Augustin Souchy

Am 28. August 1892 wird Augustin Souchy im oberschlesischen Ratibor geboren. Sein Vater war Drechslermeister und einer der ältesten Sozialdemokraten Schlesiens. Lange hält es ihn nicht in der Kleinstadt. 1911 geht er nach Berlin, wo er u.a. Karl Liebknecht, Klara Zetkin und Gustav Landauer kennenlernt.

"Hier begann ein intensives Militantenleben mit Versammlungen und Flugblattverteilen, mit Diskussionen und Schulungsgesprächen. (...) es wurde mir klar, daß die Freiheit aller nur erreicht werden kann, wenn sie sich auf das Selbstbewußtsein jedes Einzelnen stützt." (Alle Zitate entnommen aus seinen Memoiren "Vorsicht Anarchist!".)

Augustin arbeitet im Lokal des Sozialistischen Bundes, Herausgeber der von Gustav Landauer redigierten Halbmonatsschrift "Der Sozialist". Weil sich die Symptome eines kommenden Weltkrieges häuften, richten die Anarchisten in Berlin ihre politischen Aktivitäten auf die Bekämpfung des Militarismus. Als der Krieg dann ausbricht, ist Augustin in Wien. Hier besucht er die von Rudolf Großmann gegründete Gruppe "Erkenntnis und Befreiung, Bund herrschaftsloser Sozialisten", wird deshalb von der Polizei verhaftet und in sein Geburtsland abgeschoben. Auf seinem Steckbrief steht rot angekreuzt: "Vorsicht Anarchist!". "Das Etikett hätte man mir an die Stirn kleben sollen, denn im Koffer hatte ich keinen Sprengstoff".

Ohne größere Schwierigkeiten kann er sich nach Schweden absetzen. Als 1917 im Austauschverfahren kranke und verwundete deutsche Soldaten aus Rußland am Stockholmer Bahnhof Station machen, um von hier aus die Fahrt nach Deutschland fortzusetzen, schreibt Augustin ein Flugblatt, das er unter den heimkehrenden Soldaten verteilt: "Warum?"

Wieder wird er verhaftet und des Landes verwiesen. Da er als Deutscher in Dänemark keine Aufenthaltsgenehmigung erhält, besorgt er sich schwedische Papiere. In Schweden bekommt er schließlich einen Hauslehrerposten. Er unterhält Verbindungen zu sydikalistisch-orientierten Gewerkschaftskreisen, die den radikalen Flügel der Arbeiterbewegung in Dänemark repräsentieren.

Mit seinem falschen Paß reist Augustin 1919 nach Kopenhagen zurück, wird von den Beamten jedoch wiedererkannt und wegen Paßvergehens zu sechs Monaten Haft verurteilt. In der Zelle schreibt er in Schwedisch sein Buch über Gustav Landauer, der am 2. Mai des gleichen Jahres bei der Liquidation der Räterepublik in München ermordet worden war.

Aus der Haft entlassen, wird Augustin nach Deutschland abgeschoben. Von hier aus, und mit einem Mandat als Beauftragter der FAUD, der "Freien Arbeiter Union Deutschland", reist er 1920 nach Rußland. Während dieser Studienreise in das umstrittene Revolutionsland trifft er auf Victor Serge, Sinowjew, Wollin und Lenin. Es geht um das Schicksal der Russischen Revolution.

Die kommunistische Partei hat alle Macht in ihren Händen konzentriert. Lenin propagiert die Diktatur des Proletariats und verteidigt die zentralistisch organisierte KP als Übergangsperiode zum Kommunismus. "Ich hatte von der sozialen Revolution mehr als eine bloße Ablösung der zaristischen Autokratie durch eine autoritäre Parteidiktatur erwartet". Höhepunkt seiner halbjährigen Rußlandreise wird der Besuch bei Peter Kropotkin.

