Johann Most - Exit Bismarck

"Die Weltgeschichte ist das Weltgericht." Wenn je ein Mensch an der Wahrheit dieses Sprichwortes zweifeln ließ, so war das bis jetzt Bismarck.

Mehr als ein Vierteljahrhundert hat dieser staatsmännische Abenteurer, zahlloser Feinde ungeachtet, die Weltgeschichte, wenn nicht geradezu gemacht, so doch ganz nach seinem verbrecherischen Willen beeinflußt, und dennoch schien es, als ob der Schurke ruhig im Bette sterben werde, nachdem er zuvor noch die Fortsetzung seines teuflischen Werkes seinem eigens zu diesem Zwecke gedrillten Sohn übertragen, und daß er von dem wohlverdienten Verdammungs-Verdikt des Weltgerichtes, das gerade die Art und Weise, wie er die Weltgeschichte fixte, über ihn heraufbeschwören mußte, nicht getroffen werden sollte.

Da auf einmal verkündete der Telegraph, daß dieser Mensch, der sich längst als unentbehrliche Allmacht aufgefaßt, von einem ganz gewöhnlichen Soldatenbengel mit mittelmäßigem Unteroffiziers-Verstand, den der Zufall der Geburt auf dem deutschen Kaiserthrone abgelagert, wie ein viele Jahre in Diensten gewesener Hausknecht, mit einem "guten Zeugnis" und allerlei Gnadengeschenken ausgemerzt worden ist.

Wenn das einem gewöhnlichen Streber, einem Durchschnitts-Abenteurer oder einem sonstigen Prima-Staatsknecht von herkömmlicher Qualität passiert, so gehört das zu den Alltäglichkeiten und man nimmt von einem solchen "Ereignis" kaum soviel Notiz, wie von dem allenfallsigen Ausbruch der Klauenseuche oder einer Pocken-Epidemie. Aber Bismarck, Mephisto-Bismarck, von einem ganz gewöhnlichen dummen Teufel dermaßen kalt gestellt - das ist schon kein Weltgericht mehr, das ist eine Tragödie, welche im letzten Akt zum "geschundenen Raubritter" ausartet.

Bismarck war eigentlich nie so recht auf Rosen gebettet; seine Pläne wurden vielfach durchkreuzt, ehe er sie durchzuführen vermochte; der greisenhafte Kindskopf, dessen Unterschriften er für seine Mordbrenner- und Großräuber-Schemen brauchte, war erst dem Einfluß junger Huren und hernach dem alter Betschwestern ausgesetzt; zahlreiche Rivalen und Neider arbeiteten ohne Unterlaß an seinem Sturze; aber er brachte es dennoch immer und immer wieder fertig, seine Feinde zu vernichten und den alten Unterschrifts-Hampelfritze mürbe zu machen, wie einen sonstigen Strohmann. Er schickte Grafen in's Gefängnis oder trieb sie in's Exil; er demütigte eine Kaiserin und warf Minister und Gesandte, die ihm im Wege standen, außer Amtes. Schließlich taten ihm sogar noch die geschütztesten, mächtigsten und ausdauerndsten Feinde, wie der Hödelfritze und die Reichsgustel, den Gefallen, abzukratzen. Und alle Welt glaubte, daß der neueste Hohenzollern-Lümmel ganz und voll in der Gewalt Bismarcks sei, daß der letztere nunmehr so absolut regiere, wie nie zuvor, und daß der Etablierung der Bismarck'schen Kanzler-Dynastie nicht das Geringste mehr im Wege stehe. Bismarck hatte den Gipfel seiner Macht erklommen; da erfolgte der Fußtritt eines größenwahnsinnigen, skrophulösen Zwerges, und hinunter ging es in den Abgrund. -

***

Wenn ein sogenannter berühmter oder berüchtigter Mensch stirbt, so schreibt man ihm Nekrologe nach, und wenn solch' eine positive oder negative Größe lebendigen Leibes mit Tod abgeht, werden solche Bilanzen erst recht gezogen. Wo alles redet, sind wir gewiß die letzten, welche als taubstumm gelten wollen. Was wir in diesem Falle zu sagen haben, wird freilich mit der Meinung anderer wenig Verwandtes zeigen; wir aber wissen, daß jenes Geraschel, das entsteht, wenn die Blätter der "öffentlichen Meinung" sich vom Wind des Augenblicks durcheinander wirbeln lassen, nicht immer zum Ausdruck bringt, was wirklich ist; und wenn wir daher nicht einstimmen in die Paukenschläge und Trompetenstöße, vermittelst welchen die Heuchler und Eunuchen die Heimgeigung des scheidenden Reptilienvaters angenehmer zu gestalten suchen, so wissen wir doch, daß unsere Worte wahr sind und daher dem nahe kommen, was der Historiker der Zukunft sagen wird, wenn er das Kapitel Bismarck resümiert.

