Auweder / Schumann - Der spanische Anarchismus
»Wir sind es, die wir diese Städte und Paläste - hierin Spanien und in Amerika und überall - gebaut haben. Wir Arbeiter können andere Städte und Paläste an ihrer Stelle aufrichten. Und sogar bessere. Wir haben nicht die geringste Angst vor Trümmern. Wir werden die Erben dieser Erde sein... hier in unseren Herzen, tragen wir eine neue Welt. Jetzt, in diesem Augenblick, wächst diese Welt...« (Durutti 1936)
Ursprünge
Im Gegensatz zu England und Deutschland, wo die Arbeiterbewegung vorwiegend marxistisch orientiert war und in ihren sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften im Laufe der Zeit überwiegend reformistische Tendenzen entwickelte, war die spanische Arbeiterbewegung schon früh von föderalistischen und libertären Tendenzen bestimmt. Etwa um 1840 kam es in Spanien zur Gründung der ersten Arbeiterassoziation, die bald nach Berufen gegliedert und von »unten nach oben« organisiert wurde. Ebenso wie die später gegründeten Assoziationen wirkten in ihr verschiedene sozialistische Strömungen, die zum Teil vom Geiste Fouriers und Cabets inspiriert wurden, später dann den Ideen von Proudhon (1) nahestanden. In den frühindustrialisierten Gebieten Spaniens gründeten sich geheim operierende Gewerkschaften, die, nachdem die staatlichen Verfolgungsmaßnahmen sich verschärft hatten, im Juni 1855 den ersten Generalstreik in Spanien ausriefen. Dieser wurde, als die freie Vereinigungsmöglichkeit von Gewerkschaften durch die Regierung anerkannt worden war, nach 9 Tagen beendet. Ein negatives Ergebnis der erreichten Legalität war allerdings auch, daß nun die führenden Gewerkschaftler der Regierung bekannt waren und leichter verfolgt werden konnten.
»Im November des selben Jahres gibt es ökonomische Revolten in Saragossa und Valencia. Besonders in Saragossa bemächtigen sich die Rebellen der Kornlager und der Waren der Schiffe am Ebro. Die Miliz, die stark vom sozialistischen Geist erfüllt war, machte gemeinsame Sache mit dem Volk. Dasselbe erfolgte in Valencia, und im nächsten Jahr, im Sommer 1856, ereigneten sich solche Überfälle auf Fabriken, Mühlen-, Korn- und Brotmagazine in allen Städten von Kastilien, Valladolid etc...» (Helmut Rüdiger, anarchistische texte Heft 26, zit. in: Andreas Bohl, Revolution in Spanien, München 1984, Seite 14)
Anders als in den übrigen westeuropäischen Ländern hatte sich in den größten Teilen Spaniens bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts eine feudalistische Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur erhalten. Die Herrschaft der adligen Grundherren bestand in Spanien aus zwei Typen: einmal die Grundherrschaft, die dem Grundherren weder zivil- noch strafrechtliche Befugnisse einräumte, jedoch weitgehende Boden- und Eigentumsrechte. Zum anderen eine Grundherrschaft, die ihm richterliche Befugnisse zugestand, die aber nicht an Bodenbesitz gekoppelt war. Genossenschaftliche Einrichtungen wurden von den Grundherren vor allem in Andalusien zumeist gefördert. Lebenszusammenhalt der Landbevölkerung war das »pueblo«, in dem es zu Einrichtungen von Selbstverwaltungen kommen konnte. Als Organisationen besonders hervorgehoben werden müssen hierbei die Bruderschaften, die neben gesellschaftspolitischen und religiösen Aufgaben auch soziale und wirtschaftliche Funktionen übernahmen. So spielten die Bruderschaften als Krankenkassen, Kreditanstalten, Versicherungen, Träger von Hospitälern und als Disziplinarorgan eine erhebliche Rolle. Mit dem Niedergang der genossenschaftlich organisierten Bruderschaften ging im »pueblo« ein erheblicher Teil des Gemeindewesens verloren.
Die Ideen von selbstverwalteten, auf Kollektivismus und Gleichheit beruhenden Gemeinschaften waren bereits seit mehreren Jahrhunderten in Spanien bekannt. Schon im ausgehenden Mittelalter revoltierten Landarbeiter und Handwerker gegen den parasitären Adelsstand und setzten sich für die Einrichtung einer Gemeinschaft der Brüderlichkeit ein. Ziel war es, die Neugestaltung der Lebens- und Arbeitsbedingungen auf der Basis des Genossenschaftswesens einzuführen. Ursprünglich waren die Bruderschaften, die Kampfgemeinschaften gegen Adlige, als Zusammenschluß von Bauern, Handwerkern und Landarbeitern organisiert worden. In Spanien war der größte Teil der Bevölkerung in solchen Bruderschaften aktiv.
»In der Funktion einer Krankenkasse, einer Kreditanstalt, einer Versicherung gegen Viehsterben etc. bzw. als Träger des örtlichen Kapitals und der lokalen Krankenpflege bewahrte die Bruderschaft das Individuum vor Schaden und Unglück während des Lebens. Als Witwen- und Waisenkasse bzw. als Vereinigung zum Gebet und zur Durchführung von Gedächtnismessen sorgte die Bruderschaft nach dem Tod ihrer Mitglieder für die Hinterbliebenen und das Seelenheil des Verstorbenen... Daneben finden sich aber auch viele Beispiele dafür; daß die Angehörigen einer Bruderschaft gemeinsam ein der Bruderschaft gehörendes Land bearbeiteten oder eine der Bruderschaft gehörende Schafherde verpachteten, um aus dem Verkauf der Produkte bzw. der Pachteinnahmen nicht nur die zumeist recht üppigen Festmähler zu bestreiten, sondern auch Hilfsfonds zu begründen und Rücklagen zu schaffen.« (Johann Hellwege: Genossenschaftliche Tradition und die Anfänge des Anarchismus in Spanien, S.28)
Die durch die 1836 und 1854 erfolgte Abschaffung der feudalen Eigentumsverhältnisse zusammenbrechende bisherige ländliche Gesellschaftsordnung und der damit verbundene Aufkauf von Kirchen- und Gemeindeland durch die wenigen Großgrundbesitzer führte zur Entstehung eines kapitalistischen Großgrundbesitzertums. Bisher war der Grundbesitz der Gemeinde von allen Bewohnern gemeinsam benutzt worden und hatte der Gemeinde das Einkommen gesichert. Nun hatte besonders die nach 1854 einsetzende Umwälzung der Bodenbesitz- und Nutzungsverhältnisse auf dem Sektor der Gemeindeländereien sowie die zunehmende Einschränkung von Nutzungsrechten der Allgemeinheit auf privatem Grund (Einzäunungen) verheerende Auswirkungen. Ursprünglich sollte mit dem zum freien Verkauf angebotenen Gemeindeland die Anzahl der freien Kleinbauern vergrößert werden. Diesen jedoch fehlte das notwendige Kleingeld, um bei den Versteigerungen mit den kapitalkräftigen Großgrundbesitzern mithalten zu können. Die Ländereien fielen so der reichen, in den Städten lebenden Oberschicht (Offiziere, Anwälte, höhere Beamte) zu, die Landbesitz und ein sorgenfreies Leben auf Renten und Zinsen ihres Vermögens noch immer als erstrebenswert erachteten.
Mit dem ländlichen Besitzindividualismus wurden neben den genossenschaftlichen Hilfseinrichtungen auch die die dörfliche Gemeinde regelnden Ordnungsmechanismen zerstört. Die daraus resultierende Verschlechterung der ohnehin katastrophalen Situation der Landarbeiter und Bauern machte sich in Andalusien in Aufständen und Unruhen Luft.Es ist nicht verwunderlich, daß unter diesen Umständen den Landarbeitern und Kleinbauern die kollektiven Ideen des Anarchismus als ein Rückgriff auf Altbekanntes und Altbewährtes erschien, nämlich die gemeinschaftliche Bewirtschaftung von Gemeindeland, sowie die Kommune bzw. das Kollektiv als autarke, autonome Lebenseinheit, wie es früher das »pueblo« gewesen war.
Die ländlichen Bewegungen waren also eher auf die Rekonstruktion traditioneller Dorfverhältnisse und Strukturen ausgerichtet. Zugleich fanden die Landarbeiter und Kleinbauern im Anarchismus mit seiner Schilderung einer zukünftigen selbsterkämpften heilen Gesellschaft nach der Revolution den Ersatz für eine Religion, verkörpert in einer Kirche der Reichen, die als konservativ-reaktionäre Institution die Hoffnungen der armen Bevölkerung ins Jenseits vertröstete.
Die katholische Kirche muß als ein entscheidener Machtfaktor in der spanischen Politik begriffen werden. Sie arbeitete eng mit der herrschenden weltlichen Macht zusammen. Neben der weltlichen Bourgeoisie spielte die klerikale als Ausbeuter der unterdrückten spanischen Arbeiter und Bauern eine große Rolle. Trotz der Amortisation der Kirchenländereien ab 1823 war die Kirche ungeheuer reich und legte ihr Vermögen stattdessen in Banken, Bergwerken und Industrieanlagen an. Allein die Jesuiten kontrollierten noch 1912 ein Drittel des gesamten spanischen Kapitals. Die Kirche besaß außerdem bis 1931 das Erziehungsmonopol und hinterließ dort rund 12 Millionen Analphabeten, die Hälfte der spanischen Bevölkerung. Bis 1820 noch hatte die Inquisition die intellektuelle Neugier spanischer Schriftsteller verfolgt. Obwohl die Religion als »Opium des Volkes« die Aufhebung der Unterdrückung durch Staat und Kapitalismus in ferne Welten verschob, benutzten auch die Anarchisten, trotz natürlicher Abneigung und Ablehnung alles Kirchlichen, religiöse Sprachformen. Einerseits wollten sie den eigenen Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit Ausdruck geben, die das »natürliche Recht zur Revolution« (Bakunin) beinhalteten, andererseits wollten sie diese Sprachformen aber auch als subversiven Akt gegen die Kirche verstanden wissen, indem sie der christlichen Offenbarung ihre Tradition und Geltung entzog. So wurde zum Beispiel das Glaubensbekenntnis mehr als einmal in ein anarchistisches Credo umformuliert:
»Ich glaube an den allmächtigen revolutionären Sozialismus, Sohn der Gerechtigkeit und der Anarchie, der von allen bürgerlichen Politikern verfolgt worden ist, geboren unter dem Zeichen der Wahrheit, gefallen unter die Macht der sämtlichen Regierungen, von denen er mißhandelt, verspottet und verschleppt worden ist; hinabgestiegen in die finsteren Verliese, und von dort ist er gekommen, das Proletariat zu emanzipieren, und hat Platz genommen in den Herzen der Assoziierten. Von dort aus wird er alle seine Feinde richten. Ich glaube an die großen Grundsätze der Anarchie, der Föderation und des Kollektivismus; ich glaube an die Soziale Revolution, die die Humanität von all denen erlösen wird, die sie heute entwürdigen und erniedrigen. - Amen.« (Credo de la Mano Negra, 1883, in: Görling, S. 177)
Auch die Staatsablehnung des Anarchismus traf sich mit den Gefühlen des spanischen Bauern und Landarbeiters. Aufstände gegen wirtschaftliche Ungerechtigkeiten in den Dörfern wurden vom Staat mit Hilfe der Guardia Civil blutig niedergeschlagen. Hatten sich früher die Dörfer mit einem Minimum an Verwaltung selber organisiert, wurden nun Behörden und Verwaltung der Staatsmacht als überflüssig angesehen und meist nur in ihren Unterdrückungsfunktionen wahrgenommen. Die Gründung der Guardia Civil 1844 war die direkte Antwort der Regierung auf die Vielzahl der dörflichen Erhebungen. Zu der ungerechten Verteilung der Produktions- und Besitzverhältnisse trat nun für die Landbewohner auch die Erfahrung der von außen eindringenden staatlichen Unterdrückung.
Mitte des 19. Jahrhunderts standen sich in Spanien zwei unversöhnliche soziale Gruppen gegenüber. Zum einen die verarmten und unterdrückten, weitab von historischen Ereignissen ihr Dasein fristenden Landarbeiter, Kleinbauern und zunehmend ein aus ungelernten Arbeitern bestehendes Industrieproletariat, zum anderen eine Oberschicht, bestehend aus Kirche, Großgrundbesitzern und Armee. Es waren das Zusammentreffen von Armut und Unterdrückung sowie die Ideen von praktischer Gleichheit, Föderalismus und organisatorischer Flexibilität, die dem Anarchismus in Spanien den Weg ebneten.