Ein halbes Jahr später, im März 1921, sollte dann mit der Niederschlagung des Kronstädter Aufstandes eine Terrorwelle einsetzen, welche viele Sozialrevolutionäre, Syndikalisten und Anarchisten dazu zwingt, das "Mutterland der Weltrevolution" zu verlassen. Von ihnen erhält Augustin die neuesten Informationen über die Verfolgung von Revolutionären in Rußland, die er in der Wochenzeitung "Der Syndikalist" veröffentlicht.

Noch im selben Jahr geht Augustin für kurze Zeit nach Paris, arbeitet als Berichterstatter für ausländische Zeitungen und hält Vorträge auf Versammlungen der französischen Gewerkschaft. Zurück in Berlin übernimmt er die Redaktion des "Syndikalist". Neben dieser Wochenzeitung gibt die FAUD eine ganze Reihe von Büchern und Broschüren heraus, u.a. von Bakunin, Kropotkin und Rudolf Rocker, dem geistigen Kopf der deutschen Bewegung. Er verfaßte u.a. auch die "Prinzipienerklärung der FAUD". Insgesamt sieben Jahre bis 1929 bleibt Augustin in Berlin, arbeitet für die FAUD, beteiligt sich an der "Nie-Wieder-Krieg-Bewegung", schreibt eine kleine Broschüre zum Fall Sacco und Vanzetti und wird Mitbegründer der internationalen Arbeiter Assoziation (IAA).

Als Vertreter dieser syndikalistischen Internationale geht er 1929 nach Argentinien, um an einem Kongreß der lateinamerikanischen Anarchosyndikalisten in Buenos Aires teilzunehmen. Seinen mehrmonatigen Aufenthalt verbindet er mit Vortragsreisen auch nach Uruguay.

Nach Deutschland zurückgekehrt, bildet sich bald aus einer losen Diskussionsrunde Gleichgesinnter, an der Augustin seit einigen Jahren regelmäßig teilnahm, eine Art Kampfgemeinschaft gegen den aufkommenden Faschismus und Nationalsozialismus. Lange jedoch sollten ihre politischen Aktivitäten nicht mehr dauern können. Einen Tag nach dem Reichstagsbrand wird Erich Mühsam in seiner Wohnung verhaftet. Kurze Zeit später überfallen drei junge Männer Augustin vor seinem Hause in Wilmersdorf. Es gelingt ihm jedoch, sich zu befreien. Höchste Zeit zu verschwinden. "Als ich im Zug saß, der mich nach Paris brachte, klebten an den Berliner Litfaßsäulen Bilder von gesuchten Antinazis, darunter auch meines ... über Deutschland war ein blutiger Vorhang gefallen. Meine zweite Emigration sollte länger dauern als die erste."

In Paris, wo er in engem Kontakt zu vielen libertären Gesinnungsfreunden stand, fühlt er sich menschlich, kulturell und geistig zu Hause, war er doch (und darüber war von ihm selbst nichts Näheres zu erfahren) mit einer Pariserin verheiratet.

Sein "wöchentliches Beefsteak" verdient er sich als freier Journalist; er arbeitet in der Hauptsache für die ausländische Presse und vor allem für schwedische Zeitungen, in deren Auftrag auch eine Streitschrift gegen den Nationalsozialismus: "Die braune Pest" entsteht.

Anfang Juli 1936 wird Augustin von der syndikalistischen Lokalföderation zu einem Massenmeeting gegen den Krieg nach Barcelona eingeladen. Das ist der Beginn eines dreijährigen Aufenthaltes in Spanien. Gerüchte von einem bevorstehenden Militärputsch durch den General Franco sickern durch; der Angriff wird für die Nacht vom 18. auf den 19. Juli erwartet; statt einer Friedenskundgebung bereiten die Arbeiterorganisationen den Widerstand gegen den Putsch vor. Als Augustin auch in eine Kampfgruppe aufgenommen werden will, aber gestehen muß, noch nie eine Waffe in der Hand gehabt zu haben, winkt ein Genosse ab: "Laß das nur sein, dein Wort ist auch eine Waffe, wirst bald andere Aufgaben haben." 

