternden Auftretens, dem von der Arbeiterbewegung bis hin zu den demokratischen Regierungsvertretern nur Irritation, Unentschlossenheit, Nachgiebigkeit, Passivität, politische Unterschätzung und Naivität statt entschiedener Konfrontationsbereitschaft entgegengesetzt wurde.

Im März erfolgte die Annexion Österreichs. In Spanien verschlechterte sich in der ersten Jahreshälfte die militärische Lage der Republik zunehmend. Am 14. April stießen Franco-Truppen bis ans Mittelmeer vor und spalteten dadurch das republikanische Gebiet in zwei Teile. Einstein ging mehr als bisher an die Öffentlichkeit und nutzte nun auch seinen Bekanntheitsgrad, indem er im Mai zwei ausführliche Zeitungsinterviews gab. Beide heben die starke Bedrohung ganz Europas durch die faschistischen Mächte hervor ; in dem einen wird das Thema Kunst und Intellektuelle stärker betont. Er spricht darin auch über seine Pläne, eine „Soziologie der Kunst oder : Fiktion und Realität“, eine „Geschichte der Leerstellen in der Kunstgeschichte“ sowie einen Essay „Das Problem des sozialen Konformismus“ zu schreiben. Während er im Meridià-Interview[39] die Intellektuellen dazu aufruft, ihre Kunst ruhen zu lassen und sich der Gefahr des Soldatenlebens auszusetzen, skizziert er im Interview für La Vanguardia[40] die Expansionspläne Nazideutschlands und Italiens, die er bereits ausführlich in seiner Broschüre beschrieben hatte. Der Hinweis in Meridià, Carl Einstein kämpfe „in den Reihen unserer Armee“ (S. 72), deutet auf den Erwerb der spanischen Staatsbürgerschaft hin, da die Eingliederung in Verbände der spanischen Armee mit ausländischem Pass nicht möglich war.[41] Über den von ihm in La Vanguardia angekündigten Film „La paz que mata“ konnte bisher nichts in Erfahrung gebracht werden ; ebenso wenig über die Gruppierung von Experten eines ‚Collective de Recherche Professionelle’, von der er in La Vanguardia berichtet. Aus diesen Hinweisen lässt sich jedoch ableiten, dass er sich nicht mit tagespolitischen Fragestellungen begnügt hat, sondern gegen faschistische Ideologie, Geistesträgheit und Konformismus von einer weiteren Ebene aus, nämlich von Seiten der Kunst - durch das Medium des Films - und der Wissenschaft vorzugehen beabsichtigte. Seine offensichtliche Wertschätzung für Negríns 13-Punkte-Programm muss nicht unbedingt als Zustimmung zu dessen Kooperation mit den Kommunisten interpretiert werden. Negrín hatte sich kurz zuvor, im April 1938, dafür entschieden, um jeden Preis weiterzukämpfen und keine Verhandlungen mit dem Gegner anzustreben. Sowohl er als auch Álvarez del Vayo gingen davon aus, dass ein europäischer Krieg kurz bevorstand und ein Weiterkämpfen die Chance erhöhen würde, dass sich die westeuropäischen Demokratien letztlich doch auf die Seite des republikanischen Spaniens stellen und die Hitler- und Mussolini-Truppen besiegen würden.[42] Vermutlich ist es diese Durchhalte-Taktik, die Einstein für Negrín einnahm.

In Bezug auf die bereits mit Vorschuss finanzierte Broschüre über den Anarcho-Syndikalismus scheint es irgendeine Art der Klärung innerhalb von einer Woche gegeben zu haben, denn Ende Juni 1938 forderte Helmut Rüdiger sie noch in seinem Schreiben an Egon Illfeld ein. In der ersten Juliwoche und in einem weiteren Brief vom August richtete Rudolf Berner beiden Rüdigers jeweils auch Grüße von Lyda und Carl Einstein aus und fügte hinzu, das zumindest in Bezug auf Lyda alles wie vorher sei, „völlig unverändert“[43]. Hier scheint sich ein Konflikt weitgehend bereinigt zu haben, obwohl er Spuren der Verstimmung hinterlassen hat.
