Johann Most - Affe, Mensch, "Engel"

Wenn ein fanatischer Gegenwarts-Pfaffe, dem der moderne Mammonismus zur goldenen Haushenne geworden ist, welche ihm täglich silberne Eier legt; oder wenn selbst ein armer Tropf, der aber als zweibeiniger Hofhund seitens seines Herren einigermaßen gut gefüttert wird, und der deshalb an der Erbkrankheit des Proletariats, der Zufriedenheit, krankt, nicht im Stande ist, gegen die Prinzipien, wie wir sie propagieren, an und für sich etwas heraus zu stecken, so kommt er zu dem pfiffigen Ausruf - : ja, wenn die Menschen Engel wären, dann könnte es freilich mit Anarchie und Kommunismus gehen - so aber niemals!

Die Phrase klingt ziemlich dumm, so gescheit sie sein soll, man kann sie jedoch gleichwohl aufgreifen. Weshalb soll es denn ausgeschlossen sein, daß sich der Mensch in einen sogenannten "Engel" - unserthalben in einen "Gott" verwandelt? Was versteht man denn unter solchen Wesen? Doch nichts weiter - wenn man absieht von den überschwenglichen Himmelsfadheiten, mit denen sie von ihren Beschreibern bedichtet werden - als Personifikationen von Edelsinn, Rechtlichkeit, Pflichtgefühl, Brüder- und Schwesterlichkeit etc.. Weshalb sollten die Menschen nicht zu solcher Höhe sich empor arbeiten können?

Mit einer bloßen üblichen Verneinung dieser Frage ist gar nichts gesagt, vielmehr müßte erst das Gegenteil unwiderlegbar bewiesen werden, ehe sich ein objektiver Denker und logischer Philosoph, wie wir uns zu sein schmeicheln, entschließen könnte, sich von der Richtigkeit desselben zu überzeugen. Bis jetzt sind wir aber noch nicht einmal auf den Versuch einer solchen Beweisführung gestoßen.

Die Schlechtigkeit der Menschen, wie sie bis jetzt, besonders augenblicklich, zu Tage tritt, wird nicht als ein historisches und wirtschaftliches Produkt aufgefaßt, sondern förmlich als ein natürliches und darum unabänderliches Beiwerk des Menschentums. Damit ist aber gar nichts bewiesen, sondern nur eine Behauptung aufgestellt, die völlig in der Luft hängt.

Der Mensch kann nichts anderes sein, als was die Sphäre zuläßt, in der er existiert. Ändert sich aber die letztere, so wird er auch ein dementsprechend anderes, schlechteres oder besseres, Wesen; er kann sich gewissermaßen vom Menschen zum Gott oder auch zum Teufel entwickeln, wie das ein aufmerksamer Beobachter täglich wahrnehmen kann.

Solange die Menschen nur eine Art Herdendasein mit gemeinsamen Trieben, Bedürfnissen etc. führten, fühlten sie sich, wie viel oder wie wenig immer der einzelne zur Herbeischaffung von Genußmitteln beigetragen haben mochte, als Kommunisten. Alle lebten in einem gewissen Maße glücklich und zufrieden. Das war vielleicht Jahrtausende lang der Fall, denn wir haben keine Urkunden, welche uns darüber belehrten, wie lange diese Epoche des Menschen-Daseins währte. Mindestens bedarf es keiner Kühnheit, die Ansicht auszusprechen, daß sicherlich die Periode der Urfreiheit und - wenn man so will - "wilden" Gleichheit ungleich länger gedauert haben muß, als die bisherige Periode der privateigentümlichen "Kultur".

Aber auch dieser "wilde" Kommunist mit seiner langen, allerdings ungeschriebenen, Geschichte war ja nur ein Sprößling einer viel rückständigeren Gestalt - gewissermaßen eines Affen. Wer weiß - die Uraffen hatten vielleicht auch eine Art Sprache. Da mag es ja auch vorgekommen sein, daß der eine oder der andere von Fortschritt oder Idealismus träumte und daß gewisse Mitaffen, die sich für besonders gescheit hielten, ihre Glossen darüber machten und etwa sagten - : ja, wenn wir Affen Menschen werden könnten usw..

Da haben wir die gleiche Geschichte in grün oder rot. Die Affen sind zum Teil Menschen geworden. Das war jedenfalls mindestens eine Metamorphose, die als ebenso großartig und weitgehend angesehen werden muß, wie die bevorstehende und, wie angedeutet, für unmöglich gehaltene Umwandlung der Menschen in "Engel".

Dazu bedarf es keinen Wolkenkuckucksheims, keines christlichen, jüdischen oder türkischen Himmels, sondern nur einer entsprechenden sozialen Basis.

