Was ist Faschismus? Teil 7: Resumee und Ausblick

Verschiedenartigkeit nationaler Faschismus-Varianten

In den zurückliegenden Artikeln setzten wir uns im Bemühen, den Kern faschistischer Denk- und Handlungsmuster zu erfassen, mit extrem rechten Bewegungen diverser Staaten, Kulturkreise und geschichtlicher Perioden auseinander. Hierbei zeigte sich, dass es „den“ Faschismus weder gab noch gibt. Selbst die als die beiden „klassisch-faschistischen“ Herrschaftssysteme schlechthin geltenden Diktaturen Italiens und Deutschlands wiesen gravierende weltanschauliche und strukturelle Unterschiede auf. So wurde z.B. der Antisemitismus seitens des Mussolini-Regimes als eine Geisteshaltung von nachrangiger Bedeutung erachtet, wohingegen die Spitze des „Dritten Reiches“ die Auslöschung des „internationalen Judentums“ zu einer Art heiligen Mission erkor. Ein Hauptgrund für die Verschiedenartigkeit der Ausprägungen sogar in zeitlicher und räumlicher Nähe zueinander entstandener Faschismen liegt sicherlich im Ultranationalismus als einem der typischsten Elemente faschistischen Gedankenguts. Trotz der Bandbreite nationaler Faschismus-Varianten lässt sich aber eine ganze Reihe die Einstufung eines politischen Phänomens als faschistisch erleichternder Charakteristika festmachen.

Mit Vernichtungsbereitschaft gepaarte Feindbestimmung. Zentrale Wesensmerkmale faschistisch geprägter Weltbilder und Bewegungen

Ideologische Ebene

Faschistische Programme und Grundlagentexte bestechen in der Regel nicht durch übermäßige Originalität, sondern stellen Sammelsurien aus verschiedensten Quellen zusammengetragener Ideen dar. Im Rahmen dieser ideologischen Mixturen genießen Mythen, kollektive Ängste und Ressentiments sowie voluntaristische, d. h. den menschlichen Willen als Triebfeder historischer Prozesse betrachtende Denkansätze eindeutig Priorität gegenüber wissenschaftlich fundierten Analysen. Hieraus resultiert ein Hang zu Irrationalität und inneren Widersprüchen, wie etwa jenem der NS-Ideologie, sowohl Finanzkapitalismus als auch Kommunismus auf eine jüdische Weltverschwörung zurückzuführen. Solche Paradoxien werden aber von der jeweiligen Anhängerschaft, die das von ihren Leitfiguren propagierte Gedankengut in den Rang einer Art politischen Religion erhebt, nicht hinterfragt. Ohnehin legen faschistische Gruppierungen gewöhnlich eine gewisse Theoriemüdigkeit an den Tag und schaffen lieber Tatsachen als programmatische Grundlagen. Der italienische Faschist Luigi Freddi (1895-1977) brachte diese Neigung 1920 auf die Formel: „Der Faustschlag ist die Synthese der Theorie.“ Entsprechend positiv bewerten faschistische IdeologInnen Gewalt, Krieg und maskuline Dominanz. Strikt abgelehnt wird von ihnen hingegen jegliche Form der Individualität. Stattdessen fordern sie die bedingungslose Unterordnung des / der Einzelnen zugunsten eines sozial befriedeten, autoritären Staats- und Gemeinschaftswesens. Das beschworene Kollektiv ist häufig dem Prinzip ethnischer Homogenität verpflichtet und soll stets der Mehrung nationaler Größe dienen. In außenpolitischer Hinsicht geht der Nationalismus faschistischer Bewegungen oftmals einher mit aggressiven, auf territoriale Zugewinne abzielenden Konzepten.

