Walther L. Bernecker - »Reiner« oder »syndikalistischer« Anarchismus?

Zum Spannungsverhältnis libertärer Organisationen in Spanien

Der folgende Beitrag untersucht eines der organisatorischen und ideologischen Hauptprobleme des Anarchismus in Spanien: die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Flügeln der libertären Bewegung. Der erste Abschnitt greift weit in die Geschichte des spanischen Anarchismus zurück und erklärt die divergierenden Tendenzen in der Bewegung unter Hinweis auf die soziale und regionale Heterogenität der Mitgliederstruktur; der zweite Abschnitt behandelt die Entwicklung der anarchistischen Organisationen bis zum Bürgerkrieg und weist auf die zentrifugalen Kräfte hin, die der Schlagkraft der libertären Bewegung entgegenstanden und ihre revolutionäre Effizienz neutralisierten; im dritten Abschnitt geht es um die ideologischen Revisionen, denen sich der Anarchismus im Spanischen Bürgerkrieg ausgesetzt sah, sowie um die Folgen dieses Prozesses im Hinblick auf die Preisgabe revolutionärer Positionen und Errungenschaften; der letzte Abschnitt behandelt in einem Ausblick die Renaissance an Orthodoxie nach 1975 und die Wiederaufnahme »historischer« Diskussionen im spanischen Anarchismus der Gegenwart.

Anarchistische Richtungsauseinandersetzungen bis zur Gründung der FAI (1927)

Die Frage nach dem Verhältnis der syndikalistischen »Confederación Nacional del Trabajo« (CNT, Nationalbund der Arbeit) zur »rein« anarchistischen »Federación Anarquista Ibérica« (FAI, Iberischer Anarchistischer Bund) ist zugleich die Frage nach unterschiedlichen Organisations- und Bewußtseinsformen innerhalb des spanischen Anarchismus. Im Gegensatz zu vielfach vereinfachenden Darstellungen ist darauf hinzuweisen, daß das libertäre Lager in Spanien zu keinem Zeitpunkt in seiner Geschichte über ideologisch-programmatische Einheit(lichkeit) verfügte, daß die Bewegung vielmehr deutlich divergierende Vorstellungen hinsichtlich der Konzeption und Realisation des von CNT/FAI »libertärer Kommunismus« genannten Zustandes entwickelte. Diese inner-anarchistischen Divergenzen und fehlender Konsens in Grundfragen lassen sich bis in die Anfänge der Bewegung zurückverfolgen; sie hängen nicht zuletzt damit zusammen, daß der iberische Anarchismus von Anfang an sozial und regional zwei Schwerpunkte hatte: den »feudal«-latifundistischen Süden des Landes, in dem der andalusische Agrar- und Handwerkeranarchismus Wurzeln schlug, und den relativ industrialisierten Nordosten der Halbinsel, wo sich der katalanische Anarchosyndikalismus durchsetzte. Diese soziale (Industriearbeiter - Handwerker/Landarbeiter) und regionale (Andalusien - Katalonien) Differenzierung war nicht nur in der Forschung Anlaß für die verschiedensten Erklärungshypothesen zu den Entstehungsursachen des spanischen Anarchismus, sondern stellte die Bewegung selbst im Verlauf ihrer Geschichte wiederholt vor nahezu unlösbare strukturelle Probleme, bestimmte in wesentlichem Umfang ihre Strategie und Taktik, wirkte sich entscheidend auf die Revolutionskonzeption des Anarchismus aus und gehört zu den zentralen Erklärungsfaktoren für die Gründung der FAI. [1]

Bereits auf dem ersten spanischen Arbeiterkongreß 1870 in Barcelona - also schon zwei Jahre nach dem Eintreffen des Italieners Guiseppe Fanelli, der als Gesandter Bakunins die Nachricht von der Gründung einer »Internationalen Arbeiter-Association« (IAA) nach Spanien brachte - wurde das Programm der »Jura-Föderation« (»in der Politik anarchistisch, in der Wirtschaft kollektivistisch, in der Religion atheistisch«) erst nach einer Kampfabstimmung angenommen, die bereits den zukünftigen Dissens zwischen »Reformisten« und »revolutionären Aktivisten« vorwegnahm. [2] Als die anarchistische Bewegung 1881 nach siebenjähriger illegaler Untergrundtätigkeit wieder öffentlich operieren konnte, erfuhr sie zwar einen rapiden Aufschwung (die Mitgliederzahl stieg sehr schnell wieder auf über 50.000 an); die deutlichen Gegensätze zwischen den Anarchokollektivisten Bakuninscher Prägung einerseits und den von Kropotkin beeinflußten Anarchokommunisten andererseits waren jedoch in ihren Auswirkungen bis zum Ende des Bürgerkrieges der Geschlossenheit und Schlagkraft der libertären Bewegung abträglich. Nach der Wiederzulassung der »Internationale« durch die liberale Regierung Sagasta im Jahre 1881 wurde die bisherige Führung von den katalanischen Befürwortern einer Rückkehr in die Legalität abgesetzt - damit fand die spanische Sektion der IAA ihr Ende, das vor allem durch vielfältige interne Auseinandersetzungen, mangelnde Einheit im Ideologischen und Organisatorischen sowie durch Differenzen in der Bundeskommission herbeigeführt worden war; der Weg wurde freigemacht für den Wiederaufbau einer Massenbewegung, die auf anarchosyndikalistischen Gewerkschaften und nicht auf einer geheimen, illegalen, die Propaganda durch die Tat beherzigenden Minderheit fußen sollte. Dieser von den syndikalistisch organisierten Arbeitern Kataloniens bewirkten Abwendung von der bisherigen, auf Gewaltaktionen beruhenden Taktik widersetzten sich die andalusischen Befürworter des Anarchokommunismus, die in den folgenden Jahren durch Aktionen von Geheimgesellschaften - allen voran »La Mano Negra« [3] - und terroristischen Gruppen die Glut des ländlichen Anarchismus schürten.

Während die Anarchokollektivisten den Syndikalismus, die Massenbewegung, den Generalstreik und einen gewissen Grad an Zentralisierung vertraten, um einen gesellschaftlichen Zustand zu erreichen, in dem nur die Produktionsmittel kollektiviert und jeder Arbeiter entsprechend seinen Leistungen entlohnt werden sollte, lehnten die Anarchokommunisten jegliche Organisation ab, priesen die Form der autonomen Gruppe, der individuellen revolutionären Tat und des Terrorismus und strebten eine Gesellschaftsform an, in der es keinen Privatbesitz an Konsumgütern mehr gäbe, jeder nach seinen Fähigkeiten zu arbeiten hätte und entsprechend seinen Bedürfnissen entlohnt werden sollte. Die Kontroverse zwischen Anarchokollektivisten und Anarchokommunisten, die in Spanien im Grunde ein Konflikt zwischen katalanischen und andalusischen Anarchisten war, wurde 1888 vorläufig zugunsten des Anarchokommunismus beigelegt. [4] Der Anarchismus trennte sich in den folgenden Jahren von der Arbeiterbewegung, verkümmerte zu Sektierertum und verlor sich im Aktivismus von Minderheiten.

Der Kampf zwischen kollektivistischem Anarchismus und aufständischem Anarchokommunismus endete erst Anfang des 20. Jahrhunderts in einem Kompromiß, der den Bakunismus als Grundlage des Klassenkampfes und der Arbeiterorganisation und den »freiheitlichen Kommunismus« als Endziel im revolutionären Syndikalismus vereinigte, dessen Prinzipien eine willkommene Lösung der Diskrepanz zwischen der Praxis des revolutionär-anarchistischen Flügels der spanischen Arbeiterbewegung und der Notwendigkeit, sich ein Organ für kollektive Aktionen zu schaffen, war. [5]

Um der Desorganisation der anarchistisch beeinflußten spanischen Arbeiterschaft ein Ende zu setzen, beschloß eine Gruppe militanter Anarchisten in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts, eine Föderation von Organisationen der Arbeiterklasse zu gründen, deren Ziel sowohl die Verbesserung ihrer objektiven Klassenlage als auch zugleich die Heranbildung des notwendigen Klassenbewußtseins zur Durchführung systemsprengender revolutionärer Aktionen war. Nachdem dieser Vorschlag in Katalonien mit unerwarteter Begeisterung aufgenommen worden war, wurden 1907 die Regionalföderation »Solidaridad Obrera« (Arbekersolidarität) und 1910 die »Confederación Nacional del Trabajo« gegründet. [6] Die für den Syndikalismus wesentlichen Postulate waren der Föderalismus, der nur-gewerkschaftliche Kampf und die ausschließliche Methode der im revolutionären Generalstreik kulminierenden »direkten Aktion«. [7] Der Syndikalismus war - in der Formulierung von G. D. H. Cole [8] - »gleichzeitig eine Politik der direkten Aktion in der Gegenwart und eine Vision der Gesellschaft in der Zukunft«. Die revolutionären Syndikalisten folgten der anarchistischen Tradition insofern, als sie der »spontanen« Bewegung der Masse vertrauten und in jeder »autoritären« Organisation ein Hindernis für die Entwicklung eines revolutionären Bewußtseins sahen. Die anarchosyndikalistische CNT blieb bei der den Anarchismus charakterisierenden konsequenten Ablehnung der partei- und verbandsförmigen Einflußnahme auf politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse. Ihre antipolitische Haltung war Ausdruck konkreter Erfahrungen der Arbeiterbewegung mit den politischen Parteien und dem parlamentarischen System. Der Generalstreik verfolgte - neben den ökonomischen - auch politische Ziele: Durch ihn sollte der Staat beseitigt und die Gesellschaft syndikalistisch organisiert werden. Der Generalstreik als wirksamste Form der »direkten Aktion« wurde als ein Mittel des Klassenkampfes verstanden, dessen Ergebnis die Neugestaltung der gesellschaftlichen Lebensformen sein würde. Dabei ging es nicht um die Eroberung politischer Macht, sondern um deren Zerschlagung. Die syndikalistischen Grundideen, die sich vor allem in den romanischen Ländern in der Zeitspanne vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg ausbreiteten, sind »als alternative Revolutionsstrategien« zum internationalen Sozialismus, [9] d. h. vor allem zur reformistischen Praxis des internationalen Sozialismus, zu verstehen. Anarchisten und Anarchosyndikalisten stimmten darin überein, daß der »seinem Wesen nach revolutionäre Generalstreik« der unmittelbare Auftakt zur sozialen Revolution sein müsse. Bereits auf dem Gründungskongreß der CNT 1910 verabschiedeten die Delegierten eine Resolution, derzufolge der Generalstreik nicht für beschränkte Reformen, sondern nur als Waffe zur Herbeiführung einer neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eingesetzt werden dürfe. Der Kongreß bekräftigte das Prinzip der Ersten Internationale, daß die Emanzipation der Arbeiterklasse das Werk der Arbeiter selbst sein müsse. Charakteristisch für diese - sowie für alle späteren - Beschlüsse der CNT ist das Fehlen jeglicher Analyse der revolutionären Situation. Die Delegierten beschäftigten sich nicht mit den für den Erfolg einer Revolution erforderlichen sozialen und ökonomischen Voraussetzungen, sie diskutierten nicht die von exogenen Dispositionen abhängige Revolutionsstrategie; es ging nicht um eine Untersuchung der gesellschaftlichen Realität als Grundvoraussetzung des weiteren Vorgehens. Von aufklärerischem Optimismus getragen, betonte die CNT vielmehr die Notwendigkeit der »moralischen Emanzipation« als Voraussetzung für die »wirtschaftliche Emanzipation« und proklamierte dabei eine Mittel-Ziel-Identität, die den Einfluß des Bakuninschen Anarchismus ebenso deutlich werden ließ wie den Unterschied zur »rationalen« marxistischen Revolutionstheorie. Reflexion über Bedingungen und Erfolgschancen von Revolutionen hatte Bakunin nicht nur für überflüssig gehalten, sondern geradezu für »verbrecherisch, da sie nur der Sache der Zerstörung als solcher hinderlich sind, den Gang des Anfanges der Revolution aufhalten, dadurch also ihr Ende in die Ferne rücken« [10]

