Vom 19. Reichskongreß der FAUD - Die taktischen Grundlagen unseres Kampfes

In Erfurt tagte vom 25. bis 28. März dieses Jahres der 19. Reichskongreß der FAUD (AS), der neben den üblichen Kongreßaufgaben vor allem eine gründliche Aussprache über die taktische Linie der Bewegung in Deutschland und über die Industrieföderationen der FAUD zu bewältigen hatte.

Für die Opfer der Reaktion in aller Welt nahm der Kongreß eingangs folgende Entschließungen an:

Für die Opfer des Klassenkampfes.

Der XIX. Kongreß der FAUD lenkt die Aufmerksamkeit des deutschen Proletariats auf die Tatsache, daß in allen kapitalistischen Ländern einschließlich Sowjetrußlands Tausende von revolutionären Arbeitern für die Verteidigung der Interessen des Proletariats von der herrschenden Klasse ihrer Freiheit beraubt, gequält und in jeder Weise verfolgt werden.

Der Kongreß ist nicht der Meinung, dass ein bloßer Protest geeignet wäre, die herrschenden Mächte zu veranlassen, die Verfolgungen gegen die mutigsten Vorkämpfer des proletarischen Klassenkampfes einzustellen. Nur gemeinsame Protestaktionen des internationalen Proletariats ohne Unterschied der Richtungen können zur Befreiung unserer verfolgten Klassenbrüder beitragen. Der Kongreß sieht in den Hilfsaktionen für die Opfer des Klassenkampfes eine der höchsten und wichtigsten Aufgaben des internationalen Proletariats, er bekundet den verfolgten Genossen seine tiefsten Sympathien und sendet ihnen in die Gefängnisse und Verbannungsorte solidarische Grüße.

Protest gegen die Verbannung der spanischen Anarchosyndikalisten.

Der XIX. Kongreß der Freien Arbeiter- Union Anarchosyndikalisten protestiert gegen die Verbannung von 110 Anarchosyndikalisten, die von der spanischen Republik verhaftet und deportiert wurden, ohne daß sie Gelegenheit hatten, sich bei einem ordentlichen Gerichtsverfahren zu verteidigen. Der Kongreß protestiert gegen die Schande dieser administrativen Rechtlosigkeiten und fordert die spanische Regierung auf, ihre Opfer unverzüglich freizugeben.

Auch folgende Resolution fand einstimmige Annahme:

Gegen den Krieg im Fernen Osten, gegen die Kriegsgefahr.

Der XIX. Kongreß der FAUD wendet sich gegen den Krieg im Fernen Osten und gegen die dadurch entstandene Gefahr des Ausbruches eines neuen Weltkrieges. Um diesen Krieg zu bekämpfen, empfiehlt der Kongreß dem internationalen Proletariat die in dem Manifest der Internationalen Arbeiter- Assoziation und des Internationalen Antimilitaris(ti)schen Büros vorgeschlagenen Kampfesmittel der direkten Aktion des Proletariats.

An die CNT wurde folgende Adresse gerichtet:

„Der 19. RK der FAUD (AS) grüßt die CNT Spaniens als die Vorhut des internationalen revolutionären Syndikalismus. Der 19. RK gedenkt mit brüderlicher Sympathie der vielen tapferen Genossen der spanischen Bewegung, die in den opferreichen Kämpfen des spanischen Proletariats in die Gefangenschaft der spanischen Republik geraten sind. Die FAUD (AS) verfolgt mit gespannter Aufmerksamkeit besonders seit der Aprilrevolution des Jahres 1931 die Entwicklung der revolutionären Bewegung in Spanien. Die FAUD (AS) ist der Überzeugung, daß die CNT in ihrem Lande vor allen anderen Ländern der Welt mit der Verwirklichung des freiheitlichen Sozialismus vorausgehen wird und muß.