Zu den weltanschaulichen Kernelementen faschistischer Gruppierungen zählen strikte Antihaltungen. Kaum eine entsprechende Organisation pflegt nicht einen entschiedenen Antikommunismus und Antiliberalismus, zum festen ideologischen Arsenal vieler Faschismen zählen u.a. auch Antisemitismus, Antiziganismus und Homophobie. Auf die eigene Anhängerschaft üben diese Antihaltungen eine identitätsstiftende und mobilisierende Wirkung aus, während im Zuge ihrer Propagierung ganzen Bevölkerungskreisen das Recht auf Teilhabe an der angestrebten Gemeinschaft abgesprochen wird. Faschistisches Denken bewegt sich also in den Bahnen rigider Freund-Feind-Kategorien. Wer auf Grund politischer Einstellungen, religiöser Konfession, ethnischer Herkunft, sexueller Orientierung oder sonstiger Charakteristika als dem Feind-Lager zugehörig eingestuft wird, muss mit Terror und Verfolgung rechnen. Auch wenn die NS-Variante des Faschismus in dieser Hinsicht eine besondere Radikalität an den Tag legt(e), ist die hohe Bereitschaft, für die Durchsetzung weltanschaulicher Ziele die physische Auslöschung dieser im Weg stehender Personen und Gruppen in Kauf zu nehmen, ein generelles Merkmal faschistischer Zusammenschlüsse.

Organisatorisch-strukturelle Merkmale

„Klassisch-faschistische“ Strategien der Machterlangung bzw. -festigung verfolgende Bewegungen der extremen Rechten bauen auf Massenmobilisierung, wobei Parteiapparate und paramilitärische Verbände zu den gängigsten Organisationsformen zählen. Entscheidungen werden auf allen Ebenen im Rahmen eines rigiden Systems autoritärer Führung getroffen. Faschistische Bewegungen streben ein Höchstmaß an gesamtgesellschaftlicher Kontrolle an. Mit den diesbezüglichen Bemühungen nicht im Einklang stehende Gruppierungen und Organisationen geraten unweigerlich in ihr Fadenkreuz und werden zerschlagen bzw. durch weltanschaulich konforme Einrichtungen ersetzt, sobald es die Machtverhältnisse zulassen. Zu den ersten Leidtragenden gehören in solchen Fällen gewöhnlich Gewerkschaften und sonstige in der Tradition der Arbeiterbewegung stehende Kräfte. Soziale Kämpfe sollen durch die Schaffung staatlich überwachter, klassenübergreifender Institutionen und national ausgerichteter Wirtschaftsstrukturen unterbunden werden. Abgesehen von sich bereichernden Eliten der jeweiligen faschistischen Bewegung sowie wegen Nichterfüllung bestimmter ideologischer Vorgaben angefeindeter und ausgegrenzter Teile der Bevölkerung bleiben die herrschenden Eigentumsverhältnisse hierbei in der Regel weitgehend unangetastet.

Das ästhetische Moment

Der faschistische Politikansatz zeichnet sich durch einen äußerst hohen Grad an Ästhetisierung und Emotionalisierung aus. Streng durchchoreografierte Kundgebungen und Aufmärsche sollen unter Verwendung suggestiver, aufeinander abgestimmter Gestaltungselemente optischer und akustischer Natur die eigenen Reihen stärken, das neutrale Publikum in ihren Bann ziehen und die Gegnerschaft einschüchtern. Feste Bestandteile entsprechender Inszenierungen sind u. a. Fahnen, Fackeln, Uniformen, Auftritte von Massenformationen, Sprechchöre und synchron ausgeführte Gesten. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich innerhalb faschistischer Kreise zudem mythische Bezüge aufweisende Riten, z.B. in Form eines hingebungsvoll zelebrierten Ahnen- und Totenkultes.

Erkenntnisfördernde faschismustheoretische Ansätze

Im Zuge unserer Betrachtungen haben wir uns den historischen, sozialen und politischen Entstehungsbedingungen einer größeren Anzahl faschistischer Bewegungen angenähert. Hierbei stellten wir fest, dass sich die Aufstiege der erfolgreichsten unter ihnen nicht zuletzt auf nationalspezifische Faktoren zurückführen lassen. Das Erstarken des „Nationalsozialismus“ in Deutschland etwa dürfte u. a. durch das Fehlen im kollektiven Gedächtnis verankerter republikanischer und demokratischer Traditionslinien, eine tief verwurzelte Staats- und Autoritätshörigkeit, die durch den Versailler Vertrag allgemein ausgelöste Verbitterung sowie das Festhalten der gesellschaftlichen Eliten an den imperialistischen Zielen des untergangenen Kaiserreiches maßgeblich begünstigt worden sein. Nichtsdestotrotz scheinen Hochphasen faschistischer Mobilisierung grenzübergreifend gewissen Mustern zu folgen. So fallen sie z.B. häufig mit wirtschaftlichen Krisensituationen zusammen, die offenkundig einen recht fruchtbaren Nährboden für entsprechende Propaganda- und Rekrutierungsbemühungen bilden. Für diese besonders empfänglich zeigen sich in der Regel von sozialen Abstiegssorgen geplagte Angehörige des Mittelstands, wobei die ultranationalistische Stimmungsmache durchaus auch Mitglieder der Unter- und Oberschicht anspricht. Ungeachtet einer oftmals zu beobachtenden revolutionären Selbststilisierung gelangten bislang faschistische Bewegungen eher nicht durch eine die Eigentumsverteilung einschließende Umwälzung der herrschenden Verhältnisse, sondern im Einvernehmen mit traditionellen gesellschaftlichen Eliten an die Schalthebel der staatlichen Macht.

