Die CNT-FAI und der "POUM"

Vor dem 19. Juli war die Situation in der katalonischen Arbeiterbewegung die folgende: es gab nur eine Massenorganisation, die CNT. Ihre Mitgliederzahl bewegte sich zwischen 150.000 und 200.000. Sie war aber fast stets halb oder ganz illegal. Alle Regierungen bekämpften sie, weil sie niemals mit dem bürgerlichen System zusammenarbeitete und bedingungslos Sozialrevolutionär eingestellt war.

Neben der CNT existierten ca. ein Dutzend anderer Arbeiterorganisationen aller Art (politische Parteien und Gewerkschaftsverbände, fast alle von kleinbürgerlicher Struktur und Ideologie), die jedoch zusammen nur einen kleinen Bruchteil der CNT-Mitgliedschaft erreichten: der Arbeiter- und Bauernblock (Maurin), eine trotzkistishe Gruppe (Nin), die offizielle KP, die offizielle SP, die Sozialistische Union Kataloniens, die Katalonische Proletarierpartei usw. Fast alle diese Grüppchen unterhielten eigene Gewerkschaftsverbände in entsprechenden Dimensionen; andere dieser "Gewerkschaften" wurden von den Republikanern ausgehalten. Die Gruppen von Maurin und Nin vereinigten sich 1935 im POUM, der Arbeiterpartei der marxistischen Einigung.

Während die Militanten der CNT aus dem Gefängnissen fast nicht herauskamen und ein riesiger Polizeiapparat gegen sie in ständiger Bewegung gehalten wurde, machten die katalonischen Regierungen von 1931 bis 34 alle erdenklichen Anstrengungen, eine staatsfromme Konkurrenz-Arbeiterbewegung heranzuzüchten. Dies suchte man dadurch zu erreichen, dass man amtlich alle die kleinen Gruppen förderte, während man unter ihrem Beifall kein Mittel scheute, um die CNT auszurotten. Von den Trotzkisten bis zu den patriotischen Kleinbürgern Kataloniens bestand eine geschlossene Einheitsfront gegen den Anarchosyndikalismus. Der separatistische Putsch in Katalonien am 6. Oktober 1934 begann bekanntlich mit der Massenverhaftung der anarchistischen Militanten, während die Einheitsfront der patriotischen Kleinbürger und der Marxisten auf den Strassen für die Ausrufung der "Katalonischen Republik" manifestierte. Der Zusammenbruch dieses "Putsches" war eine Frage von Stunden.

Da aber die Ausrottung der CNT nicht gelang, da der Anarchosyndikalismus ungebrochen blieb, konnte der Faschismus am 19. Juli auf den Strassen Barcelonas niedergeschlagen werden. Schon vor der Revolution aber hatte sich eine Neugruppierung angebahnt: die patriotischen Kleinbürger und die reformistischen Marxisten hatten sich einander genährt. Die Katatonische Proletarierpartei, Sozialistische Union, SP und KP bildeten kurz nach dem 19. Juli die Vereinigte Sozialistische Partei Kataloniens (PSUC), an die sich im wesentlichen das katalanistische linke Kleinbürgertum anschloss. Aus denselben Elementen wurde eine katalonische UGT aufgebaut: da ohne gewerkschaftliches Mitgliedsbuch niemand mehr arbeiten kann, brauchten auch die notorisch indifferenten Arbeiter, die bisher in allen Klassenkämpfen passiv geblieben waren, ihre Organisation. Das Kleinbürgertum trat geschlossen in die UGT ein. Diese UGT und der PSUC repräsentieren heute in Katalonien die III. Internationale.

