Carl Einstein - Die Kolonne Durruti
Unser Kamerad, der Schriftsteller Carl Einstein, seit zwei Monaten Milizionär in der Kolonne Durruti, sprach während eines kurzen Urlaubs in Barcelona vor dem Radio CNT-FAI folgende Gedenkrede auf unseren Kameraden Buenaventura Durruti, der am 20. November in Madrid fiel:
Unsere Kolonne erfuhr den Tod Durrutis in der Nacht. Es wurde wenig geredet. Das Leben zu opfern ist den Kameraden Durrutis selbstverständlich. Einer sagte leise: ‚“Er war der Beste unter uns“. Andere riefen in die Nacht: „Wir werden ihn rächen“. Die Parole des kommenden Tages war: Venganza, Rache. Durruti, dieser aussergewöhnlich sachliche Mann, sprach nie von sich, von seiner Person. Er hatte das vorgeschichtliche Wort „ich“ aus der Grammatik verbannt. In der Kolonne Durruti kennt man nur die kollektive Syntax. Die Kameraden werden die Literaten lehren, die Grammatik im kollektiven Sinn zu erneuern.
Durruti hatte die Kraft der anonymen Arbeit innigst erkannt. Namenlosigkeit und Kommunismus sind eines. Kamerad Durruti wirkte sternenfern von aller Eitelkeit der Linksvedetten. Er lebte mit den Kameraden, kämpfte als compañero. So strahlte er als begeisterndes Vorbild.
Wir hatten keinen General; aber die Leidenschaft des Kampfes, die tiefe Demut vor der großen Sache, der Revolution, strömten aus seinen gütigen Augen in uns über und unsere Herzen waren eins mit dem seinen, das für uns in den Bergen weiterschlägt. Wir werden immer seine Stimme vernehmen. Adelante, adelante. Durruti war kein General, er war unser Kamerad. Dies ist nicht dekorativ, doch in dieser proletarischen Kolonne beutet man die Revolution nicht aus, man betreibt keine Publizität. Man sinnt nur auf eines: den Sieg und die Revolution. Diese anarchosyndikalistische Kolonne wurde in der Revolution geboren. Diese ist ihre Mutter. Krieg und Revolution sind uns ein einziger, unzertrennlicher Akt. Andere mögen gewählt oder abstrakt diskutieren. Die Kolonne Durruti kennt nur die Aktion, und in ihr lernen wir. Wir sind simple Empiriker und glauben, dass die Aktion klarere Einsichten erbringt als ein gestuftes Programm, das in der Gewalt des Tuns verdampft. Die Kolonne Durruti besteht aus Arbeitern, aus den Proletariern der Fabriken und der Dörfer. Die katalonischen Fabrikarbeiter zogen mit Durruti aus, zu ihnen stießen die Kameraden der Provinz. Die Landarbeiter und Kleinbauern verließen ihre von den Faschisten gepeinigten und erniedrigten Dörfer, sie kamen nachts über den Ebro hinüber. Die Kolonne Durruti wuchs mit dem von ihr eroberten und befreiten Land. Sie war in den Arbeitervierteln Barcelonas geboren, heute birgt sie alle revolutionären Schichten Kataloniens und Aragoniens, aus Stadt und Land.
Die Kameraden der Kolonne Durruti sind Militanten der CNT-FAI. Viele von ihnen büssten in den Gefängnissen für ihre Überzeugung. Die Jungen kennen sich aus den juventudes libertarias.
Die Landproletarier und Kleinbauern, die zu uns stießen, sind Brüder und Söhne der dort noch Unterdrückten. Sie schauen in ihre Dörfer hinüber. Viele ihrer Angehörigen, Väter und Mütter, Brüder und Schwestern wurden von den Faschisten gemordet. Die Bauern blicken hoffend und grollend nach der Ebene, in ihre Dörfer hinein. Doch sie kämpfen nicht um Weiler und Besitz, sie streiten für die Freiheit aller. Knaben, fast noch Kinder flüchteten zu uns, Waisen, deren Eltern gemordet wurden. Diese Kinder kämpfen an unserer Seite. Sie reden wenig, aber haben viel und früh begriffen, Des Abends, am Feldfeuer, hören sie den Älteren zu. Manche können weder lesen noch schreiben. Die Kameraden unterrichten sie. Die Kolonne Durruti wird ohne Analphabeten aus dem Feld zurückkehren. Sie ist eine Schule.
