Subcomandante Marcos - Eine Erzählung für kleine Mädchen, Alter 1-100 (2007)

für Mama Corral, vom Komitee der Mütter der Politisch Verschwundenen von Ciudad Juárez, Chihuahua, Mexiko, für die kleinen indigenen Mädchen in Mexiko, und für alle Mädchen in Mexiko und der Welt.

ELIAS CONTRERAS, ERMITTLUNGSKOMMISSION DER EZLN, ERZÄHLT DER MAGDALENA DIE GESCHICHTE DER FALLENDEN STERNE.

"Und eigentlich fallen sie nicht wirklich, es sieht nur so aus, als ob sie fallen, aber sie fallen nicht", sagte Elías Contreras der Magdalena, als sie, auf einem Hügel in der Umgebung des zapatistischen La Realidad sitzend, einen schnellen Lichtstreifen beobachteten, der die gefleckte Tafel des Morgens verletzte.

Das war, als die Magdalena Elías begleitete, als seine Suche nach dem Bösen sie bis in die Berge des mexikanischen Südostens führte.

Elías erzählte mir die Geschichte später, und ich habe nicht mehr an sie gedacht, bis ein Schauer von Sternschnuppen auf dem Gebiet der Comca'ac oder Seri im Nordosten des Unteren Mexikos mein Gedächtnis auffrischte.

Es dämmerte gerade. Im Rahmen der ersten Reise der Sechsten Kommission der EZLN in der Anderen Kampagne hatten wir das bedrohte Land der Comca'ac Nation oder des indigenen Seri Volkes, wie man sie auch nennt, erreicht. Ich sprach mit einem der Häuptlinge, während wir am Strand entlangspazierten, vor dem majestätischen Anblick der Isla del Tiburón, dem Herz dieses würdigen Volkes.

Das Volk der Seri ist ein Volk von Kriegern. Jahrhunderte lang sind sie vor verschiedenen räuberischen Stämmen bedrängt, angegriffen und verfolgt worden. Die letzte dieser Verbrecherbanden, trägt die teure Markenkleidung, die in Sonora von den Bundes-, Staats-, und Bezirksregierenden getragen wird, und beabsichtigt, sich der Isla del Tiburón zu bemächtigen und sie in ein touristisches Ferienzentrum zu verwandeln.

Die Seri leisten Widerstand und verteidigen ihr Gebiet, ihre Kultur und ihre Geschichte mit dem gleichen Ehrgeiz wie immer, auch wenn der Feind heute als Modernität getarnt daherkommt.

Während dann und wann gezackte Lichtblitze über den Himmel zuckten und sporadisch die südlichen Umrisse der Insel erleuchteten, unterhielten der Seri-Häuptling und ich uns über die Schmerzen unserer Völker. Die Blitze fielen immer seltener, genau wie unsere Worte, und irgendwann kam der Augenblick, in dem die Stille ein Schatten in der Nacht und in uns war.

Und der Schatten der Schmerzen unserer Völker wäre dort geblieben, wenn nicht ein Stern plötzlich seinen festen Platz verlassen und sich auf unsere Welt herabgesenkt hätte, um die Erde zu küssen. Dem ersten folgte ein zweiter, und dann noch einer. Und für einige Sekunden schien es so, als ob alle Sterne von zuhause wegziehen würden, um in einem anderen Himmel zu wohnen, dem Unteren, dem unseren.

Der Seri-Häuptling und ich sagten nichts. Schweigend betrachteten wir das Signal. Ich entzündete meine Pfeife. Der Seri-Häuptling entzündete das Wort und sagte: "So erzählten es unsere Großeltern: Die Stunde naht".

Als die Dämmerung dem Morgen wich, und statt einer in Schatten gehüllten Insel ein gigantisches Herz inmitten des Meeres erschien, tanzte der Seri-Häuptling, und die Frauen des Stammes sangen. Der Gesang und der Tanz waren nicht für uns. Sie waren für die Erde, die Mutter.

"Wir werden uns um dich kümmern", versprach die Botschaft. "Wir werden dich verteidigen", sagte das Versprechen.