In den ersten Jahren nach Gründung der CNT verhinderten erfolglose Streiks, Repressionen durch die Regierung und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der CNT ein wirksames Auftreten der anarchosyndikalistischen Organisation. Ihr Kurs schwankte zwischen dem anarchistischen Dogmatismus der extremistischen Fraktion und der von einer Gruppe um Salvador Seguí [11] und Angel Pestaña vertretenen Linie, die ein »realistisches« revolutionäres Programm entwickeln wollte, sich für weitschauende Taktiken und Anpassung an die Umstände aussprach und im Syndikalismus ein Mittel sah, sich dem Fernziel der Abschaffung des Staates, des kapitalistischen Systems und des Privateigentums zu nähern. Ausdruck ihrer tastenden Unsicherheit war sowohl der Pakt mit der sozialistischen Gewerkschaft »Unión General de Trabajadores« (UGT / Allgemeine Arbeiterunion) (1917) als auch der vorübergehende Eintritt in die »Rote Gewerkschaftsinternationale« (RGI) [12] bei gleichzeitigem Festhalten an den von Bakunin entworfenen Prinzipien. Ende 1922 trat die CNT auf der internationalen syndikalistischen Konferenz in Berlin, endgültig dann auf ihrem Kongreß 1923 in Zaragoza der »Internationalen Arbeiterassoziation« (IAA) bei, [13] deren explizites Ziel es war, den Klassenkampf zu verschärfen, gegen ein Übergreifen politischer Parteien auf die Gewerkschaften anzukämpfen, die »Willkürherrschaft aller Regierungen« zu bekämpfen, schließlich den Kapitalismus und den Staat zu zerstören. [14] Die IAA verwarf die Diktatur des Proletariats, sprach sich für die direkte revolutionäre Aktion der Unterdrückten aus und betonte - bei strikter Ablehnung jeglicher »politischer« Betätigung - die Eigenschaft der Arbeiter als Produzenten. Der Anarchosyndikalist Eusebio Carbó berichtet anschaulich über den Gesinnungswandel, der innerhalb der CNT in jenen Jahren stattfand und dazu führte, daß der eben erst beschlossene Beitritt zur RGI wieder rückgängig gemacht und durch den Beitritt zur IAA ersetzt wurde: »Während des Jahres 1922 hatten wir Nachricht von dem Bestehen der IAA erhalten ... Aus ihrer Prinzipienerklärung und ihren Statuten entnahmen wir, daß die IAA sich bemühte, die großen Überlieferungen der internationalen Arbeiter-Association fortzusetzen und in der Arbeiterschaft wach zu halten. Die Ideen und Methoden der CNT waren völlig im Einklang mit denen der IAA, und wir erkannten, daß, obwohl wir der Dritten Internationale angeschlossen waren, unser Platz nirgends anders sein konnte als in den Reihen der IAA. So kam es, daß die Konferenz von Zaragoza einstimmig und fast ohne Debatte den Anschluß der CNT an die IAA vollzogen hat. Seitdem gehört die spanische Landesorganisation der IAA an, durch die sie mit dem revolutionären Proletariat der ganzen Welt verbunden ist. 1931 ratifizierte der Kongreß von Madrid die Prinzipien, welche der Kongreß von 1919 angenommen hatte, [15] indem er erklärte: 'Die auf diesem Kongreß vereinigten Delegierten geben der Meinung Ausdruck, daß sich im Schoße der Arbeiterorganisationen aller Länder immer stärker das Bedürfnis nach einer vollständigen Befreiung der Menschheit von jeder moralischen, politischen und wirtschaftlichen Unterdrückung geltend macht; der Kongreß ist der Meinung, daß ein solches Ziel nur durch den gemeinschaftlichen Besitz der Erde und der Arbeitsinstrumente und durch die völlige Ausschaltung jeder wie immer gearteten Staatsorganisation erreicht werden kann. In diesem Sinne erklärt der Kongreß in voller Übereinstimmung mit der Internationalen Arbeiter-Association, daß das Ziel der spanischen CNT nur die Verwirklichung des freiheitlichen Kommunismus sein kann.'« [16]

Nicht alle Syndikalisten verfochten so vorbehaltlos, wie es Carbós Zusammenfassung suggerieren möchte, das Ziel des libertären Kommunismus. Während der Diktatur Primo de Riveras (1923-1930) begann sich vielmehr innerhalb der im Untergrund operierenden CNT eine »reformistische« Strömung durchzusetzen, die zum Sturz des Diktators eine Zusammenarbeit mit republikanischen Parteien und Oppositionsgruppen befürwortete. Um zu verhindern, daß sich die Arbeiter dem Reformismus und der Zusammenarbeit mit politischen Organisationen oder dem sowjetischen Kommunismus und der Lehre von der Diktatur des Proletariats zuwendeten, wurde im Jahre 1927 auf einem illegalen Kongreß in Valencia die »Federación Anarquista Ibérica« als Geheimorganisation gegründet, die sich die Reinerhaltung der Lehren Bakunins zur Aufgabe machte. Die Gründungsdokumente der FAI sind zwar verlorengegangen; es liegt aber ein zusammenfassender Bericht über die konstituierende Sitzung vor, der es ermöglicht, die Diskussionen auf der Gründungssitzung in Valencia am 24. und 25. Juli 1927 zumindest in ihren großen Zügen zu rekonstruieren. [17]

Die FAI wurde als Zusammenschluß der »Uniao Anarquista Portuguesa« (UAP/Portugiesische Anarchistische Union), [18] des »Nationalbundes Anarchistischer Gruppen Spaniens« und des »Bundes Anarchistischer Gruppen spanischer Sprache in Frankreich« gegründet. Nach 1923 waren alle anarchistischen Gruppierungen sowie die CNT aufgelöst worden. Trotzdem war im Untergrund ein anarchosyndikalistisches Verbindungskomitee (»Comité de Relaciones Anarquistas«) bestehen geblieben. Seit dem Kongreß anarchistischer Gruppen in Lyon (Juni 1925) bestand außerdem der exilierte »Bund Anarchistischer Gruppen spanischer Sprache in Frankreich«. 1925 hatte auch die Reorganisation anarchosyndikalistischer Gruppen im Landesinneren begonnen, die zur baldigen Einsetzung eines provisorischen »Nationalkomitees« führte, an dessen Spitze Miguel Jiménez und José Llop traten. [19] Diese Organisationen schlossen sich mit dem klaren Ziel zusammen, dem Anarchismus in der Arbeiterbewegung zur Durchsetzung zu verhelfen. Im Hinblick auf das Zusammenwirken »rein« anarchistischer Organisationen mit der »syndikalistischen« CNT beschloß die Gründungsversammlung: »Man kommt überein, daß die Klasseneinheit nicht möglich ist; der Syndikalismus hat sie angestrebt und ist gescheitert, daher muß die anarchistische Einheit gesucht werden. Die Arbeiterorganisation ist nicht nur dazu da, die Klassenlage zu verbessern, sie muß auch auf die Emanzipation der Arbeiterklasse hinarbeiten, und da diese in der Akratie möglich ist, muß die Arbeiterorganisation ein weiteres Mittel des Anarchismus werden. Die Arbeiterorganisation muß zum Anarchismus zurückkehren, wie es vor der Auflösung der Spanischen Regionalföderation und der Bildung anarchistischer Gruppen am Rande der Arbeiterbewegung war. Beide Organisationen müssen sich vereinigen, denn die anarchistische Bewegung darf das wirtschaftliche Problem nicht außer Acht lassen und sich ausschließlich auf die übrigen Fragen konzentrieren. Es wird beschlossen, dieses Ziel zu verkünden. Die (anarchistischen) Gruppen, ihre Zusammenschlüsse und das Nationalkomitee laden die Gewerkschaftsorganisation und das Komitee der CNT zu gemeinsamen Plenarsitzungen bzw. zu Lokal-, Bezirks-, Regional- und Nationalversammlungen ein; sie schlagen die Übernahme der Gewerkschaftsorganisation in die anarchistische Bewegung und ihre Verbindung mit dem Gruppenaufbau vor, ohne daß es zu einer Vermischung oder gar zum Verlust des jeweiligen Gepräges käme. Generalföderationen werden der Ausdruck dieser breiten anarchistischen Bewegung sein und über Generalräte verfügen, die so genannt werden, weil sie sich aus Vertretern der Gewerkschafts- und der Gruppen-Organisationen zusammensetzen. Diese Generalräte bilden Kommissionen für Erziehung, Propaganda, Agitation sowie für andere Bereiche, die für beide Organisationen gleichermaßen von Bedeutung sind.« [20]

Die FAI beschloß, an jedem Aufstand gegen die Diktatur Primo de Riveras teilzunehmen »und zu versuchen, ihn von seiner politischen Richtung abzubringen; die Aktion des Volkes soll auf die Zerstörung aller Gewalten und die freie Gestaltung des Lebens gelenkt werden«. Hinsichtlich der Organisation des Aufstandes trafen die anwesenden Delegierten eine wichtige Entscheidung, die auf das zukünftige Verhältnis zur CNT hindeutete: »Soll ein Aktionskomitee gebildet werden, das aus der Gewerkschafts- und Gruppenorganisation [21] oder nur aus letzterer hervorgeht? Die ersten Lösung wird - in Anlehnung an Katalonien - beschlossen; nur, falls die Gewerkschaftsorganisation nicht kann oder will, wird die zweite Lösung praktiziert.« Die Resolution läßt deutlich werden, daß die FAI von Anfang an eine enge Zusammenarbeit mit der CNT, aber keine Beherrschung oder Indoktrination der Gewerkschaft anstrebte, wenn auch betont wurde, daß man sich »um die reformistische Strömung« in der Gewerkschaftsbewegung »kümmern« müsse. Insgesamt ist jedoch bei der häufig aufgestellten Behauptung, der syndikalistischen Massenbewegung Spaniens sei der anarchistische Wille der minoritären FAI aufgezwungen worden, [22] zu gering veranschlagt worden, daß die CNT aufgrund ihrer historischen Genese keine reformistische Gewerkschaftsorganisation darstellte, sondern seit ihrer Gründung dem revolutionären Syndikalismus, der antipolitischen Grundhaltung und dem Kampf gegen Staat und Privateigentum verpflichtet war.