Bismarck wird von allen Erfolg-Anbetern als ein Mensch gepriesen, der Großes durchgeführt und dem mancher Fortschritt zu verdanken sei. Tatsächlich aber war in diesem Menschen, so entschieden wie nur irgend denkbar ist, das Prinzip des Krebsganges, der Reaktion personifiziert. Er erschien in einem Momente auf dem Schauplatz der Geschichte, wo die bürgerliche Klasse Deutschlands gerade im Begriffe stand, jene Schritte fortzusetzen, welche sie im Jahre 1848 unternommen hatte und deren Resultate seitdem ein gemeines Königtum und eine freche Junkerbande wieder aufgehoben hatten. Bismarck packte den "gemäßigten Fortschritt" bei der Gurgel, spielte mit den konstitutionellen Rechten wie mit Billardkugeln, behandelte die Volksvertreter wie dumme Jungen, rüstete die Hohenzollern-Sippschaft dermaßen aus, daß dieselbe mit kecker Eisenfaust den ganzen Liberalismus zu Boden schlagen konnte, und beschwor über Europa eine Aera des Massenraubmordes herauf, wie sie längst als fernerhin undenkbar angesehen wurde.

Mehr wie irgend einem anderen Menschen ist es ihm zu verdanken, daß ein Militarismus, wie ihn nie zuvor die Welt gesehen, ganz Europa schändet, im Frieden die Völker finanziell zugrunde richtet und im Kriege gleichzeitig dezimiert und der schauerlichsten Barbarei in die Arme treibt.

Ihm ist es zuzuschreiben, daß solchermaßen ein eiserner Riesenwall wider die Revolution und mithin gegen jeden kulturellen Fortschritt aufgerichtet, ein System entwickelt wurde, dessen Konsequenzen darin gipfeln, daß der kräftigste und gesündeste Teil des Proletariats in allen Ländern von ganz Europa in den besten Jahren aus dem bürgerlichen Leben herausgegriffen und in eine Prätorianerhorde verwandelt wird, deren Hauptzweck Vater-, Bruder- und Schwestern-Mord bedeutet, sobald die Masse der Bevölkerung sich rührt, um das Rad des Fortschritts nach vorwärts umzudrehen und den Freiheits-Idealen der besten Menschen aller Länder und aller Zeiten näher zu rücken.

Die Völker Europas waren gerade dabei, die Narben zu verschmerzen, welche die Kriege des alten Bonaparte allenthalben hinterlassen hatten, sie schickten sich an, kosmopolitisch zu denken und zu fühlen, den Patriotismus als Beschränktheit aufzufassen und den Krieg als solchen zu den Dingen der Vergangenheit zu rechnen. Bismarck brach drei Kriege binnen 16 Jahren vom Zaun und säte damit zu gleicher Zeit in solchem Maße Wind, daß jetzt schon seit langem neue und allgemeine Stürme erwartet und befürchtet werden.

Und solch' ein Scheusal soll damit Genialität bekundet haben? Jeder Rowdy konnte an seiner Stelle in gleicher Art verfahren. Der Kerl hatte einfach "Glück" im Raufen, das obendrein andere für ihn besorgen mußten, auf daß er Ruhm und Ehren ernte, wie man bei der üblichen Begriffsverwirrung die Anerkennung vollbrachter Massenmorde und monströser Räubereien zu nennen für angemessen findet.

Hätte der Schuft Mißerfolge eingeheimst, d.h. hätten sich nicht Michel genug gefunden, die für ihn - terrorisiert durch die Kriegsartikel und versimpelt durch die "Vaterlands"-Fanfaren - die Knochen sich im Leibe zerschlagen oder ganz und gar in Würmerfraß verwandeln ließen, so hätte er eben geendet, wie ein anderer Hasardspieler auch - als Selbstmörder oder unter dem Fluch der riesenhaftesten Blamage.

Was also an Bismarck als Genialität bewundert wird - seine Blut-und Eisen-Politik - ist nichts als Unverfrorenheit, ein rücksichtsloses Spiel mit Gut und Blut, mit Völkerglück und Menschenleben.

War Bismarck mithin nach außen hin nur ein mit Erfolg operierender Preisfechter en gros, so war er in Bezug auf die innere Politik ein kompletter Esel. Er wollte sich alle Parteien dienstbar machen und verfeindete sich nacheinander mit jeder. Da er vermöge des von ihm, wie gesagt, zu grauenhaftester Monstrosität entwickelten Militarismus trotz alledem mit eiserner Hand alle zu regieren vermochte, so war er zwar gefürchtet, aber von keiner Seite aus geliebt, wohl aber vielseitig verachtet und gehaßt.

Sein Feldzug gegen die Sozialisten war ein Fehlschlag erster Klasse; sein Kampf gegen das Pfaffentum endete mit einem moralischen Kniefall im Schloßhof von Canossa.