In diesem Moment, als ich dem Kriegsgesang der Seri lauschte und dem Tanz des Indígena-Häuptlings zusah, erinnerte ich mich daran, was mir Elías Contreras, Ermittlungskommission der EZLN, einige Jahre zuvor erzählt hatte.

Vielleicht weiß irgendeiner oder irgendeine, je nachdem, der Verirrten, die mir zuhören, nicht, wer Elías Contreras und die Magdalena sind (oder waren, je nachdem). Oder sie wissen nicht, welche Lichtstrahlen diese zwei an jenem Morgengrauen im Jänner vor einigen Jahren sahen, als sie auf einem kleinen Hügel der Tojolabal-Zone auf zapatistischem Gebiet beieinander saßen.

Im Moment reicht es zu erzählen, dass Elías Contreras ein indigener Zapatist war, ein Kriegsveteran, der als Ermittlungskommission der EZLN arbeitete, um einigen der Autonomen Zapatistischen Bezirke in Rebellion zu helfen. Die Ermittlungskommission ist für die Zapatisten ungefähr das gleiche, was die Stadtbewohner als "Detektiv" bezeichnen würden. Und die Magdalena war ein Homosexueller aus der Stadt, der auf dem Strich arbeitete, um sich das Geld für eine Geschlechtsumwandlung zu verdienen.

Elías und die Magdalena lernten sich vor einigen Jahren in Mexiko Stadt kennen. Die Magdalena wurde unser Compañero, oder Compañera, je nachdem, und wurde ein zapatistischer Mann oder Frau, oder weder das eine noch das andere. Sie oder er, je nachdem, gemeinsam mit Niemand und Elías Contreras, stellten den Bösen und das Böse in einer Konfrontation, die die Magdalena das Leben kostete.

Aber obwohl das, was ich erzähle, sich vor vielen Monden zugetragen hat, kann man es sich wie etwas vorstellen, dass jetzt gerade eben passiert, in der Gegenwart, und wir privilegierte Zuschauer sind dabei, wie die unverschämte Liebe, die sich verbergen kann und in Worten zeigt. Stellen wir es uns also vor...

Der Morgen in unserem Hier. Ein weiter und tiefer Himmel, übersät mit kleinen Lichtern. Zwei schattenhafte Figuren unter dem zweifachen Schatten von Nacht und Baum.

(Die Magdalena lehnt ihren Kopf an Elías' Schulter, und erhebt wortlos die Hand, um auf die Sternschnuppe zu deuten, welche die Monotonie des Himmels voller unbeweglicher Sterne durchbricht.)

Trotz der kalendarischen Distanz, die sie trennt, und der Verwirrung um das Wissen, dass die Magdalena nicht ganz Mann und nicht ganz Frau ist, hat sich Elías Contreras, Compañero Ermittlungskommission der EZLN, selbst die Rolle des Lehrers-Tutors-Vaters-älteren-Bruders-und-heimlichen-Verehrers Magdalenas zugeschrieben.

Außerdem befindet sich Elías auf heimischem Gebiet, und so fühlt er sich verpflichtet, von allem zu berichten, was sich auf diesem Land ereignet, also fängt er an, eine Geschichte zu erzählen, die wie alle, die Elías erfindet, um der Magdalena etwas zu sagen oder zu erklären, im Laufe der Erzählung entsteht, ohne richtig zu wissen, wie sie enden wird: "Unsere Ältesten erzählen, dass es ganz am Anfang eine allererste Zeit gab. Diese Zeit war noch ganz neu, sagen unsere alten Weisen. Sie war wie ein Junges, das noch nicht so gut laufen konnte."

(Die Magdalena hört schweigend zu und stellt sich ein kleines Mädchen vor, das versucht, seine ersten Schritte zu machen. Elías, ohne zu wissen, weshalb oder wieso, stellt sich ebenfalls ein kleines Mädchen vor und spricht weiter)

"Die Zeit konnte noch nicht laufen, sie schwankte und stolperte ständig. Wie ein Säugling, der noch kaum gelernt hat, dass seine Füße nicht nur dazu gut sind, auf den Zehen herumzukauen, sondern auch zum Laufen dienen. Und das kleine Ding hält sich an Mamas Rock fest oder an einem Stuhl oder an einem Tisch oder an gar nichts, und rums! schon landet es auf dem Boden.