Die über Jahrzehnte hinweg marxistische Analysen prägende Position, „der“ Faschismus stelle eine zur Abwehr ansonsten unkontrollierbarer sozialrevolutionärer Strömungen geschaffene Marionette monopolkapitalistischer Kreise dar, greift dennoch zu kurz. Größeren Erkenntnisgewinn verspricht ein durch August Thalheimer (1884-1948), den Mitbegründer der KPD-Abspaltung Kommunistische Partei-Opposition (KPO), zwischen 1929 und 1933 ausgearbeiteter Ansatz.

In Anlehnung an eine von Karl Marx (1818-1883) entwickelte Deutung jenes Staatsstreiches, in dessen Verlauf sich 1852 Charles Louis Napoléon Bonaparte (1808-1873) zum französischen Kaiser aufschwang, interpretierte Thalheimer die Entstehung eines faschistischen Herrschaftssystems in Italien als „das Resultat eines eigenartigen Gleichgewichtes der Klassenkräfte“. So habe die Bourgeoisie sich nicht länger in der Lage gesehen, ihre Macht aus eigener Kraft aufrechtzuerhalten, während das Proletariat noch nicht stark genug gewesen sei, den Klassenkampf für sich zu entscheiden. In dieser Pattsituation trat das Besitzbürgertum laut Thalheimer die Kontrolle über das politische Geschehen an die von „Deklassierten aller Klassen“ getragene faschistische Bewegung ab, um nicht die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und somit ihre sozialen Privilegien einzubüßen. Hieraus habe sich eine Terror und Willkür mit sich bringende Eigendynamik in Form einer „Verselbständigung der Exekutive“ ergeben. Für das Deutsche Reich prognostizierte Thalheimer bereits Jahre vor der Machtübergabe konservativer Kreise an die NSDAP eine ähnliche Entwicklung, womit er tendenziell durchaus Recht behalten sollte. Allerdings vermag seine Deutung den Zulauf faschistischer Organisationen im Europa der Zwischenkriegszeit allein ebenso wenig erschöpfend zu erklären wie irgendeine andere auf ökonomische Belange fokussierte Faschismustheorie.

Zu ergänzen gilt es u.a. die (sozial)psychologische Perspektive. Wichtige Pionierarbeit leisteten in dieser Hinsicht u.a. Wilhelm Reich (1897-1957), Erich Fromm (1900-1980) sowie Theodor W. Adorno (1903-1969) und Max Horkheimer (1895-1973). Ein wesentlicher Beitrag Reichs bestand darin, in seinem 1933 veröffentlichten Werk „Die Massenpsychologie des Faschismus“ den Blick auf die Rollen bürgerlich-patriarchalischer Familien und kirchlicher Institutionen als sexuelle Bedürfnisse hemmende, der „freiwilligen“ Selbstaufgabe entsprechend sozialisierter Individuen zugunsten rigider Herrschaftsstrukturen dienende „Ideologiefabriken“ zu lenken. Insbesondere Angehörige der Mittelschicht wiesen angesichts dieser systematischen psychischen Deformierung eine erhöhte Empfänglichkeit für faschistische Bewegungen auf, die unterdrückte Triebe ansprächen und das Prinzip unreflektierter Unterordnung auf die Spitze trieben. Die Auswirkungen kapitalistischer Logik, Krisen und Machtkonzentration auf zwischenmenschliche Beziehungen und Persönlichkeitsprofile prototypischer KleinbürgerInnen beleuchtend, legte Fromm in seinen aus den Jahren 1936 bzw. 1941 stammenden Arbeiten „Studien über Autorität und Familie“ und „Die Furcht vor der Freiheit“ die Grundzüge eines für faschistische Denk- und Handlungsmuster anfälligen „autoritären Charakters“ dar. Adorno und Horkheimer erhoben nach ihrer Emigration in die USA gemeinsam mit kalifornischen ExpertInnen die Thematik der „autoritären Persönlichkeit“ zum Gegenstand eines fundierten sozialwissenschaftlichen Forschungsprojektes, dessen Ergebnisse 1950 der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Die Studie belegte nicht nur einen recht hohen Verbreitungsgrad von Vorurteilen der Varianten Antisemitismus, Ethnozentrismus und politisch-ökonomischer Konservativismus, sondern auch deren Einhergehen mit einer erhöhten Disposition für antidemokratisch-faschistische Einstellungen. Ob letztere lediglich latent vorhanden bleiben oder zum offenen Ausbruch gelangen, hängt gemäß Adorno und Horkheimer gerade im Fall des Antisemitismus zumeist von den jeweiligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab.