Der POUM machte diese Wendung nicht mit, sondern schlug eine proletarisch-revolutionäre Linie ein. In den letzten Monaten ist daher die Spannung zwischen den beiden marxistischen Fraktionen in Katalonien auf den Siedepunkt gestiegen. Die heutigen Vertreter der III. Internationale in Katalonien mussten mit der CNT zusammenarbeiten, die heute wie immer die absolute Mehrheit der Arbeiter des Landes kontrolliert. Trotz des fundamentalen Unterschiedes zwischen der reformistischen Auffassung jener Berufspolitiker, die den PSUC leiten, und der revolutionären Zielsetzung der CNT-Arbeiter waren die Führer des PSUC gezwungen, mit den Arbeitern der CNT einen Block zu bilden. Dafür aber lenkten sie ihre Aufmerksamkeit auf den POUM, dem sie den Krieg erklärten auf Leben und Tod. Die Stellung der CNT gegenüber diesem Kampf zweier marxistischer Fraktionen umreisst FRAGUA SOCIAL, das Organ der CNT von Levante, mit den folgenden Worten: "Man überträgt auf Spanien den Kampf zweier marxistischer Fraktionen, die sich in Russland die Macht streitig machen. Wir sind schon immer anderer Meinung gewesen als der POUM. Aber von da bis zu jener Haltung, die dem POUM jedes Lebensrecht abspricht, ist ein weiter Weg. Unsere Diskrepanzen mit dem POUM hatten ihre Wurzel in Spanien. Wir haben niemals die Haltung der Parteigänger des POUM in Russland zur Grundlage unseres Urteil, über seine Tätigkeit in Spanien gemacht. Die Kommunistische Partei orientiert sich zu sehr nach aussen und lässt die Bedingungen der spanischen Revolution ausser Acht. Wir betrachten die Dinge vom Standpunkt der konstruktiven Probleme unserer Revolution und sind deshalb Gegner der Versuche, innerrussische Gegensätze auf die iberische Halbinsel zu übertragen."

Im Ausland misst man dem Fraktionsstreit zwischen dem POUM und dem PSUC — bzw. der spanischen Kommunistischen Partei — zuviel Wert bei. Der POUM ist eine Partei von geringem Anhang, die aber heute vor einer wichtigen Entscheidung steht. Der Kampf zwischen POUM und PSUC ist isoliert betrachtet von geringer Bedeutung. Die Kommunisten versuchen den POUM zu unterdrücken, was ihnen in mancher Hinsicht gelingt, in anderer nicht. In Katalonien, wo der POUM keine offizielle Vertretung in der Generalidad hat, spielt er trotzdem in zahlreichen Gemeinden eine gewisse Rolle. Als im Januar eine beratende Körperschaft des Kriegsministeriums gebildet wurde, erhielt der POUM in dieser Körperschaft offiziell Sitz und Stimme. In Valencia wurden die Gemeindeverwaltung und der Provinzialrat mit der POUM gebildet, während die Kommunistische Partei ausgeschlossen blieb.

Der Kampf gegen den POUM, die Frage nach der Existenz und Bedeutung dieser Partei erhält im Ausland übertriebene Bedeutung. Einmal, weil man die russischen Verhältnisse auf Spanien überträgt. Ferner, weil der POUM selbst glauben machen will, dass die beiden um die Entscheidung ringenden Tendenzen in der spanischen Arbeiterbewegung durch den POUM einerseits und die III. Internationale andererseits verkörpert werden. Dass diese Anschauung Parteigänger findet, beruht auf jener totalen Unkenntnis der spanischen Verhältnisse, wie sie im Ausland auch in marxistischen Kreisen allgemein verbreitet ist. Spaniens Arbeiterbewegung zerfällt in zwei zahlenmässig fast gleichgrosse, aber politisch sehr verschiedene Massenorganisationen, die zugleich zwei entgegengesetzte Tendenzen verkörpern und um die Entscheidung ringen oder eine Synthese suchen: CNT und UGT. Die CNT: die Tendenz der Sozialen Revolution, der direkten Aktion und des syndikalistischen Aufbaus; die UGT: eine von Berufspolitikern und Beamten geleitete sozialdemokratische Gewerkschaft, deren Führer heute mehr zur III. als zur II. Internationale neigen, aber im Grunde noch immer bürgerliche Demokraten sind.

Auch der POUM war bis zum 19. Juli eine parlamentarische Partei. Der spanische Anarchismus, seit Dreivierteljahrhundert von ausnahmslos allen Regierungen verfolgt und stets in bedingungsloser Opposition zum bürgerlichen System, besitzt genügend Wirklichkeitssinn um zu begreifen, dass in der nach dem 19. Juli entstandenen Lage seine Zusammenarbeit mit allen übrigen antifaschistischen Kräften unerlässlich war. Die CNT braucht sich aber von keiner parlamentarischen Partei über das Wesen der Demokratie und die Gefahren des Stalinismus belehren zu lassen. Die Arbeitermassen der CNT stehen unerschüttert zu ihrer revolutionären Tradition.

Der POUM, eine kleine Gruppe marxistischer Revolutionäre, in der vor allem die Intellektuellen eine Rolle spielen (weshalb wohl eine ausländische oppositionell-kommunistische Zeitung auf den Einfall kam, den POUM "das Gehirn der spanischen Revolution" zu taufen...), steht trotz seiner scharfsinnigen politischen Analyse der Situation, trotz seiner kritischen Parolen und Zeitungen zwischen den grossen Organisationen der Masse, die beide eine klar ausgeprägte Tendenz haben. Er schwankt. Er dirigierte seine Mitglieder in die katalonische UGT, aber gewissermassen aus Sympathie für die CNT — nämlich weil die Masse der UGT "eine revolutionäre Injektion" nötiger habe...

