Karl Roche - Absatzkrise. Lohnpolitik. Erwerbslosigkeit (1928)

Auf dem Grabstein des Kapitalismus wird einmal die Inschrift stehen müssen: „Er starb an Absatzkrise, Lohnpolitik und Erwerbslosigkeit.“ Sie kennzeichnen lebenszerstörend eine Wirtschaftsordnung, die den arbeitenden Massen aufgezwungen wird, sie sind die Eckpfeiler kapitalistischer Unwirtschaftlichkeit. Gelehrte aller wirtschaftspolitischen Richtungen haben über sie gebrütet, Untersuchungen und Erklärungen herausgebracht. Von vorurteilsloser Wissenschaft wurden sie dabei allesamt nicht geleitet, sintemalen der Kapitalismus solche Unvoreingenommenheit in wirtschaftlichen Dingen nicht zulassen darf. Es gibt im Kapitalismus auf diesen Gebieten keine richtungslosen Forscher; alle Wirtschaftspolitiker und Nationalökonomen von Fach sind Interessentengruppen verbunden. Und noch ein anderes hindert sie, die furchtbare Bedeutung von Absatzkrise, Lohnpolitik und Erwerbslosigkeit für das Proletariat restlos ausschöpfen zu können. Sie allesamt gehen an Wirtschaftsprobleme natürlich mit ihrem bürgerlichen Denken heran. Wie Lohnarbeiter können sie ja nicht denken! Und dazwischen liegt eine ganze Welt. Ihr geistiges Rüstzeug, das aus den bürgerlichen Wissensquellen stammt, ist korrumpiert von der mit ihm notwendigerweise verbundenen Absicht, den Staat und damit die Lohnarbeit erhalten zu wissen. Staat und Lohnarbeit aber bedeuten kapitalistische Mißwirtschaft, die Absatzkrisen, Lohnpolitik und Erwerbslosigkeit im Gefolge hat. So muß sich die Erforschung der Probleme durch Wissenschaftler, die außerhalb der bürgerlichen Welt nicht zu denken vermögen, im Kreise um die Probleme drehen, ohne in das Wesen der Dinge einzudringen. Die Dinge werden verwickelter nd dem gesunden Denken unverständlicher, mit je mehr Wissenschaftlichkeit sie behandelt sind. Man denke nur an die Werke eines Marx! Wie viele Arbeiter sind es, die sich durch diese Wissenschaftlichkeit hindurchfinden?

Es muß nach syndikalistischer Auffassung ein geistiges Grundgesetz der Arbeiterbewegung sein, daß jeder Proletarier sich von bürgerlichem Denken u befreien hat, bevor er Klassendenken haben und als Klassenkämpfer wirksam tätig sein kann. Mit dieser inneren Loslösung geht konform die Verneinung alles Bestehenden. Alle Wirtschaft in Verbindung von Vertrag mit er Arbeiterbewegung, alle Politik der bloßen Worte, alle Kultur des Geduldetseins und der freundwilligen Zulassung lehnt der revolutionäre Sozialist ab. Die Verneinung der bürgerlichen Kultur ist am schwersten zu begreifen und doch ist sie schließlich nur eine sozialrevolutionäre Konsequenz. Bejahe ich, was die bürgerliche Gesellschaft Kultur nennt, so erkenne ich damit auch diese Gesellschaft als kulturfördernd für das Proletariat an und habe kein Recht, um die Beseitigung der kapitalistischen Ordnung zu kämpfen. Aber wir müssen auch den Begriff „Kultur“ für die bürgerlichen Lebensbeziehungen ablehnen. Kultur soll doch schließlich für jeden einzelnen zur inneren Harmonie, zum vollkräftigen Lebensgefühl führen! Und die bürgerliche Kultur zerreißt den Menschen seelisch und macht ihn unzufrieden mit sich selbst bis zum Lebensüberdruß! Darum ist sie nicht Kultur. Die revolutionären Arbeiter können darüber viel einfacher und wesensverständlicher denken. Für alle wird sich Herzenskultur ergeben, wenn alle inneren Anteil am Wohlergehen der Gesellschaft haben. Wahre Kultur, äußere Lebenskultur sowohl wie geistige, erwächst aus einer vernünftigen Arbeitsorganisation der Gesellschalt. Das wird dann eine andere Kultur als die bürgerliche sein, wo die Unproduktiven in „Kultur“ machen. Ich habe diese kurzen Ausführungen über die Verneinung jeder bürgerlichen Kultur hier eingeschaltet, um zu zeigen, daß das revolutionäre Arbeiterdenken nicht eine Teilwirkung der kapitalistischen Ordnung ablehnen und den anderen Teil anerkennen darf.