Der spanische Anarchismus zwischen Reformismus und Revolutionismus

Trotz der weitgehenden programmatischen Übereinstimmung zwischen CNT und FAI blieb im Anarchosyndikalismus der Zweiten Republik (1931 -1939) eine »reformistische« Tendenz bestehen, und das Verhältnis zwischen den beiden anarchistischen Organisationen gehört zu den Grundproblemen der Gewerkschaftsbewegung in jenen Jahren. Die nicht immer problemlosen CNT-FAI-Beziehungen wurden durch den 1928 beschlossenen »trabazón« (Verband) bestimmt, der die »brüderliche Zusammenarbeit« (José Peirats) zwischen den beiden Organisationen regeln sollte und nach Beginn des Bürgerkrieges in der stets gemeinsamen Verwendung der Initialen »CNT-FAI« manifest wurde; [23] die praktischen Auswirkungen des »trabazón« auf das komplexe CNT-FAI-Verhältnis eröffnete der FAI die Möglichkeit zum Eintritt in alle CNT-Komitees. Der massive Einbruch in CNT-Gremien darf jedoch nicht allein unter der Perspektive der doktrinären Majorisierung der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft gesehen werden; im Bewußtsein des gemeinsamen revolutionären Endziels [24] fühlten sich die »Faistas« eher als CNT-Mitglieder denn als Anarchisten, die in einer reformistischen Organisation über die Reinheit der Lehre zu wachen hätten. Beide Organisationen - CNT und FAI -lehnten den bestehenden Staat ab und erstrebten eine »Reorganisation des gesamten gesellschaftlichen Lebens auf der Basis des freien Kommunismus durch die direkte revolutionäre Aktion der Unterdrückten« [25]; der organisierte Anarchismus bedeutete für die Zweite Republik - auch wenn er keine explizite 'Theorie' des Übergangs zum herrschaftsfreien Kommunismus entwickelte - zusammen mit den Sozialisten der UGT die größte revolutionäre Gefahr von links. Die verschiedenen Tendenzen innerhalb der CNT verschärften sich bereits gegen Ende der Diktatur Primo de Riveras, somit unmittelbar nach der FAI-Gründung. Einer der zentralen Diskussionspunkte war die Revolutionskonzeption der Anarchisten. Die führende Rolle der angestrebten Revolution wurde - im Gegensatz zum Marxismus - nicht dem Industrieproletariat zugesprochen; in Anlehnung an Bakunin gingen die spanischen Anarchisten vielmehr von der Vorstellung aus, eine primär auf die proletarisierten Bauern gestützte spontane Erhebung könne den Kapitalismus noch vor seiner Entfaltung zerstören.

Diese sich auf die ländliche Kommune stützende Revolutionsvorstellung wurde in Spanien von dem einflußreichen Redaktionsstab der theoretischen anarchistischen Zeitschrift »La Revista Bianca« übernommen; in den ständigen publizistischen Aufrufen zur sozialen Revolution wurde der kleinen Landkommune eine ausschlaggebende Rolle zugesprochen: Da die Mehrheit der spanischen Bevölkerung in Landkommunen lebe, eigneten sich diese besonders zur gesellschaftlichen Reorganisation auf libertärer Basis. Die Revolutionsvorstellungen spanischer (besonders andalusischer) Anarchisten waren weitgehend von der agrarischen Epoche geprägt, die sich erst im allmählichen Übergang zur bürgerlich-kapitalistischen Produktionsweise befand. Der auf »freien Municipien« basierende, Autarkie anstrebende wirtschaftliche Kommunalismus blieb bis zum Bürgerkrieg die Leitvorstellung dieses »maximalistischen« Kreises des spanischen Anarchismus. Er idealisierte den ländlichen Rahmen, der für die Lokalisierung der nachrevolutionären Gesellschaft in Agrarmunicipien konstitutiv sein würde, lehnte »Kultur und Weisheit« als verderbliche bürgerliche Relikte ab und strebte daraufhin, die Personen, die angeblich unersetzliche Funktionen ausübten und die sich daher gar selbst für unersetzlich hielten, ihrer Ämter zu entheben, was für die neue Gesellschaft schon deshalb kein Problem darstellen würde, weil alle »Lebensfaktoren« auf »ein Minimum vereinfacht« sein würden. [26] Wenn auch Teile der CNT diese Revolutionsvorstellung nicht übernahmen, blieb doch für die Ausprägung des anarchosyndikalistischen Revolutionsbegriffs die Agrar- und Besitzstruktur Spaniens entscheidend.

In der Illusion einer jederzeit realisierbaren, voluntaristischen Anwendungskriterien der anarchistischen Aktionsbereitschaft unterworfenen Revolution stellte sich »das Ende der Herrschaft des Menschen über den Menschen als eine gegen das jeweils waltende Unrecht moralisch aufgebrachte revolutionäre Volksbewegung« dar, [27] die - gewissermaßen als Voraussetzung zur sozialen Revolution - zuerst den Staat zerstören mußte. Dabei wurde die Analyse des Regelgefüges des bestehenden kapitalistischen Systems nicht ernsthaft in Angriff genommen; an die Stelle der Reflexion über die theoretischen Bedingungen der als Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit in Herrschaftsfreiheit imaginierten Anarchie trat der Glaube an die Realisierbarkeit dieses Endzustandes, ohne daß die Realisierungsproblematik aufgerollt worden wäre. Im rhetorischen Stereotyp der stets abrufbaren Revolution und in der Mythisierung des Generalstreiks wurde die hyperbolische Attitüde sichtbar, in der sich nicht so sehr die wirkliche revolutionäre Haltung als vielmehr der kompensatorische Glaube der Erniedrigten und Gekränkten an eine solche revolutionäre Tatkraft offenbarte.

Der »reformistische« Syndikalist Juan Peiró übernahm 1930 die Bestimmungen des CNT-Gründungskongresses, denen zufolge der revolutionäre Syndikalismus als Mittel, der Anarchismus als Endziel der Arbeiterbewegung interpretiert wurden. Peiró betonte in seinen Schriften vor allem die Erforderlichkeit solider technischer Vorbereitung zur Übernahme der Produktion, ausreichender Ausbildung zur Bewältigung der wirtschaftlichen Probleme und einer starken Organisation zur Verteidigung der Revolution. Habe sich diese erfolgreich durchgesetzt, so verliere in der »stabilisierten Phase« der Syndikalismus seine bisherige Bedeutung zugunsten der Kommune, die dann den »Schnittpunkt aller individuellen, moralischen und wirtschaftlichen Werte der Gesellschaft« darstelle. [28] Die größte Gefahr für eine erfolgreiche Durchführung der Revolution sah Peiró einerseits in der anarchistischen Ablehnung der notwendigen Organisation, andererseits in der Überbetonung der Spontaneität. Peirós Schrift bedeutete die Einleitung zu einer von 1931 -1936 offen und erbittert geführten Auseinandersetzung zwischen den extremen Flügeln der CNT und FAI. [29] Der putschistischen Praxis-Besessenheit der Anarchisten um die Zeitschrift »La Revista Bianca« mit ihrem Glauben an die unmittelbare Realisierbarkeit ihres Endziels setzte der französische IAA-Funktionär Pierre Besnard für die vorrevolutionäre Phase die organisatorische Funktion der Gewerkschaft, für die nachrevolutionäre den »freiheitlichen Kommunismus« als Übergangsstadium und erste Etappe auf dem Weg zum »freien Kommunismus« entgegen. Damit erhielt der freiheitliche Kommunismus eine der »Diktatur des Proletariats« im Marxismus vergleichbare Funktion zugesprochen.

In der nicht ohne persönliche Härten geführten Diskussion wurde das Problem der Herbei- und Durchführung der sozialen Revolution nach der Proklamierung der Zweiten Republik und dem Bruch innerhalb der CNT von unmittelbar »praktischer« Relevanz. Die gemäßigteren CNT-Mitglieder hatten den steigenden FAI-Einfluß im Anarchosyndikalismus mit zunehmender Sorge beobachtet und sich im August 1931 entschlossen, in einem gemeinsamen Manifest ihre Position - die sie für die »ursprüngliche« revolutionär-syndikalistische hielten - von der der »Faisten« abzugrenzen. Beide Gruppen differierten primär in bezug auf Strategie und Taktik der sozialen Revolution.

Die gemäßigteren Kräfte, die sich »Treintistas« nannten, warfen der FAI die Überbetonung voluntaristischer Elemente, maximalistische Erwartungen, Blanquismus und bolschewistische Methoden vor; [30] führende FAI-Mitglieder sahen demgegenüber mit der Republik die Gefahr gekommen, die anarchistische Bewegung könne »in den Sozialdemokratismus fallen« [31] und betonten daher die nur vom Willen revolutionärer Gruppen abhängige Realisierbarkeit des sozialen Umsturzes. Dieser »vereinfachenden, klassischen und etwas träumerischen Erstellung der Revolution« (Treintista-Manifest) setzten die gemäßigten CNT-Kreise wiederum ihre »echte, einzige« Vorstellung entgegen, die sie in der Verbindung von Ordnung und Methode einerseits, individueller Initiative andererseits für »vorausblickend und zusammenhängend« hielten. Sie forderten eine effektivere Organisation, betonten die notwendige Vorbereitung auf die Revolution und hielten eine Massenbasis für unumgänglich. In der Verschwörungstaktik der FAI-Anarchisten drückte sich sozialgeschichtlich der unterentwickelte Stand der kapitalistischen Industriegesellschaft in Spanien aus, während das Konzept der »Treintistas« vom gewerkschaftlichen Tageskampf mit dem Industriekapitalismus der wirtschaftlichen Ballungs-Zentren geprägt war.

Die Revolutionsvorstellung und die revolutionäre Praxis der CNT in den Jahren der Republik mußten wesentlich davon abhängen, welche der beiden Konzeptionen sich schließlich durchsetzte. Die »Treintistas« wurden im weiteren Verlauf der sich immer mehr zuspitzenden Diskussion aus der CNT ausgeschlossen; wenn dies auch keineswegs ein Sieg des »reinen« Anarchismus über den »reformistischen« Flügel der syndikalistischen Bewegung bedeutete, scheint der FAI-Einfluß trotzdem eher zu- als abgenommen zu haben, wofür nicht zuletzt die große Anzahl der in den folgenden Jahren durchgeführten revolutionären Erhebungen spricht, die allesamt - aufgrund mangelnder Vorbereitung und fehlender Koordinierung - kläglich scheiterten und für die CNT hohe Einbußen mit sich brachten. Auf dem Zaragoza-Kongreß 1936 kehrten die ausgeschlossenen »Oppositionssyndikate« wieder in die CNT zurück und wirkten an der Ausarbeitung des »konföderalen Konzepts über den freiheitlichen Kommunismus« mit; die Handschrift der FAI ist jedoch auch in dieser idealistischen Zukunftsvision einer staatenlosen Gesellschaft unverkennbar. Wie sehr die Revolutionsvorstellungen der CNT tatsächlich von der FAI und damit der Bakuninschen Theorie-Praxis-Identität geprägt waren, zeigt Isaac Puentes Skizze des freiheitlichen Kommunismus, die zum Orientierungsrahmen der bedeutenden Kongreßresolution vom Mai 1936 wurde: »Das Wissen der Erfahrung vorzuziehen« stellte für den Landarzt und CNT-Theoretiker eines der gegen den freiheitlichen Kommunismus vorgebrachten Vorurteile dar; demgegenüber betonte er den Primat der Praxis: »Nur, indem wir im freiheitlichen Kommunismus leben, werden wir lernen, ihn zu leben. Wenn wir ihn einführen, werden wir seine Schwächen und irrigen Aspekte erkennen.« [32]. Nach dieser Auffassung mußte die konkrete Lösung des Anarchieproblems dem praktischen Experiment auf dem Boden der Anarchie überlassen werden und konnte deshalb erst nach der anarchistischen Revolution erfolgen.