»Das Landproletariat nimmt seither eine Haltung totaler Ablehnung und radikalen Mißtrauens gegenüber der Zentralgewalt ein und offenbart damit zum ersten Mal regionalistische Tendenzen, die man schon als Ausdruck eines spontanen Anarchismus bewerten kann, der später die große anarchistische Explosion in Andalusien ermöglicht.« (Ignacio Femandez de Castro, in: Juan Goytisolo, Spanien und die Spanier, 1982)
Die spanische Sektion der IAA
Nach der Proklamation der Ersten Spanischen Republik im September 1868 veröffentlichte Bakunins Genfer Komitee, die »Allianz der sozialistischen Demokratie«, eine Botschaft an die spanischen Arbeiter. Die Allianz der sozialistischen Demokratie war eine von Bakunin gegründete Geheimorganisation innerhalb der Internationalen Arbeiter Assoziation (IAA). Sie war gedacht als Gegenpol zu der von Bakunin in der IAA vermuteten Geheimorganisation von Karl Marx, dem Kommunistenbund. Da dieser Kommunistenbund wohl nicht existierte und um die Position Bakunins in der IAA zu schwächen, wurden auf Betreiben von Marx ab 1869 Geheimorganisationen in der IAA verboten. Die Botschaft an die spanischen Arbeiter lautete:
»Die Allianz ist weder eine Akademie, noch eine Werkstatt, sie ist eine wesentliche militante Assoziation, deren Ziel die Organisation der Volksmassen zur Zerstörung der Staaten und aller religiösen, politischen, gerichtlichen, ökonomischen und sozialen jetzt bestehenden Einrichtungen ist, zur absoluten Befreiung der geknechteten und ausgebeuteten Arbeiter der ganzen Welt. Das Ziel unserer Assoziation ist, die Massen dazu zu treiben, tabula rasa zu machen, damit die Land- und industrielle Bevölkerung sich nach den Prinzipien der Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit und Solidarität reorganisieren und föderieren kann, von unten nach oben, spontan, frei, außerhalb jeder offiziellen, reaktionären oder selbst sogenannten revolutionären Bevormundung.« (Michail Bakunin, An die spanischen Brüder der Allianz, Locarno 1872)
Im Oktober des gleichen Jahres reiste ein Freund und Mitarbeiter Bakunins, der Italiener Giuseppe Fanelli, nach Spanien, in der Absicht, die spanische Sektion der IAA zu begründen. Doch die darauffolgende Zuwendung der spanischen Arbeiterbewegung zum Anarchismus, besonders in Katalonien, ist wohl weniger auf die Reise Fanellis, als neben den oben genannten Gründen auf einen Lernprozeß der Arbeiterbewegung zurückzuführen. Aus der Niederlage des von ihr getragenen Aufstandes der katalanischen Föderalisten um Pi y Margall im September 1869 und die Revolten gegen die von der Zentralregierung erlassenen Militärpflicht hatte man die Erfahrung gezogen, daß die »Emanzipation der Arbeiter das Werk der Arbeiter selber sein müsse«, man sich nicht auf Politiker verlassen könne. Schon das Gründungsprogramm der FRE, der »Federacion de Region Espanola«, die 1870 gegründet worden war, stellte einen Kompromiß zwischen syndikalistischer und anarchistischer Politik dar. Der Ausbau und föderative Zusammenschluß der Gewerkschaften wurde nicht allein mit der Notwendigkeit begründet, die Verbesserung von Lohn- und Arbeitsbedingungen zu erreichen, sondern er sollte die Bedingung des Kampfes gegen das Kapital verbessern, an dessen Ende die Befreiung der Arbeiter stehen sollte. Der föderative Aufbau der Gewerkschaft in autonome Berufsgewerkschaften auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene sollte sowohl als Keim einer Selbstverwaltung einer zukünftigen freien Gesellschaft dienen, als auch die gegenseitige Unterstützung bei Kampfmaßnahmen sicherstellen. Ebenso stellten die Aussagen des Grundsatzprogramms der FRE zum Staat einen Kompromiß zwischen Anarchismus und Syndikalismus dar, in welchem schon vor den Auseinandersetzungen in den 20er Jahren des folgenden Jahrhunderts eine dem spanischen Anarchosyndikalismus typische Interpretationsweite zugelassen wurde. Sowohl die strikt antipolitische staatsverneinende anarchistische Richtung als auch die im Vergleich dazu eher gemäßigte, nicht jede Aktion und Zusammenarbeit mit politischen Parteien ausschließende, syndikalistische Richtung fanden sich vertreten.
Bereits 1873 war die anarchistische spanische Sektion mit ihren 50.000 Mitgliedern die größte Fraktion innerhalb der IAA. Die antipolitische Haltung der in der FRE organisierten Arbeiter bedeutete die Ablehnung aller politischen Parteien, Gegnerschaft auch gegenüber der Republik und die Weigerung, an Wahlen teilzunehmen. Die bereits 1870 entbrannte Diskussion über die Taktik der FRE führte 1872 auf dem Kongreß in Cordoba zur formellen Zustimmung für die Ideen Bakunins gegen die Aufforderung von Marx, sich im bürgerlichen Staat in den Parlamenten politisch zu betätigen. An die Stelle der politisch-parlamentarischen setzten die Anarchisten die direkte Aktion, unter der sie ursprünglich die unmittelbare Auseinandersetzung der sich gegenüberstehenden gesellschaftlichen Kräfte, das selbstständige Handeln des Volkes sowie - unter Rückgriff auf Bakunin - die Absicht verstanden, das Endziel der Sozialen Revolution keineswegs nur durch die formale Anwendung und Verbreitung von fertigen Theorien, sondern auch durch die »Tat« zu erreichen. Unter »Direkte Aktion« fielen somit nicht nur Terrorakte und Sabotage, sondern auch Aushandlung von Kollektivarbeitsverträgen und Streiks. Streiks waren während der Existenz der spanischen Sektion der LAA bis 1888 die bevorzugte Strategie. Die Ziele, die durch die Streiks erreicht werden sollten, wurden allerdings nicht als reformistische Verbesserungen der Arbeitsbedingungen betrachtet, sondern als Maximierung der Ausgangsposition für die Revolution.
In der gesamten Geschichte der ersten spanischen anarchistischen Bewegung, von 1870 bis 1888, waren innere Konflikte durch die unterschiedliche Herkunft der Mitglieder vorprogrammiert. Dabei setzte sich in Zeiten der Legalität, von 1870 - 1874 und 1881 - 1883, der »reformistische Kurs« und sein wichtigstes Kampfmittel, der Streik durch. In Zeiten der Illegalität der FRE, 1874 - 1881 und ab 1883, wurde der spanische Anarchismus von der Radikalität der Basis bestimmt. Die Radikalisierung der Basis war das Resultat des Verbots der anarchistischen Bewegung und der Ausdruck des Scheiterns der legal ausgerichteten Aktionen an den staatlichen Machtinstitutionen. Diese kollektive Propaganda der Tat wurde von der tendenziell reformistisch ausgerichteten Führung eher unwillig als reaktive Gewalt, als Antwort auf die Staatsgewalt, hingenommen.
Die Fraktionen innerhalb des spanischen Anarchismus unterschieden sich nach ihren Schwerpunkten und gegensätzlichen ökonomischen und sozialen Bedingungen. Es handelte sich dabei jedoch nicht um die Unterscheidung in städtische (Katalonien) Syndikalisten und ländliche (Andalusien) Anarchisten, wie vielfach gerne behauptet wird. Vielmehr zeigt die Herausbildung der libertären Bewegung in Andalusien, daß es sich zum größten Teil um einen städtischen Handwerker- und Industrieanarchismus handelte. Mehr als die Hälfte der Anarchisten in Andalusien kamen aus diesem Bereich. Dieses fast ausgeglichene Verhältnis von städtischem und ländlichem Anarchismus in Andalusien änderte sich bis in die 20er Jahre des nächsten Jahrhunderts nicht. Ein noch entschiedeneres Bild des städtischen Charakters der andalusischen Mitglieder der FRE gab die Verteilung der Streiks der Gewerkschaftsmitglieder wieder. Diese konzentrierten sich fast ausnahmslos in den Jahren bis 1874, bis zum Verbot der FRE, auf die großen Städte Südspaniens. Nur ungefähr 12% der Streiks, an denen die FRE beteiligt war, wurden von Landarbeitern durchgeführt. In den Jahren 1888 bis 1923 fanden rund 26% der Arbeitsniederlegungen im ländlichen Bereich statt, die restlichen verteilen sich zu 50% auf den Industriesektor und zu 18% auf den Dienstleistungsbereich. Das Besondere am andalusischen Anarchismus ist also nicht die Vermutung, daß es sich um einen reinen Bauernanarchismus gehandelt hat, sondern die Tatsache, daß es neben einer revolutionären städtischen Massenbewegung eine revolutionäre Landbevölkerung gab, die, in Erinnerung ihrer genossenschaftlichen Traditionen, eng verbunden mit dem städtischen Proletariat kämpfte.
Andalusien war nämlich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts das industriell am weitesten entwickelte Land Spaniens. Die Vorurteile eines zurückgebliebenen agrarischen Landstriches resultierten aus der darauf folgenden Entwicklung, die bestimmt wurde durch die gleichsam koloniale Fremdbestimmung Andalusiens durch Zentralspanien und europäische Länder wie England. Andalusien hatte zur Zeit der Eroberung Amerikas eine wirtschaftliche Expansion erlebt, die erst mit dem Verlust des Handelsmonopols mit Übersee und der Unabhängigkeit der Kolonien schmolz. Noch 1844 wurden in den Provinzen Malaga und Sevilla rund 88% des spanischen Eisens gefördert. Dies änderte sich erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zugunsten Nordspaniens, vor allem, weil mit der asturischen Kohle billiger produziert werden konnte. Englische Firmen brachten aber weiterhin in den großen Erzgruben des Südens riesige Kapitalsummen ein. Der Niedergang zu einem desindustrialisierten und dekapitalisierten Andalusien hatte zwei Gründe:
Einmal waren große Teile der Industrie, vor allem Bergbau und Schwerindustrie, im Besitz ausländischen, zumeist englischen Kapitals. Zum anderen investierte der größte Teil der andalusischen Großgrundbesitzer ihre Profite nicht in die einheimischen, sondern in Industrieanlagen in Madrid, Katalonien und im Baskenland. Sie hatten wenig Interesse daran, die Landwirtschaft zu modernisieren und zu mechanisieren, solange der Überfluß an billigen Arbeitskräften dies nicht verlangte. Im Bewußtsein dieser in Madrid lebenden Machtelite blieb Andalusien ein kolonisiertes Land. Der Nachteil der Investition in anderen Landesteilen Spaniens war allerdings, daß dadurch auch nicht ein kaufkräftiger Markt entstehen konnte und deswegen gerade in Andalusien die von sozialem Abstieg bedrohten Handwerker und Kleinindustriellen sich in Gewerkschaften organisierten. Sie gründeten Schutzgemeinschaften und Syndikate gegenseitiger Hilfe und versuchten, eine Zusammenarbeit mit den Industrie- und Landarbeitern zu erreichen. In der 1872 gegründeten »Union de Trabajadores del Campo« zum Beispiel schlossen sich neben Landarbeitern und Tagelöhnern auch Bäcker, Fuhrleute und Faßbinder zusammen. Diese »uniones«, die in ganz Andalusien verteilt waren, erstrebten weniger wirtschaftliche Reformen als die Propagierung und organisatorische Vorbereitung des Umsturzes. Auf Grund der besonderen Situation Andalusiens im Verhältnis zu Zentralspanien spielten auch hier die Kantonalistenaufstände im Jahr 1873 eine ebenso bedeutsame Rolle für die Entwicklung des Anarchismus, wie die der Föderalisten in Katalonien. Diese Aufstände mit dem Ziel der Autonomie wurden von den Anarchisten unterstützt und aus ihren Niederlagen heraus entwickelte man neue anarchistische Ideen.
Wenn auch die Aufstände überall niedergeschlagen wurden und Pi y Margall als Präsident der Republik zurücktreten mußte - er hatte sich geweigert, die Armee gegen die Aufständischen einzusetzen - so zog man doch eine Lehre: überall dort, wo nicht nur die Autonomie von der Zentralregierung, sondern gleichzeitig tiefgreifende soziale Veränderungen gefordert worden waren, hatten sich die Aufständischen zum Teil mehrere Monate halten können.
Trotz des faktischen Verbots aller Arbeiterorganisationen, damit auch der FRE, in den Jahren 1873 - 1881, blieb die Mehrzahl der anarchistischen Syndikate bestehen; in Formen, aus denen sie hervorgegangen waren - Konsumvereine, Arbeiterzentren, Vereinigungen gegenseitiger Hilfe - wirkten sie weiter. Die FRE hatte nicht mehr als 4.000 andalusische Mitglieder gehabt. Die 1881 als Nachfolgeorganisation gegründete FTRE zählte dagegen schon fast die Hälfte ihrer 40.000 Mitglieder aus Andalusien.
Seit Beginn der 1880er Jahre gewannen die Ideen des kommunistischen Anarchismus von Kropotkin in Spanien an Einfluß. Der kommunistische Anarchismus war eine Weiterentwicklung des kollektivistischen Anarchismus Bakunins. Im Zuge der sich fortentwickelnden Arbeitsteilung und der Unmöglichkeit, den Wert der Arbeit eines Menschen genau zu berechnen, war der kommunistische Anarchismus die Anpassung an diese Entwicklung. Wurden bei Proudhon noch Produkte gegen Produkte getauscht, zu dem Werte der Arbeitskraft, der ihrer Erzeugung entsprach, waren im kollektivistischen Anarchismus von Bakunin zwar die Produktionsmittel Gemeineigentum, jedoch sollte jeder Arbeiter weiterhin Lohn erhalten. Der kommunistische Anarchismus setzte sich in der Weise von den bisherigen anarchistischen Theorien ab, daß nun das Lohnsystem aufgegeben werden sollte und neben der kommunistischen Produktion auch die kommunistische Konsumtion gelten sollte.