 
Im Juli 1938 nahm Einstein erstmals wieder Kontakt zu den zurückgebliebenen Freunden in Paris auf, wie im Briefwechsel mit Daniel-Henry Kahnweiler nachzulesen ist.[44] Er zählte auf, an welchen wichtigen Schlachten er in Spanien teilgenommen hatte : Guadalajara (8.3.-21.3.1937), Madrid (7.11.1936), Belchite (10.3.1938), und an der Schlacht am Ebro (25.7.-16.11.1938). Ferner äußerte er Sehnsucht nach einem ruhigen Ort, wo er anspruchsvolle Literatur schreiben wollte, obwohl er sich noch nicht genau vorzustellen vermochte, auf welche Weise man nach der Erfahrung von zwei Kriegen überhaupt noch Bücher schreiben könnte.[45] Doch das Bedürfnis nach literarischem Schreiben brachte er immer wieder zum Ausdruck. Liliane Meffre schreibt in einer Fußnote zu der Kahnweiler-Einstein-Korrespondenz, dass Einstein in Spanien tatsächlich weitergeschrieben habe, und zwar auch noch nach seiner Rückkehr nach Paris 1939.[46] Seine Hoffnungen auf eine offensiv gegenüber dem NS-Regime auftretende französische und britische Politik waren nun jedoch endgültig zerschlagen.[47] Ende September wurde auf der Münchner Konferenz die Abtretung des Sudetengebiets an das Dritte Reich durch das ‚Münchner Abkommen’ besiegelt. Bei dem antisemitischen, staatlich gelenkten Pogrom in Deutschland zwischen dem achten und dem dreizehnten November 1938 wurden circa neunzig Menschen ermordet, viele verhaftet und Synagogen in Brand gesteckt. Ende des Jahres startete Franco eine neue Großoffensive gegen Katalonien. Carl Einstein blieb vor Ort. Man weiß von seinen diversen Reisen nach Valencia, wo sich der Sitz der republikanischen Zentralregierung befand. Außerdem musste er Kriegsverletzungen auskurieren und hatte Probleme mit einer chronischen Magenerkrankung, wie er Kahnweiler berichtete.[48] Seine Frau Lyda arbeitete in dieser Zeit ununterbrochen als Krankenschwester.[49] Sie lebten in einfachen Verhältnissen, waren aber beide vom Sinn ihres Tuns überzeugt.
 
Anfang 1939 unterlag die spanische Republik ihren Gegnern, nicht nur infolge der militärischen Unterlegenheit, sondern auch aufgrund einer Stimmung der Demoralisierung und Kriegsmüdigkeit. Barcelona wurde am 25. Januar erobert und verteidigte sich nicht, wie damals Madrid. Unmittelbar darauf setzte die Retirada, die Massenflucht nach Frankreich, ein.

Noch im Januar 1939 schrieb Einstein in einer Verletzungspause von Barcelona aus Briefe nach Paris, die einen durchweg kämpferischen und siegesgewissen Duktus aufweisen. So suggeriert er in seinem Brief an den - stets per Sie auf Distanz gehaltenen - beruflichen Freund Daniel-Henry Kahnweiler das nahe Ende der Franquisten, wonach man gleich mit Benito und Adolf weitermachen werde, denn sei Franco erst einmal geschlagen, sei dies der Anfang vom Ende der Faschisten.[50] In einem zeitgleichen Brief an Pablo Picasso klingt sogar noch mehr Siegesgewissheit an : „On battra Franco. chacun qui servit sur le front le sait et le sent.“[51] Heute erscheint vielen sein damaliger Optimismus völlig unverständlich und realitätsfremd ; von politischer Blindheit Einsteins ist gar die Rede.[52] Die diesbezüglichen Archivdokumente zeigen jedoch anhand der Briefe und Berichte von ehemaligen Spanien-Freiwilligen, dass Einstein damals keineswegs der Einzige war, der Anfang 1939 noch optimistisch in die Zukunft schaute. Auch Helmut Rüdiger beschrieb damals die Welle eines neuen moralischen Aufschwunges, die wegen des endlich zustande gekommenen Paktes zwischen UGT und CNT die Republikaner ergriff.[53]

1961 erfuhr Helmut Rüdiger auf einer Rundreise durch Spanien, dass ein befreundeter Arzt, Dr. Trías Pujol, Carl Einstein gekannt hat. Er erzählte ihm, dass Einstein noch kurz vor der Niederlage der Republik von ihm operiert werden wollte. Pujol habe ihm in Anbetracht der Lage jedoch abgeraten und ihn auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet.[54]
 
Die Umstände seiner Flucht aus Spanien sind bekannt: die Beschießung des Flüchtlingsstroms durch die italienische Luftwaffe im Tunnel von Port Bou, die eine Panik auslöste, die Trennung nach Geschlecht bei der Ankunft in Frankreich und die Einsperrung in Lager.

