Armando Borghi - Die Unione Sindacale Italiens. Für eine freiheitliche Internationale

Die gewaltigen Stürme, die durch die russischen Revolution zuerst in Europa entfacht wurden, begeisterten die Arbeiterklasse in den leicht entzündbaren romanischen Völkern und riefen die hingebendsten Sympathien für die Erhebung im Osten Europas wach. Moskau wurde zum Symbol der Weltrevolution. D italienischen Syndikalisten, die nur in der sozialen Weltrevolution ihre Erlösung sahen, stellten sich der Revolution als Verteidiger zur Seite und erklärten sich einig mit den Vertretern Sowjetrusslands.

Als aber später Armando Borghi als Delegierter der italienischen Syndikalisten selbst nach Russland ging, schlugen seine idealsten Hoffnungen durch das, was er im revolutionären Russland fand, in betrübende Enttäuschungen um. Er glaubte, ein freies Volk zu finden, sah aber eine Staatsmacht schlimmer als in den bürgerlichen Demokratien des Westens. Die Nachrichten von den Verfolgungen gegen die Anarchisten und Syndikalisten durch die russischen Bolschewisten, die auch in Italien langsam bekannt wurden, trugen das ihrige dazu bei, dass man in der kommunistischen Internationale und in der Roten Gewerkschafts-Internationale nicht mehr das sah, wie vorher.

Unter diesen Eindrücken fand der Kongress der Unione Sindacale vom 10. bis 14. März 1922 statt. Der Kongress sollte über die internationale Stellung der Organisation sowie über die Taktik im eigenen Lande entscheiden.

Obzwar auch die Kommunisten und die kommunistische Syndikalisten Italiens, die sich der Roten Gewerkschafts-Internationale verschrieben haben (wie man aus kommunistischer Quellen erfahren hat, durch die finanzielle Hilfe der RGI), auf dem Kongress vertreten waren, lebte doch der gesunde föderalistische Geist so stark in den Reihen der revolutionären Syndikalisten Italiens, dass die zentralistischen Tendenzen überhaupt nicht hochkommen konnten. Am deutlichsten hierfür spricht, dass der Antrag von dieser Tendenz nur 18 Stimmen bekam, während der Antrag der föderalistischen Richtung mit 75 Stimmen beschlossen wurde. Dieser Beschluss hat folgenden Wortlaut:

„Der vierte Kongress der Unione Sindacale Italiens stellte sich auf denselben Boden, wie die erste Internationale.

Er stellt fest, dass die Wiederauferstehung der Internationale, die alle revolutionären Syndikalisten umfassen soll, nicht erreicht wurde, weil der ausschließliche Parteicharakter erst in der Kommunistischen und später in der Roten Gewerkschafts-Internationale vorherrschte.

Er nimmt für sich die Grundsätze und Kampfesmittel des revolutionären Syndikalismus in Anspruch, ist Gegner des Zentralismus und Verteidiger der vollständigen Unabhängigkeit der Gewerkschaften den politischen Parteibewegungen gegenüber.

Der Kongress beschließt, indem er sich auf den Boden der französischen revolutionären Syndikalisten (der CGTU[1]) stellt, an der internationalen Konferenz der revolutionären Syndikalisten der Welt teilzunehmen, um dort die Fundamentalgrundsätze der Unione Sindacale zu vertreten. Diese sind:

  • Die direkte revolutionäre Aktion der Arbeiterklasse zur Vernichtung von Unternehmerschaft und Lohnsystem.
  • Völligen Ausschluss der kommunistischen, sowie jeder Parteibewegung.
  • Ausschluss der gewerkschaftlichen Internationale Amsterdams und aller zentralverbändlerischen Gruppen, die durch ihre Berufsverbände dieser Internationale angeschlossen sind.


Die Tätigkeit und die Richtlinien der syndikalistischen Internationale haben sich auf die Probleme von internationalen Charakter zu beschränken. Zeitweilige Verbindungen mit anderen gewerkschaftlichen und politischen Organisationen können von Fall zu Fall für bestimmte internationale Aktionen eingegangen werden, die im Interesse der Arbeiterklasse liegen. Diese Forderungen stellen die wesentlichen Bedingungen dar für einen Anschluss an die Rote Gewerkschafts-Internationale für alle Bewegungen und Kräfte, die sich zu einer Konferenz zusammenfinden.“

Sodann wurde noch ein Zusatzantrag angenommen, in welchem gefordert wird, dass der nächste Kongress der Roten Gewerkschafts-Internationale in Westeuropa stattfinden und dass der künftige Sitz des Exekutivkomitees außerhalb Russlands sein soll.

