„Unsere Männer aber müssen aufgerüttelt werden…“ Texte zur Geschichte der Syndikalistischen Frauenbünde neu aufgelegt! (Buchbesprechung)

Der Syndikalistische Frauenbund (SFB) war seit 1921 die Organisation der Hausfrauen innerhalb der syndikalistischen Gewerkschaft Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD). Er war mit seinen bis zu 1.000 Mitgliedern (Berlin: 200) Ausdruck eines separaten Organisationswillens von Syndikalistinnen im Reproduktionsbereich, da in einer traditionellen Gewerkschaft lediglich in Lohnarbeit stehende Männer und Frauen Platz fanden. Die FAUD hatte gemäß ihrer Programmatik jedoch einen umfassenden gesamtgesellschaftlichen Anspruch, so dass folglich auch die spezifischen Angelegenheiten von Hausfrauen ihren eigenen Ausdruck finden mussten. Dazu zählten in besonderem Maße die Haushaltsführung, die Kindererziehung und darüber hinaus der Kampf um die Anerkennung dieser Arbeiten als gleichberechtigte Tätigkeiten neben der klassischen Lohnarbeit. Der Einsatz ging jedoch noch weiter und verlangte zudem die generelle Gleichstellung von Frau und Mann, sowie das Recht der Frau, eigenständig über ihr Wohlbefinden entscheiden zu können. In diesen Bereich fallen beispielsweise die Stichworte: Abtreibungsparagraphen 218-220, Sexualhygiene, Koch- und Nähkurse. Insgesamt war das Bewusstsein der syndikalistischen Frauen eingebettet in die Weltanschauung eines kommunistischen Anarchismus und eng verflochten mit dem syndikalistischen Gewerkschaftscharakter der FAUD. So hatte die syndikalistische Frauenbewegung der zwanziger und dreißiger Jahre ganz besondere Charakteristika, welche der bisherigen Forschung oftmals verschlossen blieben. Zum einen deshalb, weil die AutorInnen die Tiefe der Geschichte der syndikalistischen Bewegung nicht erfassten und zum anderen, weil sie von einer neofeministischen Sichtweise ausgehend bestimmte Eigenheiten der syndikalistischen Frauenbünde ignorierten. Diese Defizite wurden dann oberflächlich durch eindimensionale Erklärungsmuster kompensiert. Besonders stark äußert sich das neben anderen Fehlern im Beitrag zum syndikalistischen Frauenbund in Silke Lohschelders „Anarchafeminismus“, welches gemeinhin als Standardwerk zum Thema gilt. Aber erst aus dem sorgfältigen Quellenstudium werden die vielschichtigen und komplexen Hintergründe ersichtlich. Bis heute lässt sich feststellen, dass die syndikalistischen Frauen in ihrer Zeit die besten Analysen selber geliefert haben!

Den Frauen das Wort!

Was liegt also näher, als die Aktivistinnen der syndikalistischen Frauenbünde selber zu Wort kommen zu lassen? Siegbert Wolf hat sich die Mühe gemacht und eine Quellensammlung erstellt, welche nicht nur ihresgleichen sucht, sondern den syndikalistischen Frauenbund grobthematisch gegliedert in seinen Facetten wieder lebendig werden lässt. Dokumentiert sind die Prinzipienerklärung „Was will der syndikalistische Frauenbund?“, aus den Zeitschriften: „Der Frauen-Bund“, „Die schaffende Frau“, „Die Schöpfung“ und „Der Syndikalist“ die Statuten des Berliner Frauenbundes, mehrere programmatische Artikel bekannter Aktivistinnen und auf lokaler Ebene zahlreiche Berichte, welche die konkreten Tätigkeiten und Bedingungen der einzelnen Ortsvereinigungen veranschaulichen. Themenbezogene Beiträge finden sich zu Kindererziehung, sozialen Kämpfen, politischen Anschauungen, Liebe, Sexualität, Geburtenkontrolle, Ehe, kulturellen Fragen, zu Personen der Zeitgeschichte wie Gandhi oder Rosa Sacco – insgesamt satte 58 Beiträge aus erster Hand! Es kommen auch tatsächlich die Protagonistinnen der Bewegung zu Wort wie Milly Witkop, Aimee Köster und Hertha Barwich. Letztere wurde in der bisherigen Forschung gerne unterschlagen, weil sie, die Geschäftsführerin des syndikalistischen Frauenbundes, mit neofeministischen Ansichten partout nicht konform gehen wollte und beispielsweise ihrem Stolz auf Mutterschaft und Haushalt deutlich Ausdruck verlieh mit der Intention, dass Männer im Haushalt nichts zu suchen hätten. Natürlich ist es aus heutiger Sicht schwierig, möglichst unbefangen an die Sache heranzugehen – nötig ist es dennoch, da vor jeder Bewertung ein möglichst umfassendes Verstehenwollen an erster Stelle gesetzt werden sollte, und das geht nur über das Quellenstudium.

