Hüte Dich vor jedem Mythos! - Interview mit Cajo Brendel (1999)
F: Was führte Deiner Meinung nach zum Entstehen rätekommunistischer Positionen und wie würdest Du sie uns kurz umreißen?
Der Rätekommunismus ist nicht vom Himmel gefallen. Er ist allmählich entstanden und hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. Nach einer anfänglichen Begeisterung wegen der russischen Revolution gab es bei verschiedenen westeuropäischen Marxisten kritische Bedenken. Von ihnen war Otto Rühle wohl einer der ersten nachdem gewisse Zeugen der bolschewistischen Praxis ihre Erfahrungen niedergeschrieben hatten. Auch der holländische Marxist Gorter gehörte schon früh zu den Kritikern, aber er kritisierte (1920) nur bestimmte Einzelheiten. Mehr Kritik tat sich vor als 1921zuerst der Aufstand in Kronstadt zu einer lebhaften Diskussion führte und fast gleich nachher die 'Neue Ökonomische Politik' zum bolschewistischen Vorgehen wurde. Alsdann kam Ende der 20er Jahre eine grundsätzliche Zurückweisung des Staatskapitalismus hinzu. Am Anfang der 30er Jahre kam manches hinzu. Der Gipfelpunkt der rätekommunistischen Betrachtung wurde nach meiner Meinung einstweilen 1938 erreicht als der holländische Marxist Anton Pannekoek den ganzen Leninismus einer marxistischen Untersuchung unterwarf. Damit aber kam die Entwicklung des Rätekommunismus nicht zu Ende. Weit entfernt von Orthodoxie oder irgendeiner Form der Erstarrung bedient er sich immer Marxens Methode für ein besseres Verständnis der gesellschaftlichen Realität.
F: In der rätekommunistischen Theorie werden die KPD und die SPD als "alte Arbeiterbewegung" angesehen. Eine "neue Arbeiterbewegung" mit "neuen Klassenorganisationen" müsse sich formieren. Wo siehst Du Ansätze für eine solche "neue Arbeiterbewegung" und wo siehst Du die Unterschiede zwischen "alter" und "neuer" Arbeiterbewegung? Gibt es für Euch keine revolutionären Traditionen, auf die Ihr Euch beruft bzw. berufen könnt?
Der Unterschied zwischen 'alter' und 'neuer' Arbeiterbewegung ist - alle politischen und theoretischen Auffassungen beiseite gelassen - wesentlich dies, daß die alte Arbeiterbewegung eine Bewegung für die Arbeiter ist (geführt von Politikern oder Wissenschaftlern), die neue Arbeiterbewegung hingegen (welche kaum den Kinderschuhen bzw. dem Windeltuch entwachsen ist), eine Bewegung der Arbeiter, das heißt, der Arbeiter selbst. Ich denke nicht, daß man sich auf Traditionen berufen kann. Die Ansätze (mit der Betonung von Ansätzen) für eine neue Arbeiterbewegung sehe ich dort, wo Werktätige ganz ohne sich deren Bedeutung und Perspektive schon bewußt zu sein ohne Unterstützung irgendeiner Partei oder Gewerkschaft in einem (sogenannten) "wilden" Streik getreten sind. Es gibt aber weitere Aktionen der Arbeiter, die als solche Ansätze betrachtet werden können.
F: "Der Kommunismus ist keine Frage der Partei, sondern der Schaffung einer autonomen Massenbewegung." so hieß es in einem Artikel der französischen Gruppe "Le Proletaire", die auch an dem Treffen 1947 in Brüssel teilgenommen hat. Wie steht Ihr von "Daad en Gedachte" zu dieser Aussage und wie kann bzw. soll so eine "autonome Massenbewegung" entstehen?
Autonom ist eine Massenbewegung, welche nicht von wem oder was auch immer einberufen worden ist. Sie entsteht also spontan aus den gesellschaftlichen oder politischen Verhältnissen. Mit der Aussage der Gruppe 'Le Proletaire' bin ich ganz einverstanden.