Die Lösung der oben gestellten Fragen: Absatzkrise, Lohnpolitik und Erwerbslosigkeit ist vom Klassenstandpunkt des Arbeiters aus ungeheuer einfach. Die Ursachen der Absatzkrisen liegen sozusagen auf dem Präsentierteller der bürgerlichen Wirtschaftsmoral. Der Kapitalismus hat zum Ziel die Bereicherung der Besitzenden und die Schädigung der die Werte schaffenden Arbeit. Die Ware ist das Arbeitsergebnis und nicht der Gebrauchsgegenstand. Verkaufen steht dem Verbrauchen voran. Es wird nicht verteilt, sondern spekuliert. Nicht die Menschen sollen satt, sondern die Geldschränke sollen gefüllt werden. Der arbeitende Verbraucher muß zurückkaufen, zurückkaufen mit dem Lohn, den er erhielt. Er mußte aber mehr erzeugen, als er an Lohn erhielt, und der Ueberfluß entsteht hier aus dem Mangel! Bald hier, bald dort häufen die Lager sich aus mangelnder Kaufkraft der Masse. Politische, verkehrstechnische, industrielle Rücksichten der Spekulation behindern immerfort den Umlauf der Waren. Je mächtiger die Spekulation wird, um so mehr wird die Absatzkrise zur dauernden Erscheinung. Immer steht am Anfang der Absatzkrise der Profitwille des Spekulanten, mit dem Produkt zu wuchern. Und der Wucher muß notwendigerweise anormalen Umlauf nach sich ziehen. Das ist dann die Absatzkrise. Sie durch wirtschaftspolitische Maßnahmen mildern oder verhindern zu wollen, ist Sysiphusarbeit. Was dem kapitalistischen Wirtschaftskörper angeboren ist, trotzt der Umwelt, die dieser Körper entscheidend beeinflußt. Da sind alle Bestrebungen zur Besserung des Krebsschadens Kraftvergeudung. Sie müssen mit der Ursache, dem Kapitalismus, reinen Tisch machen.

Ebenso ist es mit der Lohnpolitik. Die Abfindung des arbeitenden Menschen mit Lohn ist ein soziales Verbrechen. Sie ist Diebstahl am Eigentum des Besitzlosen: an seiner Arbeitskraft, im wortwörtlichsten Sinne. Und jede Lohnpolitik, die die Arbeiter durch ihre Organisationen stützen, ist Sanktion dieses Diebstahls. Und sie bedeutet Verankerung des Wahnglaubens, der Diebstahl sei rechtmäßig, im Bewußtsein der Lohnarbeiterschaft. Zentralgewerkschaftliche und staatliche Lohnpolitik, was ja in der deutschen Republik dasselbe ist, wird geführt, um den Lohn in den Grenzen des kapitalistisch Möglichen zu halten. Lohnpolitik ist ein Teil des Warenwuchers, der zur Absatzkrise führt. Wie im Kapitalismus die Güter nicht nach Bedürfnis verteilt werden, so ist die Verwendung der Arbeitskraft lohnpolitischer Schachzug der Spekulation. Man will die Produktion billig machen und dabei den Bedarf durch aufgezwungene Bedürfnislosigkeit steigern! Man will aus einem Brunnen schöpfen, und sperrt zu diesem Zweck den Wasserzufluß ab! Das geht natürlich nicht, und die Absatzkrise als Folge der wirtschaftserhaltenden Lohnpolitik ist da! Kapitalistische und zentralgewerkschaftliche Lohnpolitik muß zur immer schärferen Ausbeutung der Arbeitskraft führen, denn es handelt sich nicht um die zum Leben des Proletariers notwendige Lohnhöhe, sondern um die dem Unternehmen erträgliche Lohnbelastung. In Vertragsgemeinschaft mit den Unternehmern ist gar keine andere Lohnpolitik als die, die zur Massenverelendung führt, möglich.