(Die Magdalena und Elías stellen sich in Stereo ein kleines Mädchen vor, das hinfällt, sich umsieht, ob sie Zeugen hat, und schnell ausrechnet, ob es sich loszuplärren lohnt oder nicht. Sie lächeln beide, ohne sich anzusehen. Elías fährt mit seiner Erzählung fort.)

Da diese allererste Zeit also noch nicht sehr gut laufen konnte, geschah alles ganz langsam. Nicht so wie jetzt, wo die Zeit älter ist und richtig sprintet.

Nicht lange, und es sind schon mehr als zehn Jahre her, seitdem wir unseren bewaffneten Aufstand gegen die schlechte Regierung geführt haben. Das heißt, mehr als eine Dekade.

'Dekade' ist ein neues Wort, das ich gelernt habe, und bedeutet, dass es zehn Jahre sind, also anstatt 'zehn Jahre' zu sagen, sagt man 'Dekade', und dann scheinen es keine zehn Jahre zu sein, sondern je nachdem. Weil, wenn zum Beispiel einer sagt, dass er schon seit einer Dekade zur Schule geht und noch nicht bestanden hat, dann schmerzt das weniger als zu sagen, dass er schon 10 Jahre lang hingegangen ist und nichts gelernt hat. Oder, zum Beispiel, ...

(Die Magdalena wirft Elías einen Bleib-bei-der-Sache-Schatz-Blick zu, und Elías versteht, dass die Magdalena schon weiß, was "Dekade" bedeutet, also beendet er das Thema und macht weiter.)

"Gut, da also alles ganz langsam ging, hatten alle die Angewohnheit und die Zeit, viele Dinge zu tun. Zum Beispiel, sich zu unterhalten. Das heißt, zu sprechen und zuzuhören.

Siehst du, Magdalena, die Stadtmänner oder Stadtfrauen, je nachdem, haben auch die Angewohnheit und die Zeit, sich zu unterhalten. Ich glaube, daran liegt es, dass, wenn sie einen Zapatisten oder eine Zapatistin treffen, je nachdem, sie sofort anfangen zu reden, und es ist dann absolut unmöglich, ihnen das Mikrofon wegzunehmen..."
(Magdalena sieht Elías vorwurfsvoll an. Elías verteidigt sich.)

"Gut, ich sage gar nichts. Der Sup sagt immer, dass die Stadtmenschen sich am Mikrofon festklammern und nicht mehr loslassen, als ob sie Klebstoff an den Händen hätten, und in der Stadt habe ich einmal beim Zähneputzen nicht gemerkt, dass ich anstelle von Zahnpasta Klebstoff auf meine Zahnbürste drückte, weil diese kleinen Tuben alle gleich aussehen, also lief ich eine ganze Weile mit festgeklebten Zähnen herum und konnte nichts schlucken, bis ich richtig abmagerte und alle sagten, dass läge daran, dass ich wütend wäre, denn wenn man wütend ist, knirscht man mit den Zähnen und isst nichts. Aber ich knirschte gar nicht, ich konnte meine Zähne überhaupt nicht bewegen, das heißt, sie waren vollkommen immobil... "Immobil" ist ein neues Wort, das ich gelernt habe. Es bedeutet, dass sich etwas nicht bewegt, also nur daliegt, als ob gar nichts passiert, und dann... "

(Diesmal muss die Magdalena Elías nicht ermahnen, das Thema zu schließen, er tut es von selbst.)

"Also gut, es war dann so, dass die allerersten Götter, die die Welt hervorbrachten, sehr geschwätzig waren. Und weil sie so mit Schwatzen beschäftigt waren, kümmerten sie sich nicht darum, die Dinge zu erschaffen, die die Welt brauchte, um vollkommen zu werden, dass heißt vollständig.