Der gegenwärtige RK der FAUD (AS) steht im Zeichen gründlicher revolutionärer Selbstkritik und der Untersuchung unserer großen Aufgaben in der Zukunft. Die FAUD (AS) hat sich infolge der Erfahrung des vergangenen Jahrzehntes zu der Auffassung durchgerungen, daß der revolutionäre Syndikalismus in viel höherem Maße als bisher zu einer straffen Konzentration der revolutionären Kräfte und zur Arbeit des gesamten Anarcho-Syndikalismus auf der Grundlage einer durchaus klaren und einheitlichen Gegenwartstaktik gelangen muß. Der Föderalismus darf nicht zu einer Isolierung, sondern muß zu einer festen Koordinierung der Kräfte im nationalen und internationalen Rahmen führen; der freiheitliche Sozialismus darf nicht nur als politisches Ziel proklamiert, sondern es muß ein praktisch wirtschaftlicher Weg in eine bessere soziale Zukunft gezeigt werden. Die FAUD (AS) ist der Auffassung, daß diese aus schweren Erfahrungen gewonnene Erkenntnis auch von unseren Kameraden der CNT bei ihrem Ringen um den festeren Zusammenschluß und einheitlichere Arbeit der spanischen Bewegung beachtet werden können. In diesem Sinne sieht die FAUD (AS) für die gesamte IAA die Notwendigkeit, im klaren Kampfe gegen jeden gewerkschaftlichen Reformismus und alle rein politisch putschistischen Tendenzen ein konkretes und praktisches Programm revolutionärer konstruktiver Gewerkschaftsarbeit zu entwerfen.

Nur so kann nach Meinung des 19. RK der FAUD (AS) die Herbeiführung der wirklichen sozialen Neuschöpfung beschleunigt werden, die unser aller Ziel ist. Die FAUD (AS) hofft und glaubt, dass die CNT unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse ihres Landes und der internationalen Erfahrungen die Probleme ihrer gegenwärtigen Situation zum Besten des spanischen und des Weltproletariats lösen kann.

Bei dieser ihrer großen Arbeit und in ihrem schweren Kampfe, auf die sich die Augen des internationalen Proletariats lenken, hat die CNT die volle brüderliche Sympathie der FAUD (AS), die am inneren Leben und den Kämpfen der CNT lebhaft Anteil nimmt.“

Als praktisches Resultat der Kongreßtagung liegen vor uns eine Anzahl von Resolutionen, die zusammengenommen als klare Grundlage für ein taktisches Gegenwartsprogramm der FAUD bezeichnet werden können. Die Bewegung hat für die nächste Zeit verbindliche allgemeine Richtlinien, die in der täglichen Propaganda angewandt werden können und müssen. Die Schaffung dieses taktischen Programms darf ohne Zweifel als Fortschritt in unserer Bewegung angesehen werden. Wenn auch im einzelnen noch einige unterschiedliche Auffassungen zum Ausdruck kamen, wenn auch bis zur wirklich durchschlagenden gemeinsamen Arbeit auf der gefundenen taktischen Linie der FAUD noch manche innerorganisatorische Klärung vorgenommen werden muß, so bestand doch volle Einmütigkeit darüber, daß überhaupt eine solche taktische Grundlegung für die Bewegung dringend notwendig war.

Mit dieser Hinwendung zu den praktischen Fragen des Tages hat der Kongreß für die Gesamtbewegung einen wichtigen Schritt getan zur Bewältigung der Aufgaben, die sich eine anarcho-syndikalistische Organisation über die allgemeine Tätigkeit einer freiheitlichen Erziehungs- und Ideenbewegung hinaus zu stellen hat.

Die angenommenen Resolutionen des 19. Kongresses, die für unsere Stellungnahme zu den Problemen der Gegenwart und als prinzipielle organisatorische Richtlinien in unserer kommenden Arbeit maßgebend sein werden, haben wir in den vorigen beiden Nummern des „Syndikalist“ zum Ausdruck gebracht. Es sind die Resolutionen

  • Zur faschistischen Gefahr
  • Losungen der FAUD
  • Zur gewerkschaftlichen Organisation der Frau
  • Zur Betriebsarbeit
  • Zu den Kollektivverträgen
  • Zum Problem der Arbeitslosigkeit
  • Zur Kartellierungsfrage
  • Zur Russlandfrage; über Rußlanddelegationen
  • Über die Arbeit in den Kulturorganisationen
  • Über die Industrieföderationen der FAUD.

