Nichtsyndikalistische Gewerkschaftskritik
Gewerkschaftskritik von Links - nicht nur AnarchosyndikalistInnen entwickelten eine Kritik an der zentralistischen Gewerkschaftsbewegung.
Unionismus und Operaismus
Neben der syndikalistischen Gewerkschaftskritik gab es zur selben Zeit eine verbreitete Kritik an den sich in den meisten Gewerkschaften herausbildenden Etablierungstendenzen, die zwar häufig mit der syndikalistischen gleichgesetzt wird, dennoch aber einige zum Teil deutliche Unterschiede aufweist und die besser unter dem Begriffe des Unionismus gefasst wird. Dieser Begriff geht ursprünglich auf Robert Owen zurück, der in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts die Errichtung einer großen, alle Berufe Großbritanniens umfassenden Gewerkschaft („one big union“) anstrebte, die letztlich zur Überwindung des Kapitalismus führen sollte. Auf diese Theorie Owens bezogen sich später die IWW in den USA, aber auch verschiedene rätekommunistische Strömungen, die vor allem in Deutschland einige Bedeutung erlangt haben.
Brot und Rosen – die IWW
Neben der syndikalistischen Kritik der bürokratisierten, reformistischen Gewerkschaften gab es Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA einen bedeutenden Versuch revolutionärer gewerkschaftlicher Organisierung: die Industrial Workers of the World (IWW). Sie lehnten – ebenso wie die Anarcho-Syndikalisten – politische Parteien und den Staat ab und sahen in der Institutionalisierung des Klassenkonfliktes durch Verhandlungen mit den Unternehmern eine zentrale Ursache für den Reformismus der klassischen Gewerkschaften. Allerdings hielten sie föderalistische Strukturen für ungeeignet, den Kampf gegen die hoch zentralisierte Unternehmermacht zu führen und bevorzugten stattdessen eine zentralistisch organisierte, schlagkräftige Struktur. In der damaligen Konzentrationswelle der Unternehmen, der Bildung von Monopolen, sahen sie eine generelle Tendenz, der man nur durch die Zentralisierung der Arbeitermacht begegnen könne. Um den damit verbundenen Gefahren für die eigene Organisation zu entgegenzuwirken, wurde jeglicher institutionalisierter Kontakt mit den Unternehmern vermieden. Sie setzten dagegen auf die Spontaneität der Massen. Durch direkte Aktionen sollte den Unternehmern der Wille der Arbeitenden aufgezwungen werden. D.h. Löhne wurden nicht in Verhandlungsrunden zwischen Gewerkschaftsführern und Vertretern der Unternehmensleitungen festgesetzt, sondern mittels direkter Aktion wurde – durchaus erfolgreich – versucht, die Erfüllung der eigenen Forderungen zu erreichen. Dabei stützten sie sich als Kampfmittel nicht nur auf klassische Streiks. Sie propagierten z.B. systematische Sabotage, Bummelstreiks usw.
Zudem verwarfen sie den Syndikalismus als eine Organisationsform der Facharbeiter, die eine Form von Arbeiterkontrolle über die Produktion anstrebten, die sich mitunter auch gegen ihre ungelernten Kollegen richtete. Die Wobblies, wie die Mitglieder der IWW auch genannt wurden, waren zur damaligen Zeit die Einzigen in den USA, die ungelernte ArbeiterInnen – und auch ungeachtet ihrer Rasse und Nationalität – organisierten. Dabei beließen sie es nicht bei der zur damalige Zeit aufkommenden Organisierung nach Industrie-Branchen, sondern wollten die „one big union“ schaffen, die alle ArbeiterInnen weltweit, ungeachtet ihres Berufes oder ihrer Branche – umfassen sollte.
Zudem wandten sich ihre Organisationsversuche nicht nur an die ArbeiterInnen in den Fabriken oder die WanderarbeiterInnen in der Landwirtschaft, sondern ebenso an Arbeitslose – um zu verhindern, dass sie zu StreikbrecherInnen würden. Gleichzeitig versuchten sie, Kämpfe in den Betrieben durch die Mobilisierung des Wohnumfeldes zu unterstützen. Das dürfte auch der Grund gewesen sein, dass manche heutige Autoren die IWW eher als „soziale Bewegung“, denn als Gewerkschaft einordnen.