Der POUM sekundiert heute praktisch die revolutionäre Linie der CNT. Die CNT und die FAI haben sich in den letzten Wochen bei vielen Gelegenheiten gegen die antitrotzkistische Hetze gewandt, obwohl der Anarchismus weder mit dem Trotzkismus noch mit dem POUM ideologisch das geringste gemein hat. Im Gegenteil, die CNT trennt vom POUM dasselbe, was sie von der Kommunistischen Partei trennt. Dass der POUM sich heute zur proletarischen Revolution statt zur demokratischen Republik bekennt, bringt ihn gewiss der CNT nahe, doch bleibt das für die CNT dabei wesentliche Problem unberührt.

Der POUM ist eine politische Partei. Die CNT ist eine gewerkschaftliche Organisation. Der POUM erstrebt, genau wie die Kommunistische Partei, die Monopolisierung der Macht zugunsten eines politischen Führerzirkels. Die CNT will den Aufbau des Sozialismus durch die wirtschaftlichen Klassenorganisationen der Produzenten und Konsumenten. Die CNT fordert alle ökonomische und infolgedessen auch alle politische Macht für die Arbeitergewerkschaften, die sich auf den Betrieben, auf den Gemeinden und den Föderationen der Betriebe und der Kommunen aufbauen. Sie ist gegen jedes Machtmonopol in den Händen einer Partei.

Die Bolschewisten sprechen von Diktatur des Proletariats und von Räten und meinen den Staatskommunismus. Auch der POUM sucht die "Räte"-Idee nach Spanien zu importieren. Worte besagen nichts. Ein Land kann eine "Räte"-Verfassung haben und in Wirklichkeit der Diktatur eines kleinen politischen Führerkreises ausgeliefert sein. Die spanische Revolution braucht keine ausländisches Schema zu kopieren. Sie soll und kann eigene Organe als Ausdruck wirklicher Selbstbestimmung der Arbeiter hervorbringen. Sie hat sie schon. Freilich stammen sie nicht aus Büchern, die aus dem Deutschen oder dem Russischen übersetzt sind. Sie stammen aus dem Leben, dem Kampf der spanischen Arbeiter selbst, sie verkörpern ihre Interessen, für sie setzten sie seit Jahrzehnten Freiheit und Leben der Einzelnen ein: die Syndikate.

Syndikaler Sozialismus gegen Parteidiktatur — das ist das Problem der spanischen Revolution. Eine Parteidiktatur wie in Russland wird in Spanien unmöglich sein: weder die Diktatur der offiziellen Sozialisten und Kommunisten, noch die Monopolisierung der Revolution durch den POUM. Die Genossen des POUM, heute auf unserer Seite als Verfechter der proletarischen Revolution, sind unsere Gegner, wenn sie weiter die Idee der Vorherrschaft der Partei über die Revolution vertreten und diese Vorherrschaft für sich beanspruchen. Sie werden heute geschmäht und verleumdet, und wir nehmen Stellung gegen alle Verleumder, für alle Verfolgten und Beleidigten. Aber wir sagen dem POUM, wir sagen dem Weltproletariat: der Streit zwischen der kleinen Fraktion des POUM und den spanischen Kommunisten ist nur eine der vielen Teilerscheinungen im Todeskampf der Parteipolitik, die die Arbeiterbewegung auf den Hund gebracht hat. Die CNT verkörpert demgegenüber ein neues, einigendes, konstruktives Prinzip: das Prinzip des sozialistischen Aufbaus, der Einheit der Produzenten, der direkten Aktion, die den 19. Juli gewann — ebenso wie die Parteipolitik und der Parlamentarismus der Arbeiterbewegung gegenüber dem Faschismus erlagen.

Kameraden des POUM — entscheidet euch. Mit der CNT gegen alle Parteipolitik und gegen jedes Machtmonopol von Berufspolitikern — und für die konstruktive Arbeit der wirtschaftlichen Organisation — oder Diktaturanwärter, mit denen wir nichts zu tun haben.

Aus: Die Soziale Revolution Nr. 5-6, 1937. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ä zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.


Creative Commons - Infos zu den hier veröffentlichten Texten / Diese Seite ausdrucken: Drucken



Email