Der Kongress beschäftigte sich dann mit einer anderen Frage, die durch die Moskauer Anhänger zur Diskussion gestellt wurde. Bekanntlich stellt sich die RGI auf den Standpunkt der Zellentaktik. In Übereinstimmung hiermit forderten sie, die Unione Sindacale solle sich auflösen und ihre Mitglieder zum Eintritt in die Zentralverbände auffordern, um diese von innen bekämpfen zu können. Ein diesbezüglicher Antrag bekam jedoch nur 16 Stimmen, während eine Entschließung, in der die entgegengesetzten Gedankengänge zum Ausdruck kamen, mit 60 Stimmen angenommen wurde.   Dies Entscheidung lautet:

„Der Kongress der Unione Sindacale bringt zum Ausdruck, dass die Einigkeit des Proletariats nur das Ergebnis eines ernsten und spontanen Einvernehmens der Masse sein kann, die als Klasse organisiert sind und sich bei ihren direkten Aktionen mit revolutionären Zielen, unter Ausschluss aller Sonderbestrebungen von politischen Parteien und der Arbeitsgemeinschaft mit den Kapitalisten, zusammenfinden.

In Anbetracht, dass alle Versuche zur Einigkeit des Proletariats an der systematischen Opposition der sozialdemokratischen und reformistischen Fraktionen scheitern müssen, da diese immer danach trachtet, die Herrschaft über das Proletariat zu erlangen durch eine Politik der Arbeitsgemeinschaft zwischen den Gewerkschaften, dem Parlamente und den Regierungen sowie den herrschenden Klassen, dass ferner im gegenwärtigen Zustand die Bedingungen für die Arbeiterbewegung Italiens derart sind, dass die Unione Sindacale die einzige Organisation ist, die den revolutionären Marschtritt der Arbeiterklasse zu beschleunigen gewusst hat, beschließt der Kongress: dass etwaige Beziehungen zwischen Zentralverbänden sowie auch den andern gewerkschaftlichen Organisationen auf einer vereinbarten Grundlage in Fragen, die die Arbeiterschaft im allgemeinen betreffen, wie die Verteidigung der politischen Errungenschaften, eingegangen werden können, dass jeder Vorschlag zur Vereinigung von verschiedenen gewerkschaftlichen Organisationen einer eingehenden Kritik unterworfen werden muss und dann erst unterstützt werden kann, dass lokale und regionale Organisationen wie Arbeiterbörsen, Berufsvereine, Industrieföderationen usw., die gegenwärtig selbständig sind oder früher zur Unione Sindacale gehörten, sich der Unione Sindacale anschließen können, ohne irgendwelche andere Bedingungen als die Anerkennung ihrer Statuten und Kongressbeschlüsse.“

Diese Stellung der italienischen Syndikalisten auf nationaler wie auf internationaler Basis zeigt eindeutig, dass man nichts von der Verbindung mit Politikanten, sondern nur von der wirtschaftlich organisierten Arbeiterschaft erhofft, die soziale Revolution durchzuführen. Da sie in diesem Streben einig sind mit den Bruderorganisationen der anderen Länder, in denen es eine syndikalistische Bewegung gibt, so kann man mit Recht schließen, dass die italienischen Syndikalisten sich auf der Konferenz solidarisch mit allen andern für den Zusammenschluss aller Syndikalisten erklären werden.

Armando Borghi

Anmerkung:
[1] CGTU kurz darauf CGTSR >>> Souchy Kap. 1

Nachwort der Redaktion (in der historischen Broschüre):  Dieser Artikel ist vor 10 Jahren vom Genossen Borghi geschrieben und im Internationalen Bulletin erschienen, das vom Organisationsbüro der Internationalen Konferenz der Syndikalisten im Juni 1922 herausgegeben wurde. Der Standpunkt der Syndikalistischen Union Italiens ist heute derselbe wie vor 10 Jahren. Zwar ist ihre Organisation aufgelöst, aber die Genossen halten trotz aller Verfolgungen in der Verbannung und im Exil, in den Gefängnissen und Zuchthäusern an den Ideen des revolutionären Syndikalismus fest. Inzwischen hat sich sogar eine heilsame Wandlung bei den italienischen Genossen vollzogen. Während vor 10 Jahren ein großer Teil der italienischen Anarchisten gegen den Syndikalismus auftrat, haben sich im Laufe der letzten Jahre immer mehr Anarchisten zu den Ideen des Anarchosyndikalismus bekannt. Der ideologische Boden unserer italienischen Bewegung ist daher heute noch mehr befestigt als es 1922 der Fall war. Die Syndikalistische Union Italiens gewinnt unter dem italienischen Proletariat immer mehr an Sympathien, und wir können mit Sicherheit damit rechnen, dass die syndikalistische Bewegung in Italien stärker als je zuvor aufmarschieren wird, wenn der Faschismus überwunden ist.

Aus: "I.A.A. 10 Jahre internationaler Klassenkampf / Gedenkschrift zum zehnjährigen Bestehen der Internationalen Arbeiter-Assoziation" / Berlin, 1932

Originaltext: http://syndikalismus.wordpress.com/2011/06/05/geschichte-der-iaa-teil-9/


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