Keine Partei-Politik mehr

Zu diesem Thema schreibt die Tageszeitung CNT, das Organ der CNT-Zentrum, in ihrem Leitartikel vom 7. Januar 37:

Wenn wir sagen hören, die Gewerkschaften hätten sich auf die Organisation der Produktion zu beschränken, oder, das soziale Leben des Landes müsse von den politischen Parteien geleitet werden, erinnern wir uns unwillkürlich an die Mienen, die Bourgeois aufzusetzen pflegten, wenn die Arbeiter die Kontrolle der Betriebe forderten. Für den Arbeitgeber besitzt der Proletarier nie die nötige Fähigkeit von sich aus die Arbeit zu leiten, für die er verwendet wird. Der Kapitalist hat sich immer für unentbehrlich in der Gesellschaft gehalten; er konnte sich die Entwicklung einer Industrie nicht vorstellen, in deren Leitung er nicht mit absoluten Vollmachten tätig sei. Für ihn hatten die Arbeiter nur eins zu tun: arbeiten; während er auch nur eins konnte: kommandieren.

Der Umsturz in Spanien hat einen grossen Teil unserer Wirtschaft in die Hände der Arbeiter übergehen lassen, die bewiesen haben, dass der Bourgeois für den Betrieb nicht nur überflüssig, sondern störend ist und eine Belastung bedeutet. Diejenigen qualifizierten Arbeiter, die gestern nicht ein ausschliesslich parasitäres Dasein führten, d.h. also die, die ihre Arbeit im Betrieb leisteten, haben ihren Charakter als Kapitalisten verloren und arbeiten heute als Techniker oder als Arbeiter innerhalb der gewerkschaftlichen Organisationen an dem Aufbau der neuen sozialistischen Wirtschaft.

Die sozialen Verhältnisse, die der Krieg geschaffen hat, sind ausschlaggebend gewesen für die Beschlagnahme der Industrien und die Übernahme der brauchbaren bürgerlichen Elemente durch das Proletariat. Trotzdem ist die soziale Umformung nicht restlos gewesen. Das Kleinbürgertum wurde respektiert, einerseits, weil es nicht so gefährlich ist wie die kapitalistische Grossbourgeoisie, andererseits, weil man es aus diesem Grunde benutzen konnte in der Front gegen die faschistische Plutokratie.

Jedoch sehen wir uns der Tatsache gegenüber, dass viele Arbeiter, die nicht kriegswichtige Betriebe beschlagnahmt haben und jetzt als Kollektiven führen, heute eine spezifisch bürgerliche Einstellung haben, die den sozialen Interessen des Landes ausgesprochen schädlich ist. Diese eben erwähnten Arbeiter und die Kleinbürger werden mit der Zeit eine immer stärkere Gefahr der Revolution bilden, die ihrerseits schon aus Notwehr diese Elemente immer mehr ausschalten wird durch die wachsende Betriebskontrolle der Gewerkschaften.

Ähnlich geht es mit den politischen Parteien. Sie sind eine Gründung noch aus der Zeit der bürgerlichen Gesellschaft und sind heute noch nützlich im Kampfe gegen den Faschismus; nach und nach werden sie von den wirtschaftlichen proletarischen Organisationen aufgesogen. Wir Arbeiter sind uns völlig darüber im Klaren, dass auch die Politiker, genau wie der Bourgeois, uns nur eine Mission zuerkennen: zu arbeiten; die Leitung reservieren sie für sich. Mit welchem Recht? Kann man wirklich im Ernst sagen, wie neulich ein gewisses Blatt behauptete, dass die "politischen Parteien in unserem Land qualifizierte Minderheiten" verkörpern? Moralische und intellektuelle Werte sind innerhalb der wirtschaftlichen Arbeiterorganisationen genau so geschätzt, wie innerhalb der politischen Parteien; in den Gewerkschaften aber erlangen sie grössere Bedeutung für die Gesamtheit. Die Auffassung der "qualifizierten Minderheit" ist kennzeichnend für die politische Partei; aber sie entspricht nicht der sozialen Wirklichkeit unserer Epoche; in der Regel sind die politischen Parteien und die Auswahl, die sie in sich begreifen, vom Standpunkt der Allgemeininteressen diesen entgegengesetzt. Jede "qualifizierte Minderheit" will herrschen. Wenn jede Partei sich für diese Minderheit hält und demzufolge die gleichen Absichten hat, so wird jede von ihnen — ohne jeden Zweifel — lediglich zum Anlass der Zwietracht. Die politische Erfahrung in Spanien beweist das eindeutig.

Eine politische Partei allein kann ein Land nur regieren, wenn sie alle anderen Parteien ausschliesst und eine Diktatur errichtet. Das ist der Fall in Deutschland, in Italien und in Russland. Die hitlersche Diktatur nennt sich "national" genau wie die Mussolinis; die stalinistische nennt sich "proletarisch". Aber die erste ist die der Nazipartei, die zweite ist die faschistische und die dritte ist bolschewistisch, staatskommunistisch. Wenn politische Parteien eine Nation regieren, kommt man zwangsläufig entweder zur Diktatur oder zu einer demokratischen Korruption (der Fall Spanien vor dem 19. Juli). Die wahrhafte Demokratie eines freien werktätigen Volkes kann nur die Arbeitergewerkschaften zur Basis haben. Diese nehmen die politischen Parteien in sich auf und geben den sozialen Theorien einen realen Ausdruck. Lediglich in diesen Gewerkschaften können alle Strömungen aufgehen; in ihnen allein haben wir ein wirkliches Instrument für die Verwirklichung sozialer Ziele.

Wenn wir diese Aufgabe der Syndikate vertreten, so leitet uns dabei nicht die Absicht, allen spanischen Revolutionären unsere Ideologie aufzuzwingen. Wir verzichten darauf, in diesem Zusammenhang über Freiheitlichen Kommunismus zu reden. In den Gewerkschaften können Republikaner, Marxisten und Anarchisten ihre Ansichten vertreten.

Augenblicklich haben wir zweifellos auch Marxisten in der CNT und ebenso Anarchisten in der UGT. Es ist die lebendige Arbeit, die uns alle vereinen und verbrüdern kann und zur gleichen Zeit das Land retten. Die Gewerkschaften zum Fundament des sozialen Lebens machen, heisst weite Horizonte eröffnen für ein freiheitliches Denken, heisst den Grundstein legen für den revolutionären Aufbau und die Diktatur vermeiden, heisst schliesslich den Arbeitern das erobern, was ihnen gestern Bourgeoisie und Politik vorenthielten, und eine sichere Garantie schaffen dafür, dass uns morgen nicht die Rechte wieder entrissen werden, für die wir heute Ströme von Blut vergiessen.

Aus: Die Soziale Revolution Nr. 3, 1937. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ä zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.


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