Die einleitenden Worte

Entsprechend aufgeschlossen gehalten ist das Vorwort von Siegbert Wolf, welches die Hauptintentionen und Aktivitäten der Frauenbünde präzise hervorhebt ohne vorschnell in einseitige Erklärungsmuster zu verfallen. Wolf schreibt nämlich nicht vornehmlich aus anderen Forschungsbeiträgen ab, sondern weist sich ausdrücklich durch Quellenkenntnis- und Rezeption aus. Eine vortreffliche Auswahl an Sekundärliteratur ergänzt das Ganze. Nur so ist es ihm möglich, die Selbstkritik der syndikalistischen Frauen genauso wie deren Kritik an ihren männlichen Kameraden ausgewogen darzustellen. Wolf fasst den komplexen Stoff schließlich so zusammen: „Einig waren sich die Frauen im Syndikalistischen Frauenbund trotz autonomer Organisierung innerhalb der FAUD, dass die Befreiung der Menschen nur geschlechterübergreifend erreicht werden könnte. Das Prinzip des Klassenkampfes blieb allerdings auch bei ihnen unangetastet. Sie durchbrachen mitnichten geschlechtsspezifische Rollenordnungen, weil sie die gesellschaftliche Arbeitsteilung nicht bis an die Wurzeln patriarchaler Herrschaft zurückführten und soziale Eigenschaften – etwa die der ‚gefühlsbetonten’ Frau und des ‚vernunftgesteuerten’ Mannes – weiterhin jeweils den beiden Geschlechtern zuordneten.“ Die Weigerung männlicher Syndikalisten „partriarchale Rollenmuster zu hinterfragen und zu überwinden, trug zum Scheitern der syndikalistischen Frauenorganisation bei.“, so Wolf weiter. Den Anspruch des Buches, „Die Beiträge dieses Buches sollen einen Eindruck vermitteln, wie lebendig die anarchosyndikalistische Frauenbewegung in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts agierte, und wie sich sozialrevolutionäre Frauen eine Symbiose aus Frauenbefreiung, Lösung der Geschlechterfrage und Anarchosyndikalismus vorstellen“, ist ihm vollauf gelungen! Dieses Buch ist eine enorme Bereicherung für das historische Erkenntnisinteresse.

Antiquierter Stoff?

Allerdings hat sich wohl kein Teilbereich anarcho-syndikalistischer Geschichte so überlebt, wie ausgerechnet der syndikalistische Frauenbund, da sich nicht nur die Rahmenbedingungen insgesamt stark verändert haben (Hygiene, Wohnsituation, niedrigere Kinderzahl, kein inoffizieller Ehezwang, freiere Berufswahl etc.), sondern die moderne Frauenbewegung in den letzten 40 Jahren viel bewirkt hat. Um das zu verdeutlichen, sei als Vergleich nur an die historische Betriebsratsfrage erinnert, welche für die syndikalistische Bewegung gegenüber der Frage nach Frauenbünden brandaktuell anmutet. Die Frauen der syndikalistischen Nachkriegsbewegung haben sich daher auch nicht mit der Wiedergründung von Frauenbünden (über den Status von AG’s hinaus) befasst und stattdessen mehr integrierend auf die Organisation gewirkt, beispielsweise die Prinzipienerklärung inhaltlich um die Geschlechterfrage erweitert. Sollte dies Buch Anlass dazu bieten, diese Auffassung, Frauen nicht in „Frauenbünden“ mit dem Status eigenständiger Ortsvereinigungen innerhalb der FAU einmal zu hinterfragen? Die historischen Vorbilder zeichnet Wolf so: „Der Radikalismus Milly Witkops, Aimee Kösters, Hertha Barwichs und der vielen Mitstreiterinnen des Syndikalistischen Frauenbundes zur Restrukturierung der Gesellschaft ohne Hierarchien und Herrschaft gründete auf einer Beschreibung der kapitalistisch-etatistischen Gesellschaft nicht nur als ein hierarchisches Klassensystem, sondern umfassender als ein soziales Gefüge, als eine Beziehung der Menschen untereinander. Für diese Frauen bedeutete eine revolutionäre Vision und Strategie, menschliches Leben in allen Bereichen der Gesellschaft – privat wie öffentlich – alltäglich zu verändern.“ Das ist eine offene Frage, und die Erfahrungen konkreter Basisaktivitäten müssen beweisen, ob dieses historische Buch auch einmal einen sehr praktischen Nutzwert bekommen kann.