Und da die Götter bei ihrer Arbeit säumten, begann die Erde, unsere erste Mutter, eben auch zu schwatzen. Und gut, es gab nicht eben viele, mit denen man reden konnte, also fing die Erde an, mit jenen zu plaudern, die damals am Himmel wanderten. Das heißt, mit den Wolken, der Sonne, dem Mond, den Sternen und vielleicht mit einigen Vögeln, das weiß man nicht genau, weil wir nicht wissen, ob die allerersten Götter die Vögel da schon erschaffen hatten.

Die Erde schwatzte also mit jenen, die am Himmel wanderten. Und sie trug ihnen eine Beschwerde nach der anderen vor. Die Erde sagte: "Diese Götter mögen ja vielleicht die allerersten sein, aber sie sind auch sehr große Schlafmützen. Sie haben erst ein paar wenige Bäumchen auf mich gesetzt und einige Flüsse und Seen. Und das Meer da haben sie einfach nur hingeworfen, und es ist in sieben Teile zerfallen, und jetzt bin ich, wie man sagt, ein einziges Durcheinander, weil auch ich völlig zerstückelt bin. Und das wird ein völliges Chaos geben mit der Geografie und den Kontinenten."

Und die Wolken sagten: "Sicher, völlige Schlafmützen und Nichtsnutze sind das! Sieh mich mal an, mich haben sie ganz rundlich gemacht, und meine Kollegin da haben sie völlig schmal gelassen. Jetzt wird sie überall herumerzählen, ich würde ihr das Essen wegfressen. Und dann diese Farbe wie schmutzige Wäsche, die sie mir aufgesetzt haben. Und die da drüben ist so weiß, dass sie sich für sehr rein hält, und dabei wissen wir alle, dass sie die ganze Zeit nur herumscharwenzelt."

"Und zuerst", sprach die abgemagerte Wolke, "haben sie uns hart gemacht, damit uns der Wind nicht überall fortweht oder was weiß ich. Und wir sind die ganze Zeit abgestürzt wegen dem Gewicht. Und die Vögel haben sich immer die Köpfe eingeschlagen, wenn sie mit uns zusammenstießen - das gab eine Zerstörung und ein Massaker, als ob der neoliberale Kapitalismus im Kalender vorgeschoben worden wäre. Und dann haben sie uns wieder leicht gemacht, obwohl einige von uns das schon von sich aus waren, wie die Kollegin da, die sehr vornehm tut, oder die hier, die so aussieht, als ob das Gewicht noch dran wäre."

Und so gerieten die Erde und die, die am Himmel wandern, ins Schwatzen, Klatschen und Schimpfen.

Und unsere Allerältesten sagen, dass die Erde, unsere erste Mutter, nicht schimpfte, sondern einfach nur nicht mehr zuhörte, weil sie auch nicht woanders hingehen konnte, das heißt, sie musste an einem Ort bleiben und konnte nicht sagen: "In Ordnung, Comadres, ich muss jetzt aber gehen, weil meine Bohnen anbrennen", weil es ja noch gar keine Bohnen gab, weil diese allerersten Götter sich mit gar nichts beeilten, und schon gar nicht damit, die Bohnen zu erschaffen.

Und so musste die Erde sich damit begnügen, Unsinn und Durchschnittliches zu hören, obwohl sie auch gute und intelligente Sachen hörte, obwohl die Welt ja noch nicht Welt war, sondern eher eine ungeordnete Perspektive, das heißt, es herrschte überall ein ständiges Durcheinander. Und was "ungeordnete Perspektive" bedeutet, erkläre ich dir später, Magdalena, unterbrich mich bitte nicht, weil ich sonst den Erzählfaden verliere...

(Die Magdalena macht jetzt ein Gesicht von "Ich-sage-gar-nichts". Elías gibt sich damit zufrieden und fährt fort.)