F: In der Vergangenheit haben Rätekommunisten sowohl den Faschismus als auch den Antifaschismus kritisiert und sich dem Lagerdenken (hier "demokratisches", dort "faschistisches" Lager) versagt. Wie ist Euer Verhältnis zum heutigen wieder erstarkenden Faschismus in Europa? Wie ist Euer Verhältnis zur antifaschistischen Bewegung?
Mit dem wiedererstarkenden Faschismus in Europa ist es natürlich so bestellt, daß er in den verschiedenen Ländern nicht immer völlig denselben Charakter oder dieselben Ursachen hat. Aber welche Form er annimmt oder welche Ursache auch er soll bekämpft werden. Aber mit einer Bekämpfung seitens der bürgerlichen Demokratie will ich nichts zu tun haben.
F: Die meisten politischen Gruppen versuchen in Demonstrationen, Streikbewegungen, etc. zu intervenieren, um diese Bewegungen in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen oder zumindest ihre Ideen zu verbreiten. Innerhalb des Rätekommunismus gab es ja Auseinandersetzungen zwischen "militanten Aktionisten" und "akademischen Anhängern". Wie ist die Sichtweise der Rätekommunisten? Ist es nicht falsch sich passiv zu bestehenden sozialen Bewegungen zu verhalten? Worin siehst Du die Aufgabe der Rätekommunisten vor und während Massenbewegungen und Klassenkämpfen?
Sich bemühen mit Bewegungen ist sinnvoll. ABER ... jene Intervention der verschiedenen Avantgardegruppen nicht. Im Gegenteil. Ich schreibe darüber in einem Aufsatz, den ich beifüge. Ich war von der Jugendzeit an immer der Ansicht, daß man der Arbeiterklasse nicht etwas zu l e h r e n hat, sondern von ihr lernen sollte. Wie aber sei alsdann das gelernte anzuwenden? Hier handelte ich immer übereinstimmend mit einem Satz von Marx aus einer seiner Frühschriften, nämlich die 'Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie', wo er da schreibt: "... man muß die versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, daß man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt ...". Nie habe ich zu Streikenden gesagt "Ihr könntet besser dies oder das tun". Ich habe bloß jedesmal versucht über die Bedeutung ihrer Handlungen zu diskutieren. Das ist kein passivesVerhalten.
F: Wenn Ihr politische Aktionen ablehnt, an wen richtet sich Eure Zeitung "Daad en Gedachte"? Welche Rolle kommt Eurer Zeitung zu?
Die Gruppe 'Daad en Gedachte' [zu Deutsch 'Tat und Gedanke'; die Redaktion] hat sich immer an all diejenigen gerichtet, welche der 'alten Arbeiterbewegung' kritisch gegenüberstehen und entweder den Weg zur 'neuen Arbeiterbewegung' schon sehen oder ihn suchen.
F: 1947 gab es ja ein internationales Treffen mit rätekommunistischen und anderen internationalistischen Gruppen. Gab es jemals den Versuch eine Art "Internationale der Rätekommunisten" oder engere Beziehungen zu gleichgesonnenen Gruppen im Ausland aufzubauen bzw. zu knüpfen?
Ich war damals leider nicht in der Lage das internationale Treffen mitzumachen. Ich besitze aber wohl Artikel in einer rätekommunistischen Wochenzeitung.
F: Der Großteil der "alten Arbeiterbewegung" verurteilt das Vorgehen der Kronstädter Matrosen. Trotzki nannte die Geschehnisse von Kronstadt verniedlichend eine "Tragödie". Wie steht Ihr zu Kronstadt?
Ich betrachte die Kronstadt-Rebellion keineswegs wie es die Bolschewisten tun, ob sie nun Lenin, Trotzki, Stalin oder wie auch immer heißen. Ich habe sie immer als einen proletarischen Ausläufer der russischen Revolution charakterisiert
F: Wie ist Euer Verhältnis zu den Trotzkisten und den Anarchisten? Wo siehst Du Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede?
Weder das eine noch das andere. Man könnte den Trotzkismus als Leninismus definieren, den Stalinismus als eine Abart des Leninismus. Beide basieren auf einer falschen, aus russischen Verhältnissen hervorgehenden Interpretation von Marx. Mit dem Anarchismus ist es natürlich anders, obwohl er auch in vielerlei Hinsicht Marx falsch interpretiert. Dazu arbeitet er mit einer Methode, welche von der meinen weit entfernt ist. Mit dem Anarchismus stimme ich überein insofern er sich gegen jede Staatsmacht kehrt, ob diese sich nun als bürgerlich oder proletarisch versteht.