Der Putsch der Faschistengenerale wird erfolgreich niedergeschlagen. Am Abend des dritten Kampftages gibt Augustin den Sieg der revolutionären Arbeiter über Radio Barcelona bekannt. Vom Sekretär des Regionalkomitees der CNT wird er zum Auslandssprecher ernannt und bezieht ein Büro im Gewerkschaftshaus der Syndikalisten in der Via Laetana.

Franco war jedoch nicht geschlagen. Aufgrund seines größeren Militärpotentials gelingt es ihm, eine geschlossene Front von Nord- nach Südspanien herzustellen. Dieser militärischen Übermacht, verstärkt durch die Waffenhilfe aus Deutschland und Italien, kann die republikanische Seite kaum etwas entgegensetzen. Ende August 1936 reist Augustin deshalb im Auftrag der CNT nach Paris, um mit Léon Blum, dem damaligen sozialistischen Ministerpräsidenten, über Waffen für die Republik zu verhandeln. Léon Blum winkt ab. In Übereinstimmung mit dem britischen Ministerpräsidenten Neville Chamberlain plädiert er für Nicht-Einmischung, aus Angst vor einer kriegerischen Entwicklung mit Nazideutschland und Italien. 

Mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges hatte im republikanischen Teil Spaniens eine fundamentale soziale Umwälzung stattgefunden. In weniger als zwei Wochen war die Privatwirtschaft von der Kollektivwirtschaft abgelöst worden. Die Gewerkschaften hatten die Organisation und Distribution der Produktion übernommen. Die Kollektivierung fand auch auf dem Lande statt. "Es war eine Agrarreform eigener Art, so etwas hatte es vorher noch nirgends gegeben; ohne Gesetze, ohne Befehl von oben, ohne Zwang und ohne Theoretiker, ganz und gar der Initiative der Landbevölkerung selbst entsprungen. Das war die Sozialrevolution, von der ich seit meiner Jugend geträumt hatte."

Rund einhundert dieser "Colectividades" in Katalonien, Aragonien und der Levante hat Augustin bis zum Ende des Jahres 1936 besucht. Seine Erfahrungen hat er in mehreren Publikationen u.a. in seinem Buch "Nacht über Spanien" veröffentlicht.

Nach Barcelona zurückgekehrt, erlebt Augustin im Mai 1937 jene blutigen Auseinandersetzungen, provoziert von den moskautreuen Kommunisten, welche mit dem Sturm auf das Telefongebäude versuchen, die politische Macht in ihre Hände zu bekommen. An den Barrikaden in der Stadt stehen diesmal die Kampftruppen der FAI und der POUM und auf der anderen Seite die nationalkatalanische "Esquerra" und Gruppen der kommunistischen PSUC. 

Im Hauptquartier der Anarchosyndikalisten, in dem auch Augustin sich aufhält, wird pausenlos gearbeitet. Während die "Amigos de Durruti" sowie die "Juventudes Libertarias" bereit waren zum Angriff auf die Provokateure, raten die Vorstandsmitglieder in der CNT davon ab, unter ihnen auch Augustin. "In Barcelona und auch im übrigen Katalonien hätten wir siegen können. Doch was dann?" Am vierten Tag der Auseinandersetzungen werden die Barrikaden geräumt.

Wenige Tage darauf reist Augustin für drei Wochen als Beauftragter der CNT ins Ausland, um die sozialistischen Parteien und Gewerkschaften in England, Skandinavien, Polen und der Tschechoslowakei über die Lage in Spanien zu informieren.

Die Maiereignisse hatten sowohl auf katalanischer wie auch auf gesamtrepublikanischer Ebene eine Regierungskrise ausgelöst. Largo Caballero, Ministerpräsident der bisherigen Regierung tritt zurück. Eine Beteiligung an der neuen Regierung unter Negrin, der Stalin und den spanischen Kommunisten näher stand als seinen eigenen Parteigenossen, lehnen die Anarchosyndikalisten zum einen prinzipiell, sowie auf dem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit der bisherigen Regierungsbeteiligung ab. Aber in dieser Frage vertritt Augustin einen anderen Standpunkt: "Nichtbeteiligung an der Regierung bedeutete in dieser Situation Verzicht auf Kontrolle und auf Mitbestimmung im Kampf gegen die Francoputschisten."