»Alles gehört allen. Alle Dinge für alle Menschen, weil alle Menschen sie nötig haben und nach Maßgabe ihrer Kräfte an der Produktion mitgearbeitet haben und weil es nicht möglich ist, den Anteil des Einzelnen an der Produktion des Reichtums der Welt zu bestimmen.« (Kropotkin: Die Eroberung des Brotes)
Während der kollektivistische Anarchismus sich eher mit den Problem der Arbeit beschäftigte und sich auf den Kollektiven der Arbeiter gründete, war der kommunistische Anarchismus eher mit den Problemen des gesamten gesellschaftlichen Lebens beschäftigt und begründete sich auf den Kommunen, den Lebens- und Arbeitsgemeinschaften der Menschen. Deswegen besaß er wohl in Andalusien eine größere Anhängerschaft, weil er den Landarbeitern die »Idylle« des alten Gemeindelebens mit ähnlichen Einrichtungen wie denen der Bruderschaften versprach und nicht, weil Kropotkin die Gewalt eher bejahte als Bakunin, wie in einigen Büchern gerne behauptet wird. In der Auseinandersetzung zwischen Anarchokollektivisten und Anarchokommunisten ging es demnach weniger um die Frage der Gewalt, sondern, genau wie in der Auseinandersetzung zwischen Anarchismus und Syndikalismus in späterer Zeit, um die unterschiedliche Bewertung der gesellschaftlichen Bereiche, durch welche die Revolution siegreich werden sollte.
Während die Kollektivisten in der Gewerkschaft die Organisationsform der zukünftigen Gesellschaft und des Kampfes ihrer Herstellung sahen, bezogen sich die Anarchokommunisten stärker auf das »pueblo«, also einen Lebens- und Arbeitszusammenhang, der als autarke Wirtschaftseinheit gedacht war. Dieses pueblo, das selbstverständlich Handwerker, Kleinpächter, Kleinbauern, Hausfrauen, Kinder, Arbeitslose und städtisches Proletariat einschloß, befand sich im Widerspruch zur herausragenden Rolle der Gewerkschaft im spanischen Anarchismus.
Hatten auf dem 1. Nationalen Kongreß der FTRE, »Federación de Trabajadores de la Region Española«, der Nachfolgeorganisation der FRE, in Barcelona die Anarchokollektivisten noch die Oberhand behalten und ein Programm verabschiedet, in welchem kollektives Eigentum an den Produktions-, Kommunikations- und Transportmitteln sowie gesellschaftliche Kontrolle des Arbeitsprodukts gefordert wurde, so mußte dies den Saisonarbeitern, den Arbeitslosen und den Frauen in Andalusien wie die Herrschaft der Gewerkschaft über die Gemeinschaft erscheinen. Sie waren mehr an den Ideen einer Gesamtkommune interessiert, die, ungeachtet der Beschäftigung oder Nichtbeschäftigung ihrer Mitglieder, einen einheitlichen Widerstand gegen die bestehende Ordnung organisieren sollte.
Der Konflikt zwischen Anarchokollektivisten und Anarchokommunisten brach offen auf dem 2. Nationalkongreß der FTRE 1882 in Sevilla aus. Vor dem Hintergrund einer internationalen Landwirtschaftskrise und einer langen Trockenperiode in Andalusien und der damit verbundenen Ausbreitung der Arbeitslosigkeit, gewannen die Vorstellungen Kropotkins vom gemeinsamen Eigentum der Produktionsmittel und der Verteilung des erwirtschafteten Reichtums nach Bedürfnissen eine gewisse Plausibilität. Die mehrheitlich nordspanischen Delegierten setzten jedoch den kollektivistischen Kurs durch. Ebenso wandten sie sich gegen Raub und Plünderung als Mittel der Auseinandersetzungen. Damit stellten sie sich gegen die Geheimgesellschaften, die sich innerhalb der anarchistischen Bewegung gebildet hatten. Diese wurden vor allem gespeist aus andalusischen Mitgliedern, die damit auf die rapide Verschlechterung ihrer Situation antworteten und sich vom weiteren Kurs der FTRE nicht mehr repräsentiert fühlten.
Die »Los Desheredados« (Die Enterbten) sowie die »Mano Negra« (Schwarze Hand) dienten der Regierung auf Grund ihrer terroristischen Aktionen zur Zerschlagung der gesamten anarchistischen Arbeiterbewegung. Da halfen auch die Distanzierungsversuche der FTRE von diesen Geheimgesellschaften nichts. Nach dem 3. Nationalkongreß im Oktober 1883 in Valencia brach die Bewegung auseinander. Waren in Sevilla 1882 noch 1.500 Delegierte vertreten, so erschienen 1884 auf dem 4. Nationalkongreß noch ganze 64 Delegierte, ein Jahr später waren es nur noch 16. Kurz darauf löste sich die FTRE auf.
Ziel einer zukünftigen anarchistischen Organisation mußte also die Verbindung zweier unterschiedlicher Organisations- und Politikansätze sein, in der sich ein aufsteigendes Industrieproletariat in Katalonien genauso wie ein im Niedergang begriffenes Industrie- und Handwerkerproletariat, verbunden mit einem nur unregelmäßig Arbeit findenden Landproletariat in Andalusien wiederfinden konnten. Die gemeinsame Strategie, die sowohl gewerkschaftlich orientierte Arbeiter als auch Arbeitslose und nur partiell Organisierte und Handwerker verbinden sollte, war der Generalstreik.
In den Jahren zwischen 1890 und 1910 wurde das öffentliche Bild des spanischen Anarchismus, sowie das des internationalen Anarchismus, durch Attentate einzelner Personen bestimmt, die, ohne sich selber als Anarchisten zu begreifen, gegen staatliche oder kirchliche Repräsentanten vorgingen. Gerade Anarchisten wie Kropotkin oder Malatesta haben sich immer wieder gegen diese Art der »Propaganda der Tat« ausgesprochen, weil es ihrer Meinung nach eine Illusion sei, zu glauben, den Zusammenhalt der Ausbeuter mit ein paar Kilo Sprengstoff brechen zu können. Diese Vereinzelung der terroristischen Aktionen bot für Kriminelle aller Art die Möglichkeit, im Namen des Anarchismus drauflos zu morden und führte zur Diskreditierung der Bewegung.
Die Gründung der CNT
Um der Desorganisation der anarchistisch beeinflußten Arbeiterschaft ein Ende zu setzen, beschloß eine Gruppe militanter Anarchisten in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts eine Föderation von Organisationen der Arbeiterschaft zu gründen, deren Ziel sowohl die Veränderung der objektiven Klassenlage als auch zugleich die Heranbildung des notwendigen Bewußtseins zur Durchführung einer Revolution war. 1907 gründete sich in Barcelona die Regionalföderation »Solidaridad Obrera« und dehnte sich im Laufe des Jahres 1908 auf ganz Katalonien aus. Als Reaktion auf die Ereignisse der »tragischen Woche« im Jahr 1909 und als Folge der Beziehungen zu Arbeiterorganisationen in anderen spanischen Landesteilen berief die Solidaridad Obrera in Barcelona einen Kongreß ein, der vom 30. 0ktober bis zum 1. November 1910 im Palast der Schönen Künste tagte. Auf diesem Kongreß wurde die Idee einer landesweit organisierten anarchistischen Gewerkschaft geboren. Nach langer Diskussion wurde die Organisation »Confederación Nacional de Trabajo« (CNT) ins Leben gerufen, die ihren ersten ordentlichen Kongreß vom 8. - 10. September 1911 in Barcelona abhielt.
In der »tragischen Woche« hatte die Regierung beabsichtigt, für ihren Krieg in Marokko neue Truppen auszuheben. Die Antwort der linken Organisationen war ein Generalstreik. Dessen Niederschlagung durch die Regierungstruppen forderte über 100 Tote und machte den anarchistischen Vereinigungen die Notwendigkeit einer landesweit operierenden Organisation deutlich. Der Regierung dienten diese Vorfälle außerdem zur Hinrichtung von Francisco Ferrer (2).
Mit der Gründung der anarchosyndikalistischen CNT sollte in Spanien der Versuch gemacht werden, den Anarchismus an die veränderten Bedingungen der Industrie und des Kapitalismus anzupassen. Der Anarchosyndikalismus war die Antwort auf einen gestiegenen organisatorischen Anspruch der Arbeiterschaft gegenüber der Machtkonzentration der Industrie.
Exkurs: Die internationale Diskussion um das Verhältnis von Anarchismus und Syndikalismus
Im Syndikalismus wird allgemein die Auffassung vertreten, daß die Gewerkschaft (= Syndikat) organisatorischer Ausdruck des Interesses der Arbeiter an der Verbesserung ihrer Lage ist. Die Gewerkschaft organisiert den täglichen Kampf der Arbeiter um bessere Arbeitsbedingungen und ist gleichzeitig für die zukünftige nachrevolutionäre Gesellschaft das Grundgerüst. Der Syndikalismus ist klassenspezifisch proletarisch ausgerichtet und natürlich nicht zwangsläufig anarchistisch, ja nicht einmal revolutionär. Tatsächlich tendierte der Syndikalismus zum Reformismus durch die Zwänge der täglichen Auseinandersetzungen um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.
»Die Syndikalisten dagegen neigen dazu, aus dem Mittel ein Ziel zu machen und den Teil för das Ganze zu halten... Auch wenn sich die Gewerkschaftsbewegung mit dem ganz unnützen Attribut »revolutionär« schmückt, ist und bleibt sie eine legale konservative Bewegung ohne ein anderes erreichbares Endziel - und das auch noch kaum! - als die Verbesserung der Arbeitsbedingungen.« (Errico Malatesta, 1853 - 1932, auf dem Anarchistenkongreß in Amsterdam 1907)
Auf dem Amsterdamer Kongreß 1907 wurde zum Verhältnis von Anarchismus und Syndikalismus eine Resolution verabschiedet, in der unter anderem die Doppelfunktion der Gewerkschaft - einmal die Verbesserung der konkreten Situation der Arbeiter und zum zweiten die Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaft in eine freiheitlich-kommunistische - betont wurde. Anarchisten sollten innerhalb der Gewerkschaften das revolutionäre Element sein und nur Aktionen revolutionären Charakters unterstützen. Gewerkschaftsbewegung und Generalstreik seien zwar wirksame Mittel, aber kein Ersatz für die Revolution. Außerdem wären Klassenkampf und ökonomische Befreiung nicht identisch mit den Ideen und Zielen des Anarchismus. Anarchismus sei nicht Angelegenheit einer bestimmten Klasse, sondern eine gesellschaftliche Auffassung, die alle Gebiete des Lebens umfaßt.
Nichtsdestoweniger waren sich Anarchisten und Syndikalisten in ihrem Endziel einig: »Man müßte blind sein, um nicht zu erkennen, wieviel Gemeinsamkeit es zwischen Anarchismus und Syndikalismus gibt. Beide erstreben die völlige Ausrottung des Kapitalismus und der Arbeiterklasse durch eine Soziale Revolution.« (Pierre Monatte, 1881 - 1960, französischer Syndikalist, auf dem Anarchistenkongreß 1907 in Amsterdam)
Das Gründungsprogramm der CNT
Im Gründungsprogramm der CNT wurde die Rolle, die der Syndikalismus in der anarchosyndikalistischen Bewegung spielen soll, eindeutig festgelegt: »Der Syndikalismus stellt die Vereinigung der Arbeiterklasse dar, um der Macht der verschieden zusammengeschlossenen Unternehmerklassen entgegenwirken zu können; man darf daher den Syndikalismus nicht als ein gesellschaftliches Ziel oder als Ideal betrachten, sondern man muß in ihm ein Mittel des Kampfes zwischen den beiden antagonistischen Klasseninteressen sehen, eine Kraft, alle Vorteile zu erringen, die der Arbeiterklasse die Intensivierung dieses Kampfes in der gegenwärtigen Situation ermöglichen.«
Syndikalismus also nicht als reformistische Verbesserung der gegenwärtigen Arbeitsbedingungen oder gar als Endziel einer Sozialen Revolution, sondern revolutionärer Syndikalismus, Syndikalismus als Mittel zum Zweck der anarchistischen Gesellschaft, als Kampfmittel.
Im Protokoll des Gründungskongresses findet man zwei Kampfformen, die als die wichtigsten hervorgehoben wurden: Generalstreik und Boykott.
Der Generalstreik war eine alte Kampfform der internationalen Arbeiterbewegung, die schon in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts dieses Mittel im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Ländern ihren Mitgliedern empfahlen. Auch die CNT war dieser Tradition gefolgt. Hinzu kam noch, daß in Andalusien schon seit längerem der Generalstreik als probates Mittel genau abgestimmter Strategien gegenüber sozialen und ökonomischen Mißständen angewandt worden war.