Schwächen im Buch

In einer Frage greift auch Wolf zu kurz, da er den gesamtorganisatorischen Zusammenhang in der Frage der eigenständigen Integration der SFB innerhalb der Bewegung nicht ausreichend thematisiert. Die nur zögerliche Eingliederung der Frauenbünde als eigenständige Ortsvereine und den Widerstand dagegen leitet der Großteil der bisherigen Forschung unisono aus frauenfeindlichen Motiven ab, und verschweigt damit, dass es darüber hinaus schwerwiegende organisationstechnische Ursachen gab, nämlich entlang der Frage: Wie lassen sich Mitglieder außerhalb der Betriebe in einer Gewerkschaft organisieren, also nicht nur Frauen, sondern auch Jugendliche oder Erwerbslose? Nur wer dieser Frage tiefer nachgeht, kann angemessene Schlüsse ziehen. Siegbert Wolf fehlte der Platz dafür. Auch anderweitig war er gezwungen, sich in der Auswahl der Quellentexte kurz und präzise zu fassen. So kamen nur Frauen des SFB zu Wort, obwohl der SFB zahlreiche Beiträge nahestehender Frauen und Männer abdruckte und ausgesprochen gut hieß. Kleinere aber anschauliche Details hätten hingegen problemlos Platz gefunden, beispielsweise Angaben zur Größe der syndikalistischen Gesamtbewegung über den Frauenbund hinaus oder der Hinweis, dass die Schriftstellerin Etta Federn nicht nur im Berliner syndikalistischen Frauenbund organisiert war, sondern auch als erste Rathenau-Biographin in die Geschichte einging. Kleinere Verweise auf Nina Mardon oder Anni Geiger-Gog wären schön gewesen, genauso wie weitere Artikel von Milly Witkop, z.B. die Nachrufe auf Peter Kropotkin. Eine kurze biographische Skizze hätte Hertha Barwich verdient gehabt („Die Liebe zwischen Mann und Weib ist keine verbotene Frucht mehr für die sozialistische Jugend, sie ist Vollendung wahrer Kameradschaft“). Als letztes: Eine Quellensammlung zieht ihren Hauptwert nicht nur aus der Tatsache, dass sie möglichst lebendig weil zeitnah und authentisch angelegt ist, sondern auch aus dem Wunsch, mit ihr möglichst effektiv arbeiten können. Was die Repräsentativität angeht, ist inhaltlich nahezu alles abgedeckt. Fehlen tut hier lediglich das Protokoll über die „1. Reichskonferenz der syndikalistischen Frauen“ von 1921. Das größte Manko ist dagegen das fehlende Namens-, Orts- und Organisationsregister! Ein Buch, dessen Inhalt zum Weiterverwerten über Generationen hinaus eine große Bedeutung besitzt wie eben das vorliegende, muß darauf zurückgreifenden SchreiberInnen oder ReferentInnen möglichst schnell jeden Zugang zu bestimmten Stellen ermöglichen. Dieser Verantwortung kann sich kein Verlag entziehen, ob er nun „Unrast“ oder „Suhrkamp“ heißt.

Diese Mängel wiegen mitnichten all die Vorzüge des Buches auf! Alle Leserinnen und Leser, welche die Thematik erschließen wollen, fangen am besten mit diesem Buch an, genauso wie alle diejenigen, die sich erstmal einen Überblick verschaffen oder diejenigen, welche einfach nur reinschnuppern wollen – für alle Motivationen ist dieses zudem handliche und gut gesetzte Werk hervorragend geeignet!

H. D.

Milly Witkop, Hertha Barwich, Aimee Köster u. a.: Der Syndikalistische Frauenbund, Unrast Verlag, 275 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-89771-915-6

Originaltext: http://www.syndikalismusforschung.info/hsfb.htm


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