F: Wie ist das Verhältnis der Rätekommunisten zu Parteien und zu Wahlen?
Die Parteien sind eine Frucht der bürgerlichen Revolution und sind im Kapitalismus unentbehrlich. An der Wahl in einer kapitalistischen Gesellschaft beteilige ich mich also nie. Die einzigen Wahlen, an denen ich teilnehmen würde, wären die Wahlen für die Arbeiterräte.
F: Die Russische Oktoberrevolution 1917 sehen die Rätekommunisten als "bürgerliche Revolution". Bitte erläutere das ein bißchen!
Rußland war in dem zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ein Land, in dem es zwar keine Leibeigenschaft mehr gab und das bestimmte Industrien hatte, aber im großen und ganzen die Merkmale der Feudalität an sich hatte. Zar, Kirche und Adel Herrschten; die Landwirtschaft war der wichtigste Produktionszweig; zu der Bauernschaft gehörte der weitaus größte Teil der Bevölkerung.
Insoweit es dort eine gewisse Bourgeoisie gab, war sie durchaus nicht zu vergleichen mit jener, die es in Frankreich im 18. Jahrhundert gab: stolz und selbstbewußt. Die Revolution, die seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts in Rußland heraufzog, hatte die Aufgabe dem Zarismus ein Ende zu bereiten, die Macht der Kirche zu brechen, ebenso wie jene des Adels. Untrennbar damit verknüpft war die Entwicklung neuer Produktionsverhältnisse. Das alles heißt, daß die russische Revolution die gleiche Aufgabe hatte wie die derzeitige französische, aber unter keineswegs völlig identischen Umständen.
Berücksichtigt man ihre Aufgabe in Rußland, muß man sie als eine bürgerliche Umwälzung bezeichnen, aber aufgrund der Schwäche der russischen Bourgeoisie als eine Revolution in der die historische Aufgabe des Bürgertums von einer anderen Klasse erfüllt werden mußte.
Kein anderer als Lenin hat das zu Anfang des Jahrhunderts klar vorhergesagt. In einem frühen Text von Lenin liest man, daß "die kommende Revolution eine bürgerliche Revolution sein wird , aber eine bürgerliche Revolution ohne die Bourgeoisie ..."
Diese bürgerliche russische Revolution hat manches aufgezeigt, was mit den damaligen französischen Tatsachen vergleichbar ist. In Frankreich war der Materialismus jener Zeit die Waffe im Kampf gegen die Religion, weil auf ihr die Macht der Kirche basierte. Ähnlich verhielt es sich in Rußland. Der Materialismus aber, mit dem dort die Religion bekämpft wurde, und den Lenin für den historischen Materialismus hielt, stimmte - wie es Pannekoek 1938 überzeugend nachgewiesen hat - völlig überein mit dem französischen Materialismus des 18. Jahrhunderts.
Man kann Lenin dafür keinen Vorwurf machen. Es sind die russischen Umstände gewesen, welche dazu führten, daß er den von Marx und Engels unter kapitalistischen Verhältnissen entwickelten Materialismus auf russische Weise interpretieren mußte.
Die russische Revolution war auch noch durch etwas anderes gekennzeichnet, das man ebenfalls bereits bei den französischen Revolutionären finden kann. Mit einem kleinen Unterschied aber. Die französischen Jakobiner entnahmen ihre Vorbilder und revolutionären Theorien der römischen Vergangenheit; die Bolschewisten schauten nicht ins klassische Altertum, sondern in die proletarische Zukunft. In Frankreich 1789 wie in Rußland 1917 stimmte das Bild im Kopf nicht mit der Praxis überein. In Frankreich, wo von Freiheit und Gleichheit geträumt wurde, ahnte man nicht, daß es sich um die juridische Freiheit und die
Gleichheit nach dem Gesetz handelte. Trotzki schrieb einmal: "... Man glaubte auf den Februar loszusteuern, ging aber in Wirklichkeit dem Oktober zu ..." Dagegen war es faktisch so, daß man glaubte den Weg zu dem Kommunismus zurückzulegen, obwohl man die bürgerliche Revolution ohne Bourgeoisie machte.
