Der Fall „Scala“ - Barcelona 1978

Die Hintergründe über eine politische Infiltration, die zur Katastrophe für die CNT wurde – Staatsterrorismus gegen die libertäre Bewegung.

Der Brandanschlag auf die Scala

Am Sonntag, dem 15. Januar 1978, kam es zur Demonstration von ca. 15.000 Arbeiter/innen der CNT in Barcelona gegen den Pakt von Moncloa. Sie begann um 11 Uhr und endete nach »einer offiziellen Angabe der obersten Polizeiführung« bereits kurz nach 13 Uhr. Der Brand im Theater Scala brach nach dem Bericht der Feuerwehr jedoch erst um 13.15 Uhr aus. Das durch zwei Napalm-Bomben (Phosphor) entfachte Feuer zerstörte das Schauspielhaus und vier Arbeiter – Ramón Egea, Juan López, Diego Montoro und Bernabé Bravo –, alle Mitglieder der CNT, wurden bei dem Attentat getötet. Mehr als 200 verloren ihren Arbeitsplatz. Die Belegschaft war zu 70% in der CNT organisiert.

Hintergründe

Seit Anfang 1977 organisierte die CNT in Barcelona ihre ersten Versammlungen, auf dem Riesenmeeting am 2. Juli 1977 mit mehreren Hunderttausend Teilnehmer/innen war ich dabei (siehe Federica Montseny bei ihrer Anspache und das Video).

Die Kollaboration der beiden Gewerkschaften UGT und CC.OO. mit dem Staat wurde immer deutlicher – die parlamentarische Linke anerkannte das kapitalistische System auch für die Nach-Franco-Ära und tolerierte den Übergang vom faschistischen Francismo zur Demokratie. Das führte dazu, dass die erste ‚demokratische’ Regierung aus vielen ehemaligen faschistischen Funktionären und Ministern bestand. So wurde Rudolfo Martín Villa Innenminister, ehemals Führer des falangistischen Studentenverbandes SEU (siehe seine Kurzbiografie unten). Dessen Vater war CNT-Mitglied und kannte noch den alten CNT- und FAI-Militanten Diego Abad Santillán, der in Argentinien als Pensionär lebte. Auch Enrique Marcos Battlé und José Cases Alfonso, Militanter der Gewerkschaft der Schauspieler in Barcelona, waren Freunde des Innenministers Villa. Genau dieser Minister holte persönlich den anarchistischen Altgenossen Diego Abada Santillán 1977 nach Barcelona zurück, um die CNT auf eine reformistische Linie festzulegen!

Am 25. Oktober 1977 unterzeichneten die Vertreter der wichtigsten politischen Parteien – einschließlich Santiago Carrillo (Kommunist) und Manuel Fraga Iribarne (Ex-Faschist) – den Pakt von Moncloa, den Vorgänger der Verfassung. Zwei Tage später wurde dieser Pakt auch vom Parlament angenommen. Der Versuch der Regierung Adolfo Suárez, die Gewerkschaften durch einen Sozialpakt mit einzubeziehen, scheiterte am Widerstand der UGT und CNT wie auch verschiedener Sektionen der Comisiones Obreras. Wenig später unterzeichneten jedoch die beiden Arbeiterzentralen UGT und CC.OO. zusammen mit den Unternehmerverbänden.

Nur die CNT erklärte weiterhin ihre vollständige Ablehnung dieser Pakte.

»Modell Deutschland« und die »Operation Polyp«

Wie kam es zu diesem Sinneswandel bei den Kommunisten und Sozialisten? Bereits zwischen 1975 und 1982 unterstützten u.a. die deutschen »Demokraten« die neuen Parteien, etwa die spanischen PSOE-Sozialisten um Parteichef Felipe Gonzalez. Um an der Südwestflanke der NATO den drohenden Einfluss der Kommunisten »einzudämmen«, schleusten sie gut 50 Millionen DM in Geldkoffern nach Madrid und Lissabon. Auslöser war 1974 »ein düsterer Bericht des US-Außenministers Henry Kissinger (…), der Spanien bedroht und Portugal bereits von den Kommunisten überrollt sah.« Über die Notwendigkeit der Intervention waren sich die damaligen vier Bundestagsparteien schnell einig. Brandt, Genscher, Kohl und Strauß übertrugen die Abwicklung dieser »Operation Polyp« dem Bundesnachrichtendienst (BND).

Das Geld kam auch durch Spenden zusammen – der DGB schickte Gewerkschaftsbeiträge, die US-Amerikaner in Mittelamerika gewaschene Dollars. Der Geldfluß wurde durch die parteieigenen Stiftungen wie die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD verschleiert.

Ab 1983 wurde die Unterstützung seitens des CDU-Bundeskanzlers Helmut Kohl über den »Reptilienfonds« des Auswärtigen Amtes abgewickelt, ein Etatposten der »Geheimen Ausgaben für besondere Zwecke« (Der Spiegel 6/2000).