Francos Offensive war kaum noch aufzuhalten. Die ersten Luftangriffe erlebt Augustin im Sommer 1938. Öl- und Benzindepots gehen in Flammen auf, Fabriken und Wohnviertel werden nicht verschont.  Am Morgen des 25. Januar 1939 stehen Francos Truppen vor der Stadt. "Jetzt gab es nur eine Parole: Rette sich, wer kann." 

Auf einem der vielen mit Flüchtlingen überfüllten Lastwagen, die Richtung Norden aus der Stadt ziehen, gelingt Augustin die Flucht vor den faschistischen Truppen. Auf der Fahrt zur französischen Grenze werden sie immer wieder von feindlichen Fliegern verfolgt. Bei seinem Bemühen, ein Kind vor dem Herabfallen zu schützen, fällt er selbst vom Wagen und bricht sich den Arm. Ein Arzt war in dieser Situation in Gerona nicht zu bekommen. Es gelingt ihm jedoch, einen Wagen aufzutreiben, der ihn zur französischen Grenze bringt. Wenige Stunden später wird die Grenze gesperrt, wer dann noch kam, wurde in einem Auffanglager interniert. Augustin kann sich nach Paris durchschlagen, wo er bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs bleibt und auch seine Tätigkeit als Korrespondent für verschiedene schwedische und amerikanische Zeitungen wieder aufnimmt.

Sechs Monate später, als Frankreich alle auf seinem Territorium lebenden gebürtigen Deutschen interniert, trifft es auch ihn. Zunächst in ein Lager ins Landesinnere verschickt, später wieder freigelassen, weil mit einer Französin verheiratet, dann wieder interniert, weil die Bestimmung wieder aufgehoben wurde, landet er schließlich in einem Lager an der bretonischen Küste.

Inzwischen hatte die deutsche Wehrmacht Paris eingenommen und begann, um einer Invasion vom Meer her vorzubeugen, auch die französische Küste zu besetzen. Die Wehrmachttruppen waren schon in Sichtweite des Lagers, als es Augustin gelingt, den Lagerkommandanten zu überreden, ihm und anderen politischen oder jüdischen Lagerinsassen die Möglichkeit zur Flucht zu geben. In Frankreich kann er nun nicht mehr bleiben. Über Paris schlägt er sich nach Marseille durch; die Hafenstadt am Mittelmeer war die letzte Hoffnung vieler Emigranten aus den europäischen Diktaturländern.

Mexiko hatte sich damals bereit erklärt, die nach Frankreich geflüchteten spanischen Republikaner, und Augustin war ja während des Bürgerkriegs Spanier geworden, aufzunehmen. "Mexiko bedeutete Ende der Unsicherheit, der Verfolgungen und Gefahren. Ich ergriff die sich bietende Gelegenheit."

Nach Deutschland, Schweden, Dänemark, Frankreich und Spanien wird nun Mexiko seine neue Heimat, die er in zwei Jahrzehnten schätzen und lieben lernte.

In diesem Land, dem Zentrum der spanischen Bürgerkriegsemigranten, fand Augustin eine Gewerkschaftsbewegung vor, die den anarchosyndikalistischen Ideen sehr nahe stand. Während der Regierungszeit des vorherigen Präsidenten Cardenas waren Hunderte von Betrieben, Fabriken, Gruben und Dienstleistungsunternehmen von den Arbeitern übernommen und als Genossenschaften weitergeführt worden. Augustin, der sofort nach seiner Ankunft Kontakt mit den dortigen Gewerkschaften aufnimmt, ist hier kein Unbekannter mehr. Schon bald kann er seiner Arbeit wieder nachgehen, bereist als Vortragsredner das gesamte Land und hilft den Gewerkschaften in der Bildungsarbeit. In Loma Bonita, im Hause eines alten Freundes, gleichfalls Spanienkämpfer, findet er für mehr als zehn Jahre ein neues Zuhause.