Mit ihrer Losung „Brot und Rosen“ statt der damals üblichen „Brot und Butter“ symbolisierten sie ihren über die schrittweise Lohnerhöhung hinaus gehenden Forderungen. Aufgrund ihrer vorwiegenden Orientierung auf die ungelernten Massenarbeiter galt ihr Kampf nicht der „Befreiung der Arbeit“, sondern der Arbeit insgesamt. Tatsächlich betrieben sie eine konsequent antikapitalistische Politik, hatten aber keinen Gegenentwurf – Utopien waren für sie „Kuchen-im-Himmel“-Geschwätz.
Der deutsche Rätekommunismus
In Europa wurden solcherart unionistische Organisationsformen vor allem von der rätekommunistischen Gruppierung um Pannekoek und Gorter bzw. Otto Rühle vorangetrieben. Sie setzten, ebenso wie die IWW, auf zentralistische Strukturen. Bezahltes Führertum wurde zwar abgelehnt, nicht jedoch Führer an sich. Gleichwohl erkannten sie durchaus die damit verbundenen Gefahren, insbesondere die lähmende Wirkung auf die Eigeninitiative der Massen.
Die Rätekommunisten kritisierten die Gewerkschaften als Organisationsformen des Proletariats in der frühkapitalistischen Phase, als die ArbeiterInnen noch stark zersplittert waren und Lohnkämpfe noch zentrale Bedeutung hatten. Seit dem ersten Weltkrieg hätte jedoch die zunehmende Anzahl spontaner Massenbewegungen, wie z.B. wilde Streiks, gezeigt, dass sich Arbeiter und Gewerkschaften auseinanderentwickelten. In revolutionären Zeiten – die Rätekommunisten wähnten, wie zahlreiche Genossen anderer Strömungen damals auch, das Ende des Kapitalismus unmittelbar bevorstehend – werden Gewerkschaften zu Organen der Kapitalisten, die die revolutionären Kämpfe unter Kontrolle bekommen sollen.
An die Stelle der Berufsorganisationen der Gewerkschaften sollte eine Organisierung der ArbeiterInnen auf der ihnen quasi „natürlichen“ Ebene stattfinden: den Betrieben. Diese Betriebsorganisationen schlossen sich dann lokal in Ortsgruppen und in landesweiten Wirtschaftsgebieten zusammen. Ähnlich wie die syndikalistischen Gewerkschaften sahen die Unionisten in den Betriebsorganisationen die „Urzellen für die neue Gesellschaft“. Innerhalb der Organisation wurde versucht, möglichst direkt-demokratisch zu agieren, um zu verhindern, dass sich eine abgesonderte Führungskaste entwickelt. Die Organisationsstruktur war räteartig aufgebaut. Alle Delegierten waren jederzeit abrufbar, zudem strebte man an, möglichst viele Genossen an Führungsaufgaben zu beteiligen.
In der Beziehung zu den (kommunistischen) Parteien waren die RätekommunistInnen gespalten. Die einen (Rühle...) lehnten Parteien generell als bürgerliche Organisationsformen ab und plädierten für (politisch-ökonomische) Einheitsorganisationen, andere, wie Gorter, betonten die Bedeutung einer kommunistischen Kaderpartei, die – solange das Proletariat in seiner Mehrheit noch nicht revolutionär war – vor allem Planungs- und Schulungsaufgaben wahrnehmen sollte. Eine Beteiligung an Wahlen lehnten sie jedoch ebenso ab. In Deutschland gründeten sie die Kommunistische Arbeiterpartei (KAPD), die Anfang der 20er Jahre in manchen Regionen die strikt moskauorientierte KPD an Einfluss übertraf. Ziel ihres Kampfes war die Errichtung der Diktatur des Proletariats. Allerdings kritisierten sie die Zustände in Russland, die dortige Diktatur der Partei hielten sie für auf Westeuropa nicht übertragbar. Die Revolution habe gezeigt, dass sich die ArbeiterInnen in ihren Kämpfen nicht auf die bereits existierenden Organisationen stützten, sondern spontan eigene Organisationsformen entwickelten: die Räte. Teilweise wurde die Notwendigkeit von Organisationen generell in Frage gestellt, was bis zur Selbstauflösung eines Flügels der AAU unter Rühle führte.
Nachdem sich abzeichnete, dass die Revolution in Deutschland gescheitert war, erwies sich, dass für Tageskämpfe kaum Konzepte vorhanden waren. Teilweise wurde die Strategie der „revolutionären Gymnastik“ für nichtrevolutionäre Zeiten propagiert. Mittels sporadischer Betriebsbesetzungen oder Beschlagnahme von Lebensmittellagern sollte die revolutionäre Flamme genährt werden. Dieses Konzept wurde zwar von der Mehrheit verworfen, gleichzeitig jedoch vor den Gefahren des blossen Lohnkampfes gewarnt – drohte doch durch diesen die Verbürgerlichung der Organisation. Karl Schröder, einer der führenden Theoretiker, hielt Tageskämpfe um Verbesserungen von Arbeitsbedingungen und Lohnerhöhungen für durchaus legitim, jedoch sollte das Sache des Einzelnen sein – die Arbeiter-Union (der Zusammenschluss der Betriebsorganisationen) hatte sich ausschließlich direkt revolutionären Aufgaben zu widmen.