Stellt den Menschen auf diese und er wird sich verengein! Benehmet ihm die Möglichkeit, Schätze aufzuspeichern, von denen er nicht sagen kann, daß er sie zur Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse benötige, und ihr werdet sehen, daß er seinen wüsten Kleptomanismus sich aus dem Schädel schlägt. Gestattet ihm, das er alles genieße, wonach sein Herz ein Begehren hegt, und Ihr werdet bemerken, daß in seiner Brust kein Raum mehr ist für Neid, Mißgunst, Eifersucht, Habgier usw.. Lasset den Menschen ungehindert empor steigen an den Sprossen von Kunst und Wissenschaft und es wird keine moralischen Protzen mehr geben, die auf die gezwungenermaßen in Unwissenheit und Ungeschicklichkeit Schmachtenden wie aufgeblasene Götzen verächtlich herniederblicken, während die so miserabel Behandelten obendrein noch vor lauter Respektsbezeugung gegenüber ihren Verächtern nicht wissen, wo aus und wo ein. - Nein! Alle werden sich gegenseitig als Wesen respektieren, die durchschnittlich auf gleicher geistiger Höhe stehen.

Beseitigt die Rangordnungen des Staatszwingers, nach denen die einen sich anmaßen können, alle übrigen polizeilich, militärisch, bureaukratisch und juristisch wie willenlose Menagerietiere zu schurigeln, und welche es mit sich bringen, daß die also Bezwingerten unter den Affen heruntersinken und in ihrem Charakter auf oder unter den Hund kommen; laßt alle die wahre Freiheit ohne alles Über und Unter kosten, und ihr werdet Eure blauen oder roten Wunder erleben.

Eine Rose, welche auf sandigem Boden dahinwelkt, versetzt auf einen Grund, der ihr in jeder Hinsicht dienlich ist, wird alsbald in ihrer ganzen natürlichen Pracht sich entfalten. So auch der Mensch.

Ein Mensch ist überhaupt nur ein Mittelding zwischen Affe und Engel. Er nimmt sich in seiner jetzigen Zwischenphase sehr miserabel, um nicht zu sagen kanailleus, aus; er ist ein ganz trauriger Zwitter - halb Bestie, halb Gott -, aber er bleibt nicht immer so, schon deshalb nicht, weil er sich im Großen und Ganzen in eine Situation gebracht hat, welche von keiner Dauer sein kann, da sie die Tendenz der Selbstzersetzung durch und durch in sich birgt und betätigt.

Die Verhältnisse zwingen den Menschen schließlich, das saudumme System, unter welchem er bis jetzt zu leben versuchte - was in 99 von 100 Fällen ein verunglückter Versuch war, indem es die Betreffenden nur bis zum bloßen Vegetieren brachten - aufzugeben und nach einem naturgemäßen Umschau zu halten. Und wir wissen bereits ganz genau, weshalb wir hier nicht erst noch den Beweis zu führen brauchen, daß dieses neue Verhältnis nur kommunistisch-anarchistischer Natur sein kann. In diesem Verhältnis - und in diesem einzig und allein - wird der Mensch tatsächlich zum "Engel", gleichwie sich die Erde in ein Paradies verwandeln wird.

Statt daß man es also erst abzuwarten hat, bis der Mensch zum Engel geworden, um hernach die kommunistische Anarchie etablieren zu können, tritt die umgekehrte Reihenfolge ein -: der Mensch muß erst in eine anarchistisch-kommunistische Situation versetzt, muß erst frei sein, ehe er ein anderer (sozusagen ein "Engel") werden kann.

Es hat wahrscheinlich sehr lange gedauert, bis der Mensch den Affen losgeworden ist; jetzt ist er lange genug Mensch gewesen, um endlich den alten "Adam" abzulegen und zu einem "höheren Wesen" sich zu entwickeln, d.h. eine normal arbeitende Vernunft, einen durchweg edlen Charakter und ein natürliches Gebaren an den Tag zu legen. Ist er so weit - und wir haben ja schon gesagt, wieso er so weit kommen kann und muß -, so schickt es sich für ihn auch nicht mehr länger, sich als Mensch aufzufassen. Die Geschichte, welche ihm anhaftet, ist eine derartige, daß er Grund genug hat, sich derselben zu schämen. Die Epoche der Menscherei erinnert nur an Teufelei. Laßt uns also "Engel" werden und zwar rasch, sonst gehen wir noch samt und sonders an Skropheln, Typhus, Schwindsucht, Cholera, und Syphilis zu Grunde.

Aus: Johann Most – Marxereien, Eseleien und der sanfte Heinrich. Verlag Büchse der Pandora, 1985. Zuerst erschienen in Mosts Zeitung „Freiheit“ am 25.3.1893. Digitalisiert von www.anarchismus.at


Creative Commons - Infos zu den hier veröffentlichten Texten / Diese Seite ausdrucken: Drucken



Email