Das Aufkommen faschistischer Bewegungen aus libertärer Sicht

Wie eingangs erwähnt, bildete eine Diskussion innerhalb der Föderation deutschsprachiger AnarchistInnen den Anlass für den Start unserer faschismusgeschichtlichen Spurensuche. Daher soll diese nicht ohne Würdigung der Anstrengungen zu Ende gehen, die zwischen den Weltkriegen in libertären Zusammenhängen des Deutschen Reiches unternommen wurden, um die zunehmende faschistische Mobilisierung analytisch zu durchdringen und wirksam zu bekämpfen. Die entsprechende Auseinandersetzung begann unmittelbar nach der Etablierung der faschistischen Diktatur in Italien, wobei sie durch den Erfolg der NSDAP bei den Mitte September 1930 abgehaltenen Reichstagswahlen eine deutliche Belebung erfuhr. Da die Angehörigen anarchistischer Organisationen anders als jene der KPD in der Faschismusfrage nicht auf einen von Führungsgremien verordneten Kurs verpflichtet wurden, zeichnete sich die libertäre Beschäftigung mit der Thematik durch eine auch widersprüchliche Positionen einschließende Meinungsvielfalt aus. Nichtsdestotrotz lassen sich einige charakteristische Grundzüge ausmachen. In etlichen Beiträgen wurde beispielsweise, übrigens wiederholt unter Rückgriff auf marxistische Termini, der enge Zusammenhang zwischen dem Profitstreben kapitalistischer Konzerne und dem Anschwellen faschistischer Bewegungen betont. Fritz Linow (1900-1965) etwa, der sich als Arbeitsrechtsexperte der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) profiliert hatte, meldete sich im Juli 1930 mit der Einschätzung zu Wort, dass NS-Programmatik und -Propaganda auf die politische Neutralisierung des Proletariats abzielten, um dieses „später in den Rahmen der großkapitalistischen Interessen des Nationalsozialismus einzureihen“.

Weitaus intensiver als im Rahmen marxistischer Stellungnahmen wurde in libertären Analysen den geistig-kulturellen Wurzeln der wachsenden faschistischen Bedrohung nachgegangen. Für die 1931 von mehreren Ortsvereinen der Provinzialarbeiterbörse-Rheinland (PAB) gebildete „Arbeits- und Kampfgemeinschaft für revolutionären Anarcho-Syndikalismus“ z.B. waren die unkritische Anerkennung der „Autorität, der Kadavergehorsam, das zentralistische Prinzip (...) Vorbedingungen der allgemeinen Faschisierung, auch wenn sie den Arbeiterorganisationen entstammen.“ Der „Nationalsozialismus“ wurde von libertärer Seite als spezielle, einer historischen Sonderentwicklung Deutschlands entsprungene Faschismus-Variante betrachtet. So profitiere die Nazi-Bewegung von einem autoritätsfixierten Bürgertum, das sich in beträchtlicher Anzahl rassenideologischen und imperialistischen Vorstellungen zugewandt habe, anstatt eine nachhaltige demokratische und emanzipatorische Tradition zu begründen. Hellsichtige anarchistische AntifaschistInnen prognostizierten dementsprechend bereits früh eine Machtübergabe an die NSDAP. Augustin Souchy (1892-1984) etwa konstatierte in seinem Ende Oktober 1930 veröffentlichten Artikel „Der Faschismus im Anmarsch“, der deutsche Faschismus habe „einen offenen Putsch nicht mehr nötig“, denn das „Bürgertum macht vor den anstürmenden Wogen des Nationalismus Kotau.“ Im Hinblick auf die Folgen der Etablierung eines braunen Herrschaftssystems für die gesamte Linke des Deutschen Reiches gab sich Souchy keinerlei Illusionen hin. Seiner Voraussage nach „würden die Nazis vor keinem Mittel brutalster Gewaltanwendung zurückschrecken, um die sozialistische Propaganda, in der sie ihren Feind und ihre Konkurrenz erblicken, zu unterdrücken.“ Ähnlich äußerte sich der anarcho-syndikalistische Chemiker und Publizist Gerhard Wartenberg (1904-1942), der im Herbst 1932 in seiner Broschüre „Von Hildburghausen ins Dritte Reich“ eindringlich vor der Errichtung einer „rücksichtslosen Diktatur gegen alle freiheitlichen und sozialistischen Bestrebungen“ warnte.