Diese Richtung wurde jedoch schon frühzeitig verworfen (und ihre führenden Vertreter ausgeschlossen). Die Praxis der Unionen war widersprüchlich, teilweise beteiligten sie sich auch in Betriebsratswahlen und führten Lohnverhandlungen. Ebenso wie die Syndikalisten wurden jedoch dauerhafte Unterstützungskassen abgelehnt.
Operaistische Gewerkschaftsablehnung
In Italien entwickelte sich Ende der 60er, Anfang der 70er mit dem Operaismus [1] eine Strömung innerhalb der Arbeiterbewegung, die letztlich alle traditionellen Formen von Organisation verwarf. Arbeiterkämpfe entstünden spontan und ließen sich – zumindest im revolutionären Sinne – nicht institutionalisieren. Bezugnehmend auf den italienischen Operaismus entstand in Deutschland Ende der 1970er Jahre eine JobberInnenbewegung, deren Traditionen heute vor allem von „Wildcat“ fortgeführt wird. Allerdings beziehen diese sich durchaus kritisch auf den Operaismus, insbesondere lehnen sie den „Neo-Operaismus“, welcher vor allem von Antonio Negri vertreten wird, ab.
Gewerkschaften als Ordnungsinstrument
Gewerkschaften sind Organisationen, deren Schwerpunkt in Verhandlungen mit den Unternehmern liegt. Verhandeln heißt aber zwangsläufig immer Kompromiss und damit Interessenausgleich mit dem Kapital. Das Kapitalverhältnis selbst werde von Gewerkschaften nicht in Frage gestellt. Gewerkschaftliche Organisationen sind historisch als Organe der Handwerker-Facharbeiter entstanden, die ihre Anerkennung als Verhandlungspartner erzwingen und dann faktisch den status quo, der ihnen eine privilegierte Stellung innerhalb der Arbeiterklasse einräumte, erhalten wollten. Die Facharbeiter schotteten ihre Organisationen zunächst auch gegen alle ungelernten Arbeiter ab. Letztere – im operaistischen Jargon als Massenarbeiter bezeichneten – Schichten der Arbeiterklasse entwickelten auf Grund der hochgradig arbeitsteiligen Arbeit auch nie einen – für Facharbeiter typischen – Produzentenstolz. Ihren Kampf führten sie daher auch gegen die Arbeit, wogegen die Facharbeiter auf die Erhaltung bzw. Wiedererlangung ihrer Macht über den Produktionsprozess („Arbeiterkontrolle“) aus waren. Die Massenarbeiter entwickelten dabei eine Militanz, die von den Gewerkschaften i.d.R. bekämpft wurde. Im Laufe des 20. Jahrhunderts erreichten die Gewerkschaften in den kap. Zentren zwar eine relative Absicherung der ArbeiterInnenexistenz. Damit organisierten sie aber auch das „Sich-Einrichten in der Ausbeutung“, wovon am meisten natürlich die Facharbeiter und „bessere“ Angestellte profitierten. Heute vertreten die Gewerkschaften zwar zumeist breitere Schichten der Arbeiterklasse, was aber oft an der Begünstigung der Gewerkschaften durch Staat und Unternehmer liege. Der Staat verleiht den Gewerkschaften quasi das „Monopol auf die Interessenvertretung“ der ArbeiterInnen, was diese aber auch zur Garantierung der Einhaltung der geschlossenen Verträge zwinge. Faktisch läuft das darauf hinaus, dass durch gewerkschaftliche Mobilisierung die Selbsttätigkeit der Klasse verhindert werde.
Gewerkschaftliche Organisierung sei also nicht grundsätzlich schädlich für die Kapitalisten. Wichtig sei diesen allein, dass das Arbeiterverhalten bzw. auch Arbeitskämpfe planbar sind und nicht grundsätzlich die Kontrolle der Produktion durch das Management in Frage gestellt wird. Insbesondere das System der Tarifverträge mit seinem bürokratischen Amtsweg vermeidet die Eskalation von Konflikten und begünstigt Kalkulierbarkeit der betrieblichen Entwicklung. Gewerkschaften sind also für die Stabilität des kap. Systems unverzichtbar. Sie tragen durch ihre Funktion als Druckmittel zur Rationalisierung zur Homogenisierung der kap. Entwicklung bei. Folgerichtig lehnen die Operaisten auch den Zusammenhang von Klassenbewusstsein und Organisation als „Mythos“ ab.