Dabei entpuppte sich der Kerl auch noch obendrein als schmutziger Charakter in jeder Hinsicht. Er mißbrauchte den Reptilienfonds nicht nur dazu, um seiner ruchlosen und blödsinnigen Politik Applaus zu sichern, sondern auch behufs Mystifikation der Börse, deren minder schlaue Besucher er solchermaßen jobberhaft zu rupfen wußte. Er bekundete einen filzigen Geiz und eine Habgier, der jede Mäßigung durch Noblesse irgendwelcher Art gänzlich mangelte. Er zeigte Opponenten gegenüber eine Kleinlichkeit, wie sie wohl selten ein Mensch, der als Staatsmann gelten wollte, an den Tag gelegt. Er ging dabei so weit, selbst Näherinnen, die ihn in privaten Kreisen tadelten, zu verfolgen und hinter Schloß und Riegel setzen zu lassen.

Es gibt keinen einzigen Charakterzug, der geeignet wäre, einen Lichtstrich in diesem Grau-in-Grau-Gemälde abzugeben.

Den Menschen einer späteren, edleren und glücklicheren Epoche wird es niemals verständlich werden, wie ein sonst zur Aufklärung sehr hinneigendes, ein für Freiheit schwärmendes und anderen Völkern gegenüber tolerantes Volk sich von einem solch rohen, den höheren Erscheinungen des menschlichen Wissens gegenüber völlig ignoranten, misanthropischen Subjekt so lange Jahre hindurch mit Füßen treten lassen konnte. Und das einzige Moment der Versöhnung bei solchen Betrachtungen wird das Bewußtsein bilden, daß dieses Ungeheuer durch eine Bestie von dannen gefeuert wurde, die noch dümmer, noch infamer, noch roher war, kurzum, daß der stümperhafte Schüler den infamen Lehrer durch einen Tritt vor den Hintern aus den Schwindelwolken des politischen Olympes in den Orkus der Geschichte hinunter schleuderte.

***

Mannigfach sind die Kannegießereien, die augenblicklich innerhalb und außerhalb der Press-Bordells bezüglich der Dinge verübt werden, die nun in Deutschland zu Tage treten dürften, könnten, möchten, usw.. Wer aber Augen zu sehen und Ohren zu hören hat, dem sollte es wahrlich keine Schwierigkeiten bereiten, auszufinden, welch' eine traurige und - von unserem Standpunkt aus betrachtet - doch gar ungeheuer lustige Posse nun in Szene gehen wird.

Ruppsack, der kleine Cäsaren-Crank, möchte gerne in der Weltgeschichte auf eigene Faust eine große Rolle spielen, wozu er nach den bisher abgelegten Pröbchen ungefähr ebensoviel Geschick hat, wie ein Nilpferd zum Ziselieren.

In alles will dieser Damian seine Nase stecken; von nichts, was über die Gamaschenknöpferei hinausgeht, versteht er auch nur das Geringste; eine gründliche Verbrennung der Finger etc. versteht sich von selbst.

Andere Regierungs-Trottel, welche ab und zu das Bedürfnis fühlten, sich in irgendeiner Beziehung "auszuzeichnen", hatten wenigstens soviel Bauernverstand, um sich das Nötigste von anderen Leuten, General- und Spezial-Dummheit nicht gar zu auffallend aus allen Knopflöchern glotzte, besorgen oder unterrichten zu lassen. Nicht so unser Schmetter-Wilhelm. Er gibt sich im Gegenteil alle erdenkliche Mühe, sich mit den reinsten Nullen zu umgeben, welche ihm "Jarnischt" zu sagen haben (weil sie eben selber nichts wissen). Bald wird also eine gewisse Heiterkeit in die Weltgeschichte kommen.

Zunächst ist es schon interessant, diesen Papst der Protestanten Arm in Arm mit den Vatikanesen auftreten zu sehen. Die letzteren werden ihm das Weihwasser schon vollends beitrichtern. Sie werden nicht anstehen, ihm im Reichstage eine stockkonservative Mamelucken-Majorität zu gewähren; im Übrigen aber wird es heißen: "Es sei der Kaiser absolut, so lang er unsern Willen tut."

Man wird auf eine interessante Experimentalpolitik gefaßt sein dürfen. Dieselbe wird alsbald das ironische Lächeln, das heute schon angesichts der immer drolliger sich gestaltenden Faxen der Cäsaren-Karikatur auf aller Lippen schwebt, zu schallendem Hohngelächter steigern.

Lächerlichkeit ist aber eine sehr halsbrechende Sache! -

Wir haben es immer gehofft und stets gesagt, daß die moderne Gesellschaft an ihren inneren Widersprüchen zugrundegehen, in sich zusammenbrechen werde; aber daß die obersten Schutzpatrone derselben noch zu unseren Lebzeiten alles aufbieten würden, diesem Trauerspiele einen so heiteren Abschluß zu verleihen, das hatten wir uns in unserer Verbitterung trotzalledem nicht träumen lassen.

Wahrhaftig, jetzt begreifen es auch wir: das Leben ist doch schön!

Aus: Johann Most – Marxereien, Eseleien und der sanfte Heinrich. Verlag Büchse der Pandora, 1985. Zuerst erschienen in Mosts Zeitung „Freiheit“ am 29.3.1890. Digitalisiert von www.anarchismus.at


Creative Commons - Infos zu den hier veröffentlichten Texten / Diese Seite ausdrucken: Drucken



Email