Umso stärker zeigten sich anarchistische Zusammenschlüsse zu Beginn der 1930er Jahre darum bemüht, wirksame Kampagnen zur Abwehr der extrem rechten Bedrohung zu initiieren. Die Formen des antifaschistischen Engagements waren vielfältig. In Oberschlesien und Berlin sowie im Rheinland z.B. formierten sich junge Libertäre aus dem Umfeld der Syndikalistischen Anarchistischen Jugend Deutschlands (SAJD) zu Propagandaarbeit mit militanten Aktionen verbindenden Gruppen, den so genannten Schwarzen Scharen. Letztere riefen innerhalb des anarchistischen Lagers allerdings auf Grund uniformer Kleidung und teilweiser Bewaffnung ein geteiltes Echo hervor. Weniger umstritten war die Erklärung des Generalstreiks zum ultimativen Mittel im Kampf gegen eine faschistische Machtübernahme. Die personelle Entwicklung der FAUD, deren Mitgliederbestand zwischen Ende 1921 und März 1932 von bis zu 150.000 auf nur noch 4.307 gesunken war, ließ aber die einseitige Proklamation eines solchen als sinnlos erscheinen. Lediglich eine Reihe kleinerer Organisationen wie der Bund revolutionärer Industrieverbände Deutschlands erklärte sich zu einer Notallianz bereit, was in die Bildung örtlicher „Kampfgemeinschaften gegen Reaktion und Faschismus“ mündete. Die beiden proletarischen Massenparteien hingegen schieden als Bündnispartnerinnen aus. So hielt die SPD-Spitze selbst nach der verfassungswidrigen Absetzung der preußischen Landesregierung im Sommer 1932 an ihrem strikten Legalitätskurs fest. Nicht minder sträflich missachtete die KPD-Führung die Zeichen der Zeit, indem sie nicht nur ihre Anhängerschaft per Rundschreiben ermahnte, sich vor jeglicher Kooperation mit „Trotzkisten und Anarchisten“ zu hüten, sondern darüber hinaus unter Berufung auf Stalin, der 1924 Faschismus und Sozialdemokratie als „Zwillingsbrüder“ bezeichnet hatte, der SPD hartnäckig einen „sozialfaschistischen“ Kurs vorwarf. Angesichts ihrer gesellschaftlichen Isolierung, wachsenden staatlichen Drucks und der zunehmenden faschistischen Mobilisierung wurden zu Ostern 1932 auf dem in Erfurt abgehaltenen 19. Kongress der FAUD konspirative Maßnahmen für den Fall einer Machtübernahme durch die NSDAP beschlossen.