Die beiden Resolutionen zur Arbeitsdienstpflicht und über die Arbeitslosenausschüsse, die vor dem Kongreß veröffentlicht, während der Verhandlungen aber infolge eines technischen Versehens nicht mit zur Abstimmung gebracht worden sind, müssen den obengenannten Resolutionen noch hinzugefügt werden, zumal sie in der Diskussion auf dem 19. Reichskongreß von keiner Seite Widerspruch gefunden haben. (Abdruck siehe in der vorliegenden Nummer des „Syndikalist“.) Die Resolutionen bedürfen natürlich noch der Ausführungsbestimmungen, die sofort durch enge Zusammenarbeit von Börsen, Föderationen und GK geschaffen werden müssen. In der propagandistischen Auswertung der Resolutionen (vor allem der „Losungen“) wird es darauf ankommen, nicht etwa immer alle angenommenen Parolen zusammen, sondern nach Übereinkunft von Fall zu Fall zur Durchführung einer wirklich konzentrischen Agitation die jeweils aktuellen und wirksamen Forderungen in den Vordergrund zu stellen.

Die Aussprache über die Punkte der Kongreßtagesordnung, die zu den angeführten Resolutionen gehörten, nahm soviel Zeit in Anspruch, daß leider die beiden Themen „Der Antimilitarismus und die Verteidigung der sozialen Revolution“ und „Weltperspektiven der revolutionären Arbeiterbewegung“ nicht behandelt werden konnten; das Referat des Genossen Rocker zu letzterem Punkte konnte zwar in abgekürzter Form gehalten, aber nicht mehr diskutiert werden.

Der sachliche Inhalt der Entschließungen des Kongresses braucht hier nicht noch einmal umschrieben zu werden; die schon veröffentlichten Resolutionen sprechen deutlich aus, wohin die Willensäußerung der Gesamtbewegung zielt: die FAUD steht nach wie vor auf der Grundlage ihrer Prinzipienerklärung des Jahres 1919; sie sieht in revolutionärer Gewerkschaftsarbeit und fortschreitender Erweiterung der ökonomischen Einflusssphäre der Arbeiterschaft durch direkte Aktion den Weg zum Kampfe gegen die faschistische Gefahr, politische Unterdrückung überhaupt und jede Form der wirtschaftlichen Ausbeutung. Die FAUD lehnt jede fatalistische Auffassung vom notwenigen Untergang des Kapitalismus ab. Sie bekämpft das System der Klassengesellschaft in allen Formen und wendet sich gegen die planwirtschaftlichen Lösungsversuche im Rahmen des Kapitalismus selbst mit derselben Schärfe wie gegen seine bisherigen Formen. Die FAUD verwirft jede reformistische Praxis, jeden Sanierungsversuch am Kapitalismus und erhebt stets ihre klare sozialistische Zielforderung eines freien, räteorganisierten Sozialismus, der nur durch eine vollständige und gründliche soziale Umwälzung erreicht werde kann. Sie begnügt sich aber nicht mit der Proklamierung eines Ziels, sondern weiß, daß der Kampf um die Zukunft des Sozialismus nur möglich ist, wenn die Arbeiterschaft im wirtschaftlichen Kampfe eine relative subjektive Reife und Fähigkeit für den sozialistischen Aufbau gewonnen hat – gerade jene Eigenschaften, die durch jahrzehntelange parteipolitische Verwirrung in den Reihen des Proletariats so gründlich zerstört worden sind.

Aus: „Der Syndikalist“, 14. Jg. (1932), Nr. 15

Originaltext: www.geocities.com/syndikalist2002/19faud.htm


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