In naiv-idealistischer Art und Weise wurde auf dem Kongreß eine illusionäre Gegenwelt als Bund freier und autonomer Industrie- und Agrarassoziationen aufgebaut, ohne daß sich die Delegierten um die Realisierungschancen dieser auf der Basis des Syndikats und der autonomen Kommune ruhenden Gesellschaft ohne Staat, Privateigentum, Autoritätsprinzip und Klassen bemüht hätten. Im Vergleich zu früheren Überlegungen betonten sie allerdings besonders die subjektiven Voraussetzungen für einen erfolgreichen Massenaufstand: Die Revolutionsdefinition des Kongresses vernachlässigte weitgehend die voluntaristischen Elemente und hob stattdessen die lange evolutionistische, bewußtseinsausbildende Phase hervor, die den Revolutionsausbruch nicht mehr vom individuellen Willen einiger Extremisten abhängig sein ließ. [33]

Die in Zaragoza verabschiedete Resolution über den freiheitlichen Kommunismus - gleichzeitig die einzige von allen Fraktionen des Anarchismus und Anarchosyndikalismus getragene Entschließung über den nachrevolutionären Gesellschaftsaufbau - stellte den vollständigen, angesichts der Entwicklung der CNT im Bürgerkrieg allerdings kurzen Sieg der FAI-Anarchisten in ihrem Ringen mit den Syndikalisten dar. [34] Ziel der anarchistischen Revolution war der freiheitliche Kommunismus, dessen »soziale und ethische Prinzipien« ein nur durch die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft beschränktes Güterverteilungssystem sowie der allein durch die individuelle »physische und moralische Verfassung« beschränkte »größtmögliche Einsatz eines jeden Individuums« waren. Die Revolution müßte die Abschaffung des Privateigentums, des Staates, des Autoritätsprinzips und der Klassen sowie die Sozialisierung des Reichtums mit sich bringen; danach würden die freien Organisationen der Produzenten die direkte Verwaltung der Produktion und des Konsums übernehmen. Die Neuorganisation der Gesellschaft würde auf der freien Kommune und dem Syndikat basieren. Da letzteres bereits existierte und in seinen Strukturen als modellhaft für die Organisation der zukünftigen freien Gesellschaft betrachtet wurde, beschrieb das CNT-Konzept insbesondere Funktion und Aufbau der Kommune; es ging aber auch auf die Rechte und Pflichten des Individuums, auf das Bildungssystem, das Justizwesen, die Probleme sogenannter Randgruppen der Gesellschaft sowie auf die Neuorganisation des Produktionsbereichs und die Abschaffung stehender Heere ein. Das idyllische Programm des Zaragoza-Kongresses sollte die vielfältigen Bedürfnisse einer komplex strukturierten Gesellschaft befriedigen, nahm aber in keiner Weise zu der Mannigfaltigkeit der drückenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme Stellung und konnte somit - wie sich innerhalb weniger Monate herausstellen sollte - auch kaum als Leitfaden für die praktische Bewältigung anstehender Fragen betrachtet werden. In den Realisierungen des Bürgerkrieges verschwand nicht nur das Wort »Kommune« für die sozialistischen Produktionseinheiten fast vollständig zugunsten der Bezeichnung »Kollektiv«; auch der strukturelle Aufbau der Selbstverwaltungseinheiten differierte erheblich von dem in Zaragoza entworfenen Modell. Der im Mai 1936 demonstrierte Mangel an Realitätssinn scheint vor allem mit dem Fehlen einer durchdachten Theorie und der schematischen Übertragung der im Rahmen eines einzelnen »Pueblo« eventuell anwendbaren Theoreme auf makrosoziologische und -ökonomische Einheiten zusammenzuhängen.

Wenige Wochen nach dem Zaragoza-Kongreß begann der Bürgerkrieg; es war im Mai 1936 zwar zur Wiedervereinigung der abgespaltenen Oppositionssyndikate mit der CNT gekommen; ideologische Differenzen blieben in der libertären Bewegung jedoch weiter bestehen. Der Ausbruch des Krieges überraschte den spanischen Anarchismus und Anarchosyndikalismus somit in einer Entwicklungsphase, in der (rein äußerlich) die Einheit der Bewegung hergestellt war, in der faktisch aber wichtige Fragen bezüglich der angestrebten Revolution unentschieden waren. Die Folgen dieser Unstimmigkeiten sollten für den spanischen Anarchismus verheerend sein.

Der Bürgerkriegs-Anarchismus zwischen revolutionärer Rhetorik und revisionistischer Praxis

Während des Bürgerkrieges unterlag das Verhältnis CNT-FAI, soweit es aus den Quellen rekonstruierbar ist, einer weitreichenden Veränderung. War vor dem 18. Juli 1936 in weiten Kreisen der »reformistischen« CNT eine Abwehrhaltung gegenüber der »anarchoradikalen« FAI feststellbar gewesen, so lassen viele Äußerungen aus den Jahren 1937 und 1938 deutlich werden, daß die nach Kriegsbeginn feststellbare Preisgabe genuin anarchistischer Positionen durch die FAI zu deren rapider Annäherung an CNT-Positionen führte. Die Kritik lautete nun nicht mehr, die FAI versuche die CNT zu beherrschen, vielmehr umgekehrt, die FAI befinde sich im reformistischen Schlepptau der CNT und müsse sich, wolle sie ihre Identität nicht völlig verlieren, daraus wieder befreien. Die enge Verzahnung der beiden libertären Organisationen während des Krieges und der von beiden eingeschlagene »revisionistische« Kurs (Preisgabe anarchistischer Positionen im wirtschaftlichen und politischen Bereich, Eintritt in die Regierung und Akzeptierung des Staates, Zusammenarbeit mit politischen Parteien etc.) hatten ernsthafte inneranarchistische Krisen zur Folge, in denen neugebildete Basisgruppen die ideologische Kritik vorbrachten, die früher von Seiten der »orthodoxen« FAI artikuliert worden war.

An einzelnen Stationen der Entwicklung des Anarchismus im Bürgerkrieg lassen sich die Veränderungen besonders deutlich aufzeigen; im Wirtschaftsbereich etwa markiert das Valencia-Plenum der CNT vom Januar 1938 eine deutliche Zäsur. Da seit Mai 1936 kein allgemeiner CNT-Kongreß stattgefunden hatte, wurde Ende 1937 in der anarchosyndikalistischen Organisation ein Gewerkschaftsplenum für dringend erforderlich gehalten; es sollte sich vornehmlich mit den wirtschaftlichen Problemen beschäftigen, die seit Kriegsbeginn einer Lösung harrten. Zu diesen gehörten »der korporative Partikularismus bestimmter Betriebe und Kollektive, der Mangel eines Produktionsplanes, übertriebene Unterschiede in der Entlohnung, das Weiterbestehen eigentlich überflüssiger Industrien, die prekäre Situation notwendiger Industrien ..., die Verwaltungszersplitterung, der Produktionsrückgang etc.« [35] Das »Erweiterte Nationale Wirtschaftsplenum« (Pleno Económico Nacional Ampliado) der CNT fand in der zweiten Januarhälfte 1938 in Valencia statt; 700-800 Delegierte vertraten 1.700.000 CNT-Mitgüeder. [36] Der Kongreß beschäftigte sich fast ausschließlich mit der übergeordneten Frage, wie eine Effektivierung der Wirtschaft erzielt werden könne. Die Tendenz zur Zentralisierung und Zusammenfassung der Kräfte in der Gewerkschaftsleitung war auf diesem Plenum unverkennbar; auch der Kongreßverlauf entsprach nicht der auf CNT-Versammlungen bisher geübten Praxis: Zum einen fällt auf, daß das Nationalkomitee - entgegen früherer Praxis - zu allen Tagesordnungspunkten eine vorbereitete Resolution einbrachte; zum anderen intervenierte das Nationalkomitee selbst - obwohl ihm dies untersagt war - in allen Diskussionen. Mit der Einsetzung von Arbeitsinspektoren, gewerkschaftlichen Kontrollkomitees, Räten für Technik und Verwaltung, Beauftragten für die Arbeitsverteilung (mit dem Recht, in zahlreichen Fällen die Entlassung von Arbeitern zu beantragen), bevollmächtigten Leitern und Wirtschaftsräten wurde die CNT zu einer bürokratisch-zentralistischen Organisation, die die Prinzipien der Basisautonomie und eigenverantwortlichen Entscheidung zugunsten der hierarchischen Strukturierung und einer wirtschaftlichen Gesamtplanung aufgab. Der durch den Krieg auf allen Gebieten erzwungene Zentralisierungsprozeß machte auch vor der Gewerkschaftsorganisation selbst nicht halt. Die Beschlüsse vom Januar 1938 hatten nur noch wenig mit den im September 1936 verkündeten Zielen der CNT gemeinsam. Entsprachen diese, unter dem Einfluß des Zaragoza-Kongresses, noch weitgehend dem »klassischen« anarchistischen Ideal einer syndikalistischen Wirtschaftsorganisation (Kollektivierung des Bodens, Sozialisierung der Grundindustrien, Nutznießung der sozialisierten Produktionsmittel durch die Gewerkschaften, Arbeiterkontrolle in privaten Industrien), so stellten jene das Ende »der CNT als von ihren Mitgliedern kontrollierte revolutionäre Organisation« dar. [37] Die weitgehende Aufgabe des ursprünglichen anarchistischen Wirtschaftsprogramms ist einerseits auf die konzeptionelle Schwäche und die simplifizierende Vorstellung über den in seiner Komplexität bei weitem nicht erfaßten Wirtschaftsprozeß zurückzuführen, andererseits auf die kriegsbedingte Unausweichlichkeit der zuerst von den Kommunisten proklamierten wirtschaftlichen Zentralisierung und Gesamtplanung. Stellte auf agrarwirtschaftlichem Gebiet der Konzeptionswandel vom Zaragoza-Kongreß zur Valencia-Versammlung den Übergang von einer libertären Wirtschaftsgestaltung zu staatsdirigistischem Interventionismus dar, so bedeutete der Prozeß von der programmatischen September-Erklärung (1936) zum »Erweiterten Nationalen Wirtschaftsplenum« (1938) die Ausdehnung »autoritärer« Organisationsschemata auf die Industrie und den inneren Aufbau der CNT.