Ganz zweifellos müssen die Arbeiter ihre Lohnpolitik betreiben. Aber wie Arbeiterpolitik das Entgegengesetzte der bürgerlichen Politik ist, so ist auch die mit dem Klassenkampfprinzip verbundene Lohnpolitik Klassenpolitik und im unüberbrückbaren Gegensatz zu Kapital und Staat durch« zuführen. Es darf sich bei der proletarischen Lohnpolitik nicht um Entlastung oder Belastung des Unternehmers handeln: das Ziel muß immer die möglichst schnelle Beseitigung des Unternehmers unter Aufhebung der Lohnarbeit sein. Lohnfragen sind im Kapitalismus so sehr Machtfragen, daß sie nur mit Machtanwendung ausgetragen werden können. Alles Verhandeln und Vertrag» schließen läuft darauf hinaus, den Pelz zu waschen und ihn nicht naßzumachen. Der Arbeitslohn ist ja nur ein Ausbeutungsmittel des Unternehmers gegen» über dem Arbeiter; er hat, weil er Herr des Betriebes bleibt, viele andere Mittel, eine Lohnveränderung zu seinen Gunsten ausgleichen zu können. Lohnpolitik der Arbeiter ist einfach Betriebspolitik als Ganzes. Da haben Gewerkschaftsinstanzen mit ihrer Politik vor dem Tore der Fabrik zu bleiben, die Belegschaft hat zu handeln. Lohnpolitik und Absatzkrise greifen auch darum ineinander, weil der Arbeiter immer um Arbeit bettelt und gegen Bettelgeld arbeitet.

In Absatzkrise und Lohnpolitik ist Erwerbslosigkeit eingeflochten; aber Erwerbslosigkeit ist ein Grundübel der kapitalistischen Ausbeutung, das auf das Arbeiterelend am unmittelbarsten wirkt. Die zentrale Arbeiterbewegung kennt nur ein Mittel dagegen: die Versicherung, sowohl die staatliche wie die gewerkschaftliche. Und zwar die Versicherung unmittelbar und fast aus» schließlich aus den Arbeitertaschen. Die Beiträge dafür werden den Arbeitern vom Lohn einbehalten. oder mit den Gewerkschaftsbeiträgen erhoben. Ich bin nicht der Meinung, daß der Arbeiter sich nicht so weit wie möglich durch Spargroschen für die Zeit der Erwerbslosigkeit sichern müßte, denn zuletzt ist der Prolet immer auf seine persönliche Kraft, Ueberlegung und Wirtschaftlichkeit im Daseinskampfe angewiesen. Und dazu gehört, daß er, was er abknapsen kann, in Selbstverwaltung behält. Will der Staat ihm aus hinterhältiger Berechnung etwas zugeben, so mag er; genommen wird es. Wir verwerfen mit Kapital und Staat und allen von ihnen getragenen Einrichtungen logischerweise auch das Versicherungswesen. Auch das private, da es Miß» brauch des sozialen Gedankens bedeutet und obendrein riesige Verwaltungssummen verschlingt, die der Versicherte besser für sich behält. Ganz unsinnig aber ist es, solche Versicherung mit dem Gewerkschaftskampf zu verbinden, der Kapital und Staat zum Todfeind hat! Dabei sind die Gewerkschaften Bankinstitute geworden; sie nützen den Kapitalismus, um seine Grundschäden zu verdecken. Die Erfahrung seit Jahrzehnten zeigt den Niedergang der Zentralverbände. Die Spuren sollten eigentlich den klassendenkenden Arbeiter schrecken.

Sonst kann zur Erwerbslosenfrage nichts Neues gesagt werden.

Absatzkrise, Lohnpolitik und Erwerbslosigkeit sind Machtfragen des Klassenkampfes, die nicht entschieden werden können durch Hinausschieben des sozialistischen Endzieles, sondern die aufgerollt, erklärt und ausgelöscht werden müssen durch Beseitigung von Kapital und Staat.

Aus: Die Internationale, Jahrgang 1, Heft 6, April 1928

Originaltext: http://vabaltona.blogsport.de/2010/01/01/absatzkrise/


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