Fußnoten:
[1] Une version française traduite de l’allemand a paru aux Presses du réel, Paris, 2000, collection L’écart absolu, avec une postface de Sabine Wolf.
[2] Vgl. Gateau, a.a.O., S. 236f. - Simone Weil war ebenfalls einige Wochen lang Mitglied der Grupo Internacional der Kolonne Durruti, in der auch Einstein war.
[3] Vgl. Kröger, Marianne : Carl Einstein und die "Grupo International" der Kolonne Durruti. Ein Beitrag zur Auseinandersetzung Carl Einsteins mit der Realität des Spanischen Bürgerkriegs. In : Kiefer (1988) : Carl-Einstein-Kolloquium 1986, a.a.O., S. 266. Liliane Meffre dagegen vermutet, dass Einstein Durruti bereits aus Belgien kannte und die Begegnung in Barcelona so spontan nicht war. Vgl. Meffre (2002) : Itinéraires ..., a.a.O., S. 292f.
[4] Penkert (1969) : Monographie, a.a.O., S. 124.
[5] Zum Spanischen Bürgerkrieg im allgemeinen vgl. Bernecker, Walther L. : Krieg in Spanien 1936-1939. Darmstadt 1991 ; Der Spanische Bürgerkrieg. Eine Bestandsaufnahme. Frankfurt am Main 1987 ; mit ausführlichem geschichtlichen Teil versehen ist ferner Tosstorff, Reiner : Die POUM im spanischen Bürgerkrieg. Frankfurt am Main 1987 ; sowie das Standardwerk von Broué, Pierre/Témime, Èmile : Revolution und Krieg in Spanien. 2 Bde., Frankfurt am Main 1968.
[6] Vgl. Kirschey, Helmut : A las Barricadas. Erinnerungen und Einsichten eines Antifaschisten. Hrsg. von Andreas G. Graf und Dieter Nelles. Bocholt/Bredevoort 2000, S. 101.
[7] Vgl. Nelles, Dieter : Deutsche Anarchosyndikalisten und Freiwillige in anarchistischen Milizen im Spanischen Bürgerkrieg. In : IWK (Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung), 33. Jg., H. 4, Dezember 1997, S. 500-518, hier S. 510.
[8] EKC, S. 106f.
[9] Die näheren Informationen über die Gruppe DAS basieren auf dem Aufsatz von Nelles, a.a.O., insb. S. 507.
[10] Kröger, Marianne : Carl Einstein im Spanischen Bürgerkrieg : Gratwanderungen zwischen Engagement und Desillusionierung. Die Jahre 1937 und 1938 anhand von Briefen und des Interviews in ‚La Vanguardia’ vom 24. Mai 1938. In : Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit, Nr. 12 (1992), S. 81.
[11] Nelles, a.a.O., S. 507.
[12] Ebd., S. 506.
[13] Vgl. ebd., S. 511f. Auch die nachfolgenden Angaben über die DAS basieren auf diesem Bericht.