Nur wenige Gruppierungen innerhalb der CNT trieben offene Opposition gegen die Linie des Nationalkomitees. Die herausragendste der oppositionellen Gruppierungen stellte die linksrevolutionäre Organisation »Los amigos de Durruti« (Die Freunde Durrutis) dar. Die »Amigos de Durruti« setzten sich aus FAI- und CNT-Mitgliedern zusammen; [38] die Gruppierung bildete sich im März 1937, als die Milizkolonnen der ersten Monate aufgelöst, militarisiert und in das Volksheer integriert werden sollten. Einige Milizionäre der Aragonienfront, vor allem Mitglieder der ehemaligen »glorreichen Durruti-Kolonne«, widersetzten sich der militärischen Disziplinierung, zogen mit ihren Waffen und Gepäck nach Barcelona und riefen so die Gruppe »Amigos de Durruti« ins Leben. Sie vertrat einen intransigenten, linkssektiererischen Standpunkt. Die »Amigos de Durruti« riefen nicht nur zum Kampf gegen die Kommunisten, die bürgerlichen Parteien, den Staat, die Regierung usw. auf, sondern bekämpften auch heftig die gemäßigte Linie der CNT- und FAI-Komitees. Als der Einfluß der CNT und FAI - vor allem nach den Maikämpfen 1937 zwischen Anarchisten und Kommunisten in Barcelona, die letztere unter einem Vorwand provoziert hatten, um die anarchistische Machtposition zu brechen - deutlich im Sinken war, riefen die »Amigos de Durruti« zu einer neuen Revolution auf, die nicht nur den »Stadt- und Landarbeitern voll zusagt«, sondern die »anarchistische Gesellschaft errichtet« [39] Sie forderten die sofortige Konstituierung einer revolutionären Junta, die nur aus Arbeitern und Soldaten bestehen und sich mit der Kriegsführung, der revolutionären Ordnung und Propaganda und den internationalen Aspekten beschäftigen sollte. Die Ämter in der revolutionären Junta sollten regelmäßig erneuert und von Arbeiterversammlungen kontrolliert werden. Die gesamte wirtschaftliche Macht sollte an die Gewerkschaften übergehen, die eventuell einen Wirtschaftsrat bilden könnten. Die Wirtschaft müsse sozialisiert werden; die Kollektivierungen wurden als Beginn der Sozialisierung akzeptiert. Als zweites Organisationsprinzip müßten neben die Gewerkschaften die freien Municipien treten, die die Wiedererrichtung des Staatsapparates verhindern würden.

Die »Amigos de Durruti« verstanden sich selbst als die einzigen echten Revolutionäre, die die »gerade Linie der Revolution« gegenüber den Abweichlern der CNT und FAI und besonders der »konterrevolutionären Bewegung, an deren Spitze die Mittelschicht und die Kommunisten standen« [40] vertraten. Auch wenn die Gruppe keine große Gefolgschaft erringen konnte und für die CNT/FAI keine ernsthafte Gefahr darstellte, weist sie auf ein tiefes Unbehagen anarchistischer Kreise mit der offiziellen Linie der CNT/FAI hin und trägt dazu bei, den Niedergang anarchistischer Vorherrschaft während des Bürgerkrieges als Reaktion auf den »Oligarchisierungsprozeß« anarchistischer und anarchosyndikalistischer Führungsgremien und die Einführung basisunabhängiger Entscheidungen mit zu erklären. [41]

Besonders bemerkenswert ist die Entwicklung der FAI. Der Massenzulauf, den die FAI registrierte - vor dem Bürgerkrieg hatte sie (nach José Peirats) 30.000, Ende 1937 (nach Abad de Santillàn) über 150.000 Mitglieder -, ihre De-facto-Partizipation an den Regierungsgeschäften und die daraus resultierenden ideologischen Unsicherheiten und Widersprüche zu ihrer antipolitischen Doktrin machten eine Überprüfung des doktrinären und organisatorischen Erbes erforderlich. Die zwangsläufige Anpassung an die Erfordernisse des Krieges hatte für die Anarchisten nicht nur eine Änderung, sondern eine völlige Preisgabe ihrer Prinzipien und die Übernahme »revisionistischer« Positionen zur Folge, die noch Anfang der dreißiger Jahre heftig bekämpft worden waren.

Auf dem Valencia-Plenum der FAI (4. - 7. Juli 1937) wurde die bisherige lockere Strukturierung nach »grupos de afinidad« (Gruppen Gleichgesinnter) zugunsten eines neuen Aufbaus verworfen. Fortan [42] sollte die FAI nach »territorialen Gruppierungen« organisiert sein. In kleineren Orten sollten Lokal-, in größeren Städten Distrikt- oder Stadtteil-Gruppierungen mit theoretisch unbegrenzter Mitgliederzahl die Basis des neuen Organisationssystems bilden. Das Valencia-Plenum bedeutete das Ende des »klassischen« spanischen Anarchismus. Die Delegierten übten heftige Selbstkritik und waren sofort bereit, das über fünfzig Jahre alte Organisationsprinzip der »Gruppen Gleichgesinnter« zugunsten des neuen territorialen Prinzips aufzugeben. Die weitere Diskussion stellte eine umfassende Abrechnung mit tatsächlichen oder vermeintlichen Fehlern dar, die für die auffällige Einflußlosigkeit des organisierten Anarchismus verantwortlich gemacht wurden: Man müsse die »Unverantwortlichkeit der Komitees« beenden; die FAI dürfe nicht länger nur »im Schlepptau der CNT« mitgezogen werden; [43] die »Gruppen Gleichgesinnter« seien in den Zeiten der Illegalität geeignete Organisationsformen gewesen, würden aber den augenblicklichen Bedürfnissen nicht gerecht. Vor allem die Delegation der Levante wies daraufhin, daß nach dem 19. Juli 1936 die FAI »in keiner Region wirkungsvoll war«; wegen »mangelnden Überblicks« habe man die Durchdringung des Heeres vernachlässigt; die Bedeutung des Kriegskommissariats und anderer Führungspositionen sei nicht rechtzeitig erkannt worden; an der Aragonienfront habe die Militarisierung der Milizen zu spät eingesetzt.

Ein Jahr nach Kriegsbeginn versuchte die FAI, nachdem sie ihre Strukturmängel erkannt hatte, sich organisatorisch auf die veränderten Bedingungen ihrer legalen Existenz als Massenorganisation einzustellen. Hatte die Autorität der anarchistischen Führer bislang vor allem auf der »flammenden Macht der Gedanken, der Größe der Aufopferung, der Tiefe der Überzeugung« bestanden, [44] so sollte die Organisationszentrale fortan durch einen gestrafft-zentralisierten, jederzeit überschau- und kontrollierbaren Apparat ihre Autorität durchsetzen können. Immer wieder wurde in den Plenumsdiskussionen auf die Erfahrungen vom Mai 1937 verwiesen und betont, daß der Rückgang des Einflusses des Anarchismus auf die mangelnde Flexibilität von CNT und FAI und ihre unzureichende Anpassung an veränderte Wirkungsbedingungen zurückzuführen sei. Bei ihrer Kritik erkannten die Delegierten jedoch nicht die - besonders nach dem Krieg herausgestrichene - Gefahr der Hierarchisierung und Bürokratisierung der anarchistischen Organisationen - eine Gefahr, die die Umwandlung der bisher illegalen, mit einem minimalen Organisationsapparat im Untergrund agierenden FAI in eine legale, nach gesetzlichen Vorschriften strukturierte Organisation mit sich brachte. Die Begriffe Hierarchisierung und Bürokratisierung umschreiben dabei eines der Grundprobleme, die sich aus der Umsetzung der regulativen Idee des Anarchismus in die politische Praxis einer legal konstituierten Organisation in einer Kriegssituation ergaben; sie erheben in diesem Kontext nicht den Anspruch eines analytischen Mittels, das die damit verbundenen Herrschafts- und Legitimitätsvorstellungen begrifflich integriert.

Die neue FAI-Struktur wies eine Reihe hierarchischer Merkmale auf: Jedes Mitglied mußte sich den Beschlüssen der regelmäßig tagenden Versammlungen unterwerfen; alle FAI-Mitglieder, die in der Organisation irgendeinen Posten bekleideten, waren den Komitees gegenüber, die ihnen - zumindest formal - übergeordnet waren, »verantwortlich«; nur diese konnten den Mitgliedern Posten zusprechen oder aberkennen. Das »Comité Peninsular« (Peninsulare Komitee) sollte fortan nicht mehr, wie bisher, von der Lokalföderation anarchistischer Gruppen der Ortschaft, in der das Komitee seinen Sitz hatte, sondern durch Delegierung der einzelnen FAI-Regionalföderationen gebildet werden. Da jedoch eine Delegierung vorläufig aus organisatorischen und finanziellen Gründen impraktikabel war, sollten ortsansässige FAI-Mitglieder die einzelnen Regionen vertreten.

Eine sehr ähnliche Entwicklung wie die FAI durchlief gleichzeitig die CNT: Beispielhaft für die zunehmende Entdemokratisierung im radikaldemokratischen Sinn und Hierarchisierung der CNT ist die Interaktion der oberen Entscheidungsgremien mit der Mitgliederbasis. [45] Die eigentlichen Entscheidungen wurden nur noch von den politischen Aktivisten getroffen, während die Mitglieder an der Basis fast jeder Einflußmöglichkeit auf den Kurs der CNT-Politik verlustig gingen. Auf den Nationalversammlungen legte das Nationalkomitee die Tagesordnung bereits im Vorhinein fest und durchbrach damit eine demokratische CNT-Tradition, die die Bestimmung der Tagesordnungspunkte durch Initiative und auf Antrag der Basismitglieder vorsah. Ob Rundschreiben der Nationalkomitees an Lokal- und Bezirksföderationen weitergeleitet wurden, hing vom Geheimhaltungsgrad des Schreibens ab. Begründet wurde diese völlig neue Praxis damit, daß nach dem 19. Juli 1936 viele ideologisch schwankende Mitglieder der CNT beigetreten seien und eventuell feindliche Spione sein könnten.

Die im wirtschaftlichen und politischen Sektor deutlich wahrnehmbare Tendenz zur Zentralisierung der Entscheidungsinstanzen und -befugnisse machte auch vor dem organisierten Anarchismus nicht halt. Sie wurde am deutlichsten in der im April 1938 erfolgten Zusammenfassung der drei libertären Organisationen CNT, FAI und »Juventudes Libertarias« (JJLL/ Freiheitliche Jugend) zu einer einzigen Organisation, dem »Movimiento Libertario Españiol« (MLE / Libertäre Spanische Bewegung). Die organisatorische Neustrukturierung, die den Oligarchisierungsprozeß durch eine Reihe organisatorischer Änderungen innerhalb der FAI förderte, war verspäteter Ausdruck eines Politisierungsprozesses, der bereits in den ersten Bürgerkriegswochen eingesetzt hatte und im Juli 1937 zur Aufgabe wesentlicher Grundpositionen des klassischen Anarchismus führte. Die Begründung der FAI für die Preisgabe zahlreicher bis zum Bürgerkrieg verbindlicher Positionen war rein pragmatisch-opportunistisch: Die bisherigen Gruppenzellen hätten sich zwar in den Zeiten der Illegalität bewährt, seien aber den neuen Aufgaben der legal agierenden Anarchisten nicht mehr gewachsen. Es bedürfe vor allem deshalb einer schlagkräftigen Organisation, damit »Fraktionen und Parteien, die ihrem Wesen nach diktatorisch sind« und vorrevolutionäre Zustände wiederherstellen wollten - gemeint waren die Kommunisten -, die Anarchisten nicht aus allen Machtpositionen verdrängen könnten; die FAI wolle aus den öffentlichen Positionen heraus die Revolution vorantreiben.