Gut also, die Erde sprach infolgedessen auch mit den Mames, wie unsere Ältesten die Götter nannten, die den Regen hervorbrachten, und die die Götter des Donners sind.
Und es war so, dass die Erde, außer sich zu unterhalten, mit jenen, die am Himmel wanderten, auch eine Abmachung einging. Die Abmachung lautete, dass wenn die Wolken vom Wandern müde wurden, die Erde ihnen erlaubte, in ihr Ruhe zu finden, sich also auszuruhen oder sich einfach nur herabzusenken, um die Dinge von der anderen Seite oder von unten aus zu sehen. Im Gegenzug dafür bat die Erde, die erste Mutter aller, nur darum, dass jene, die am Himmel wanderten, ihr helfen würden, wenn sie sie brauchte.

Und es wurde nicht Tag, weil die Götter den Tag noch nicht geschaffen hatten. Und es wurde nicht Nacht, weil die auch noch nicht erschaffen worden war. Es war also in der Dämmerung, dass die Götter schließlich Vernunft annahmen, endlich die Männer und Frauen zu erschaffen.

Die Geschichte darüber, wie die ersten Götter die Männer und Frauen erschufen, ist eine andere Geschichte, und ich glaube, ich habe sie schon mal erzählt, und wenn nicht, erzähle ich sie ein anderes Mal. Die Götter erschufen dann die Männer und Frauen aus der Erde, das heißt, sie gaben der Erde den Auftrag, ihre Mama zu sein, das heißt, sie zur Welt zu bringen und aufzuziehen.

Diese Götter erschufen also die Männer und Frauen, aber sie machten sie einfach nur, ohne sich darum zu kümmern, ob sie was zu essen haben, damit der Tag nicht traurig ist. Sie machten sie ohne gar nichts, nicht einmal ein wenig Pozol gaben diese ersten Götter den Männern und Frauen. Aber die Erde, als gute Mutter, die sie ist, konnte sie nicht so bleiben lassen, als sie sah, dass die Männer und Frauen hin und her liefen, ohne irgendetwas zu haben, um sich den Bauch zu füllen.

Also lief Mutter Erde sehr besorgt herum, na gut, sie lief nicht, weil die Erde ja nicht gehen kann, sondern an einem Ort bleibt, obwohl sie manchmal ein Fieber packt, oder wer weiß was, und dann zittert und bebt und windet sie sich. Aber gut, da zu dieser Zeit damals alles sehr langsam lief, konnte man nicht einmal spüren, dass sie bebte.

Gut also, die Erde, unsere Mutter, lief besorgt herum, weil die Männer und Frauen nichts zu essen hatten. Und sie konnte sie auch nicht stillen, weil die Erde keine Brüste hatte. Natürlich hatte sie so auch keine Ausgaben für Büstenhalter. Sie hatte nur einige Büstenhalter, die nichts taugen, die nur aufgemalt waren. Aber gut, die Erde, die allererste Mutter, dachte die ganze Zeit darüber nach, was sie machen sollte.

Und dann dachte die Erde, unsere Mutter, dass sie eine Ermittlung machen musste. Und sie beauftragte damit eine Schnecke (*span.: un caracol). Das heißt, die erste Ermittlungskommission war die Schnecke. Und die Mutter Erde sagte also zur Schnecke: "Hör mal, Schnecke, man erzählt sich, dass es da eine sehr gute Nahrung geben soll, die Mais genannt wird, aber niemand weiß, wo er zu finden ist. Mach dich also auf die Suche, und dann komm zu mir und sag mir, wo man ihn finden kann, aber beeil dich, weil meine kleinen Jungs und Mädchen ihr Essen nicht mehr erwarten können."

Und die Schnecke raste sofort los wie der Blitz und durchforschte die ganze Welt, die aber, um die Wahrheit zu sagen, auch noch nicht sehr groß war. Und dann kehrte sie mit Höchstgeschwindigkeit zurück und sagte zu Mutter Erde: "Hör mal, Mama Erde, ich habe dieses Nahrungsmittel, von dem du sprichst, gefunden, aber es liegt in einem sehr harten Stein verborgen".