Die entsprechenden Planungen sowie die föderative Ausrichtung der anarchosyndikalistischen Organisation erleichterten nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler den Übergang in die Illegalität. So entgingen die meisten FAUD-Ortsgruppen ihrem Verbot durch vorherige Selbstauflösung und unter Rettung materieller Ressourcen für zukünftige Untergrundaktivitäten. Ausgerechnet in Berlin verlief die Schaffung tragfähiger illegaler Strukturen allerdings schleppend, wodurch der Gestapo im März 1933 die Bestände des libertären ASY-Verlags und das Archiv der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA), der 1922 gegründeten Syndikalistischen Internationale, in die Hände fielen. Im Rheinland hingegen z.B. gelangen in den ersten Jahren der NS-Diktatur der Aufbau und die Aufrechterhaltung einer Fluchthilfeorganisation sowie die Verbreitung von Schriften anarchistischen und antifaschistischen Inhalts. Auf Dauer vermochten sich die im Zuge des nun staatliche Autorität beanspruchenden braunen Terrors personell immer weiter ausdünnenden anarchosyndikalistischen Zirkel aber in keiner Region des „Dritten Reiches“ zu behaupten. Im Rahmen einer Verhaftungswelle wurden in West- und Mitteldeutschland allein von 1937 bis 1938 um die 200 Libertäre verhaftet und abgeurteilt. Viele von ihnen ließ der NS-Staat nach Verbüßung ihrer Strafe in Konzentrationslager verschleppen oder zum Dienst in Strafbataillonen zwingen. Andere Mitglieder der anarchosyndikalistischen Untergrundbewegung wie der Düsseldorfer Schmied Anton Rosinke (1882-1937) wurden ohne vorherigen Gerichtsprozess ermordet. Das „nationalsozialistische“ Spitzel- und Terrorsystem erfüllte seinen Zweck: Bei Kriegsausbruch war die Mehrzahl der libertären Widerstandsgruppen zerschlagen.

Faschismus als aktuelle politische Herausforderung und Zukunftsbedrohung

Neonazismus

Die eindeutigste Erscheinungsform einer fortgesetzten faschistischen Gefahr stellen im deutschsprachigen Raum neonazistische Aktivitäten dar. Trotz lokaler Hochburgen insbesondere in bestimmten Gebieten Ostdeutschlands steht zwar eine Machtübernahme sich offen zum „Nationalsozialismus“ bekennender Organisationen wie etwa der NPD und mit dieser kooperierender „Freier Kameradschaften“ auf absehbare Zeit kaum zu befürchten, ist doch ein zumindest grobes Wissen um den terroristischen Charakter des „Dritten Reiches“ relativ weit verbreitet. Dennoch sollte jeder Versuch neofaschistischer Mobilisierung und Organisierung öffentlich gemacht und offensiv bekämpft werden. Nur durch gezielte und vielfältige antifaschistische Intervention lässt sich die Entstehung bzw. Verfestigung extrem rechter Strukturen verhindern, die in der jeweiligen Region für jeden das braune Idyll einer „nationalen Volksgemeinschaft“ störenden Menschen mit einem Zustand permanenter Bedrohung verbunden sind.

Rechtspopulismus

Bessere Aussichten auf Wahlerfolge als neofaschistische Kräfte dürften kurzfristig rechtspopulistische Parteien besitzen. Einen deutlichen Hinweis hierauf lieferten die enorm hohen Verkaufszahlen (zirka 1,3 Millionen bis April 2011) des vom damaligen Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank Thilo Sarrazin (geboren 1945) 2010 veröffentlichten, mit „eugenischen“ und tendenziell rassistischen Thesen gespickten Buches „Deutschland schafft sich ab“. In eine ähnliche Richtung weisen die ebenfalls 2010 der Öffentlichkeit vorgestellten Ergebnisse einer Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung. So befürworten laut der Studie 58,4 Prozent der Bevölkerung eine Beschränkung der muslimischen Religionsausübung, über 30 Prozent wähnen sich „in einem gefährlichen Maß überfremdet“ und jede(r) vierte(r) Deutsche(r) spricht sich für das politische Monopol einer „einzige(n) Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“, aus. Das bislang mit Ausnahme der kurzlebigen „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ („Schill-Partei“), die 2001 bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen auf 19,4 Prozent der abgegebenen Stimmen kam, vergleichsweise mäßige Abschneiden rechtspopulistischer Zusammenschlüsse bei landes- und bundesweiten Urnengängen in der BRD dürfte demzufolge weniger die Unempfänglichkeit der Stimmberechtigten gegenüber autoritären und fremdenfeindlichen Positionen widerspiegeln als vielmehr mit dem dort im entsprechenden Lager (noch) vorherrschenden Konkurrenzdenken und Dilettantismus zusammenhängen. Um dem politischen Durchbruch des Rechtspopulismus in der BRD über das innerhalb der bürgerlichen Parteien ohnehin übliche Maß hinaus entgegenzuwirken, sind beharrlich die extrem rechten Hintergründe und Verbindungen seiner Leitfiguren und StrippenzieherInnen bloßzulegen. Zudem gilt es größere Propagandainszenierungen zu unterbinden, wie im Fall der „Anti-Islamisierungskongresse“ des „pro“-Netzwerks auf Grundlage einer gelungenen Bündnis- und Blockadepolitik mehrfach geschehen.