Der unmittelbare Anlaß zur Legalisierung des organisierten Anarchismus war der Versuch von Justizminister Irujo gewesen, die anarchistische Organisation als gesetzlich inexistent von den »Volksgerichtshöfen« auszuschließen, in denen das Übergewicht der Sozialisten und Kommunisten dann erdrückend geworden wäre. In der Resolution der Valencia-Versammlung lehnte die FAI nicht mehr den Staat schlechthin, sondern nurmehr die »Diktaturen« und »totalitären Regierungsformen« ab; sie forderte ihre Mitglieder sogar zur Mitarbeit in bestehenden Staatsinstitutionen auf: »Entgegen unserer ablehnenden Haltung der Vergangenheit ist es Pflicht aller Anarchisten, in all jenen öffentlichen Institutionen mitzuwirken, die dazu beitragen können, die neuen Verhältnisse zu befestigen und voranzutreiben.« [46] Die auf dem Plenum verabschiedete Resolution brachte zwar die bis dahin revolutionäre Doktrin der FAI in Übereinstimmung mit ihrer »reformistischen« Praxis - soweit darunter die Zusammenarbeit mit der republikanischen Regierung zu verstehen war - und ersparte ihr ständige ideologische Konflikte, führte aber andererseits zu einer ernsthaften Krise mit zahlreichen (vor allem katalanischen) anarchistischen Gruppen, die unter dem Motto: »Es lebe die Anarchie« nicht von ihrer traditionellen Linie abweichen und die Reduzierung der anarchistischen Bewegung auf eine weitgehend reformistische Gewerkschaft (CNT) und eine libertär-sozialistische Partei (FAI) nicht hinnehmen wollten. [47] Die Haltung dieser Gruppen trug auch wesentlich dazu bei, daß auf dem Nationalplenum der Regionalföderationen der libertären Bewegung (MLE) in Barcelona (Oktober 1938) der Vorschlag H. Martinez Prietos, die FAI solle sich als »freiheitliche sozialistische Partei« konstituieren oder auflösen, nicht angenommen wurde. Wenn auch weiterhin die CNT als die politische Vertretung der Syndikalisten auftrat, ließ die verabschiedete Resolution trotzdem der FAI die Möglichkeit offen, die politische Repräsentanz der MLE zu übernehmen; dies aber bedeutete das Ende der FAI als 'spezifischer' anarchistischer Organisation.

Hatten sich somit im Verlauf des Bürgerkrieges die CNT- und FAI-Gremien einander angenähert, so verlief die neue Trennungslinie fortan zwischen der anarchistischen »Leitung« einerseits und der »Basis« andererseits. Die CNT-Basis bewies schon sehr früh ein feines Gespür für den Verselbständigungsprozeß der oberen Komitees; im Spätherbst 1936 steigerte sich der anarchistische Unmut sogar zu einem Aufstandsversuch gegen die eigene Organisation. Die Verteidigungskomitees von Barcelona wandten sich damals an Marcos Alcón mit dem Ansinnen, den Sekretär des katalanischen CNT-Regionalkomitees zu stürzen. Schließlich verzichteten sie aber auf den Aufstand. [48] Auch in anarchistischen Presseorganen und Broschüren wurde Kritik am »Ministerialismus« von CNT und FAI laut, wenn auch - aufgrund der innergewerkschaftlichen Zensur, die oppositionelle Stimmen kaum zu Wort kommen ließ - die entstandene Vertrauenskrise weder in ihrem Umfang noch in ihrer Reichweite ganz erfaßt werden kann.

Bezeichnend für die Kritik an den anarchistischen Führungsgremien mag die wahrscheinlich Ende 1937 erschienene Broschüre der drei Anarchisten Santana Calero, Severino Campos und José Peirats sein, [49] in der den »kleinen Chefs« Verrat an den ideologischen Prinzipien des Anarchismus vorgeworfen wurde. Die Autoren wandten sich dagegen, daß unter dem Vorwand, die Umstände erforderten es, das »Innerste und Wesentlichste des Anarchismus« verletzt und »Zungen und Intelligenz der Riesen CNT und FAI durch die stinkende Ausgeburt der Politik geschädigt« werden. Sie verstanden sich selbst als Sprachrohr der »überlegten Opposition des bewußten Teils der libertären Bewegung« und sagten für die nahe Zukunft ihre Unabhängigkeit vom »staatlichen und zentralistischen Würgegriff« voraus. Ihre Kritik richtete sich einerseits gegen die »ideologische Desorientiertheit« und die »Anarcho-Leninisten« innerhalb der anarchistischen Bewegung, andererseits gegen den »Autoritarismus«, der keine abweichende Meinung innerhalb des anarchistischen Lagers zulasse: »Noch nie hat es in der libertären Bewegung eine derartige Neigung zur Unterdrückung von Willensäußerungen, zum repressiven Erhalten gegenüber der freien Meinungskundgebung gegeben. Die Minderheit, die vom offiziösen Wortschatz und der offiziösen Linie abweicht, wird mundtot gemacht. Die syndikalistische und anarchistische Presse weist ihre Artikel zurück. Die Propagandabüros drängen sie an den Rand des öffentlichen Wirkens. Die gröbsten Bezeichnungen werden diesen Männern gegenüber angewandt, die der ideologischen Integrität gegenüber treu geblieben sind.«

Santana Caleros Kritik thematisiert nicht nur die Vertrauenskrise zwischen den anarchistischen Führern und der Basis, sondern leistet zugleich einen Beitrag zur Beantwortung der Frage, weshalb die mächtigen syndikalistischen und anarchistischen Organisationen nicht in der Lage waren, die revolutionären Errungenschaften zu verteidigen oder sogar auszudehnen. Ein sicherlich beträchtlicher Teil der anarchistischen Basismitglieder fühlte sich in seiner revolutionären Zielsetzung von seinen Führern verraten und erlag allmählich den im Namen der Staatsräson und unter Berücksichtigung der außenpolitischen Lage zusehends auch von ihren Vertretern in der Regierung und in anderen offiziellen Institutionen vorgebrachten Aufforderungen zur Mäßigung und Zurückhaltung. Ohne eine klare Führung verlief der revolutionäre Impetus, dessen Träger ideologisch stark verunsichert waren, im Sande.

Das Dilemma der Anarchisten im Bürgerkrieg ist unverkennbar: Solange sie ihre föderalistisch-dezentralistischen Prinzipien aufrecht erhielten und ihre radikaldemokratische Theorie auf die eigene Praxis anwandten, erlagen sie der Gefahr, die Rolle des modernen Staates und der politischen Macht überhaupt zu verkennen und damit zugleich praktisch-politisch zu versagen. Sobald sie jedoch eine zentralisierende Straffung des Apparates - und das mußte zwangsläufig zu einem Verlust an unmittelbar interner Demokratie führen - zu realisieren trachteten, setzten sie sich nicht nur zu ihrer Theorie und Ideologie in Widerspruch, sondern verloren gleichzeitig das Vertrauen ihrer Mitglieder. Im Hinblick sowohl auf die anarchistische Intervention in der Regierung als auch auf die darin zum Ausdruck kommende Akzeptierung des Staates trat ein ähnliches Dilemma zutage: Entweder partizipierten die Anarchisten - mit dem Ziel, ihre revolutionären Errungenschaften zu sichern - an der Regierungsverantwortung und trugen durch ihre Intervention (entgegen ihrer Absicht) dazu bei, jene »feindlichen« Institutionen, deren Auflösung und Überwindung sie intendierten (Herrschaft und Autorität, Staat und Regierung), zu resümieren, oder sie blieben ihren antipolitischen Prinzipien treu und verzichteten damit von vornherein auf die Möglichkeit, die allgemein-politische Entwicklung in ihrem Sinne zu beeinflussen; in der konkreten Situation des Spanischen Bürgerkrieges hätte diese letztere Alternative die kampflose Kapitulation vor dem innenpolitischen Gegner bedeutet und die Gefahr impliziert, machtpolitisch erdrückt zu werden. Die dritte Möglichkeit - eine ausschließlich anarchistische Machtübernahme - kam für die überwiegende Mehrheit der Anarchisten aus moralischen und machtpolitischen Erwägungen nicht in Frage, da sie einerseits die eigene Diktatur ebenso ablehnten wie die jeder anderen Organisation, andererseits nicht stark genug waren, um im gesamten republikanischen Territorium die Macht zu übernehmen.

Ausblick: Die Renaissance der Orthodoxie (1987)

Hatte somit, unter dem Druck der Bürgerkriegsereignisse, eine Entwicklung der libertären Organisationen vom »reinen« zum »syndikalistischen« Anarchismus stattgefunden, so erlebten die Jahre nach 1939, insbesondere aber die Phase nach 1975 eine Renaissance des »orthodoxen« Anarchismus. Das Scheitern der anarchistischen Revolution im Bürgerkrieg wurde in libertären Exilkreisen auch (wenn auch keineswegs ausschließlich) auf die Preisgabe traditionell-anarchistischer Positionen und die Übernahme revisionistischer Praktiken zurückgeführt. Ohne den reformistischen Sündenfall - so wurde argumentiert - hätten Einheit und Schlagkraft des Anarchismus gewahrt und die Errungenschaften der Revolution besser gesichert werden können. [50]

Als nach Francos Tod die CNT in Spanien wieder legal agieren durfte und vorerst auch einen massiven Zulauf erlebte - 1977 soll sie über 300.000 Mitglieder gehabt haben -, entwickelte sich das Verhältnis zwischen der »CNT del interior« (CNT des Landesinneren) und der Exilorganisation zum Hauptproblem der anarchistischen Bewegung. Frappierend sind dabei die Parallelen zur Zeit vor dem Bürgerkrieg: Da sowohl die im Exil weiterbestehende CNT als auch die sich wieder zu »orthodoxen« Prinzipien bekennende FAI auf die Strategie der innerspanischen CNT Einfluß zu nehmen suchten, bildete sich ein immer stärker werdender anarchosyndikalistischer Flügel, der jegliche ideologische Majorisierung der CNT durch die Exilorganisation und die FAI entschieden ablehnte. In jenen Jahren bildeten sich zwei Grundpositionen heraus, die nach dem fünften Kongreß der Gewerkschaft vom Dezember 1979 (Congreso de la Casa de Campo) deutlich hervortraten und zur Spaltung der CNT in zwei Organisationen führten. Dieser in Madrid abgehaltene Kongreß bekräftigte erneut die »klassische« Linie des spanischen Anarchismus, an dessen ideologischen Prinzipien nicht gerüttelt werden durfte; die Kongreßresolutionen entsprachen weitgehend den Beschlüssen der dreißiger Jahre. Die »Erneuerer« innerhalb der CNT warfen der »historisch-orthodoxen« Fraktion vor, sie habe sich in ihrem dogmatischen Bürokratismus und Immobilismus von der Arbeiterbasis entfernt, in ihr ideologisch-extremistisches Schneckenhaus zurückgezogen und hänge immer noch utopistischen Vorstellungen der dreißiger Jahre an; die maximalistische FAI und die Exilorganisation versuchten, die ideologische Linie der CNT im Landesinneren zu majorisieren.