Eingeladen vom "Movimento Libertario Cubano" reist Augustin im Februar 1948 nach Havanna, nimmt dort am Kongreß dieser freiheitlichen Bewegung teil, nutzt die Gelegenheit zu Studien- und Vortragsreisen ins Landesinnere und kehrt nach vier Monaten nach Mexiko zurück. Es war der Beginn einer Vielzahl von Reisen, die der "Student der Revolution", wie er oft genannt wurde, in den folgenden 20 Jahren unternehmen sollte: nach Deutschland und Schweden, in die Vereinigten Staaten, in sämtliche Länder Lateinamerikas, von Mexiko bis Chile, als Beauftragter des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften nach Madagaskar, nach Jugoslawien, Israel, Italien. "Das direkte Studium wirtschaftlicher Neuerungen in Revolutionsländern und ihre praktische Funktionsfähigkeit hatte ich sozusagen zu meinem Spezialgebiet gemacht."

Seine Vorträge behandeln Wirtschafts- und Sozialpolitik, Arbeitsrecht und Sozialgesetzgebung, Agrarreformen, methoden der Arbeiterbildung, u.v.a.m. Er lebt mit dem Nötigsten. Selten kann er die Flugreisen selbst finanzieren. Die Vorträge für die Gewerkschaften läßt er sich meistens nicht bezahlen und das Honorar für Vorträge an Universitäten sowie für die verschiedenen Berichte in ausländischen Zeitungen reicht gerade für die Unterkunft und Essen.

Im Mai 1951 veranstaltet die Exilorganisation der spanischen Anarchosyndikalisten in Toulouse nochmals einen internationalen Kongreß der IAA. Auch Augustin, als Delegierter der Föderation Freiheitlicher Sozialisten Deutschalnds" (einer Nachfolge Organisation der FAUD) nimmt daran teil. Die Zusammenkunft sollte einer Bestandsaufnahme der Bewegung und der Koordination internationaler Aktionen dienen. Es sollte ihre letzte werden. (Inzwischen wieder neubelebt).

Aus den Berichten der Delegierten geht hervor, daß die syndikalistische Bewegung enorm an Einfluß verloren hat. Zur Frage, wie sich die Syndikalisten die Verwirklichung einer gerechten und freien Wirtschafts- und Sozialordnung vorstellen, meint Augustin, "daß das Ziel nicht durch eine einmalige Revolution erreicht werden könne (...) das Ziel des antiautoritären Sozialismus ... kann weder durch Gewalt noch durch autoritäre Programmierung erreicht werden."

1922 hatte er mitgeholfen, die Internationale Arbeiter Assoziation aus der Taufe zu heben, 1951 assistiert er bei ihrer letzten Zusammenkunft: "Wie der Mensch, so altern auch seine Schöpfungen. Doch das ist kein Grund zum Pessimismus. Junge Generationen treten auf und führen unter neuen Bedingungen und in veränderten Formen den Freiheitskampf weiter."

Neue Ansätze findet Augustin einige Monate später auf seiner Reise nach Israel. Es werden seine ersten Erfahrungen mit den Kibbuzim, jenen Gemeinschaftssiedlungen, welche er später neben den Colectividades als die bedeutendsten freiheitlichen Sozialexperimente dieses Jahrhunderts bezeichnete; der Eigeninitiative der Beteiligten entsprungen, basierten beide auf den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit und der persönlichen Freiheit. Beweis für ihn, daß freie Gemeinschaften praktisch möglich sind, daß der freiheitliche Sozialismus keine unrealisierbare Utopie darstellt. Sein Buch über die Kibbuzim erscheint wenige Jahre später 1954 in Mexiko: "El Nuevo Israel".