[14] Helmut Kirschey schreibt im Rückblick : "Die Kameradschaft in der Kompanie war sehr gut, die Gefahr, in der wir uns alle befanden, schaffte ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und gegenseitigen Fürsorge. Jeder von uns wußte, daß er morgen selbst Hilfe nötig haben konnte. Wir diskutierten viel, sowohl über die Situation in Spanien als auch über rein ideologische Sachen. […] Wir sprachen viel mit den Bauern. Wie sich zeigte, wußten sie nur sehr wenig über das Ausland. […] Die Bauern waren alles andere als dumm, aber sie waren ungebildet. Die meisten von ihnen waren Analphabeten, und nicht selten halfen wir ihnen beim Lesen von Briefen, die sie bekommen hatten." Kirschey, a.a.O., S. 117f.
[15] Vgl. Nelles, a.a.O., S. 503.
[16] Ebd.
[17] Archiv Molly Steimer/Senya Fléchine, IISG Amsterdam, Nr. 20, Briefe vom 8.XI.1936 und 9.XI.1936.
[18] Archiv Molly Steimer/Senya Fléchine, IISG Amsterdam, Nr. 22, Brief vom 8.4.1936 an Mercedes Comaposada.
[19] Vgl. Berner, Rudolf : Spansk rapsodi. Stockholm 1938, S. 29f. Ein Einstein betreffendes Zitat ist abgedruckt in : Kröger, Marianne : "Es wird immer schwerer vom Wort zum Sein den Weg zu finden" - Die Zeit der Suche nach Sinn und Funktion : Carl Einsteins politische Orientierung im Exil. In : Kiefer (1996) : Carl-Einstein-Kolloquium 1994, a.a.O., S. 116.
[20] Vgl. Kröger (1988) : Carl Einstein und die "Grupo International" …, a.a.O., S. 265.
[21] Brief von Helmut Rüdiger an Rudolf Michaelis vom 9. März 1937. In : Ebd.
[22] Einstein, Carl : Die Front von Aragon. In : Die soziale Revolution Nr. 12 (Sondernummer zum 1. Mai 1937), Barcelona 1937, S. 1f.
[23] Vgl. Kröger (1988), ebd. Die genaue Quellenangabe lautet : CNT-Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte (IISG), Amsterdam, Paquete 63, Film 155 C2-D3, ungefähres Datum : zwischen dem 6.3. und dem 14.3.1937.
[24] Vgl. Kröger (1988), a.a.O., S. 266. Die Quelle ist : CNT-Archiv im IISG, Amsterdam, Paquete 63, Film 155 C2-D3, Brief von Helmut Rüdiger an Rudolf Michaelis vom 2. April 1937. Eine dieser Beschreibung entsprechende Denkschrift enthielt das Martin Gudell-Archiv nicht.
[25] Kröger (1988), ebd.
[26] Archiv Martin Gudell, IISG, Amsterdam, Ordner Nr. 1. Der offizielle Briefkopf der Organisation lautet : Sozial Revolutionäre Deutsche Freiheitsbewegung, Barcelona, Calle de la Cuesta, 65 A - Oslo, Hauptpostlagernd. Der Originalbrief trägt keine Unterschrift. Der Brief ist im Kontext einer bereits zitierten Passage in einem vorhergehenden Brief Helmut Rüdigers an Rudolf Michaelis zu verstehen, der einige Namen jener Splittergruppen benennt. Vgl. dazu Kröger (1988), a.a.O., S. 267. Vgl. auch von zur Mühlen, Patrik : Spanien war ihre Hoffnung. Die deutsche Linke im Spanischen Bürgerkrieg 1936 bis 1939. Bonn 1983, S. 86. Er nennt den deutschen Emigranten Eugen Scheyer als treibende Kraft dieser Gruppierung ein "undurchschaubares Irrlicht" und resümiert : "Scheyers Bewegung scheint eine winzige Sekte geblieben zu sein und ist offensichtlich nirgends mehr in Erscheinung getreten ; sie beleuchtet aber recht anschaulich die Atmosphäre des Exils, in dem so mancher Tagträumer seine unerfüllten Hoffnungen durch die Gründung oder Spaltung von Gruppen zum Ausdruck brachte." (Ebd., S. 87)