»Ein Generalstreik darf nicht ausgerufen werden, um etwas mehr Lohn oder eine Kürzung der Arbeitszeit zu erreichen, sondern um eine vollständige Umformung der Produktions- und Güterverteilungsweise zu erzielen... Hierzu bedarf es des überzeugenden Zusammenhalts zwischen den Arbeitern der verschiedenen Regionen Spaniens... (Es hat) uns die Erfahrung gelehrt, daß der Generalstreik in einer einzigen Ortschaft relativ leicht erstickt werden kann; ein derartiger Generalstreik bringt uns zwar keine großen Nachteile, da wir unsere kämpferische Einstellung und unseren Wunsch nach Emanzipation unter Beweis stellen und das bereits "ein Schlag an die Tore der Bourgeoisie" ist...«
Es wird deutlich, daß der Generalstreik, ebenso wie der Boykott, nicht nur reine ökonomische Kampfformen für die Anarchosyndikalisten darstellen, sondern besonders als moralische Handlung gesehen wurden. Beide Kampfformen gewannen ihre Bedeutung in dem ökonomischen Druck, den sie auf die Industrie und den Staat ausüben. Gleichzeitig aber beinhalteten diese Widerstandsaktionen (Direkten Aktionen) die moralische Emanzipation vom Staat. Der Legitimitätsentzug und die Gehorsamsverweigerung gegenüber dem Staat brachten ein anderes eigenes Rechts- und Lebensverhältnis zur Geltung. Beide Aktionsformen waren symbolische Akte, sie entzogen der Herrschaft das Monopol auf die Definition von Recht und Rechtmäßigkeit. Diese moralische Emanzipation der Arbeiter spielte eine herausragende Rolle im weiteren Programmtext der CNT, denn sie ist die Voraussetzung für die Revolution:
»Die Emanzipation der Arbeiter ist das unmittelbare Ergebnis der moralischen Emanzipation. Erstere wird nicht erlangen, wer weiterhin Sklave eines anderen ist. Und Sklave ist, wer nicht eigenständig denkt, wer nicht spontan in Übereinstimmung mit seiner Vernunft und kraft eigener Anstrengung handelt... Die Emanzipation der Arbeiter ist nicht möglich, solange sie einen Emanzipator, einen Chef haben, denn selbst wenn die Arbeiter die Machthaber des jetzigen Regimes besiegen könnten, würden sie lediglich ein anderes Privilegiensystem instaurieren, indem die Emanzipatoren und Leiter privilegiert würden. Es ist nicht möglich, Privilegien mit Organen zu beseitigen, in denen Privilegien weiterbestehen; die Emanzipation ist also nur als Maßnahme der Arbeiter selbst zu erreichen. Die Emanzipation der Arbeiter muß das Werk der Arbeiter selbst sein !...«
Gleichzeitig legten die Delegierten des Gründungskongresses Wert darauf, Verbreitung und Propaganda der anarchistischen Ideen einer Sozialen Revolution in der Bevölkerung zu gewährleisten.
»Wir glauben, daß der Generalstreik durchgeführt werden muß, wenn die in der CNT organisierten Arbeiter imstande sein werden, den Kampf um die Verbesserungen der schlechten Bedingungen, unter denen man heute arbeitet, zu einem glücklichen Ende zu führen.«
Die besondere Betonung des Willens und der Moral eines jeden Einzelnen spiegelt die Revolutionsauffassung der Anarchisten deutlich wieder. Denn für die Anarchisten ist die Revolution nicht allein an ökonomische Faktoren gebunden, sondern besonders an das Bewußtsein ihrer Akteure über ihre Situation und die Überzeugung einer gerechten Sache zu dienen. Der Gründungskongreß der CNT versuchte also, den Generalstreik in seiner doppelten Bestimmung zu vereinen, ohne jedoch die Widersprüche, die in einem solchen Konzept liegen, aufzulösen. Der Generalstreik als symbolischer Akt, die moralische Emanzipation seiner Akteure zu fördern, und gleichzeitig als höchster Ausdruck eben dieser moralischen Emanzipation.
Der Aufbau der anarchosyndikalistischen Organisation erfolgte von »unten nach oben«, das heißt, daß Syndikate auf lokaler Ebene, entweder nach Ortschaften oder nach Berufszugehörigkeit organisiert, sich zu regionalen Syndikaten zusammenschlossen. Diese Regionalsyndikate gründeten Administrativ- und Executivkomitees und trafen sich zu jährlichen Kongressen im Nationalkomitee.
Die Beiträge der Mitglieder waren entweder sehr gering oder es wurden wie in Andalusien gar keine erhoben, was in ärmlichen Gegenden die CNT der UGT (sozialistische Gewerkschaft) überlegen machte. Die Sekretäre der CNT wurden nicht besoldet.
Die Entwicklung der CNT bis 1931
Der erste ordentliche Kongreß der CNT fand 1911 in Barcelona statt und vertrat 30.000 Mitglieder. Gegen den Krieg in Marokko organisierte die CNT Streiks in Sevilla, Bilbao und Saragossa, allerdings nicht landesweit koordiniert, so daß die Regierung keine großen Schwierigkeiten hatte, diese niederzuschlagen und die CNT zu verbieten. So brach kurz nach ihrer Gründung die anarchosyndikalistische Organisation wieder zusammen. Ab dem 16. September 1911 mußte das gesamte Nationalkomitee der CNT in den Untergrund gehen und konnte erst 1914 wieder öffentlich in Erscheinung treten. Die im Programm erwünschte Koordination der verschiedenen Aktionen der autonomen Assoziationen war nicht verwirklicht worden. Erst mit dem Ausbruch der russischen Revolution nahm der spanische Anarchismus erneut einen ungeheuren Aufschwung. In vielen kleinen Städten und Dörfern auf dem Lande brachen Streiks aus, die bald auf ganz Andalusien und die Levante, die spanische Region entlang der Mittelmeerküste Spaniens, übergriffen.
Seit der großen Hungersnot von 1905 hatte der organisierte Anarchismus auf dem Lande keine große Rolle mehr gespielt. Zwar hatte sich 1913 in Cordoba eine anarchosyndikalistische Landarbeiter- und Bauerngewerkschaft, die »Federación National de Agriculares Español (FNAE)«, gegründet, doch sprach diese Gewerkschaft mit ihren eher bescheidenen Zielen die Landbevölkerung nicht übermäßig an. Nun, nachdem die Landbevölkerung vom Sieg der russischen Revolutionäre gehört hatte, glaubte sie, sei die Zeit gekommen, ebenso ihre Ziele auf kleiner Ebene durchzusetzen. Doch natürlich konnten sich diese Erhebungen nicht über einen längeren Zeitraum hinweg halten.
In den größeren Städten herrschte seit 1918 ein regelrechter Bandenkrieg zwischen angeheuerten Pistoleros der Arbeitgeber und Anarchosyndikalisten. Für diesen Guerrilla-Krieg waren kleine autonome Gruppen wesentlich besser geeignet. So beschloß denn auch die nationale anarchistische Konferenz 1918 in Barcelona die Gründung von Betriebsgewerkschaften, die individuell auf die Banden der Arbeitgeber reagieren sollten. Außerdem wurde die Beziehung von Anarchismus und Syndikalismus in dem Sinne geregelt, daß die Praxis der CNT möglichst eng an die Prinzipien des Anarchismus ausgerichtet werden sollte. Insgesamt fanden in den zwei Jahren 1918/19 ungefähr 700 Attentate statt.
Der CNT-Kongreß im Jahre 1919 in Madrid vertrat 700.000 Mitglieder und lehnte eine Fusion mit den Sozialisten ab. Die Syndikalisten innerhalb der CNT und ihr führender Vertreter Salvador Segui, der den Zusammenschluß mit der UGT angestrebt hatte, erlitten erste Einbußen bei der Basis, die, größtenteils von den großen organisierten Streikbewegungen enttäuscht, dieser Form der CNT-Arbeit den Rücken zukehrten. Die Koordinierungsarbeit auf regionaler und nationaler Ebene sowie die Informationspolitik untereinander waren gescheitert, und als die Regierung im Mai 1919 das Kriegsrecht verhängte und die Syndikate verbot, hatte die CNT enorm hohe Verluste zu beklagen. In der Folgezeit entwickelten sich theoretisch wie praktisch unterschiedliche Strömungen in der anarchosyndikalistischen Bewegung.
Seit Beginn der Russischen Revolution war der Einfluß der Kommunisten in der CNT gestiegen. Völlig unautorisiert hatten zwei CNT-Mitglieder, die sich in Rußland aufhielten - Andres Nin und Joaquin Maurin - die CNT an die Rote Gewerkschaftsinternationale (RGI) angeschlossen. Im weiteren Verlauf der Entwicklung der Russischen Revolution (Zerschlagung der Sowjets, Verfolgung der Anarchisten) brach die CNT schnell mit der RGI und fühlte sich auch von dem 21-Punkte Aufnahmeprogramm der Komintern nicht sonderlich angezogen. Stattdessen schloß sich die CNT der Syndikalistischen Internationale (IAA) an, nachdem deren Programm an der Basis diskutiert und für gut befunden worden war. Die IAA verwarf die Diktatur des Proletariats und lehnte jegliche politische Betätigung und Zusammenarbeit mit politischen Institutionen ab. Der Saragossa Kongreß der CNT 1922 vollzog diesen Schritt der Ablehnung nach.
Trotz des Beschlusses von Saragossa nahmen die Syndikalisten in der CNT, vor allem Angel Pestana und Salvador Segui, Verhandlungen mit katalanischen Autonomisten auf. Ziel der Zusammenarbeit sollte der gemeinsame Aufbau einer autonomen Republik in Katalonien sein. Auch zu konservativen Gruppierungen, die mit der Diktatur nicht einverstanden waren, wurden die Kontakte intensiviert. Als der Sozialist Largo Caballero 1926 im Auftrag des Diktators sogenannte »comites paritarios« einführte, die eine größere Einbeziehung der Arbeiter in den diktatorischen Staat erzielen sollte, entbrannte in der CNT ein Streit über die Beteiligung an diesen Komitees. Pestana befürwortete die Beteiligung mit der Begründung, ansonsten sei ein Kontaktverlust zwischen den syndikalistisch orientierten Arbeitern und der im Geheimen operierenden CNT zu erwarten. Peiro sah dagegen in einer Beteiligung die Verletzung der Grundprinzipien der CNT. Die Ansicht Peiros setzte sich dank der Stimmen der Anarchisten in der CNT durch.
Die theoretischen Positionen innerhalb der CNT
Die Auseinandersetzungen innerhalb der CNT nahmen in dem Maße zu, wie in ihr eine Tendenz zu einer rein syndikalistischen Konzeption sichtbar wurde. In dieser Diskussion, die nach der Wiederzulassung der CNT Anfang der 30er Jahre noch an Stärke zunahm, standen sich hauptsächlich zwei Positionen gegenüber, Syndikalismus und Anarchismus, die in Fragen der Organisation und der Revolutionsstrategie jeweils unterschiedliche Theorien verfochten.
1. Die Frage der Organisation:
Die Syndikalisten legten das Schwergewicht ihrer Überlegungen auf die Organisationsstruktur der CNT und glaubten, damit einen Teil der libertären Gesellschaft vorwegzunehmen. Ihre führenden Vertreter waren Angel Pestana, Juan Peiro und Salvador Segui (1923 ermordet). Innerhalb der syndikalistischen Position waren folgende Flügel unterscheidbar:
- die reinen Syndikalisten
»Der industrielle Kapitalismus tendiert immer mehr zur Zentralisierung. Seine Struktur verändert sich von der einfachen zur vielschichtigen Organisationsform... Folgerichtig kann es nur eine syndikalistische Organisationsform geben, die dieser Zentralisierungstendenz in der Industrie entspricht: die Industriegewerkschaft... (Juan Peiro, Syndikalismus und Anarchismus, in: Abad de Santillan/Juan Peiro, Ökonomie und Revolution, Wien 1986, S.15ff.)
Und weiter: »Wir Anarchisten müssen im Rahmen des Möglichen auch in der kapitalistischen Welt unsere eigene Welt aufbauen, aber nicht auf dem Papier, mit Lyrik oder in philosophisch-hochtrabender Nachtarbeit, sondern auf dem Boden der Praxis, in dem wir das Vertrauen in unsere Welt von heute und von morgen wecken.« (Juan Peiro, s.o.S.46)
Juan Peiro sah den Syndikalismus als die der Arbeiterschaft aufgezwungene Gegenbewegung zum organisierten Kapitalismus. Dieser Kapitalismus mußte auf ein Minimum seiner Auswirkungen reduziert werden. Da sein sofortiger Sturz nicht möglich schien, mußte dieser Kapitalismus soweit wie möglich zurückgedrängt werden. Nach seiner Vorstellung bedurfte es einer straffen inneren Organisationsdisziplin, die auch über die Revolution hinaus wirksam sein sollte.