Nach den mehrjährigen Wanderungen durch Mittel- und Südamerika ("auf Lateinamerika spezialisiert, zog ich es vor, Kenner auf einem Gebiet zu sein, anstatt Dilletant auf allen"), erreicht ihn im Sommer 1963 im mexikanischen Cuernavaca ein Schreiben seines französischen Freundes Guigui, welcher zu der Zeit das Bildungsdepartment im Internationalen Arbeitsamt (ILO) leitete. In diesem Schreiben teilte er Augustin mit, daß es im internationalen Bildungswesen an geeigneten Lehrkräften magele und schlägt ihm vor, bei der Arbeiterbildung in den sogenannten Entwicklungsländern mitzuhelfen. Nach kurzer Bedenkzeit, er war doch bisher immer nur sein eigener Herr gewesen, nimmt Augustin mit 71 Jahren zum ersten Mal eine feste Anstellung beim Internationalen Arbeitsamt an. Als Bildungsexperte bereist er in den drei folgenden Jahren Jamaica, Honduras, Venezuela, Chile, Uruquay und Äthiopien. Mit 74 Jahren kehrt er nach Deutschland zurück. - "Als ich die Schwelle zum biblischen Lebensalter überschritten hatte, mußte ich daran denken, mich seßhaft zu machen." 

In München in der Leonrodstraße bezieht er eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung im fünften Stock eines 50er-Jahre-Mietshauses. "Mit ruhigem Blut hätte ich mich in Cuernavaca, dem Ort mit dem angenehmsten Klima, niederlassen können. Doch ließ das mein Temperament nicht zu." 

Zunächst will er seine in zwei Jahrzehnten gemachten Erfahrungen und Kenntnisse aus Lateinamerika niederschreiben. Neben seiner journalistischen Arbeit. Neben der Arbeit an seinem Buch "Lateinamerika - zwischen Generälen, Campesinos und Revolutionären" nimmt er recht bald auch seine Reisetätigkeit wieder auf, und fährt zu Vorträgen nach Österreich und Schweden, später auch nach Kanada und in die Vereinigten Staaten.

Als sich in Portugal abzeichnet, daß sich die Revolution der roten Nelken vom April 1974 mehr und mehr auch zu einer sozialen Revolution weiterentwickelt, war klar, daß Augustin "als alter Revolutionsforscher" diese Entwicklung näher kennenlernen mußte. Im November 1975 reist er deshalb in den westlichen Teil der iberischen Halbinsel und besucht verschiedene Landgüter und Industriebetriebe, um die Veränderungen der Eigentumsstruktur und ihre Auswirkungen auf die soziale Lage der Bevölkerung kennen zu lernen.

Seine Augen werden müde. Bevor seine langsame Erblindung ihn daran hindern kann, seine Memoiren zu schreiben, legt er sie in seinem 1977 veröffentlichten Buch "Vorsicht Anarchist! - ein Leben für die Freiheit" vor. Trotz seiner immer schlimmer werdenden Sehschwäche bleibt er aktiv, empfängt täglich junge Leute in seiner Wohnung, hält Vorträge an Universitäten und diktiert Briefe, Aufsätze und Rezensionen.

Seine letzte große Reise ist die mit uns an die Stätten der spanischen Revolution. Kleine Dörfer in Aragon und Katalonien, die beiden Städte Madrid und Barcelona. In der zweiten Hälfte des Jahres 1983 bearbeitet Augustin mit fast manischem Arbeitswillen sein schon früher geschriebenes Manuskript über seinen Freund Erich Mühsam.

Am ersten Tag des orwellschen Jahres 1984 stirbt er in einem Münchner Krankenhaus an einer Lungenentzündung.

Aus: Medienwerkstatt Freiburg (Hg.): Die lange Hoffnung. Erinnerungen an ein anderes Spanien. Trotzdem-Verlag 1985 (1. Auflage). Digitalisiert von www.anarchismus.at mit freundlicher Genehmigung des Trotzdem-Verlags.


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