Das Erstarken der CNT und der libertären Bewegung

Auch aus diesem Grunde wurde die anarchosyndikalistische CNT immer stärker und nahm mit anderen Gewerkschaften den Kampf gegen den Pakt von Moncloa auf. Als Konsequenz mußte die libertäre Arbeiterbewegung zerschlagen werden: „Man muß dem Anwachsen des Anarchismus in Spanien ein Ende setzen, es wird keine weitere Amnestie mehr geben!“ erklärte der Innenminister Martín Villa.

Infiltration als Staatsterrorismus gegen die CNT

Der als einer der angeblichen Täter des Scala-Brandanschlages zu langer Haftstrafe verurteilte Xavier Cañadas wirft in seinem Buch der CNT vor, damals einfach an jedermann carnets confederales (Mitgliedsausweise) verteilt zu haben. Das war ein schwerer Fehler der CNT, denn nicht nur trotzkistische Aktivisten kamen so neben anderen Marxisten und MLern in die libertären Gewerkschaften, sondern auch die BPS – die Brigada Política Social von Barcelona (mit den ersten Ausweisnummern sämtliche Mitglieder der 4. Gruppe der Brigada de Investigación Criminal (BIC), zuständig für die Verfolgung von Anarchisten und Trotzkisten im Sindicato Oficios Varios). Das eine anarchosyndikalistische Organisation diese Infiltrationsmöglichkeit nicht unterband, wiegt schwer; allein in Katalonien wurden 140.000 Ausweise verteilt und die CNT zählte so mehr als 100.000 Mitglieder in dieser Region. Dieser Fakt ist gerade deshalb so bemerkenswert, weil bereits 1964 eine BPS-Infiltration in Barcelona stattgefunden hatte und Reorganisationsversuche der anarchistischen FAI aufflogen.

Eine Katastrophe für die CNT

Luis Andrés Edo, Mitglied des Regionalkomitees der CNT Kataloniens, informierte zwei Monate vor dem Scala-Staatsterrorismus-Anschlag gegen die CNT den nationalen Generalsekretär Juan Gómes Casas (FAI-Mitglied, ab Juni 1979 dann IAA-Generalsekretär) sowie das Comité Peninsular der FAI und den Sekretär der CNT Murcia über den Polizeispitzel Gambín. Er war von einem »gewöhnlichen Gefangenen« über Gambíns üble Aktivitäten informiert worden.

In Murcia war bereits 1977 eine »illegale« 54-köpfige FAI-Gruppe Dank der Infiltration der »Grille« Gambín aufgeflogen, der dieser Gruppe im Auftrage des »Superkommissars« Roberto Conesa zwei Koffer voller Waffen und Sprengstoff angeboten hatte. In Barcelona wurde u.a. Luis Andrés Edo festgenommen.

Casas erklärte Edo: »Also, es ist eine Angelegenheit der FAI, wir können uns da nicht einmischen, allerdings, kann ich als Generalsekretär der CNT die FAI informieren, wenn sie nicht die angemessenen Entscheidungen treffen.« Und weiter: »Gambín ist Mitglied der Gewerkschaft Aller Berufe der Lokalföderation von Murcia; wenn er in Freiheit kommt, werden wir sein Verhalten beobachten, um festzustellen, ob die FAI Maßnahmen getroffen hat, und wenn wir feststellen, daß Gambín weiterhin Mitglied ist, dann müßte man die Lokalföderation informieren.«

Viel schlimmer noch: auf Anweisung des Kommissars Sandoval, Chef der Operativen Brigade in Madrid, reist »der Legionär« Gambín am 11. Januar 1978 von Murcia nach Barcelona, persönlich begleitet vom lokalen CNT-Sekretär, Antonio Marfil!

Gambín hat später erklärt, dass der Kommissar Escudero sein direkter Chef war. Escudero war der untergebene Polizist des Kommissars Roberto Conesa, dem vielleicht berüchtigtsten Folterer der Franco-Polizei. Innenministers Martín Villa musste seine recht Hand, den für die Verfolgung der GRAPO verantwortlichen Kommissar Conesa, öffentlich gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, selbst zur Führungsspitze der GRAPO, dem bewaffneten Arm der PCE (r), zu gehören.

Gambín sagte aus, dass er monatlich 45.000 Peseten für seine Arbeit der Infiltration der Confederación Nacional del Trabajo und die Gründung einer Ejército Revolucionario de Ayuda al Trabajadores (ERAT) bekommen habe. Diese Gruppe beging zahlreiche Überfälle, bevor sie durch eine »außergewöhnliche brilliante Polizeioperation« zur Strecke gebracht wurde. Für die Fall Scala zahlte der Staat ihm 100.000 Peseten.

Joaquín Gambín wurde im Dezember 1983 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Die jugendliche Gruppe um Xavier Cañadas Gascón bekam ebenfalls lange Gefängnisstrafen für den Bau und das Mitführen von Molotow-Cocktails während der CNT-Demonstration am 15.1.1978 aufgebrummt.

Das Versagen bzw. die Unterlassung von Maßnahmen seitens der FAI, die über Gambín informiert war, war nur ein Puzzleteilchen im Kampf gegen die libertäre Bewegung, die zu weiteren Katastrophen für die CNT führte.