»Wenn wir vom Kollektivismus sprechen, könnten dies einige als Abkehr vom libertären Kommunismus verstehen. Dem ist aber nicht so. Wir sprechen vom Kollektivismus als Mittel, nicht als ökonomisches Ziel der künftigen Gesellschaft. Wir meinen Kollektivismus als Organisationsfonn, als Möglichkeit, Initiative und Kräfte aufzugreifen und sie zu entwickeln sowie endlich Kollektivismus als Form der Disziplin des einzelnen gegenüber dem Allgemeinen... Während sich der Kapitalismus immer mehr als eine Klasse und eine ökonomische Kraft zusammenschließt, während sich der Staat jeden Tag mehr zu einem kooperativen System hin entwickelt - dies ist im Kapitalismus ein System der Organisation, aber auch der Unterdrückung - hängen wir Anarchisten noch immer am Prinzip der Zersplitterung, lehnen das Kollektiv und die Disziplin ab. Dabei wäre dies der einzige Weg, Möglichkeiten kreativ auszuprobieren und praktisch zu realisieren.« (Juan Peiro, s.o., S.46ff.)
Jeglicher politischer Einfluß, auch der der Anarchisten, sollte vermieden werden, um die gewerkschaftliche Unabhängigkeit zu gewährleisten. Im basisdemokratischen Gewerkschaftsaufbau besaß für Peiro die Industrieföderation, also die Zusammenfassung einzelner Berufsgewerkschaften zur Industriegewerkschaft, eine zentrale Bedeutung. Diese Industrieföderationen sollten nach der erfolgreichen Revolution in planerische Leitungsorgane umgewandelt werden. Gleichzeitig warnte Peiro jedoch vor einem zentralistischen Gewerkschaftsstaat der Zukunft. Repräsentant der übrigen gesellschaftlichen Kräfte sollte weiterhin die Kommune bleiben.
- die politischen Syndikalisten
Angel Pestana, ursprünglich Vertreter eines antipolitischen Syndikalismus, vertrat die Meinung, daß durch die Politisierung der Bevölkerung - bei den Wahlen ersichtlich - die CNT diese Bedürfnisse der Bevölkerung in einer Partei kanalisieren müsse, da die gewerkschaftlichen Syndikate rein ökonomische Kampforganisationen wären. Er schlug eine Allianz aller linken Organisationen vor. Die Gesellschaft der Zukunft definierte Pestana ähnlich wie die übrigen Syndikalisten: die Syndikate regeln die Produktion, die Verteilung erfolgt durch die Kollektive. Über der Föderation der lokalen Vereinigungen sollte seiner Meinung nach allerdings noch ein Zentralorgan stehen, welches Gesetzesbefugnisse für Verkehrs-, Transport-, Polizei- und Landesverteidigungsangelegenheiten besitzt. Obwohl für Pestana in den Syndikaten die ökonomischen Widersprüche aufgehoben sind, wird es dennoch andere politische Parteien geben, da die gesellschaftlichen Widersprüche nicht durch die ökonomische Dominanz der Syndikate beendet sind. Pestana, dem die Wiederzulassung der CNT sehr am Herzen lag, führte, wie schon oben erwähnt, aus diesem Grunde Verhandlungen mit den Nationalisten Kataloniens. Der Einfluß dieser Gruppierung des politischen Syndikalismus war in der CNT sehr gering, und obwohl während der Diktatur Generalsekretär der CNT, blieb Pestana eine schillernde Figur im spanischen Anarchosyndikalismus, auch vor Kontakten mit der Falange kurz vor Beginn des Bürgerkrieges 1936 nicht zurückschreckend.
Die führenden Vertreter der Anarchisten waren Garcia Oliver, die Brüder Ascaso und Buenaventura Durruti, sowie als Theoretiker Isaak Puente. Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen steht die Emanzipation des Individuums. Meist in der 1927 gegründeten FAI vertreten, glaubten sie, daß dem Streben der Menschen nach Freiheit jede staatliche Ordnung entgegensteht. Sie glaubten an die Solidarität und Spontaneität des Volkes. Ihr Ziel war die politische und ökonomische Autarkie. Selbstbestimmte Individuen sollten freie Entscheidungen treffen auf der Basis gegenseitigen Respekts und eigener Überzeugung. Für sie lag der Sinn einer syndikalistischen Organisation in der Subversivaktion. Gegen eine syndikalistische Massenorganisation waren sie für eine Organisation von bewußten Menschen, setzten Qualität vor Quantität. Das Gewissen der Menschen mußte die alleinige und höchste Entscheidungsinstanz werden. Der Syndikalismus wurde kritisiert, weil er seine Hauptaufgabe auf die Durchsetzung von »auf den Magen« gerichteten Sofortmaßnahmen legte und nicht auf die für sie wichtigeren erzieherischen und emanzipatorischen Tätigkeiten. Außerdem sahen sie in der weitgehend ideologischen Neutralität des Syndikalismus auch die Gefahr eines Angleichs an reaktionäre Ideen. Die Syndikate sollten nach einer erfolgreichen Revolution abgeschafft werden; auf der Grundlage des Gemeineigentums an Produktions- und Konsumtionsmitteln würde das Leben auf genossenschaftlicher Basis organisiert werden. Mit möglichst autonomen Kommunen sollten dann die gesamtgesellschaftlichen Bedürfnisse abgedeckt werden.
Während der Diktatur Primo de Riveras verübten die Anarchisten zahlreiche Attentate mit ihrer Geheimgruppe »Los Solidarios«, vermehrt nach der Ermordung Salvador Seguis. Die »Solidarischen« hatten sich als Gegenwehr gegen den Terror der Pistoleros zu Beginn der 20er Jahre gegründet. Ihr Ziel der Aufklärung über den Anarchismus ließ sie in vielen größeren europäischen Städten Buchhandlungen und anarchistische Buchverlage gründen.
Ricardo Sanz erinnerte sich an die Anfänge der Solidarischen: »Im Oktober 1923, einen Monat nach dem Staatsstreich Primo de Riveras, gelang es den Solidarios, durch einen Mittelsmann bei der Waffenfabrik Garate/Anitua in Eibar 1000 zwölfschüssige Repetiergewehre mit 200.000 Schuß Munition zu kaufen. Für diese Lieferung zahlte die Gruppe 250.000 Peseten. Bereits einige Zeit vorher hatten die Solidarios im Pueblo-Nuevo-Viertel von Barcelona für 300.000 Peseten eine Eisengießerei erworben. In dieser Werkstatt goß die Gruppe ihre eigenen Handgranatenkapseln und Bombengehäuse. Der Gießer Eusebio Brau übernahm die Arbeit für diese Gruppe. Im Viertel von Pueblo Seco, ebenfalls in Barcelona, verfügten die Solidarios über ein Waffenlager, das, als die Polizei es durch eine Denunziation entdeckte, über 6.000 Handgranaten barg... Die Solidarios hielten sich strikt an eine Regel: von jeder Aktion durften nur die unmittelbar Beteiligten etwas erfahren, und zwar jeder nur soviel, wie unbedingt nötig war. Es gab in der Gruppe nie einen Chef oder Anführer. Alle Beschlüsse wurden von denen gemeinsam getroffen, die sie ausführten.« (Hans Magnus Enzensberger, Der kurze Sommer der Anarchie, Frankfurt/M. 1972, S.48)
2. Die Frage der Revolutionsstrategien:
Die CNT als Gewerkschaft bediente sich zur Durchsetzung ihrer Forderungen des ureigensten gewerkschaftlichen Mittels - dem Streik. Im Vordergrund stand dabei allerdings der revolutionäre Generalstreik. Es war offensichtlich, daß der revolutionäre Syndikalismus beabsichtigte, dem Zerfall des Anarchismus in Kleingruppen den Gedanken der Massenorganisation entgegenzusetzen. An die Stelle der »Propaganda der Tat« als Ausdruck eines extremen Individualismus sollte die »Propaganda der Direkten Aktion« treten.
»Der revolutionäre Syndikalismus steht auf dem Boden der direkten Aktion und ist bereit, an allen Kämpfen des Volkes, die seinen Zielen der Abschaffung der Wirtschaftsmonopole und der Gewaltherrschaft des Staates nicht entgegengesetzt sind, teilzunehmen. Als Kampfmittel anerkennt er den Streik, den Boykott, die Sabotage usw. Ihren höchsten Ausdruck findet die direkte Aktion im sozialen Generalstreik, der, um im Sinne des revolutionären Syndikalismus siegreich zu sein, auch die Einleitung zur Sozialen Revolution sein muß.« (aus den Prinzipien der syndikalistischen IAA 1922, Punkt 8, in: Bernecker, Kollektivismus und Freiheit, S.96)
Ebenso wie in der Frage des angestrebten Zieles liefen auch die Vorstellungen über den Weg dorthin bei Anarchisten und Syndikalisten auseinander. Im wesentlichen setzten sich hier die Auseinandersetzungen der ersten anarchistischen Organisationen in Spanien fort. Mit welcher gesellschaftlichen Kraft sollte die Revolution bestritten und welche Taktik angewandt werden?
Die Syndikalisten
Vor allem im Manifest der Dreißig (treintista-Manifest) von 1931 wurde die syndikalistische Position in dieser Frage deutlich. Angriffspunkt ihrer Thesen war die Revolutionsstrategie der - von ihnen so benannten - »Anarchobolschewisten«. Die Syndikalisten lehnten diese Guerillamethoden ab und versuchten dagegen mit Hilfe einer weniger spontaneistischen Strategie zum Erfolg zu kommen.
»Wir wollen eine Revolution, die sich, wie es im Augenblick der Fall ist, aus dem Volk heraus entwickelt, und nicht eine Revolution, die einige Individuen machen wollen... Man darf nicht glauben, die Revolution sei nur Ordnung und Methode. Das muß zwar in die Vorbereitungen und in die Revolution selbst mit eingehen, aber es muß gleichzeitig auch genügend Raum für eigene Initiativen, für die Möglichkeiten des Individuums bleiben. Gegenüber dem chaotischen und zusammenhangslosen Konzept, das wir oben gezeigt haben, steht hier ein geordnetes, vorausschauendes und zusammenhängendes Konzept. Jenes bedeutet den Aufstand und die Revolution spielen, Spektakel machen. Tatsächlich wird so aber die Revolution nur verzögert.« (Manifest der Dreißig, in: Santillan/Peiro, Ökonomie und Revolution, S.79)
Sie akzeptierten die Direkte Aktion als Prinzip, jedoch waren sie der Meinung, daß auch jede andere Aktionsform von einer Vollversammlung beschlossen werden kann. Direkte Aktion bedeutete für sie auch Intervention in öffentlichen Institutionen, in Gesetze, die den Interessen der Arbeiterschaft zuwiderlaufen.
»Das Proletariat selber muß sich direkt mit den Regierungen auseinandersetzen und sie zu Reformen, zur Abschaffung von Gesetzen und Dekreten zwingen, die den Interessen des Proletariats entgegenstehen oder den Prozeß der politisch, sozialen Veränderung der Gesellschaft behindern (...) Wir wissen, daß dies »Politik machen« bedeutet.« (Juan Peiro, Syndikalismus und Anarchismus, in: Santillan/Peiro, Ökonomie und Revolution, S.34)
In der Praxis bedeutete dies, daß Peiro und die Syndikalisten generell eine Regierung für fähig hielten, gegen sich selber gerichtete Maßnahmen zu ergreifen, um einer unterdrückten Bevölkerungsschicht bessere Lebensbedingungen zu schaffen. So kritisierte zum Beispiel Juan Peiro 1932 die CNT, weil sie bei Verfassungsfragen und der Verabschiedung verschiedener Gesetze im selben Jahr nicht auf die Straße gegangen sei. F. Urales, ein führender anarchistischer Theoretiker, widersprach Peiro heftig: die CNT ginge nicht auf die Straße, um bürgerliche Gesetze zu verändern, sondern nur im Kampf um das eigentliche Ziel, den libertären Kommunismus.
Die Syndikalisten hielten es nicht für möglich, direkt den libertären Kommunismus einzuführen, sondern der Weg hin zur libertären Gesellschaft mußte über verschiedene Etappen geführt werden. »Nein, eine Etappe des Syndikalismus ist unvermeidlich. Sie wird so etwas wie eine Brücke zwischen dem gegenwärtigen Regime und dem libertären Kommunismus bilden. Diese Etappe wird je nach Umständen mehr oder weniger lang sein.« (Interview der anarchistischen Zeitung »La Tierra« mit zwei Unterzeichnern des Manifestes der Dreißig, Arin und Pinon, vom 17.09.1931, in: Santillan/Peiro, Ökonomie und Revolution, S.92)
Innerhalb der Anarchisten gab es drei Standpunkte in der Revolutionsstrategie:
- die »Anarchobolschewisten«
»Welche Maßnahmen soll die anarchistische Minderheit treffen, um zum Entscheidungsfaktor einer Revolution zu werden?... Es wird beschlossen, an jedem Aufstand teilzunehmen und zu versuchen, ihn von seiner politischen Richtung abzubringen; die Aktion des Volkes soll auf die Zerstörung aller Gewalten und die freie Gestaltung des Lebens gelenkt werden.« (Gründungssitzung der FAI 1927, in: Bernecker, Kollektivismus und Freiheit, S. 102)
Ausgangspunkt waren dörfliche Erhebungen. Die Taktik der CNT konnte in ihren Augen nicht Mitgliederfang sein, sondern die Ausbildung einer revolutionären Elite. Sie vertrauten auf die Initialzündung von Berufsrevolutionären und standen damit in der Tradition Bakunins. Mit ihrer Aufstandsmethodik trafen sie besonders die Ansichten der Landarbeiter und Kleinbauern, die eine Umwälzung von heute auf morgen wollten.