Ökonomische Krisen als Katalysatoren staatlich instrumentalisierter Prozesse rassistischer Eskalation

Erhöhte Alarmbereitschaft ist für antifaschistische AktivistInnen während wirtschaftlicher Krisenphasen geboten, die in kapitalistischen, parlamentarisch-demokratischen Staaten regelmäßig ein fatales Wechselspiel zwischen politischen Eliten, ihnen nahestehenden Medien und rassistischen Schlägerbanden mit sich bringen. Exemplarisch sei in diesem Zusammenhang auf den Umgang mit MigrantInnen in Griechenland verwiesen. Gemäß der 2003 in Kraft getretenen Dublin II-Verordnung zeichnet diejenige Nation für die bürokratische Behandlung die EU erreichender Flüchtlinge verantwortlich, deren Boden von den Ankömmlingen zuerst betreten wurde. Für mittlerweile wohl mehr als 100.000 über den Mittelmeerstaat jährlich in die EU einreisende Menschen läuft diese Regelung mehrheitlich auf die mit häufig tödlichen Gefahren verbundene „Rückführung“ in ihr Herkunftsland oder ein perspektivloses, von Angst und Obdachlosigkeit geprägtes Dasein im griechischen Exil hinaus. In Anbetracht des dort ab 2010 akut drohenden Staatsbankrotts gerieten in Griechenland gestrandete MigrantInnen zu Opfern einer fremdenfeindlichen Kampagne. Eifrig wirkten Angehörige herrschender Kreise, denen jede Ablenkung von den sozialen und politischen Ursachen der ökonomischen Notlage willkommen schien, als mediale StichwortgeberInnen und InitatorInnen bürokratischer Repressionsmaßnahmen an ihr mit. Die „Drecksarbeit“ übernahmen nur allzu gerne Rollkommandos der für rassistische Übergriffe berüchtigten neofaschistischen Organisation „Chrysí Augí“ („Goldene Morgendämmerung“), die im Mai 2011 in Athen pogromartige Hetzjagden auf MigrantInnen veranstalteten und nebenbei, laut Augenzeugenberichten unter Duldung anwesender Polizeikräfte, von autonomen Gruppen besetzte Häuser attackierten. In den TV-Hauptnachrichten wurden die beunruhigenden Vorkommnisse zu Überreaktionen von „Ausländerkriminalität“ geplagter, „aufgebrachte(r) Bürger“ umgedeutet. Athens Bürgermeister Giorgos Kaminis (geboren 1954) schob die Verantwortung für die Gewalteskalation deren Opfern zu und warnte vor bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, sollte die illegale Einwanderung nicht eingedämmt werden. Bestätigt fühlen durfte sich durch solche Äußerungen die seit 2007 im griechischen Parlament vertretene rechtspopulistische Partei LAOS („Laikós Orthódoxos Synagermós“ = „Orthodoxe Volksbewegung“), die schon seit geraumer Zeit Massenabschiebungen und die Abschottung der Grenzen forderte.

Schleichende Faschisierung im Namen von Sicherheit, Freiheit und Demokratie?