Die Kolonne ist weder militärisch noch bürokratisch aufgezogen. Sie entwuchs organisch der syndikalistischen Bewegung. Sie ist ein sozialrevolutionärer Verband und keine Truppe. Wir bilden einen Verband der unterdrückten Proletarier, der um die Freiheit Aller kämpft. Die Kolonne ist das Werk des Kameraden Durruti, der ihren Geist bestimmte und ihre freie Art bis zum letzten Herzschlag verteidigte. Fundament der Kolonne sind Kameradschaft und freiwillige Selbstzucht. Ziel ihrer Aktion ist der Kommunismus, nichts anderes. Wir alle hassen den Krieg, doch wir begreifen ihn als revolutionäres Mittel. Wir sind keine Pazifisten und kämpfen leidenschaftlich. Der Krieg — diese überalterte Idiotie — wird nur durch die Soziale Revolution gerechtfertigt. Wir kämpfen nicht als Soldaten, sondern als Befreier. Wir dringen und stürmen vor, nicht um Besitz zu erobern, sondern um die von Kapitalisten und Faschisten Unterdrückten zu befreien. Die Kolonne ist ein Verband klassenbewußter Idealisten. Bisher dienten Siege und Niederlagen dem Kapital, das Heere und Offiziere unterhielt, um den Profit und die Rente zu sichern und zu vergrößern. Die Kolonne Durruti dient dem Proletariat. Jeder Erfolg der Kolonne bewirkt die Befreiung der Arbeiter, wo jeweils die Kolonne gesiegt hat.
Wir sind syndikalistische Kommunisten, doch wir kennen die Bedeutung des Individuums, das heißt: jeder Kamerad besitzt gleiche Rechte und erfüllt die gleichen Pflichten. Keiner steht über dem anderen, jeder soll ein Maximum seiner Person entwickeln und darbringen. Die militärischen Techniker beraten, doch sie befehlen nicht. Wir sind vielleicht keine Strategen, doch gewiss proletarische Kämpfer. Die Kolonne ist stark, ein bedeutender Faktor der Front, denn sie ist aus Menschen gebildet, die seit langem nur ein Ziel verfolgen, den Kommunismus, weil sie aus Genossen besteht, die seit langem syndikalistisch organisiert sind und revolutionär arbeiten. Die Kolonne ist eine kämpfende gewerkschaftliche Gemeinschaft.
Die Kameraden wissen, dass sie diesmal für die arbeitende Klasse kämpfen, nicht für eine kapitalistische Minderheit, den Gegner. Diese Einsicht auferlegt allen strenge Selbstdisziplin. Der Milizmann gehorcht nicht, sondern verfolgt zusammen mit seinen Genossen die Verwirklichung seines Ideals, einer sozialen Notwendigkeit.
Durrutis Größe bestand gerade darin, dass er selten befahl, sondern stets erzog. Die Kameraden kamen, wenn er von der Front zurückkehrte, zu ihm ins Zelt. Er erklärte ihnen den Sinn seiner Maßnahmen und diskutierte mit ihnen. Durruti befahl nicht, er überzeugte. Nur die Überzeugung verbürgt ein klares, entschlossenes Handeln. Bei uns kennt ein jeder den Grund seines Tuns und ist mit diesem Eins. Darum wird ein jeder um jeden Preis den Erfolg der Aktion herbeiführen. Kamerad Durruti hat uns das Beispiel gegeben.