Die internen Divergenzen der letzten Jahre gehören zweifellos zu den Hauptgründen, die zum Niedergang und zur Existenzkrise der CNT führten. [51] Hinzu kamen Faktoren, die erstaunliche Parallelen zur libertären Entwicklung im Bürgerkrieg (und in der Zeit davor) aufweisen: Das von der FAI der CNT erneut auferlegte Korsett der anarchistischen »Orthodoxie« stieß gerade jugendliche Anhänger ab, die sich gegen ideologische Uniformität wandten; die von der FAI beanspruchte Führungsfunktion und ihr Versuch, die CNT auf den reinen Arbeitssektor zu reduzieren, erinnerte in fataler Weise an die Abhängigkeit anderer Gewerkschaften von politischen Parteien und führte zur Abwanderung jener Kräfte, die im Anarchosyndikalismus gerade eine Alternative zur Dichotomie Partei-Gewerkschaft erblickt hatten; die durch den Massenzuwachs an Mitgliedern und das organisatorische Wachstum bedingte Konzentration von Informationen und »Herrschaftswissen« in den oberen Komitees bewirkten eine Außerkraftsetzung klassischer anarchistischer Organisationsprinzipien: Übergeordnete Komitees koordinierten nicht nur, sondern entschieden; der Willensbildungsprozeß von unten nach oben funktionierte nicht mehr; das Rotationsprinzip wurde aufgehoben, allmählich entstanden eine Arbeiteraristokratie und ein Funktionärskörper, die sich als »Freigestellte« der realen Arbeitswelt entfremdeten - ein Bürokratisierungsprozeß, den gerade der Anarchosyndikalismus immer wieder in seiner Geschichte angeprangert hatte; das Gefangensein der CNT in ihrer Anti-Wahlhaltung der dreißiger Jahre, in denen unter historisch anderen Bedingungen diese Anti-Strategie durchaus Erfolge erzielen konnte, ohne effiziente Alternativen für den Übergang von einer Diktatur zur repräsentativen Demokratie zu bieten, wirkte auf die Masse der Bevölkerung nicht als überzeugendes Programm. Keine Radikallösungen waren gefragt, sondern Reformen, an denen der Spanier durch Stimmabgabe partizipieren wollte. Das »eherne Gesetz« der Bürokratisierung hat auch vor der CNT nicht halt gemacht und zu ihrem Niedergang beigetragen. Schon während des Bürgerkrieges hatte die MLE gegen ähnliche Probleme anzukämpfen gehabt. In beiden Fällen hat die anarchosyndikalistische Gewerkschaft wichtige Grundsätze aufgegeben, die sie theoretisch stets verfocht: Ziel und Mittel müssen übereinstimmen, es dürfen sich keine Führungskader herausbilden, Hierarchien sind abzulehnen. Das Problem besteht allerdings darin, ob der rapide Niedergang der CNT lediglich auf (Fehl-)Entscheidungen einzelner Personen zurückzuführen ist oder ob es sich nicht allgemeiner als Strukturproblem jeglicher Massenorganisation stellt. Für die weitere Entwicklung des Anarchismus werden die angesprochenen Organisationsfragen von entscheidender Bedeutung, für die libertäre Bewegung allgemein ein wichtiger Testfall für die Anwendbarkeit anarchistischer Organisationsprinzipien sein.