[27] Berneri hat in Spanien im Übrigen nicht viel anders reagiert als Einstein auch, davon abgesehen, dass er schon vorher viel tiefer in der anarchistischen Bewegung verwurzelt war. Die Einmischungen beider Internationalisten in Spanien ist gut miteinander vergleichbar, um die akute Bedrohung, die auch für Einstein galt, ermessen zu können : Auch Berneri schrieb Analysen, zunächst wohlwollende, später immer kritischer werdende Berichte über die Vorgänge in Spanien, auch er hielt öffentliche Vorträge und sprach im Radiosender der CNT-FAI. Er setzte sich allerdings öffentlich zugunsten der von der kommunistischen PSUC als Nazi-Kollaborateure, Gestapo-Agenten und Konterrevolutionäre diffamierten Parteimitglieder der POUM ein und widersprach ihrer ungerechtfertigten Stigmatisierung. So nahm er eine durchaus singuläre politische und intellektuelle Position ein, da er auch zu den prominentesten Kritikern der Regierungsbeteiligung der CNT-FAI-Führung zählte. In seinem letzten Radiovortrag am 27. April über Antonio Gramsci warf er den Kommunisten Spaniens vor, gegen die Soziale Revolution in Spanien zu agieren. Daraufhin wurde er während der Mai-Tage ermordet. Vgl. auch : Berneri, Camillo : Klassenkrieg in Spanien 1936/1937 : Gegen Faschismus und bürgerliche Republik. Hamburg 1974. - Cañada, Ernesto : Antología de textos de Berneri. Barcelona 1998.
[28] Nelles, a.a.O., S. 508.
[29] Vgl. Kröger (1992) : Gratwanderungen …, a.a.O., S. 81ff.
[30] Nelles, a.a.O., S. 511.
[31] Unter Umgehung der IAA gründete die CNT-FAI im November 1937 eine eigene Hilfsorganisation namens SIA (Solidaridad Internacionalista Antifascista), die im Namen des Antifaschismus in den europäischen Ländern vor allem Geld für die spanische Republik sammeln sollte. Vgl. Nelles, a.a.O., S. 503.
[32] Vgl. Penkert (1969) : Monographie, a.a.O., S. 122f.
[33] Vgl. Deutsche Intellektuelle im Exil. Ihre Akademie und die "American Guild for German Cultural Freedom". München/London/New York/Paris 1993, S. 110.
[34] Vgl. Paz, Abel : Durruti. Leben und Tode des spanischen Anarchisten. Hamburg 1994, S. 448f.
[35] Bernecker, Walter L. : Die internationale Dimension des Bürgerkrieges : Intervention und Nichtintervention. In : Ders. : Krieg in Spanien 1936-1939. Darmstadt 1991, S. 47-114. Bernecker konstatiert dort, dass innerhalb der Geschichtsschreibung die Einschätzung des Anteiles des Auslandes an dessen Vorbereitung, am Verlauf und an der Beendigung sowie der Zeitpunkt, die Zielsetzung und der Umfang der ausländischen Interventionen noch immer umstritten ist. Unbestritten sei jedoch die herausragende Rolle Nazideutschlands, die letztlich kriegsentscheidenden Einfluss hatte. Auch beschreibt er das Nichteinmischungssystem als einen kompletten Fehlschlag, da kein kontrolliertes Waffenembargo, keine funktionierende See- und Landkontrolle, keine Vermittlung zwischen den Bürgerkriegsparteien und kein beidseitiger Abzug ‚Freiwilliger’ durchgesetzt werden konnte.
[36] Kirschey, a.a.O., S. 122. Helmut Kirschey nannte sich in Spanien "Hatche" nach dem Anfangsbuchstaben "H" ; Rudolf Michaelis war "Michel", Helmut Rüdiger wählte das Pseudonym "Rodriguez", Egon Illfeld hieß "Ginés García" etc.
[37] Zu genauen Zahlenangaben der Lieferungen vgl. Viñas, Ángel : Der internationale Kontext. In : Der Spanische Bürgerkrieg. Eine Bestandsaufnahme, a.a.O., insbes. S. 252f.