- die »reinen« Anarchisten
Da für die Anarchisten das Subjekt der Revolution der geistig freie Mensch war, spielten Propaganda und Aufklärung eine herausrägende Rolle. Der unterdrückte Mensch mußte darüber aufgeklärt werden, daß sein Einverständnis des Beherrschtseins durch den Herrschenden ein Grundpfeiler der Macht des Herrschers über die Beherrschten ist. Dies bedeutete, daß es besonders an jedem Einzelnen selber liegt, ob eine Revolution erfolgreich geführt werden kann. Allein das Volk entscheidet auch über den Zeitpunkt der Revolution. Direkte Aktionen haben immer auch eine moralische emanzipatorische Wirkung und sollten deswegen nach Möglichkeit gewaltlos gegen Menschen geführt werden. Die Revolution besitzt keine Gesetzmäßigkeiten, und da die Mittel zur Erreichung der libertären Gesellschaft immer auch mit dem Ziel übereinstimmen mußten, würde die Revolution wohl erst erfolgreich durchgeführt werden können, wenn die unterdrückten Menschen die Aufklärung der Anarchisten verinnerlicht haben. Der Beauftragte der IAA in Spanien, Alexander Schapiro, schreibt 1932 über diese Richtung in der CNT:
»Die Reinen unterschätzen die Kraft der Prinzipien, Theorien und der Praxis des Anarchismus und haben sich deshalb eine abstrakte Welt geschaffen, eine Art Glashaus, das sie »Anarchie« nennen, sie erwarten einen Messias, der sie ohne eigenes Zutun direkt nach dem gelobten Land führen wird.» (Alexander Schapiro, Bericht über die Confederación National del Trabajo (CNT) und den Aufstand in Spanien im Januar 1933, in: Claudio Pozzoli (Hg.), Jahrbuch Arbeiterbewegung Bd. 4, Faschismus und Kapitalismus, S. 188)
- die ökonomischen Anarchisten
»Wir wissen, daß der Grad der ökonomischen Entwicklung und der materiellen Lebensbedingungen stark die menschliche Psyche beeinflußt. Wenn der einzelne dem Hunger ausgesetzt ist, wird er ein Egoist. Herrscht Überfluß, wird er großzügig, freundlich und ist sozial gestimmt... Deshalb wollen wir die bestmöglichen ökonomischen Bedingungen schaffen, die als Garantie für gleichberechtigte Beziehungen der Menschen untereinander dienen sollen. Wir werden nicht mit leerem Magen aufhören, Anarchisten zu sein, aber wir mögen es nicht besonders, leere Mägen zu haben... Unser Ziel ist ein ökonomisches System mit gleichen Rechten und Gerechtigkeit für alle, in dem gleichzeitig eine Überflußproduktion möglich ist. Die angemessene Befriedigung materieller Bedürfnisse schafft allein günstige soziale Bedingungen, ohne die Freiheit und Solidarität nicht garantiert werden können. Der Mensch, der gegen andere ausgespielt wird, ist ein Wolf und er kann sich niemals tatsächlich solidarisch verhalten, es sei denn er hat materielle Sicherheit.« (Abad de Santillan, Der ökonomische Organismus der Revolution, in: Santillan/Peiro, Ökonomie und Revolution, Seite 134ff.)
Vor allem im Zeichen der Weltwirtschaftskrise entwickelte Santillan eine Theorie des »konstruktiven Anarchismus«, die ihn in die ideologische Nähe von Peiro rückte. Ursprünglich ein reiner Anarchist, ließ ihn die Sorge um den wirtschaftlichen Erfolg der Sozialen Revolution ein nachrevolutionäres Wirtschaftsmodell entwerfen. Nach dem Asturien-Aufstand 1934 hatte sich für ihn der Sturz des Kapitalismus in baldiger Zukunft als unmöglich erwiesen, obwohl der Kapitalismus an sich bankrott sei und nur noch von der Staatsmacht gehalten würde. Deswegen propagierte Santillan die Steuerverweigerung in der Stadt und auf dem Land, auch um durch diese Boykottaktion eine engere Verknüpfung der Aktionsformen von Stadt- und Land-CNT zu erreichen. Denn gerade seine Industriealisierungspläne wurden auf dem Land mit einiger Skepsis betrachtet. Santillans Planwirtschaftsmodell der Vereinigung von Industrie- und Landwirtschaftsinteressen setzte auf eine der Industrie immanente Emanzipationsleistung.
»Entweder wir wollen den Wohlstand, dann müssen wir die ökonomischindustrielle Maschinerie mit all ihren Konsequenzen akzeptieren, oder wir wollen ihn nicht, dann können wir uns an den Aufbau der freien Kommune machen, daß heißt der ökonomisch autonomen Gemeinde. Die Anarchie kann man hier wie dort verwirklichen, den Wohlstand aber nur in einem System des perfekten ökonomischen Verbundes und der gründlichen Anwendung aller Kenntnisse, Techniken und Wissenschaften, über die wir verfügen und in Zukunft vermehrt verfügen werden.« (Abad de Santillan)
Die CNT bis 1927
Die Entwicklung der CNT in den 20er Jahren zeigt, daß der Versuch der Verschmelzung von Anarchismus und Syndikalismus zu einem funktionierenden Anarchosyndikalismus sich schwieriger gestaltete als erwartet, da keine Seite bereit war, auf ihre Grundpositionen zu verzichten, diese jedoch unvereinbar waren. Ob es nun die Legalisierungsbemühungen der Syndikalisten oder die Aufstandsbewegungen der andalusischen Anarchisten waren, die Anhängerschaft der CNT war zu unterschiedlicher Herkunft, hatte zu unterschiedliche Vorstellungen über den Weg hin zur Revolution: Die katalanischen Industriearbeiter brauchten eine legal operierende, massenstarke Gewerkschaftsorganisation, die andalusischen Anarchisten eine Organisation, die möglichst in autonomen, alle gesellschaftlichen Kräfte miteinbeziehenden Gruppen, die Revolution vor Ort vorbereitete. Die Grenzen verliefen natürlich fließend, waren doch ein Großteil der in Katalonien beschäftigten unausgebildeten Industriearbeiter aus den ländlichen Gebieten zugereiste verarmte Landarbeiter, die damit auch ihren angestammten libertären Kommunismus nach Katalonien brachten. Doch bei den Führern der CNT, vor allem den Syndikalisten, setzte sich ein Denken in großen Kategorien durch, ein Denken in längeren Planungsabschnitten. Damit waren auch Schwierigkeiten zwischen Führung und Basis des Anarchosyndikalismus vorbestimmt.
Gründung und Aufgaben der FAI
Am 24./25. Juli 1927 wurde in Valencia auf einem als Picknick getarnten Kongreß die »Federación Anarquista Ibérica« (FAI) gegründet. Sie sollte die Reinheit der anarchistischen Lehre gegenüber den syndikalistischen Tendenzen der CNT in den 20er Jahren bewahren. Dies mußte notwendig zu Konflikten zwischen der Geheimorganisation der FAI und der Gewerkschaft CNT führen. Obwohl die sich als Avantgarde begreifende FAI National- und Regionalkomitees besaß, bestand sie wesentlich aus einer Föderation autonomer Gruppierungen, die sich meist spontan bildeten. Die berühmteste war zweifellos die Gruppe um Durruti, die »Los Solidarios«. Zahlreiche CNT-Führer waren in der FAI vertreten, und aus dieser Personalunion heraus entstanden die Diktaturlegenden einer Herrschaft der FAI über die CNT. Aus heutiger Sicht erscheint dies unzutreffend. Formell war eine Aufgabentrennung vorgenommen worden. Während die CNT die eher legalen Aufgaben übernehmen sollte, organisierte die FAI die illegalen Aufgaben wie Waffenbeschaffung und Gefangenenbefreiung. Die geheimen Verteidigungskomitees der CNT-Regionalkomitees, die ab 1928 diese illegale Arbeit übernommen hatten und das Regionalkomitee bei einer Verhaftung ersetzen sollten, bestanden mehrheitlich aus FAI-Vertretern. So entwickelte sich die FAI von der Hüterin der reinen Lehre des Anarchismus zum bewaffneten Arm der CNT, ohne dabei gänzlich auf ihre theoretischen Aufgaben zu verzichten. Sie gab weiterhin ihre eigene Zeitungen wie »Tierra y Libertad« heraus. Die FAI verfügte Anfang der 30er Jahre etwa über 25.000 Mitglieder. Demgegenüber besaß die CNT etwa 1.5 Millionen Mitglieder. Über den locker und lokal zusammengeschlossenen, aus bis zu 10 Personen bestehenden Föderationen und Kleingruppen der FAI saß das »Comité Peninsular«, das Nationalkomitee der FAI. Innerhalb der FAI standen sich die autonomen Kleingruppen zum Teil rivalisierend gegenüber.
»Nach dem kürzlichen Fund eines zusammenfassenden Berichts über die konstituierende FAI-Sitzung in Valencia läßt sich zweifelsfrei sagen, daß die FAI von Anfang an eine enge Zusammenarbeit mit der CNT, aber keine Herrschaft der Gewerkschaft anstrebte. Das nicht immer problemlose Verhältnis beider Organisationen wurde durch den 1928 beschlossenen »trabazon« (Verband) bestimmt, der die »brüderliche Zusammenarbeit« (Peirats) zwischen CNT und FAI regeln sollte und nach Beginn des Bürgerkrieges in der stets gemeinsamen Verwendung der Initialen »CNT/FAI« manifest wurde.« (Walther Bernecker, Anarchismus und Bürgerkrieg, Hamburg 1978, S.22)
Die CNT/FAI bis zum Bürgerkrieg
Zu Beginn der Zweiten Spanischen Republik 1931 hatten die Anarchosyndikalisten keine grundsätzlich andere Haltung in Bezug auf den Staat, zumal die Regierung bereits ab dem Herbst 1931 mit Ausnahmegesetzen regierte, um der Unruhen Herr zu werden. In den ersten Monaten der Republik gab es 30 Generalstreiks, 3600 Teilstreiks und 161 Verbote gegen Zeitungen, sowie einen Putschversuch des Generals Sanjurjo.
Einige Teile der CNT wurden zwar bei dem Gedanken schwankend, in einem republikanischen Staat als Gewerkschaft die Möglichkeit zu haben, eigene Forderungen schrittweise durchzusetzen, doch grundsätzlich war man der Meinung von J.Peirats, »...daß man nichts von einer Versammlung erwarte, die im Schoße der kapitalistischen Gesellschaft empfangen wurde und bereit ist, in politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht deren Vorherrschaft zu verteidigen.« (Zit. in: James Joll, Die Anarchisten, Frankfurt/M. 1966, S.191)
Auch dem republikanischen Staat wurde die Kompetenz abgesprochen, im Interesse der Arbeiterschaft tätig werden zu können. Allerdings akzeptierte auch Durutti zunächst die Republik aus taktischen Gründen, weil sie einen Schutz gegen einen reaktionären Rückfall bieten konnte. Der Forderungskatalog, der von der FAI gegenüber der Republik aufgestellt wurde, war jedoch genau genommen der Bruch mit ihr. Peiro und Pestana suchten weiterhin das Bündnis mit Linksrepublikanern und katalanischen Autonomisten, während sich die FAI zunehmend der begrenzten Zusammenarbeit widersetzte. Die Haltung der CNT änderte sich erst nach ihrem Verbot im Juli 1931 entscheidend. Fast alle Anarchosyndikalisten zogen ein Verbot mit faktischen Betätigungsmöglichkeiten einer Zulassung unter Einschränkungen vor. Doch zu deutlichen Behinderungen der CNT-Arbeit kam es erst durch Zeitungsverbote 1932. Qualitative Unterschiede zwischen verschiedenen Regierungsformen wurden von den Syndikalisten weiterhin gemacht, worin man vielleicht einen ersten Ansatzpunkt für die spätere Politisierung und Haltung der CNT im Bürgerkrieg gegenüber der Zentralregierung erkennen kann.
Der lange schwellende Strategiestreit sowie der sich durchsetzende Einfluß der FAI führte nun zur Spaltung in der CNT.
Das Manifest der Dreissig
Im September 1931 verkündete der rein syndikalistische Flügel der CNT ein Manifest, welches nach der Anzahl seiner Unterzeichner das »Manifest der Dreißig« genannt wurde. Meinungsverschiedenheiten über die Durchführung der Sozialen Revolution waren die Hauptursachen für die Veröffentlichung.
