Anarchisten und Kleinbürger
Die Marxisten von Marx bis Maurin griffen gegenüber den Anarchisten stets, wenn ihnen kein Argument mehr einfiel, zu der Behauptung: die Anarchisten sind Kleinbürger. In der Literatur, in der Presse und von den Tribünen herab ist diese Weisheit in allen Ländern der Welt millionenfach wiederholt worden. Wir waren in Deutschland eine Minderheit. Aber eine Organisation von Arbeitern. Wir haben unsere Gegner oft gefragt: wo sind denn die Kleinbürger in unserer Bewegung? Wir erhielten keine Antwort. Adolf Damaschke schrieb in seiner Nationalökonomie (noch in der letzten Ausgabe unmittelbar vor Hitler): Der Anarchismus in Deutschland sei eine Angelegenheit gewisser Kreise der jeunesse doree, der Bourgeoisjugend. Wir haben diese goldene Jugend in unseren Gruppen, in unseren Versammlungen nie gesehen. Wir sahen Metallarbeiter, Bauarbeiter, Textilarbeiter, Bergleute, Arbeitslose, nichts mehr.
Wir haben auch oft auf Spanien hingewiesen und gesagt: der spanische Anarchosyndikalismus ist die Klassenbewegung des spanischen Industrieproletariats. Seine Wiege stand in Katalonien, die Textilarbeiter dieser Region waren die ersten, die die Ideen Proudhons und später Bakunins aufnahmen; auf dem Lande war es schwerer Fuss zu fassen. Die Kleinpächter, heute Kleinbauern Kataloniens stehen nicht zur CNT, sondern zu den Republikanern, weil sie Angst haben vor den Sozialisierungstendenzen der Arbeiter.
Auch im übrigen Spanien war es schwer, Landarbeiterorganisationen der CNT aufzubauen. In grossen Landgebieten wie Extremadura, Kastilien, in den eigentlichen Elendsgebieten, setzte sich die UGT fest. Erst jetzt beginnt ein Wandlungsprozess, wie in Kastilien, wo der CNT Zehntausende zuströmen und der freie Landkommunismus um sich greift.
Wir haben stets gesagt: der sozialdemokratische und bolschewistische Marxismus übertragen die Methoden der bürgerlichen Politik auf die Arbeiterbewegung, der Syndikalismus aber ist unmittelbarer Ausdruck der sozialen Struktur des Proletariats und entwickelt seine Taktik aus den natürlichen Möglichkeiten des Land- und Stadtproletariats. Der parteipolitische Marxismus wird infolgedessen immer und immer wieder zur Festigung des Staatsapparates und des Kapitalismus hinführen wahrend der Syndikalismus nur den sozialen Notwendigkeiten des Klassenkampfes und dem Interesse der Arbeitenden entspricht.
Man werfe einen Blick auf die heutigen Organisationsverhältnisse in Spanien. Am typischsten ist Katalonien. Die traditionelle Organisation der revolutionären Arbeiter, die CNT. Die UGT nahm alle jene Zwischenschichten auf, die vor dem Juli "neutrale", "autonome" Gewerkschaften bildeten, wie den CADCI, die Angestellten. Mehr noch — auch der GEPCI, die Vereinigung kleiner Industrieller und Kaufleute, ist Mitglied der unter parteikommunistischer Führung stehenden UGT-Gewerkschaften. "Treball", das Organ der III. Internationale in Barcelona, sagte eines Tages selbst, "die Totalität des Kleinbürgertums" von Katalonien sei in der UGT organisiert. Die Bauern sind in einer Organisation zusammengefasst, die praktisch auf der Linie der UGT marschiert (Rabbassaires). Wenn heute in Katalonien, wenn in Spanien auf der antifaschistischen Seite Spannungen bestehen zwischen Kleinbürgertum und Arbeitern, dann kommen sie zum Ausdruck im Gegensatz der beiden Organisationen: Kommunistische Partei und CNT. Halten wir also fest: im Gegensatz zur beliebten Tradition aller marxistischen Richtungen, die Anarchisten als Kleinbürger zu beschimpfen, muss festgestellt werden, dass sie (heute in Spanien, zum Beispiel) die Exponenten der proletarischen Revolution sind, während die III. Internationale zum Hort der kleinen Bourgeoisie geworden ist — und nicht nur der ganz kleinen.
Übrigens sagen wir dies, ohne gegen die Kleinbourgeoisie polemisieren zu wollen. Trotz aller Bedenken betrachten die revolutionären Arbeiter Spaniens die Kleinbürger als ihre Verbündeten im Kriege gegen den Faschismus. Die CNT hat oft erklärt, dass sie in dieser Übergangsepoche jede Wirtschaftsform anerkennt, die nicht Ausbeutung von Menschen durch Menschen bedeutet — also zum Beispiel die Familienwirtschaft auf dem Lande, den kontrollierten städtischen Kleinbetrieb usw. Die CNT-Arbeiter wenden sich allerdings energisch gegen die Spekulanten und Halsabschneider mit einem gewerkschaftlichen Mitgliedsbuch in der Tasche — das ist wohl verständlich.
Eine kleine Illustration zu obigem Artikel. Einer der bekanntesten Propagandisten der bürgerlichen Linken von Katalonien war der Doktor Trabal, der niemals etwas von einem Sozialisten an sich hatte, sondern ein ganz gewöhnlicher Republikaner war. Er ist jetzt in den PSUC (Sektion der III. Internationale) übergetreten. In einer öffentlichen Erklärung betonte er: "Ja, ich bin jetzt bei den Sozialisten. Aber sage mir niemand, dass ich meine Stellung gewechselt habe. Ich stehe da wo ich immer stand. Wer seine Stellung gewechselt hat, das sind die Sozialisten und Kommunisten. Mit ihrer Hilfe kann ich meinen Idealen dienen." So sehen die Vorkämpfer der III. Internationale in Katalonien aus...
Aus: Die Soziale Revolution Nr. 13, 1937. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ae zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.