Und die Erde, unsere Mutter, rief dann alle Tiere zu sich, die aber, um die Wahrheit zu sagen, auch noch nicht sehr viele waren, und sagte zu ihnen: "Hört zu: Greift euch alle eure Sachen und geht blitzschnell dorthin, wo die Schnecke euch sagt, brecht diesen Stein auf und bringt mir, was sich darin befindet, damit ich meinen Töchtern und Söhnen zu essen geben kann".

Und so zogen alle Tiere los und hauten und hauten auf den Stein, aber der ließ sich kein bisschen aufschlagen. Und sie kehrten entmutigt zurück und sagten der Erde, dass da nichts zu machen sei, dass der Stein noch härter war als der Kopf eines Politikers.

Aber es gab da einen der Mames, also der Götter des Donners, der Yaluc hieß, und er war der größte und der älteste von ihnen und wusste am meisten. Und der Yaluc und die Erde, unser allererstes Mütterchen, verstanden sich sehr gut, sie unterhielten sich oft über wichtige Sachen, um zu lernen und zu verstehen.

Also rief die Erde, unsere Mutter, den Yaluc und erzählte ihm von ihrem Problem. Und der Yaluc ging dann bereitwillig hinaus und feuerte einige Blitze auf diesen Felsen, also den Stein, und der Stein fiel in sich zusammen wie ein Salat und öffnete sich, und der Yaluc nahm den Mais und brachte ihn den Männern und Frauen. Aber die Männer und Frauen wussten nicht, was sie mit dem Maiskorn machen sollten und ließen es einfach liegen.

Unsere Mutter Erde deckte das Maiskorn zu, damit ihm nicht kalt wurde, und auf einmal fing da ein kleines Pflänzchen an zu sprießen, und wuchs und brachte viele Maiskolben hervor. Und da feuerte der Yaluc noch einen Blitz ab, und das Maiskorn wurde geröstet und wurde zu Popcorn, auch wenn es ein wenig verbrannt war, weil er den Blitzstrahl mit sehr viel Kraft abgefeuert hatte. Also war Popcorn das allererste, was die ersten Männer und Frauen zu essen kriegten. Und sie gingen zum Laden und kauften eine Salsa Valentina, oder wie das heißt, und sahen sich einen Film an, stopften sich mit Popcorn voll, und bekamen alle Durchfall... und tan-tan.

(Magdalena sieht Elías mit einer Mischung aus Neugier und Ärger an. Elías lächelt und sagt...)

"Nein, das stimmt gar nicht, ich hab das nur gesagt, um zu sehen, ob du schläfst... Gut, die Geschichte ist so, dass die Maispflanze zwar sprießte, aber es war kein Popcorn, sondern echter Mais, von der guten Sorte, also nicht genmanipuliert. Und die Erde, unsere Mutter, sprach dann zu den Männern und Frauen und erklärte ihnen, wie man Pozol machte und Tortillas und Tamales und Marquesote, und dann tat ihnen der Bauch auch nicht mehr weh, und tan-tan.

Magdalena sieht Elías verwundert an und fragt ihn: "Und was hat das alles mit den fallenden Sternen zu tun?"

"Ah ja, sicher, das hatte ich schon vergessen!", antwortet Elías.

Gut, also es war so, dass diese ersten Männer und Frauen, die Eingeborenen, die die indigenen Völker sind, der Mutter Erde sehr dankbar waren, und sie sagten, dass sie sich auf immer und ewig um sie kümmern würden. Und diese ersten Männer und Frauen überlegten dann, was passieren würde, wenn sie es vergessen oder sich verlieben sollten oder abgelenkt wären und deshalb nicht merkten, wenn die Erde ein Problem hat. Und da hielten sie eine Versammlung mit der Erde, unserer Mutter ab, mit dem Yaluc und mit jenen, die am Himmel wandern, und sie alle schlossen eine Vereinbarung.

Und die Vereinbarung ist, dass einige Männer und Frauen als Wächter der Erde eingesetzt werden würden, also der Berge, der Flüsse, der Meere, der Täler und der Winde. Und diese Wächter würden still verharren, als ob sie schlafen würden, und wenn der Mutter Erde irgendeine Gefahr oder ein Problem drohen sollte, dann würden jene, die am Himmel wandern, den eingeborenen Männern und Frauen, den Wächtern, ein Zeichen geben, um sich bereitzuhalten und etwas zu unternehmen.