Was herauskommen mußte, war, weil die Bourgeoisie zu schwach war, um als herrschende Klasse anzutreten, der Staatskapitalismus. Und um nochmals Lenin zu erwähnen: er hat sich zurecht als Jakobiner bezeichnet!
F: Es gab ja Versuche Schriften der Rätekommunisten in Esperanto herauszubringen, um die einengenden nationalen und sprachlichen Grenzen zu überwinden. Wie ist Euer Verhältnis zur Intelligenz, zu Intellektuellen?
Die rätekommunistische Gruppe Internationaler Kommunisten hat am Anfang der dreißiger Jahre Texte in Esperanto herausgebracht. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges haben wir das nicht wieder gemacht. Unsere Texte und Briefe gingen in Länder, deren Sprache wir mehr oder weniger beherrschten.
An der Intelligenz der Arbeiterklasse haben wir nie gezweifelt; Intellektuellen haben wir dann mißtraut, wenn sie zur Bourgeoisie gehörten oder zu Avantgarde-Gruppen.
F: Wie ist Euer Verhältnis zu den Symbolen der "alten Arbeiterbewegung" (wie z.B. die rote Fahne, Hammer/Sichel, die "Internationale", die geballte Faust, die Bezeichnung "Genosse", etc.)?
Ich (und die ganze Gruppe Daad & Gedachte) hat auf Symbole nie allzugroßen Wert gelegt. Was an Gruppen, Bewegungen, usw. wesentlich war bzw. was sie bedeuteten, hat uns interessiert. Übrigens wurde die Internationale sehr lange von den abscheulichsten Reformisten gesungen! Und noch viel mehr Symbole sind mißbraucht worden.
F: Wie waren die Reaktionen auf die Diskussionen im November 1998 in Deutschland, als Du hier bei Lesungen und Veranstaltungen warst?
Die Reaktion der vielen Zuhörer haben mir sehr gefallen. Sie waren im allgemeinen sehr sachlich und bewiesen, daß man mich richtig verstanden hatte. Die einzige Ausnahme bildeten zwei Leute von der IKS. Sie diskutierten überhaupt nicht und hielten nur - glückli-cherweise sehr kurz - eine Propagandarede für die eigene Organisation, die nichts mit dem Inhalt meines Vortrages zu tun hatte. Später wurde in deren Zeitung ein sehr langer Artikel darüber veröffentlicht, in dem Lügen gar nicht fehlten.
F: Welche rätekommunistischen Positionen sind durch die Geschichte bzw. die Vergangenheit und die politische Praxis bestätigt, welche sind Deiner Meinung nach widerlegt worden?
Die Frage, welche rätekommunistischen Positionen durch die Geschichte bestätigt sind oder nicht, finde ich eine irrsinnige Frage. Es geht nicht um gute oder weniger gute Positionen, sondern um Analyse, eine Analyse der Wirklichkeit. Dabei handelt es sich immer um einen Prozeß. Je nachdem, wie der Prozeß weitergeht, wird die Analyse zu besseren Erfolgen führen.
F: Was sind Deiner Meinung nach die Gründe dafür, daß der Rätekommunismus bis heute recht einflußlos blieb? Wie ist es denn heute um die rätekommunistische Bewegung bestellt?
Die Auffassung, der Rätekommunismus sollte eigentlich mehr Einfluß haben als er hat, gehört zu den Auffassungen der avantgardistischen Gruppen und diese kann man z.B. finden in dem leninistischen Standpunkt: "Ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Praxis". Die Realität sieht anders aus. In Wirklichkeit gibt es keine wie auch immer geartete Theorie, wenn es keine Praxis gibt, d.h. eine Wirklichkeit gibt, auf welcher die Theorie basiert. Nicht irgendeine Theorie oder irgendein Standpunkt beeinflussen die Realität, sondern es ist umgekehrt. Danach haben sich auch Marx und Engels verhalten. Ich verstehe den Rätekommunismus nicht direkt als eine 'Bewegung'; wichtig ist nach meiner Meinung die Bewegung der Arbeiter und die Bewegung gibt es aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position, ob sie die rätekommunistischen Auffassungen kennen oder nicht. Nicht wegen dieser Auffassungen kämpfen sie, sondern weil der Kapitalismus sie dazu zwingt.