Arbeiterautonomie
Anstelle der gewerkschaftlichen Organisation setzen die Operaisten auf die Spontaneität der Arbeiterkämpfe. Bei ihrer Untersuchung der Situation in den italienischen Großbetrieben Anfang der 1970er fanden die Operaisten eine neue „klandestine autonome und spontane Organisationen“ abseits der traditionellen Arbeiterbewegung. Sie studierten die informelle Widerstandsformen der ArbeiterInnen und fanden eine Vielfalt von untergründigen Klassenkämpfen, die beständig und ohne das Zutun der Gewerkschaften oder von Arbeiterparteien stattfinden. Diese Autonomie proletarischer Strukturen bestehe darin, dass sie sich nicht darum scheren, ob sich das Kapital gerade die Erfüllung von Arbeiterforderungen leisten kann. Diese von vor allem junge ArbeiterInnen getragene Widerständigkeit erkennt die vom Staat festgesetzten Spielregeln nicht an und ihnen geht auch jeglicher Produzentenstolz ab.
Die Operaisten entwickelten – in Abgrenzung zur Theorie vom Klassenbewusstsein – das Konzept der „Klassenzusammensetzung“. Die Arbeiterklasse sei nicht etwas soziologisch einzuordnendes Statisches, sondern befinde sich im Zustand der fortwährenden Neuzusammensetzung. Durch die Kämpfe der ArbeiterInnen seien die Kapitalisten ständig gezwungen, alte Strukturen, in denen die ArbeiterInnen eine zu große Macht entwickeln konnten, zu zerschlagen und neue Formen der Kapitalakkumulation zu schaffen. Mit diesen erzeugen sie aber auch die Grundlage für neue Kämpfe. Während dieses Prozesses vollzieht sich auch eine umfassende Vergesellschaftung der Produktion, d.h. die ArbeiterInnen arbeiten im Produktionsprozess immer enger zusammen.
In der Vergesellschaftungstendenz liegt aber auch die wachsende Möglichkeit der Selbstorganisation ihrer Kämpfe begründet. Es bedarf daher auch keiner separaten Organisationen der Klasse. Kämpfe lassen sich nicht durch AktivistInnen initiieren, sie entstehen spontan. In diesen Kämpfen entwickeln die ArbeiterInnen eigene Formen von Organisierung, die sich allerdings nicht institutionalisieren, d.h. in langfristige Organisationen überführen lassen [2]. Die Aufgabe von AktivistInnen liegen daher eher in der Radikalisierung der Kämpfe. In Zeiten, in denen keine Kämpfe stattfinden, ist die Aufgabe der Revolutionäre das Studium der Entwicklung der Klassen(neu-)zusammensetzung, mit dem Ziel, mögliche Bruchpunkte zu finden. Auf diese sollte man sich vorbereiten, indem die Diskussion vorangetrieben und verallgemeinert wird.
Ein Mittel dazu ist das Konzept der „Militanten Untersuchung“, d.h. der Befragung der ArbeiterInnen. Anders als die Industriesoziologie, deren Ziel ein reibungsloser Produktionsprozess in den Betrieben ist, soll durch Befragung und dem Dialog mit den ArbeiterInnen interveniert werden. Einerseits soll durch bestimmte Fragestellungen ein Denkprozess bei den befragten KollegInnen angestoßen werden, andererseits eigene Positionen überprüft werden.
Innerhalb der dem Operaismus nahestehenden Gruppen in Deutschland gibt es derzeit eine intensive Diskussion um die eigene Rolle als politischen AktivistInnen im Verhältnis zu den – momentan nicht eben kämpferischen – ArbeiterInnen. Dabei wird auch die Frage der Organisation eine zentrale Rolle spielen, eine Diskussion, in die wir uns einschalten sollten.
Fußnoten:
[1] Dieser Begriff wäre ins Deutsche am ehesten mit „Arbeiterismus“ oder „Arbeiterwissenschaft“ zu übersetzen.
[2] Bzw. wenn das gelingt, entstehen aus solchen Organisationen dann geradezu zwangsläufig bürokratische Apparate, die schließlich im Staat aufgehen.
Originaltext: http://www.geschichtevonunten.de/texte/global/g_gewerkschaftskritik.htm