Den meisten in der historischen Rückschau betrachteten faschistischen Herrschaftssystemen bereiteten Machtübergaben konservativer Kreise oder Putsche den Boden. Nicht ganz von der Hand zu weisen, wenn zumindest in westlichen Industrienationen nicht gar wahrscheinlicher sind Zukunftsszenarien einer schleichenden Faschisierung im Zuge eines massiven Ausbaus der Überwachungsbürokratie bei gleichzeitigem Abbau der Grundrechte unter dem Deckmantel des Schutzes von Freiheit und Demokratie. Anlass zu entsprechender Besorgnis geben nicht zuletzt die internationalen sicherheitspolitischen Entwicklungen nach den am 11. September 2001 in den USA verübten islamistischen Anschlägen. In den Vereinigten Staaten selbst wurden nach Recherchen der Washington Post im Anschluss 263 dem „Anti-Terror-Kampf“ bzw. dem „Heimatschutz“ dienende neue Behörden und Regierungsorganisationen aus der Taufe gehoben, deren Gesamtzahl somit auf 1.271 angewachsen sei. Der hierbei entstandene Kontrollapparat verfüge landesweit über rund 10.000 Filialen mit zirka 854.000 Beschäftigten. In der BRD nutzte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (geboren 1932) die sich seinem Ministerium durch die Terrorangriffe bietende Gelegenheit, bereits in der Schublade liegende, aber bis dahin nicht mehrheitsfähige Gesetzesentwürfe durchzupeitschen. So erfolgte z.B. vier Monate darauf die Verabschiedung des den Verfassungsschutz u. a. zum Abhören von Wohnungen ermächtigenden „Terrorismus-Bekämpfungsgesetzes“, einige Jahre später wurde eine „Anti-Terror-Datei“ eingeführt. Die Durchsetzung dieser und diverser weiterer Befugnisse zur inneren Ausspähung und Repression, deren Tragweite gerade Angehörige linksradikaler Zusammenhänge zu spüren bekommen sollten, korrespondierte mit einer zunehmenden Verschärfung des Systems EU-weiter Migrationskontrolle. Auf dem Feld der Flüchtlingspolitik entfaltete neben einer immer inhumaneren, rassistisch unterfütterten Abschiebepraxis insbesondere die Verlagerung der zur Abwehr unerwünschter MigrantInnen unternommenen Anstrengungen in jenseits der EU-Grenzen gelegene Gefilde eine verhängnisvolle Wirkung. Eine Schlüsselfunktion erfüllte hierbei Frontex, die 2005 gegründete „Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen“. Zu ihren Haupteinsatzgebieten zählt das Mittelmeer, über welches nach UN-Angaben 2008 mehr als 67.000 Flüchtlinge nach Europa zu gelangen versuchten. Mindestens 1.274 von ihnen starben allein vor den Küsten Italiens. Frontex bemüht sich nach Kräften, die Überlebensaussichten der Flüchtlinge zu minimieren. So werden Flüchtlingsboote im Zuge riskanter Seeoperationen bereits möglichst fernab der Hoheitsgewässer von EU-Staaten gestellt und „umgeleitet“, wie es beschönigend heißt. In mehreren nachgewiesenen Fällen schreckten Frontex-Besatzungen sogar nicht davor zurück, Treibstoff und Nahrungsmittel von Flüchtlingen auf hoher See zu beschlagnahmen, um sie zur Umkehr zu zwingen. Der Ausbau der „Festung Europa“ schreitet also in mehrfacher Hinsicht voran. Ob die entsprechenden innen- und migrationspolitischen Bemühungen irgendwann in die Ausbildung Kernkriterien faschistischer Herrschaft erfüllender Strukturen münden werden, hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab. Die Wirksamkeit des gegen sie gerichteten Widerstands antifaschistischer, antirassistischer und emanzipatorischer Zusammenschlüsse ist einer dieser Faktoren.

Quellen:

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  • Klan, Ulrich / Nelles, Dieter, >>Es lebt noch eine Flamme<<. Rheinische Anarcho-Syndikalisten/-innen in der Weimarer Republik und im Faschismus, Grafenau-Döffingen 1990.
  • Kühnl, Reinhard, Faschismustheorien. Ein Leitfaden, Heilbronn 1990 (aktualisierte Neuauflage).
  • Paxton, Robert O., Anatomie des Faschismus, München 2006.
  • Payne, Stanley, Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung, Wien 2006.
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  • Sperber, Grit, Faschistische Einflussnahme in der Krise. Die extreme Rechte in Griechenland im Aufwind. In: Lotta. Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, Heft 45 (Herbst 2011), S. 47f.
  • Theissen, R. / Walter, P. / Wilhelms J., Antiautoritäre Arbeiterbewegung im Faschismus, Band 1 (Anarcho-Syndikalistischer Widerstand an Rhein und Ruhr) und 2 (Zwölf Jahre hinter Stacheldraht und Gitter. Originaldokumente), Meppen 1980.
  • Winkler, Heinrich August, Geschichte des Westens. Die Zeit der Weltkriege 1914-1945, München 2011.
  • Wippermann, Wolfgang, Faschismustheorien, Darmstadt 19752.


Originaltext: Gai Dao Nr. 11, Zeitung der anarchistischen Föderation FdA- IFA (2011). Die Gai Dao ist im Downloadbereich oder auf der Homepage des Projekts jeweils als PDF downloadbar. Buch: Pfeiffer, Frank - Kurze Weltgeschichte des Faschismus


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