F: Wie beurteilt Ihr als Rätekommunisten die derzeitige Situation? Die heutige Situation ist selbstverständlich ein Moment von einem Prozeß. Ich kann darüber nur sagen, daß ich in einem Zeitraum von mehr als 50 Jahren sich den Klassenkampf fortwährend ändern gesehen habe. Nur ein kleines Beispiel von unzähligen: vor fünfzig Jahren war Betriebsbesetzung etwas ganz anderes als heute. Wie siehst Du die Perspektive der Linken am Ende des 20. Jahrhunderts? Sind die Rätekommunisten an einer Zusammenarbeit mit anderen Gruppen interessiert? Wenn ja, in welchem Rahmen, unter welchen Voraussetzungen?
Die Antwort hängt natürlich davon ab, was man unter den "Linken" versteht. Versteht man darunter alle möglichen Gruppen, welche sich als Avantgarde der Proletarier betrachten und sich wie ihre Lehrmeister benehmen, so ist die Antwort einfach: da gibt es keine Perspektive! Für die Arbeiterklasse gibt es dagegen eine Perspektive, ob man die klar erkennt oder nicht. Sie ist die Revolution, die vom Kapitalismus unvermeidlich herbeigeführt wird. Was die Avantgardisten betrifft: den Nutzen einer Zusammenarbeit mit denen sehe ich nicht.
F: Wo siehst Du den Unterschied zwischen Trotzki und Stalin?
Trotzki ist ebenso wie Stalin ein Erbe des Leninismus, mit dem Unterschied, daß sie - sozusagen - das Erbe anders behandeln wollten. Ein Vergleich ist aber schwierig, weil der von Stalin gewonnene Machtkampf es Trotzki unmöglich gemacht hat, die Macht auszuüben. Übrigens braucht man bloß einen Text wie "Arbeit, Disziplin und Ordnung werden die sozialistische Sowjet-Republik retten" von Trotzki lesen, um festzustellen, daß der Unterschied zwischen beiden doch kleiner ist als viele glauben.
F: Stichwort: Marinus van der Lubbe. Er wollte ja mit dem Reichstagsbrand die Arbeiterklasse wachrütteln. Ist das nicht auch eine Art Stellvertreterhandlung gewesen? Die KAPD mit ihrem Putschismus hat doch auch oft stellvertretend gehandelt oder nicht?
An van der Lubbes aufrichtiger proletarischer Gesinnung habe ich nie gezweifelt. Was er von seiner Tat erwartete oder hoffte, war nach meiner Meinung eine Illusion. Ob die KAPD mit gewissem 'Putschismus' stellvertretend gehandelt hat, bin ich nicht ganz sicher. Beispiele hätte ich gerne.
F: Was verstehst Du unter "direkter Aktion" ?
Ehrlich gesagt, den Ausdruck benutze ich nie. Ich spreche entweder von spontanem Handeln oder von einer sogenannten 'wilden' Aktion oder von einem 'wilden' Streik.
F: Wenn jetzt jemand von der Leserschaft das für richtig halten sollte, was Du erläutert hast, was empfiehlst Du ihm/ ihr?
Das einzige, was ich empfehlen möchte: Laß die Illusionen fallen, hüte Dich vor jedem Mythos. Das ist der rote Faden meiner Gedanken.
Letzte Worte, ... Ich bin gespannt auf Eure Antwort.
Dieses Interview entstand im Dezember 1999 und erschien erstmals in der im Rahmen der "Bibliothek des Widerstandes" erschienenen Broschüre "Red Devil: Die Kronstadt-Rebellion. Alle Macht den Sowjets, nicht den Parteien" (Revolution Times, Postlagernd, 23501 Lübeck).
Originaltext: http://www.kurasje.org/arkiv/4400f.htm