Und laut Abmachung sollte das Zeichen gegeben werden, wenn der Yaluc und die Götter des Donners den Faden, der die Sterne am Dach der Welt festhält, lösen und die Sterne herabsinken, um die Männer und Frauen zu warnen, dass die Erde in Gefahr ist.

Und deshalb fallen die fallenden Sterne nicht wirklich, sondern warnen die Wächter, dass die Stunde naht."

Die Magdalena sagt mit einer Konkretheit, die in jeder Vollversammlung der Anderen Kampagne oder der Intergalactica willkommen wäre: "Ich habe zwei Fragen: Erstens, wieso sagst du, dass die Schnecke den Mais rasend schnell suchte, wenn die Schnecke doch sehr langsam kriecht?"

Elías lächelt und antwortet: "Die Schnecke mag ja langsam kriechen. Aber da zu der Zeit die Zeit selbst sehr langsam lief, lief die Schnecke damals eben rasend schnell. Und als die Zeit ihr Tempo änderte, gab man der Schnecke nicht rechtzeitig bescheid. Deshalb kriecht die Schnecke auch nicht langsam, sondern folgt eben einer anderen Zeit."

Die Magdalena applaudiert und lacht. Dann fragt sie zaghaft weiter: "Gut, die zweite Frage ist: Du sagt, die fallenden, oder schön, die nicht fallenden Sterne sollen die Wächter der Erde warnen, dass die Stunde naht. Die Stunde wofür?"

Elías Contreras setzt seine ernste Stimme auf. Er deutet auf ein langes, flüchtiges Aufleuchten am Himmel und sagt: "Um aufzuwachen".

Tan-tan.

Freiheit und Gerechtigkeit für Atenco!
Freiheit und Gerechtigkeit für Oaxaca!


aus den Bergen des mexikanischen Südostens,
Subcomandante Insurgente Marcos


PS: Wir verharren zwar nicht, aber Elías Contreras und die Magdalena betrachten weiterhin bedächtig den östlichen Horizont. Schließlich bricht die Magdalena das Schweigen: "Hör mal, Papa Elías, stell dir mal vor, dass ich mich operieren lassen kann und eine Frau werde. Vielleicht kann ich sogar Kinder haben. Wenn es ein Mädchen wird, werde ich sie nur Miniröcke tragen lassen."

"Auf keinen Fall", entgegnet Elías, "meine Tochter wird keine solche winzigen Röcke tragen, die nichts taugen. Nur Nagüas bis hinunter zu den Knöcheln. Oder Hosen, wie die Insurgentas".

Die Magdalena sieht ihn halb überrascht und halb geschmeichelt an, und fragt: "Deine Tochter?"

Und da läuft der vom Sup zur Ermittlungskommission der EZLN ernannte, der die kompliziertesten Fälle im ganzen zapatistischen Gebiet gelöst und nicht davor zurückgeschreckt hatte, alleine nach Mexiko Stadt zu reisen, der sich dem Bösen ohne zu zögern überall entgegenstellte, wo er ihn und es antraf, Elías Contreras, Kriegsveteran des EZLN, derartig rot an, dass nicht einmal der Schatten der Dämmerung es verbergen kann. Mit einiger Mühe bringt er heraus: "Lass uns gehen, es wird schon recht kühl, und die Kälte könnte dir schaden."

Als sie den Hügel hinuntersteigen, ergreift die Magdalena wie selbstverständlich die Hand von Elías Contreras. Als sie das Dorf erreichen, ist ein Streifen der Sonne bereits zu sehen. Die Magdalena deckt sich mit ihrem Umhang zu. Elías Contreras schwitzt wie nie zuvor im Leben...

Vale zum zweiten Mal,
der Sup, lächelnd,
während ein Stern hinabsteigt, um die Erde zu umarmen

Originaltext: http://www.chiapas.at/ezln/erzaehlung_fuer_kleine_maedchen.htm


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