Anmerkungen:
[1] Zu den Auseinandersetzungen innerhalb der anarchistischen Bewegung vgl. (exemplarisch) Antonio Elorza: La utopía anarquista bajo la segunda república, Madrid 1973; Stephan J. Brademas: Anarco-sindicalismo y revolución en España (1930-1937), Barcelona 1974; César M. Lorenzo: Los anarquistas españoles y el poder, Paris 1972; Walther L. Bernecker: Strategien der »direkten Aktion« und der Gewaltanwendung im spanischen Anarchismus, in: Wolfgang J. Mommsen / Gerhard Hirschfeld (Hrsg.): Sozialprotest, Gewalt, Terror. Gewaltanwendung durch politische und gesellschaftliche Randgruppen im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1982, S. 108-134.
[2] Vgl. hierzu die Memoiren des Kongreßteilnehmers und »Vaters« der anarchistischen Bewegung in Spanien, Anselmo Lorenzo: El proletariado militante, 2 Bde., Toulouse 1946; s. außerdem Josep Termes: Anarquismo y sindicalismo en España. La Primera Internacional 1864-1881, Barcelona 1972.
[3] Die Statuten der Geheimgesellschaft sind wiedergefunden und publiziert worden: Clara E. Lida: La Mano Negra. Anarquismo agrario en Andalucía, Madrid 1972.
[4] 1881 war an die Stelle der »Federación Regional Espanola« (FRE/Spanischer Regionaler Bund) die »Federación de Trabajadores de la Región Espanola« (FTRE/Arbeiterbund der Spanischen Region) getreten, deren interne Auseinandersetzungen in den folgenden Jahren zur Krise der Organisation und in deren Gefolge 1888 zu ihrer formellen Auflösung führten. Die »gemäßigtere« Richtung hatte ihren Kurs nicht durchsetzen können. Als Ersatzorganisation wurde 1888 die »Organización Anarquista de la Región Española« (OARS / Anarchistische Organisation der Spanischen Region) gegründet, die mangels innerer Kohäsion 1889 bereits zerfiel.
[5] Die Generallinie dieser neuen Lehre war von Georges Sorel 1908 in seinem Buch »Réflexions sur la Violence« (dt.: Über die Gewalt, Frankfurt/M. 1969) gezeichnet worden. Die Welt sollte für den Arbeiter durch den Arbeiter, und zwar mit unpolitischen Mitteln, organisiert werden.
[6] Der Gründungskongreß der CNT fand 1910 in Barcelona statt. 1928 hatte Manuel Buenacasa die Gründung der CNT irrtümlicherweise auf den September 1911 datiert; diese falsche Datierung wurde später von vielen Historikern übernommen.
[7] Vgl. die klassische Darstellung der Methoden der direkten Aktion bei Emile Pouget: Le Sabotage, Paris 1910.
[8] G.D.H. Cole: Selbstverwaltung in der Industrie, Berlin 1921, S. 261.
[9] Wilfried Röhnch: Revolutionärer Syndikalismus. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Arbeiterbewegung, Darmstadt 1977.
[10] Michail Bakunin: Die Prinzipien der Revolution, in: Theodor Schiemann (Hrsg.): Michail Bakunins Sozialpolitischer Briefwechsel mit Alexander Herzen und Ogarjow, Stuttgart 1895, S. 361 (Neuausgabe mit einer Einleitung von Arthur Lehning: Michael Bakunin und die Geschichtsschreibung, Berlin-West 1977). Die Forderung nach der Präsenz des Ziels in den Mitteln, die bei den Syndikalisten zu scharfer Ablehnung der Diktatur des Proletariats geführt hat, brachte dem Anarchosyndikalismus von marxistischer Seite den Vorwurf der Unlogik und Inkonsequenz ein. Vgl. Wolfgang Hanch: Zur Kritik der revolutionären Ungeduld. Eine Abrechnung mit dem alten und dem neuen Anarchismus, Basel 1971.
[11] Zu Salvador Seguí vgl. Manuel Cruells: Salvador Seguí. El Noi del Sucre, Barcelona 1974; vgl. auch Walther L. Bernecker: Die Soziale Revolution im Spanischen Bürgerkrieg. Historisch-politische Positionen und Kontroversen. Mit einer Bio-Bibliographie, München 1977, bes. S. 188.
[12] Zu der überwältigenden Wirkung, die die Russische Revolution für kurze Zeit auf die spanischen Anarchisten ausübte, vgl. Gerald H. Meaker: The Revolutionary Left in Spain, 1914 -1923, Stanford 1974.
[13] Zur Gründung der syndikalistischen IAA s. Rudolf Rocker: Aus den Memoiren eines deutschen Anarchisten, hrsg. von M. Melnikow und H.P. Duerr, Frankfurt/M. 1974, S. 304-321.
[14] Nach: Prinzipienerklärung der IAA, in: Was sind die CNT und die FAI ?, hrsg. von der Gruppe DAS (Deutsche Anarcho-Syndikalisten), Barcelona 1936, S. 44 (Neuausgabe Berlin 1982).
[15] Der Madrider CNT-Kongreß von 1919 gehört zu den wichtigsten anarchosyndikalistischen Kongressen Spaniens. Die Delegierten bekannten sich zu den von Bakunin in der Ersten Internationale vertretenen Prinzipien, wenn sie sich auch für den »vorläufigen« Beitritt zur Dritten Internationale aussprachen. Vgl. Congresos anarcosindicalistas en España 1870-1936, Toulouse 1977; vgl. auch Walther L. Bernecker (Hrsg.): Kollektivismus und Freiheit. Quellen zur Sozialen Revolution im Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939, München 1980, S. 45.
[16] Eusebio C. Carbó: Die IAA in Spanien, in: Geschichte der Internationalen Arbeiter-Assoziation von 1921 -1931, Berichte von Augustin Souchy u. a., Berlin 1931 (Neuausgaben Hamburg 1972 und Bremen o.J.).
[17] Vgl. den zusammenfassenden Bericht in Suplemento de Cuadernos de Ruedo Ibérico: El Movimiento Libertario Españiol, Paris 1974, S. 293-295; dt. in Bernecker (Hrsg.): Kollektivismus und Freiheit (Anm. 15), S. 98-104.
[18] Die »Uniao Anarquista Portuguesa« (Portugiesische Anarchistische Union) war Anfang 1923 auf der Konferenz von Alenquer als Zusammenschluß von zwölf anarchistischen Gruppen entstanden. Auf ihrer ersten Konferenz im Juli 1926 diskutierte die Union bereits ein mögliches Zusammengehen mit den spanischen anarchistischen Gruppen und deutete damit schon auf die Gründung der FAI voraus. Vgl. Peter Merten: Anarchismus und Arbeiterkampf in Portugal, Hamburg 1981.
[19] Juan Gómez Casas: Historia de la FAI, Madrid 1977.
[20] Zit. nach: Bernecker (Hrsg.): Kollektivismus und Freiheit (Anm. 15), S. l00f.
[21] Unter »Gruppenorganisation« war der Zusammenschluß der locker strukturierten »grupos de afinidad« zu verstehen, die mit der Gewerkschaft nichts gemein hatten, sondern eher den Charakter revolutionärer Zellen aufwiesen.
[22] Den FAI-Einfluß betont etwa Antonio Bar Cendón: La »Confederación Nacional del Trabajo« frente a la II República, in: Manuel Ramírez (Hrsg.): Estudios sobre la II República Espanola, Madrid 1975, S. 219-249. Die »offizielle« Verbindung zwischen CNT und FAI wurde durch die Verteidigungs- und Pro-Gefangenen-Komitees hergestellt. Während erstere Streiks und Aufstände organisierten, kümmerten sich letztere um das Schicksal gefangener Genossen und deren Familien. Die treibende Kraft bei der Koordination von CNT- und FAI-Aktivitäten war zweifellos die » spezifische« Organisation FAI.
[23] In den 1970er Jahren vertraten führende CNT- und FAI-Mitglieder (mit Unterschieden in den Nuancen) die fast übereinstimmende Meinung, die FAI habe weder die CNT beherrscht noch versucht, der Gewerkschaftsorganisation ihren Willen aufzuzwingen. Vgl. hierzu Suplemento (Anm. 17), S. 147-246. José Peirats: Los anarquistas en la crisis política española, Buenos Aires 1964, S. 277 behauptet sogar, die FAI sei von der CNT beherrscht gewesen. Ihre angebliche Wächterrolle über die Prinzipien des »reinen« Anarchismus habe sich auf die antipolitische Einstellung und auf revolutionären Aktivismus beschränkt.
[24] Hierzu: Estatutos generales de la FAI, Valencia 1927.
[25] Prinzipienerklärung der IAA (Anm. 14), S. 44.
[26] Vgl. Qué es el comunismo libertario, in: La Revista Bianca Nr. 262 v. 25. 1. 1934.
[27] Paul Mattick: Marxismus und die Unzulänglichkeiten der Arbeiterbewegung. Über den Zusammenhang von kapitalistischer Entwicklung und sozialer Revolution, in: Jahrbuch Arbeiterbewegung, Band 1: Über Karl Korsch, Frankfurt/M. 1973, S. 189-216, hier S. 202.
[28] Juan Peiró: Problemas del sindicalismo y del anarquismo, Toulouse 1945, Kap. IX (Erstausgabe u. d. T.: Ideas sobre sindicalismo y anarquismo, Barcelona 1930). Über die Notwendigkeit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel bestand bei allen anarchistischen Theoretikern seit der Ersten Internationale bis über den Bürgerkrieg hinaus Einigkeit; die schwierigere Frage der Distribution und Konsumtion der Güter konnte jedoch nicht übereinstimmend geklärt werden. Dieser Aspekt der sozialisierten Wirtschaft führte im Bürgerkrieg zu unterschiedlichen Realisierungen.
[29] Die Auseinandersetzung zwischen »wirtschaftlichen Kommunalisten« und »Programmatikern« hatte bereits in den zwanziger Jahren begonnen. Vgl. den Überblick über die Diskussion und Literatur bei Walther L. Bernecker: Anarchismus und Bürgerkrieg. Zur Geschichte der Sozialen Revolution in Spanien 1936-1939, Hamburg 1978, S. 274f.
[30] Der Text des »Manifiesto Treintista« wurde am 1. 9.1931 in Barcelona veröffentlicht; er ist wiederabgedruckt bei José Peirats: La CNT en la Revolución Española, 3 Bde., Paris 1971, Bd. 3, S. 59-63; dt. in: Ökonomie und Revolution. Texte von Diego Abad de Santillán und Juan Peiró, hrsg. von Thomas Kleinspehn, Berlin 1975, S. 65-71.
[31] La Tierra (Madrid) vom 2. 9. 1931.
[32] Isaac Puente: El Comunismo Libertario. Sus posibilidades de realización en España, Valencia 1933 (Neuausgabe Paris 1969), S. 8.
[33] Vgl. hierzu Michail Bakunins »Programm und Zweck der Revolutionären Organisation der Internationalen Brüder«, in: Karl Marx /Friedrich Engels: Werke (MEW), Bd. 18, S. 462 - 467, wo ebenfalls die »Machbarkeit« von Revolutionen bestritten und auf ihre Vorbereitung in der »Tiefe des instinktiven Bewußtseins der Volksmassen« hingewiesen wird.
[34] Die Sitzungsprotokolle des Zaragoza-Kongresses (Mai 1936) sind wahrscheinlich verlorengegangen. Die heute zugänglichen Texte über den Kongreß sind dem CNT-Organ Solidaridad Obrera entnommen. Vgl. die dt. Übersetzung bei Erwin Oberländer (Hrsg.): Der Anarchismus, Ölten 1972, S. 377-395.
[35] Solidaridad Obrera vom 12. 1. 1938, zit. nach Peirats: La CNT en la Revolución Española (Anm. 30), S. 3.
[36] Die ausführlichste Quelle über diesen Kongreß stellt die Veröffentlichung der Kongreßbeschlüsse dar: Acuerdos del Pleno Económico Nacional Ampliado, Valencia 1938.
[37] Vernon Richards: Ensenanzas de la revolución española, Paris 1971, S. 72.
[38] Zu den »Amigos de Durruti« vgl. Frank Mintz / Miguel Pecina: Los amigos de Durruti, los trots-quistas y los sucesos de mayo, Madrid 1978.
[39] Hacia una nueva revolución. Ed. por la agrupación »Amigos de Durruti«, o.O. o.J. (1937?).
[40] Zit. nach einem Brief von E. Cerrveró an Walther L. Bernecker vom 25. 3. 1975.
[41] Nach kommunistischen Angaben wurden die »Amigos de Durruti« noch im Juni 1937 aufgelöst. Vgl. Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung vom 24. 6.1937, S. 964. Die Führer der Gruppe waren bereits im Mai 1937 aus der CNT ausgeschlossen worden. Hierzu Boletin de Información vom 1. 6. 1937, S. 3.
[42] Vgl. Memoria del Pleno Peninsular de Regionales, FAI, Valencia, julio 1937 und Bolétin de Información vom 10. 7. 1937, S. 2 - 6. Noch auf ihrem Nationalplenum im Februar 1937 hatten die Regionalorganisationen der FAI sich für die Beibehaltung der traditionellen Organisation in »Gruppen Gleichgesinnter« ausgesprochen; die vielen Tausend neuen Mitglieder sollten vorerst in »anarchistischen Kulturzentren« aufgefangen werden und eine Art Reserve darstellen. Vgl. Memoria del Pleno Peninsular de Regionales, celebrado los días 21, 22 y 23 de febrero de 1937, Barcelona 1937, S. 5. Auf der Vollversammlung lokaler und Bezirksföderationen der Levante Ende Juni 1937 wurde dann bereits (im Rahmen einer umfangreichen Selbstkritik) die Forderung nach Neustrukturie-rung der FAI artikuliert: Pleno de Federaciones Locales y Comarcales de Grupos Anarquistas de la Región de Levante. Celebrado los dfas 27 y 28 de junio de 1937, Valencia o.J. (1937).
[43] Die Abhängigkeit der FAI von der CNT kehrt als Selbstkritik in allen FAI-Dokumenten des Bürgerkrieges wieder. Besonders ausgeprägt ist sie in: FAI. Actas del Pleno Regional de Grupos 1/2/ 3-7- 1937 (»Wir haben immer behauptet, die FAI sei die Avantgarde der CNT; aber seit dem 19.Juli hinkt sie hinter dieser her«; »die FAI befindet sich im Schlepptau der CNT«; »die FAI muß die CNT wieder beleben« etc.) und in: Memoria que presenta el Comité Regional Anarquista del Centro (FAI) a las agrupaciones de la región de su labor realizada durante el tiempo de su permanencia al frente de la organización, Madrid, Februar 1938 (Hektogramm; Salamanca, Bürgerkriegsarchiv: Carpeta PS 1040 Barcelona). Dort heißt es u. a.: »Die FAI-Genossen haben sich durch die Gewerkschaftsorganisation absorbieren lassen und vergessen, daß sie Anarchisten sind ... In der Gewerkschaft wird der FAI-Einfluß nicht im geringsten beachtet ... Es ist erforderlich, daß die FAI sich aktiver gibt und in der Gewerkschaft das Gewicht ihrer kräftigen Persönlichkeit zum Tragen kommt ... Es bedeutet Mangel an Verantwortungsbewußtsein, wenn sich Genossen ganz aufgeben, den Erfordernissen des Augenblicks keine Bedeutung beimessen und die Gefahr nicht bemerken, die damit verbunden ist, sich ganz in die Arme der Gewerkschaftsorganisation zu werfen ... Die Persönlichkeit der FAI ist auf den zweiten Platz verwiesen worden; ihre starke Persönlichkeit ist von der Rolle der CNTverdrängt worden.« Die Rolle, die die FAI gegenüber der CNT wieder einnehmen müsse, wird folgendermaßen umschrieben: »Wir verteidigen die CNT mit dem Fanatismus eines Vaters, der sich zum sklavischen Hüter der Jungfräulichkeit seiner Tochter entwickelt, da er befürchtet, daß selbst der Wind sie beflecken könne; es ist daher möglich, daß wir zu anspruchsvoll sind.«
[44] Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, Stuttgart 1970, S. 338.
[45] Vgl. Informe de la Delegación de la CNT al Congreso Extraordinario de la AIT y resoluciones del mismo, Barcelona 1937.
[46] Memoria del Pleno Peninsular de Regionales, FAI, Valencia 1937, S. 38.
[47] Obwohl die FAI nach dem Juli-Plenum 1937 in zahlreichen Aufrufen versuchte, die »libertären« Kräfte der FAI zuzuführen, scheint der Zulauf die in die Neustrukturierung gesetzte Hoffnung bei weitem nicht erfüllt zu haben. Zu der unterschiedlichen Aufnahme und teilweisen Ablehnung der Plenumsbeschlüsse vom Juli 1937 vgl. Agrupación Anarquista de Barcelona: Adónde va la FAI ?, o.O. (Barcelona) o.J. (1938).
[48] Hierzu Marcos Alcón: Recordando el 19 de julio de 1936, in: Espoir vom 20. 7. 1975, S. 3.
[49] J. Santana Calero: Afirmación en la marcha, Barcelona o.J.
[50] Zum spanischen Anarchismus nach 1939 vgl. Cipriano Damiano: La resistencia libertaria (1939-1970), Barcelona 1978; Juan Garcia Oliver: El eco de los pasos, Barcelona 1978; Movimiento Libertario Español, CNT en Francia: Memoria del Congreso de Federaciones locales celebrado en París del primero al 12 de mayo de 1945. Dictámenes, o.O.1945; Movimiento Libertario Español: Conferencia Intercontinental, Toulouse 1947; Walther L. Bernecker: Die Arbeiterbewegung unter dem Franquismus, in: Peter Waldmann u. a.: Die geheime Dynamik autoritärer Diktaturen. Vier Studien über sozialen Wandel in der Franco-Ära, München 1982, S. 61 -198; Juan M. Molina: El movimiento clandestino en España 1939-1949, México 1976; José Berruezo: Contribución a la Historia de la CNT de España en el Exilio, México 1967.
[51] Hierzu Walther L. Bernecker: Zwischen Aufschwung und Niedergang: Der spanische Anarcho-syndikalismus nach Franco, in: Graswurzelrevolution 106, 1986, S. 33f.; ders./Jörg Hallerbach: Anarchismus als Alternative? Die Rolle der Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg, Berlin 1986, bes. S. 115-126.

Aus: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit Nr. 8, Germinal - Verlag 1989 (mit freundlicher Genehmigung des Verlages)

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