Die Spaltung der CNT

Der »Andersgläubige« heterodoxe Militante Luis Andrés Edo, der als überzeugter Anhänger der Versammlungsdemokratie vierzig Jahre lang Vorsitzender der CNT-Gruppe im Pariser Exil war, wurde 1978 Generalsekretär Kataloniens, bevor Enric Marco Battle ihm nachfolgte. Unter dessen Amtsperiode fällt dann die inszenierte Spaltung im Jahre 1979 auf dem V. CNT-Kongress in Madrid. Helfershelfer dabei war der IBM-Angestellte José Bondia, der in der CNT hoch aufstieg.

Diese »erneuerten Cenetistas«, die den demokratischen Wandel akzeptierten und sich dem europäischen »Modell Deutschland«-Konzept der SPD anpaßten, gründeten später die spanische CGT, in der heute mehr Kommunisten und Trotzkistinnen organisiert sind als reformistische Anarchosyndikalist/innen …

José Bondia stürzte 1983 auf dem VI. CNT-Kongress, weil er die Verteidigung der Rechte um das Historische Erbe der CNT gegenüber der spanischen Regierung durch den IBM-Anwalt Antonio Garrigues Walker (seit 1981) vertreten ließ. Seine politischen Alleingänge – er führte Gespräche mit der PSOE-Regierung – kamen hinzu. Bondia arbeitet heute für die Lateinamerika-Stiftung V. Centenario der sozialdemokratischen PSOE.

Antonio Garrigues Walker ist damals Jurist und Wirtschaftsexperte, Präsident der größten Anwaltskanzlei Spaniens, hat zahlreiche Posten in Unternehmen, und Vertreter des Hohen Flüchtlingsrates UNHCR der UNO in Spanien und europäischer Vorsitzender der 1973 von David Rockefeller gegründeten Trilateralen Komission. Bruder Joaquin Garrigues Walker ist zeitgleich Minister für Öffentliche Arbeiten und Urbanisation.

Der enttarnte CNT-Generalsekretär Marco Battlé

Die ‚Ent-Täuschung’ des Ex-CNT-Generalsekretärs Enric Marco Battlé im Mai 2005 wirft ein weiteres Schlaglicht auf die Infiltration der libertären Bewegung und das erklärte Ziel der Zerschlagung der CNT. Der Fall des aus dem Nichts aufgetauchten Enrique Marco Battlé, der aufgrund seiner fabrizierten Vita (Widerstandskämpfer gegen den Francismus und Häftling in deutschen Konzentrationslagern) 1976 zum Generalsekretär der CNT Kataloniens und 1979 zum CNT-Generalsekretär aufstieg, erregte internationales Aufsehen. Auch unter seinem katalanischen Namen Enric Marco Battlé kannte ihn keiner der älteren Genossen, niemand erinnerte sich an ihn, auch nicht seine angeblichen Mithäftlinge im KZ-Flossenbrück. Bis heute verwahrt er sich dagegen, zur Infiltration der CNT angestiftet worden zu sein.

Wer dies im Spiegel der Ereignisse der staatspolitischen Vernichtungskampagne gegen die libertäre Bewegung und speziell die CNT seinerzeit glauben will, der ist mehr als naiv. Der den Battlé-Skandal aufdeckende Historiker Bermejo hatte sich bereits früher gewundert, daß »Marco nie im Zusammenhang mit nennenswerten antifrancistischen Widerstandsaktionen genannt wurde«. Das hatte seinerzeit auch Luis Andrés Edo erstaunt, aber niemanden kümmerte es wirklich – oder die alten Seilschaften von CNT-Funktionären mit dem Falange-Staat trugen hier noch ihre Früchte …

Leider gab es noch weitere agents provocateurs und Spitzel in der CNT, sie alle aufzuzählen hat Luis Andrés Edo in seinem Buch »Die CNT am Scheideweg« versucht; leider ist dieses Buch der libertären Öffentlichkeit in Deutschland als Übersetzung noch nicht zugänglich.

Die Lehren?

Die »Hexenjagd« auf die libertäre Bewegung war eine staatliche organisierte Aufstandsbekämpfung. Die nicht von der Hand zu weisende Tatsache, dass einige dieser Aktionen von einer kollaborationistischen Fraktion der CNT/FAI gedeckt wurde (vermutlich als falschverstander Kampf gegen die zu Recht verhaßten Kommunisten) ist sehr schmerzlich. Und das die Beweise für die staatsterroristischen Aktivitäten noch immer unter dem Deckmantel des Übergangs zur Demokratie verhüllt sind, verwundert niemanden. Das ist der eigentliche Skandal, den die spanische CNT-AIT und libertäre Bewegung bis heute nicht vollständig aufgearbeitet und verkraftet hat.

Folkert Mohrhof

ASK / VAB Hamburg-Altona

Originaltext: http://syndikalismus.wordpress.com/2010/01/15/der-fall-scala-1978/


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