Der Angriffspunkt des Manifests war die Revolutionsstrategie derjenigen Anarchisten, die wie Durutti oder Oliver eher dem Putschgedanken nahestanden. Die Unterzeichner des Manifests, unter ihnen J.Peiro, A.Pestana und J.Lopez, beklagten den wachsenden Einfluß der FAI auf die CNT und warfen der FAI vor, die Repressionsmittel des Staates zu unterschätzen und an die Wunder einer Revolution als Allheilmittel zu glauben.
»Gegenüber diesen simplen, klassischen und gewissermaßen traumhaften Vorstellungen von Revolution, die uns im Augenblick zu einem republikanischen Faschismus führen würden - mit Jakobinermütze zwar, aber faschistisch steht das andere Konzept, das echte, einzig praktizierbare und verständliche, das uns zu unserem endgültigen Ziel führen kann und zweifellos auch führen wird. Dieses Konzept sieht nicht nur eine Vorbereitung auf diesen Kampf vor, sondern es will auch moralische Momente mit einbeziehen, denn sie sind heute stark zerstörerisch und schwer zu überwinden. Die Revolution darf nicht nur auf mehr oder minder mutige Minderheiten bauen, sondern sie muß eine Bewegung bilden, die aus den Massen, aus der Arbeiterklasse, den Gewerkschaften und der Konföderation heraus entwickelt wird. Sie befreien sich hier alle endgültig und bestimmen das Vorgehen und den geeigneten Zeitpunkt für die Revolution... Wir sind Revolutionäre. Aber wir kultivieren nicht den Mythos der Revolution.« (aus: Manifest der Dreißig in: Santillan/Peiro, Ökonomie und Revolution, S. 78/79)
Die Taktik der FAI wurde als konterrevolutionäre Guerilla-Methode verurteilt, weil ihre gescheiterten Aufstände die Reaktion und Übergriffe des Staates gegenüber der gesamten CNT zur Folge hätten. Nicht der einmalige große Schlag oder kleinere unkontrollierte Revolten, sondern die kontinuierliche Untergrabung des Systems war für die Treintistas die Hauptstrategie.
Ein weiterer ideologischer Streitpunkt war die Frage nach einem neuen Organisationsprinzip. Bereits auf dem Madrider Kongreß 1919 hatte die asturische CNT-Föderation eine von der katalanischen Föderation unterstützte Organisationsstruktur entworfen, die den Gedanken der Einheitsgewerkschaft und die Zusammenfassung der Berufsgewerkschaften zu Industriegewerkschaften forderte. Diese damals abgelehnte Organisationsform, die der zentralistischen Struktur des modernen Kapitalismus angepaßt war, sollte nach dem Willen der Syndikalisten nun wieder eingeführt werden. Eng an die Vorstellungen von Peiro angelehnt, führte das Prinzip nationaler Industriegewerkschaften zu heftigen Protesten aus dem FAI-Lager. Der CNT-Nationalkongreß von Madrid im Jahre 1931 beschloß die Einführung dieser Industrieföderationen, die als Industrieräte nach der Revolution planerische Kompetenzen übernehmen sollten. Daraufhin sah sich Garcia Oliver zu der Bemerkung veranlaßt, »... die Industriegewerkschaften kämen aus Deutschland und nähmen sich auch ganz so aus, als stammten sie aus einem Bierfaß.« (Zit. in: James Joll, s.o., S. 191)
Peiro dagegen war der Ansicht, daß gegenüber der zunehmenden Konzentration der Industrie die Gewerkschaft eine in nationale Industrieföderationen strukturierte Klassenorganisation der revolutionären Gegenkraft sein müsse.
Nach 1931 verhinderte die FAI durch ihren Einfluß auf die Regionalföderationen die Durchsetzung der auch als marxistisch kritisierten Branchengewerkschaft. Bis 1937 blieb der dezentrale Aufbau der CNT mit selbständigen Regional- und Berufsföderationen bestehen, und erst während des Bürgerkrieges wurden unter dem Eindruck wachsender Schwierigkeiten bei der Kollektivierung die Beschlüsse von 1931 in die Tat umgesetzt.
Die ausgeschlossene Gruppe der Dreißig gründete sogenannte Oppositionssyndikate, in die ihnen ganze Regionalföderationen (Asturien, Valencia) folgten. Die Mitgliederzahlen der Oppositionssyndikate wuchsen bis 1936 auf 70.000 an. Sie waren es auch, die vor allen Dingen am Asturischen-Bergarbeiterstreik 1934 teilnahmen.
Der wachsende Einfluss der FAI
Die FAI bot durchaus kein einheitliches Bild in Bezug auf ihre Revolutionsstrategie und ihrem Verhältnis zur CNT. Einerseits wollte man ein Abgleiten der CNT in eine reformistische Organisation verhindern und betonte die unmittelbare Realisierbarkeit des libertären Kommunismus: »Ohne ein Datum festzulegen, steuern wir auf die revolutionäre Tat zu; dabei kümmern wir uns nicht darum, ob wir darauf vorbereitet sind oder nicht, die Revolution durchzuführen und den freiheitlichen Kommunismus durchzusetzen, da wir der Meinung sind, daß das Problem der Revolution nicht in der Vorbereitung, wohl aber in dem Willen besteht, sie durchführen zu wollen. Ohne die revolutionäre Vorbereitung völlig zu verachten, weisen wir ihr doch den zweiten Platz zu.« (Garcia Oliver)
Andererseits aber widersprach die FAI heftig den Vorwürfen, sie würde die CNT beherrschen. Sie sah sich des öfteren genötigt, in der Öffentlichkeit zu betonen, daß Aktionen wie der Generalstreik in Barcelona 1931 von der CNT und nicht von der FAI geplant und organisiert worden waren.
Mit dem Ausschluß der »treintistas« 1931 war die revolutionäre Strategie der CNT bis 1936 vorgegeben. Im März 1932 wurde der bisherige Sekretär des Nationalkomitees der CNT, Angel Pestana, aus der CNT ausgeschlossen und durch Manuel Rivas (FAI) ersetzt. Und auch Ricardo Sanz, ehemals Mitglied der Gruppe »Nosotros«, nahm einen führenden Posten in der CNT ein.
In den Jahren vor dem Bürgerkrieg erlebte Spanien eine Unmenge von Aufständen und Streiks. Die von der Regierung versprochenen Landreformen erzielten nur bescheidene Erfolge und wurden von den Landarbeitern als ungenügend empfunden. Ungeduldig geworden, initiierten sie lokale Aufstände, die ohne größere Probleme von der Regierung niedergeschlagen werden konnten. Das Scheitern der zahlreichen anarchistischen Aufstände unterstrich deutlich die Schwächen dieser »blanquistischen« (3) Strategie.
Gleichzeitig konnte die UGT ihren Einfluß auf dem Lande beträchtlich verstärken. Es hatte sich gerächt, daß die CNT keine eigene Bauernorganisation aufgebaut hatte. Keineswegs waren höhere Instanzen der CNT immer über die geplanten Aktionen der Basis informiert, noch konnte die CNT eigene Schuld an der mangelnden Organisation verschweigen. Als anschauliches Beispiel mag hier die Aufstandsbewegung vom 8. Januar 1933 dienen. Nachdem das Nationalkomitee der Eisenbahner einen Streik geplant hatte und um die Unterstützung des Nationalkomitees der CNT gebeten hatte (der Nationale Bund der Eisenbahner war innerhalb der CNT die einzige Industrieföderation, die nach dem Madrider-Kongreß 1931 gegründet worden war), wurden das Nationale Verteidigungskomitee und die regionalen Komitees zwecks Waffenbeschaffung und anderer organisatorischer Aufgaben aktiv. Doch obwohl in der Zwischenzeit auf Grund der mehrheitlich eindeutig ablehnenden Haltung der Eisenbahner gegen den Streik (UGT-Organisierte) der Streikbeginn vorsichtshalber um 10 Tage verschoben worden war und eigentlich der Streik von der anarchistischen Eisenbahnergewerkschaft gar nicht mehr durchgeführt werden wollte, teilte das regionale Verteidigungskomitee von Katalonien dem Nationalkomitee der CNT mit, es bestehe darauf, die Bewegung in Gang zu setzen, koste es, was es wolle. Mitglieder des regionalen Verteidigungskomitees von Katalonien waren u.a. Durutti, Ascaso und Oliver. Das Nationalkomitee bestand jedoch gegenüber dem katalanischen Verteidigungskomitee darauf, nichts zu unternehmen, bevor die Eisenbahner den Streik nicht vielleicht doch angemeldet hätten (normalerweise mußte ein Streik 8 Tage, im öffentlichen Dienst 10 Tage vor Beginn bei den zuständigen Stellen der Regierung angemeldet werden). Durch eine mehr als unglückliche Personalunion - der Sekretär des Nationalkomitees der CNT war zugleich Sekretär des Nationalen Verteidigungskomitees - und im Glauben, die Entscheidung des Verteidigungskomitees von Katalonien für einen Aufstand sei mit dem Regionalkomitee von Katalonien abgesprochen gewesen, schickte der Sekretär des Nationalkomitees der CNT ein Rundschreiben an alle Regionalkomitees, in dem die Erhebung Kataloniens angekündigt wurde. In Andalusien (Casas Viejas) und in den zentralspanischen Gebieten brachen daraufhin lokale Aufstände aus. Sie wurden allesamt blutig niedergeschlagen - die Eisenbahner hatten nicht gestreikt. Diese Aktionen, im Grunde Aktionen der FAI-dominierten Verteidigungskomitees, verdeutlichen gut die Strategie der FAI - Aufstand um jeden Preis - und die Ohnmacht der Mehrheit der CNT, die diese Revolten zwar mißbilligten, aber nicht verhindern konnten.
»Spanien ist heute unzweifelhaft der Brennpunkt der Revolution. Dieses Feuer wird nicht verlöschen. Aber es wird schlecht genährt. Es ist unregelmäßig und brennt schlecht. Die ausgestrahlte Nutzwärme steht in keinem Verhältnis zum Verbrauch der Kohle.« (Alexander Schapiro, s.o., S. 193)
Mitte des Jahres 1933 wurde die CNT als Gewerkschaft verboten. Die im Sommer 1933 ausgebrochenen Aufstände in Barcelona und Aragon, die nach einigen Wochen von der Regierung niedergeschlagen wurden, führten zu einer teilweisen Wende in der Taktik der FAI. Diesmal waren sich selbst die sonst so zusammengeschweißten »Nosotros« untereinander uneinig. Zum ersten Male meldeten führende FAI-Mitglieder ernstliche Bedenken gegen die abenteuerliche Politik der Aufstände an. Denn diese Revolten vom Sommer 1933 waren als Probe für die kommende Revolution angesehen worden, wenn nicht schon als ihr tatsächlicher Beginn. Die vernichtende Niederlage dieser hochstilisierten Aufstände konnte die FAI nicht unbeeindruckt lassen.
Die Cortes-Wahlen im November 1933 hatten einen Sieg der rechten und konservativen Kräfte zur Folge. Die geringen Reformen der Vorgängerregierung wurden allesamt rückgängig gemacht, die Verhältnisse des traditionellen Spaniens wieder eingeführt. Als Reaktion auf diese Politik der Rechtsregierung kam es im März 1934 zu einem Einheitspakt zwischen CNT und UGT in Asturien, der sozialistisch-föderalistische Prinzipien beinhaltete. Die asturische CNT war allerdings eine der ausgeschlossenen CNT-Regionalföderationen. Ihr maßgeblicher Führer, Orobon Fernandez, war der Ansicht, daß man sich die Linkswendung der Caballero-Sozialisten zunutzen machen müßte und akzeptierte deswegen ein Kompromißprogramm. Auch Pestana und Peiro äußerten sich zustimmend zu diesem Dokument. Auf den Nationalplenen der CNT konnte sich solch eine Linie auf Grund des Widerstandes der FAI jedoch nicht durchsetzen. Der Aufstand in Asturien im Oktober 1934, bei dem über 30.000 bewaffnete Arbeiter nach zwei Wochen durch den hier erstmals in Erscheinung tretenden Franco und seine Truppen besiegt wurden, war ein erster Vorgeschmack auf den Bürgerkrieg. Die Kommune von Asturien stand unter linkssozialistischem Einfluß, auf anarchistischer Seite spielte nur die asturische CNT eine Rolle. Asturien war traditionelles UGT-Gebiet. Der Aufstand endete zwar mit einer Niederlage, 30.-40.000 Arbeiter wanderten in die Gefängnisse, doch war ein Effekt der Niederlage die Erkenntnis, daß CNT und UGT enger Zusammenarbeiten mußten. Besonders für die CNT Kataloniens hatte dieses Ereignis eine bedeutende Wirkung. War sie vorher eindeutig auf FAI-Kurs und entschiedene Gegnerin der Arbeiterallianz, näherte sie sich nun kontinuierlich den Oppositionssyndikaten an und diskutierte Anfang 1936 die Möglichkeit eines ähnlichen Paktes mit der UGT in Katalonien.