[38] Penkert (1969) : Monographie, a.a.O., S. 130. Vgl. auch die Einschätzung von Liliane Meffre : "Son engagement en Espagne n’est pas le fruit d’une conscience politique, c’est-à-dire d’une appartenance à un parti, mais l’acte d’un homme libre, qui, à cinquante ans, n’a pas hésité à mettre toute sa vie en jeu pour défendre une idée, sacrifiant installations à Paris, amis, projets, manuscrits, sans penser au retour." Meffre (2002), Itinéraires …, a.a.O., S. 294.
[39] Vgl. Gasch, Sebastià : Einige sensationelle Erklärungen von Carl Einstein. (Interview in Meridià vom 6.5.1938, Übers. aus dem Katalanischen von Reinhold Görling) In : Bochumer Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit, Nr. 8 (1987), S. 72-74.
[40] Vgl. LV, S. 93-96.
[41] Diese Tatsache ist mir von Ada Heckroth mündlich bestätigt worden. - Auch Rudolf Michaelis, der sich ebenfalls spanischen Einheiten der Volksarmee angeschlossen hatte, war eingebürgert worden. Vgl. Michaelis, Rudolf ‚Michel’ : Mit der Centuria "Erich Mühsam" vor Huesca. Erinnerungen eines Spanienkämpfers, anläßlich des 100. Geburtstages Erich Mühsams. Berlin 1991, S. 23. Der Zeittafel ist zu entnehmen, dass Michaelis im Oktober 1937 von der stalinistischen Geheimpolizei in Spanien verhaftet worden war und erst 1938 aus deren Privatgefängnis entlassen wurde. Im Oktober 1939 ging er illegal nach Spanien zurück, um gegen das Franco-Regime zu kämpfen. Er wurde verhaftet, gefoltert und von einem Militärgericht zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt. Erst 1946 wurde er auf Druck der Alliierten entlassen und hat später in der DDR als Verwaltungsdirektor bei den Staatlichen Museen in Berlin gearbeitet. 1951 wurde er wegen "einstiger Zugehörigkeit zur FAUD sowie anarchosyndikalistischer Tendenzen" entlassen und aus der SED ausgeschlossen. Er starb am 28. November 1990.
[42] Vgl. Broué/Témime, a.a.O., Band II, S. 609.
[43] Kröger (1992) : Gratwanderungen …, a.a.O., S. 89.
[44] Vgl. CEK, S. 94ff.
[45] Ebd., S. 94, auch S. 97.
[46] Ebd., S. 100.
[47] Ebd., S. 96 : "mais en général, le monde a montré une telle manque de compréhension dans cette affaire espagnole, que l’on doit se dire que ces messieurs ne sont pas trop intelligents. c’étaient en vérité les Espagnols qui ont défendu ces grandes démocraties et le droit international. "
[48] Vgl. CEK, S. 99.
[49] Lyda Guevrekian soll, laut Sibylle Penkerts mündlicher Auskunft mir gegenüber, in einem Gespräch in den sechziger Jahren geäußert haben, Einstein habe in der späten Phase des Spanienkriegs einmal erwogen, sich der ‚jüdischen Brigade’ anzuschließen. Damit kann nur die Jüdische Kompanie Botwin der Internationalen Brigaden gemeint sein, über die Arno Lustiger 1989 erstmals umfassend informierte. Sie war ursprünglich die 2. Kompanie des Palafox-Bataillons der polnischen XIII. Dombrowski-Brigade, doch aufgrund des hohen Anteils osteuropäisch-jüdischer Teilnehmer benannte sie sich am 12. Dezember 1937 um und trat fortan unter dem Namen ‚Jüdische Kompanie Botwin’ auf. Ihr gehörten auch Nichtjuden an, darunter Polen, Spanier, ein Grieche, ein Italiener und zwei palästinensische Araber. Die Umgangssprache in dieser Kompanie war größtenteils Jiddisch. Ihr letzter Einsatz an der Front, bevor die Internationalen Brigaden aus Spanien zurückgezogen werden sollten, fand am 21. September 1938 statt, und war außerordentlich verlustreich. Sowohl Arno Lustiger als auch Anne Grynberg verweisen darauf, dass viele Angehörige dieser jüdischen Brigade nach dem offiziellen Rückzug der Internationalen Brigaden in Spanien geblieben seien, sich als jüdische Brigade reorganisiert und noch bis in die ersten Februartage hinein zusammen mit der spanischen Volksarmee gekämpft, und bis zuletzt unter enormem Einsatz die Flüchtlingsströme der spanischen Zivilisten gegen ihre faschistischen Angreifer militärisch gedeckt hätten. Vgl. hierzu auch Lustiger, Arno : Schalom Libertad ! Juden im spanischen Bürgerkrieg. Frankfurt am Main 1989, S. 309 und 315f. ; sowie Grynberg, Anne : Les camps de la honte - Les internés juifs des camps français 1939-1944. Paris 1999, S. 57. Eine Verbindung Carl Einsteins zu dieser Kompanie konnte bislang jedoch nicht verifiziert werden.