Der Soldat gehorcht aus Angst und sozialer Inferiorität. Er kämpft aus einem Defekt heraus. Darum verteidigten die Soldaten stets die Interessen ihrer sozialen Gegner, der Kapitalisten. Die armen Teufel auf der faschistischen Seite liefern das klägliche Exempel. Der Milizmann streitet vor allem für das Proletariat, er will den Sieg der arbeitenden Klasse herbeiführen. Die faschistischen Soldaten kämpfen für eine absterbende Minderheit, ihren Gegner, der Milizmann für die Zukunft der eigenen Klasse. Also scheint der Milizmann doch intelligenter als der Soldat zu sein. Die Kolonne Durruti wird durch ein Ideal und nicht durch den Parademarsch diszipliniert. Wohin allenthalben die Kolonne dringt wird kollektivisiert. Die Erde wird der Gemeinschaft gegeben, die Landproletarier werden aus Hörigen der Kaziken zu freien Menschen verwandelt. Man springt vom Landfeudalismus zum freien Kommunismus über. Die Bevölkerung wird von der Kolonne verpflegt, ernährt und gekleidet. Die Kolonne bildet, wenn sie in Dörfern rastet, eine Gemeinschaft mit der Bevölkerung. Früher hieß es: Armee und Volk oder richtiger, die Armee gegen das Volk. Heute heißt es arbeitendes und kämpfendes Proletariat, beide bilden eine unzertrennliche Einheit. Die Miliz ist ein proletarischer Faktor, ihr Wesen, ihre Organisation sind proletarisch und müssen es bleiben. Die Milizen sind die Exponenten des Klassenkampfes. Die Revolution auferlegt der Kolonne eine strengere Disziplin als alle Militarisierung es vermöchte. Ein jeder fühlt sich verantwortlich für das Gelingen der Sozialen Revolution. Diese bildet den Inhalt unseres Kampfes, der von der sozialen Dominante bestimmt bleiben wird. Ich glaube nicht, dass Generäle oder militärischer Gruß uns eine für uns Zweckmäßigere Haltung lehren können. Ich bin gewiss, im Sinne Durrutis und der Kameraden zu sprechen.
Wir verleugnen nicht unseren alten Antimilitarismus, unser gesundes Misstrauen gegen den militärischen Schematismus, der bisher nur den Kapitalisten Vorteile erbrachte. Gerade vermittelst des militärischen Schematismus hinderte man den Proletarier seine Person durchzubilden und zwang ihn in soziale Minderwertigkeit. Der militärische Schematismus sollte den Willen und die Intelligenz der Proletarier brechen. Schließlich und endlich kämpfen wir doch gegen meuternde Generäle. Diese Tatsache der militärischen Rebellion erweist den zweifelhaften Wert der militärischen Disziplin. Wir gehorchen keinen Generälen, sondern verfolgen die Verwirklichung eines sozialen Ideals, das unter anderem gerade die maximale Durchbildung der proletarischen Individualität enthält. Die Militarisierung hingegen war ein bisher beliebtes Mittel die Persönlichkeit des Proletariers zu mindern. Wir alle werden die Gesetze der Revolution nach Kräften erfüllen. Die Basis unserer Kolonne sind gegenseitiges Vertrauen und freiwillige Zusammenarbeit. Den Fetischismus des Führertums, die Fabrikation der Vedetten überlassen wir gern den Faschisten. Wir bleiben bewaffnete Proletarier, die freiwillig eine zweckmäßige Disziplin sich auferlegen.
Man versteht die Kolonne Durruti, wenn man begreift, dass sie stets die Tochter und Verfechterin der proletarischen Revolution bleiben wird. Die Kolonne verkörpert den Geist Durrutis und der CNT-FAI. Durruti lebt in unserer Kolonne weiter. Sie bewahrt in Treue sein Erbe. Die Kolonne kämpft zusammen mit allen Proletariern um den Sieg der Revolution. Hiermit ehren wir das Andenken unseres gefallenen Kameraden Durruti.
Die ökonomische Befreiung der Arbeiter ist das große Ziel, dem jede politische Bewegung untergeordnet werden muss.
Aus: Die Soziale Revolution. Frontzeitung (hrg. von den deutschen Anarchosyndikalisten und dem Nationalkomitee Spanien der CNT-FAI), Nr. 3, Januar 1937, S. 3-4.
Originaltext: http://raumgegenzement.blogsport.de/2010/08/07/carl-einstein-die-kolonne-durruti-1937/