Der Saragossa-Kongress
Vom 1.-15. Mai 1936 fand in Saragossa ein CNT-Nationalplenum statt, bei dem das Übergewicht der reinen anarchistischen Idee deutlich wurde, denn das auf ihm verabschiedete Programm des »Concepto Confederal del Communismo libertario« gab den Entwürfen von Isaac Puente den Vorzug vor denen von Abad de Santillan. Isaac Puente war der bedeutendste anarchistische Theoretiker, Mitarbeiter an verschiedenen anarchistischen Publikationen; sein Buch »El Communismo Libertario«, das 1933 erschien, beeinflußte die anarchistische Bewegung in der 2.Republik nachhaltig. Puentes Entwurf eines libertären Kommunismus setzte die Akzente in einem rein anarchistischen, individualistischen Programm, für ihn hatten spontane direkte Aktionen den Vorrang vor allzu viel Organisation. Dennoch versuchte sein Entwurf die Synthese von libertärem Kommunismus und syndikalistischem Anarchismus zu verwirklichen.
»Erstens: Als wir die Grundpositionen für die Abfassung dieser Denkschrift festlegten, haben wir uns darum bemüht, sie mit strengem Sinn für Harmonie und Ausgewogenheit auf den folgenden beiden Pfeilern zu begründen: Individuum und Gewerkschaft. Wir waren bestrebt, beide Richtungen und Konzeptionen gleichzeitigzu entwickeln. Zweitens: Als Gegenstück zur ausdrücklichen Garantie der Harmonie weisen wir auf die darin enthaltene Anerkennung der individuellen Souveränität hin. Von dieser Voraussetzung aus - bei der die Freiheit gegen alle Beeinträchtigungen verteidigt wird und oberstes Prinzip bleibt - müssen wir die verschiedenen Einrichtungen bestimmen, die im Leben unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände den Bedarf regeln sollen.« (Saragossa-Kongreß 1936, in: Santillan/Peiro, s.o., S. 168/169)
Zwar waren die 1931 ausgeschlossenen Oppositionssyndikate wieder in die CNT reintegriert worden, sie spielten jedoch noch keine herausragende Rolle, wenn man davon absieht, daß der gemeinsame Kampf von CNT und UGT betont wurde. Wieder einmal wurde das Haupthandikap des spanischen Anarchismus deutlich, die mangelnde, wenn nicht gar völlig fehlende Revolutionsstrategie, die offene Frage, wie die CNT zur zukünftigen Gesellschaft gelangen sollte, wie sie mit den Gegnern der Sozialen Revolution umzugehen hat. Neben den bakunistischen Vorbedingungen für eine Revolution, die aus dem Bewußtwerden der Bevölkerung und der daraus resultierenden Verzweiflung ein natürliches Recht zur Revolution attestieren, hielt die CNT in Spanien 1936 folgende Kriterien für eine Revolution gegeben:
a) Verschwinden der Ethik, die als Grundlage des kapitalistischen Regimes dient.
b) Bankrott dieses Regimes auf wirtschaftlichem Gebiet.
c) Scheitern der politischen Form des kapitalistischen Regimes, sowohl was die Demokratie als auch was seine letzte Ausformung, den Staatskapitalismus, angeht, der nichts anderes als der autoritäre Kommunismus ist. (Saragossa-Kongreß, in: Santillan/Peiro, s.o.,S. 171)
Die Möglichkeiten einer Revolution wurden an den Bankrott der kapitalistischen Gesellschaft gebunden, was man vielleicht als die Absage an die putschistischen Revolten der FAI werten kann. Den Zeitpunkt des Zusammentreffens aller Voraussetzungen für eine Revolution sahen die Anarchisten im Frühsommer des Jahres 1936 gegeben. Doch Pläne für die kurz bevorstehende Soziale Revolution wurden nicht erarbeitet, stattdessen die erwünschte zukünftige Gesellschaft in allen Einzelheiten durchgeplant. Dies sollte sich zu Beginn des Bürgerkrieges rächen.
Resümee
Die außerordentliche starke Verbreitung des Anarchismus in Spanien im Vergleich zu den übrigen europäischen Ländern ist ohne die historischen Hintergründe nur schwer verständlich. Die politische Kultur Spaniens, durch das Schwanken zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Republik und Monarchie geprägt, begründet sich aus der Tatsache, daß es in Spanien nicht gelang, einzelne Landesteile in den Zentralstaat zu integrieren. Hieraus ergab sich die enge Verbindung zwischen Anarchismus und Föderalismus in der Entstehungsphase der anarchistischen Massenbewegung, als auch die regionale Verteilung der Schwerpunkte. Die fehlgeschlagene und verspätete Herausbildung einer spanischen Nation ist mitbestimmend für die anarchistische Arbeiterbewegung.
Katalonien entwickelte sich neben dem Baskenland ab Mitte des 19. Jahrhunderts zur wirtschaftlich fortgeschrittensten Region Spaniens. Kulturell selbstständig, verföchte es vom Zentralstaat abweichende ökonomische und politische Interessen.
Andalusien war geprägt von einem Prozeß der Dekapitalisierung und besaß in den Augen der auf Madrid angewiesenen und dort bestimmenden andalusischen Agrarbourgeoisie den Status einer Kolonie, die rücksichtslos ausgebeutet werden konnte. Gleichzeitig erkennt man in Andalusien durch die Liberalisierung des Grundbesitzes die zunehmende Verelendung des ländlichen Proletariats.
Der Konflikt in der anarchistischen Bewegung begründete sich also in den unterschiedlichen gesellschaftlichen und ökonomischen Stellungen ihrer Mitglieder. Strategie und Taktik der Bewegung richteten sich naturgemäß nach dem vorherrschenden Bedürfnis der Arbeiter der verschiedenen Regionen. In einem sich zunehmend industrialisierenden Katalonien war die Strategie der anarchistischen Organisation bestimmt durch die Hervorhebung des syndikalistischen Gedankens. Die föderative Gewerkschaft verband die einzelnen Berufsgruppen im täglichen Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und sollte gleichzeitig die Kontinuität in einer Revolution sicherstellen. In Andalusien verbündeten sich die vom sozialen Abstieg bedrohten Handwerker mit dem Land - und Industriearbeitern, die durch die Abwanderung des Kapitals aus Andalusien einen schweren Stand hatten. Daneben konnte sich die anarchistische Bewegung in Andalusien auf eine lange Tradition genossenschaftlicher und kommunitärer Selbstverwaltung stützen und manifestierte in ihren Ideen die eigenständige Verwaltung und Staatsablehnung von lokalen Einheiten. Diese »pueblos« mit ihren Bruderschaften und Einrichtungen gegenseitiger Hilfe waren die Lebenszusammenhänge der andalusischen Landbevölkerung. Sie standen dem kommunistischen Anarchismus eines Kropotkin und seinen Vorstellungen eines selbstverwalteten Lebens in einer Kommune nahe.
Gleichzeitig wäre die alleinige Ausrichtung der Arbeiterbewegung auf den Syndikalismus zum Scheitern verurteilt gewesen, da so von vorne herein viele gesellschaftliche Gruppierungen ausgeschlossen worden wären. Man entwickelte stattdessen die Strategie des revolutionären Generalstreiks, der neben Arbeitsniederlegungen auch Sabotage und Boykott beinhaltete.
Der Versuch der Aufhebung dieser Auseinandersetzungen zwischen Kollektivismus und Kommunismus in der anarchistischen Bewegung des 19. Jahrhunderts wurde in der Gründung der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT gemacht, die mit revolutionären syndikalistischen Mitteln das Endziel des libertären Kommunismus verfochten. Die Suche nach einem praktisch wie theoretisch widerspruchsfreien Organisationsprinzip sowie die Frage der Strategie und der Auslegung der Möglichkeiten innerhalb des revolutionären Syndikalismus bestimmten jedoch weiterhin die anarchistische Bewegung. Das Organisationsprinzip war bei der vom Anarchismus propagierten Mittel-Ziel-Identität von großer Bedeutung, sollte doch die zukünftige libertäre Gesellschaft schon in der jetzigen Bewegung vorweg genommen werden. Die CNT bemühte sich um einen dezentral-föderativen Aufbau, der den einzelnen Föderationen auf lokaler und regionaler Ebene völlige Autonomie zusprach. Sie konnten deswegen nicht zu gemeinsamen Aktionen verpflichtet werden, worunter die Bewegung doch häufig litt. Schon früh wurden deshalb auch Stimmen in der CNT laut, die eine Straffung der Organisation forderten.
Da sich vor allem während der Diktatur Primo de Riveras innerhalb der CNT reformistische Strömungen zumindest an der Spitze der Bewegung durchsetzten, wurde 1927 auf einem geheimen Kongreß in Valencia die FAI gegründet, die ihre Hauptaufgabe darin sah, über die Reinhaltung der anarchistischen Lehre in der CNT zu wachen und zu verhindern, daß sich die CNT zu rein politischem Pragmatismus hinreißen ließ. Nach 1931 kam es zu offenen Auseinandersetzungen zwischen Syndikalisten und Anarchisten. Die gemäßigteren CNT Mitglieder wurden samt den ihnen zustimmenden Regionalföderationen aus der CNT ausgeschlossen. Der Einfluß der FAI und der Anarchisten nahm deutlich zu, doch die allesamt gescheiterten lokalen Aufstände und Streiks der Zeit bis 1936 ließen selbst innerhalb der FAI, die durchaus kein homogener Block war, Zweifel aufkommen an der Richtigkeit ihrer Strategie, und führten zu einer Annäherung der verschiedenen Flügel auf dem Saragossa-Kongreß im Mai 1936.
Fußnoten:
1.) Charles Fourier (1772 - 1837), französischer Frühsozialist, der sich in seinen Werken für die freie Assoziation der Produzenten einsetzte: »Freie und freiwillige Assoziation von Kapital, Arbeiterund Talent.« Der Zusammenschluß dieser Assoziationen sollte durch persönliche Anziehung der einzelnen Mitglieder ein Maximum an Erfolg garantieren. Am Ende dieser freiwilligen Gesellschaften sollte der libertäre Sozialismus stehen: »Wenn die Freiheit so organisiert ist, daß alle frei sind, ist es nicht mehr nötig, sich mit der Freiheit des Einzelnen zu beschäftigen. Wenn die ganze Gesellschaft reich ist, ist Privateigentum unnötig.«
Etienne Cabet, Gründer von sozialistischen Gemeinschaften (Ikarien), in denen die Produktion straff zentralistischer Planwirtschaft unterworfen, die Konsummittel jedoch Gemeineigentum waren. Cabet glaubte an den industriellen Fortschritt: »Der Dampf schafft die Welt der Zukunft. Durch das schlichte Feuer und das einfache Wasser wird die Aristokratie in die Luft gesprengt und in die Erde geschmettert werden.«
Pierre-Joseph Proudhon (1809 - 1865), mutualistischer Anarchist, vertrat die Auffassung, daß die Gesellschaft anstatt sich auf den Staat zu verlassen, durch die Individuen selber organisiert werden sollte, die freiwillige Abkommen auf der Grundlage von Gleichheit eingehen. Diese Genossenschaften sollten die Grundgüter des Lebens auf der Basis von Arbeitswerten austauschen und mit Hilfe einer Volksbank den Austausch freier Kredite gewährleisten.
2.) Francisco Ferrer Guardia (1859 - 1909), spanischer libertärer Pädagoge. Ferrer gründete 1901 in Barcelona die erste spanische »Escuela Moderna« (Moderne Schule) für eine nichtkirchliche Erziehung auf rationalistischer und antiautoritärer Grundlage. Von klerikaler Seite wurden diese Erziehungstendenzen heftig angegriffen. Wegen angeblicher Anstiftung des Aufstandes während der »Tragischen Woche« wurde Ferrer am 13.Oktober 1909 hingerichtet.
3.) Louis-Auguste Blanqui (1805 - 1881), beteiligte sich aktiv an der Juli- Revolution 1830 in Frankreich. In den darauffolgenden Jahren gründete er eine Reihe von Geheimgesellschaften und versuchte 1839 einen bewaffneten Aufstand. Zum Tode verurteilt, dann begnadigt, wurde er 1848 freigelassen und agitierte sofort wieder in Richtung Revolte. Wiederum verhaftet und zu 10 Jahren Kerker verurteilt, gelang im 1865 die Flucht ins Ausland. Nach der allgemeinen Amnestie 1869 kehrte er nach Frankreich zurück, doch nach weiteren Aktionen wurde er wieder verhaftet. Zum Tode verurteilt, zu Kerker begnadigt, wurde er 1879 als Abgeordneter von Bordeaux in die Nationalversammlung gewählt. »Es hat seine guten Gründe, wenn Blanqui als Putschist in die Überlieferung einging. Ihr stellt er den Typus eines Politikers dar, der es, wie Marx sagt, als seine Aufgabe ansieht, dem revolutionären Entwicklungsprozeß vorzugreifen, ihn künstlich zur Krise zu treiben, eine Revolution aus dem Stegreif ohne die Bedingungen einer Revolution zu machen.« (W. Benjamin)
Aus: H. Auweder / M. Schumann: A las barricadas. Triumph und Scheitern des Anarchismus im spanischen Bürgerkrieg. Trotzdem-Verlag, 1999. Digitalisiert von www.anarchismus.at mit freundlicher Genehmigung des Trotzdem-Verlags.