[50] Brief Carl Einsteins an Daniel-Henry Kahnweiler vom 6. Januar 1939. In : EKC, S. 105f.
[51] Brief Carl Einsteins an Pablo Picasso vom 6. Januar 1939. In : Ebd., S. 113.
[52] Liliane Meffre schreibt über diese Diskrepanz zwischen Einsteins Einschätzung und der historischen Realität : "Einstein perd peu à peu la juste évaluation de la situation politique et militaire. […] Mais son aveuglement devient de plus en plus difficile à interpreter." Meffre (2002) : Itinéraires …, a.a.O., S. 299.
[53] Liest man in den Archiven andere Stellungnahmen von Januar 1939, so stößt man darin auf die gleiche Fehleinschätzung : Viele Spanienkämpfer der republikanischen Seite erwarteten im Januar tatsächlich, dass es bald wieder aufwärts gehen würde. Schließlich war die Aktionseinheit zwischen UGT und CNT nach langem Ringen endlich zustande gekommen, auch gab es neue Waffenlieferungen aus der Sowjetunion, die noch in Südfrankreich deponiert waren. Der Fall Barcelonas schien unmöglich, denn die dortige Bevölkerung wurde als viel kampfesfreudiger eingeschätzt als diejenige von Madrid. Die nach Paris geflüchteten anarchistischen Spanienkämpfer berichteten einhellig, dass das rasche Ende auf die unerwartete Entscheidung der Regierung, Barcelona zu verlassen, und den gleichen spontanen Entschluss des CNT-FAI-Nationalkomitees zurückzuführen war. Hatte es zuvor in der Volksfrontsitzung am 23. Januar noch geheißen : wir kämpfen weiter, so lautete nun - nach der überraschenden Flucht dieser beiden führenden Institutionen - auf einmal die Parole : rette sich, wer kann. Eine Mobilisierung der Barceloneser Bevölkerung war gar nicht mehr erfolgt. Die deutschen anarcho-syndikalistischen Hitlerflüchtlinge aus Spanien, die sich nach Paris durchschlugen, standen unter Schock und konnten niemandem dort hinreichend erklären, weshalb Barcelona so schnell aufgegeben worden war. Schließlich einigte man sich darauf, die Gründe darin zu sehen, dass die Bevölkerung, aber auch die führenden Kader kriegsmüde, hungrig und demoralisiert waren. "The worker’s organizations had no initiative any more. they weakly submitted to the decision of the Government. - When the Government suddenly decided to leave Barcelona, it did so in great secrecy. - Only Vasquez [sic], [Valerio] Mas and 2 or 3 others remained (not in the casa but in another building) to notify the militants and to save some of the archives. The news that the Government, and then the N.C. of the CNT-FAI, LEFT, spread quickly, and the slogan became : ‘Sauve qui peut !’ …" Brief von Molly Steimer an Selma und Abe Bluestein aus Paris vom 9.2.1939. Archiv Molly Steimer/Senya Fléchine, IISG Amsterdam, Nr. 1.
[54] Vgl. Kröger (1992) : Gratwanderungen ..., a.a.O., S. 90.

Aus: Marianne Kröger - Das „individuum als Fossil“. Carl Einsteins Romanfragment BEB II. Das Verhältnis von Autobiographie, Kunst und Politik in einem Avantgardeprojekt zwischen Weimarer Republik und Exil.

Originaltext: http://gimenologues.org/spip.php?article344


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