Gaston Leval - Kollektive in Spanien (1938)
Industrie
Die industrielle Sozialisierung - mit Hauptgewicht in Barcelona - war das erste große Werk der spanischen Revolution. Es ergaben sich jedoch von Anfang an Hindernisse, die letzten Endes die konsequente Durchführung dieser Experimente unmöglich machten. Für die größten Schwierigkeiten sorgte zweifellos der Krieg.
Andererseits bestand jedoch ein so tiefes, in den Arbeitermassen fest verwurzeltes Verlangen nach grundlegender sozialer Revolution, daß nicht alle Arbeiter eine solche Betrachtung anstellten. Auch sollte ein weiterer Faktor nicht vergessen werden: Ein großer Teil der Unternehmer, Direktoren und Aktionäre bekannte sich entweder offen als Faschisten oder sympathisierte zumindest mit ihnen und wünschte Franco den Sieg. Viele dieser Unternehmer flohen, sobald sie sahen, daß die Antifaschisten mit Unterstützung der F.A.I. und C.N.T. (1) den Siegerrungen hatten. Andere wurden inhaftiert. Es war unumgänglich, daß die Werkstätten und Fabriken dieser Unternehmer von den Arbeitern in Besitz genommen und geleitet wurden. Das geschah dann auch.
Die oben erwähnten Unternehmer sollten noch um diejenigen erweitert werden, die verdächtig waren, um ihrer Interessen willen mehr mit den Faschisten als den Antifaschisten zu sympathisieren. Man nahm nicht an, daß diese Leute darauf bedacht waren, Panzer, Flugzeuge, Gewehre und Munition für einen Sieg derjenigen Gruppen zu produzieren, die ihre engsten Freunde bekämpften. Sie hatten sicherlich nicht die Absicht, alles Menschenmögliche zu tun, um die Wirtschaftsproduktion mit der Intensität voranzutreiben, die notwendig war, um das antifaschistische Spanien am Leben zu erhalten. Die Arbeiter verstanden dies instinktiv und richteten in fast allen Fabriken Kontrollkomitees ein, deren Aufgabe darin bestand, Produktionserhöhungen im Auge zu behalten und jederzeit die finanzielle Lage des Fabrikbesitzers zu überblicken.
In zahlreichen Fällen ging die Kontrolle sehr bald vom Kontrollkomitee auf das Führungskomitee über, das aus Unternehmer und Arbeitern bestand und dem Unternehmer den gleichen Lohn wie den Arbeitern zahlte. In Katalonien ging auf diese Weise eine Reihe von Werkstätten und Fabriken in die Hand der dort beschäftigten Arbeiter über.
Das Kollektivierungsdekret
Angesichts dieser Tatsachen erließ die Generalidad - die Regierung Kataloniens - im Oktober 1936 das Kollektivierungsdekret, auf Grund dessen die Arbeiter befugt waren, alle Fabriken mit 100 und mehr Arbeitern zu übernehmen. Dies traf auch auf Betriebe mit weniger als 100 Arbeitern zu, wenn die Eigentümer offiziell den Faschisten angehörten.
Das Dekret, das anscheinend die Forderungen der katalanischen Arbeiter erfüllte und von den meisten mit großem Jubel aufgenommen wurde, verhinderte in Wirklichkeit die Sozialisierung, und zwar aus folgenden Gründen:
- Der Prozentsatz der Arbeiter, die in Fabriken mit weniger als 100 Arbeitern beschäftigt waren, lag über dem der Fabriken mit mehr als 100 Arbeitern. Dies bedeutete, daß die Mehrzahl der Arbeiter weiter gezwungen war, unter dem System der Ausbeutung durch den Unternehmer zu arbeiten.
- Es wurde verhindert, daß die Arbeiter zur wirklichen Übernahme der Produktionsmittel gelangten, denn die zu bildenden Verwaltungskomitees waren mit dem Wirtschaftsministerium verbunden, dem sie Tätigkeitsberichte vorlegen mußten. Diese Regelung bedeutete den völligen Ausschluß der Syndikate und schützte einen Teil der Kleinunternehmer. Dadurch wurde ein Dualismus geschaffen, der früher oder später in der Niederlage einer der zwei Seiten enden mußte. Dies war jedoch ein Problem, das gewissenhafte verantwortliche Kreise später zu lösen hofften.
- Ein System, das die Privatwirtschaft ganz und gar beibehielt, schrieb vor, daß jede einzelne Produktionsstätte ihre Produktion verkaufte. Die Arbeiter wetteiferten also miteinander, zerstörten das bestehende Gefühl der Solidarität und wurden zu einem Konkurrenzkampf gezwungen, der umso schärfer wurde, je mehr sich die wirtschaftlichen Schwierigkeiten ausweiteten.
Die bewußteren, militanteren Arbeiter sahen die Gefahren sehr klar und hielten nicht lange mit ihrer Meinung zurück. Sie äußerten sich zunächst in ihrer Presse und mündlich, später auf Gewerkschaftsversammlungen. Man war sich darüber einig, daß, falls die Gewerkschaften nicht die Produktionsstätten übernehmen und den durch das Kollektivierungsdekret geschaffenen Verwaltungsapparat der Arbeiter abschaffen würden, alle bisher erzielten Ergebnisse durch diesen nicht wieder gutzumachenden moralischen und sachlichen Rückschlag wertlos würden.
In stetigem Kampf gegen die Behörden trachteten die Gewerkschaften aus den meisten Industriezentren Kataloniens danach, die „kollektivierten“ Produktionsstätten in ihre Hand zu bekommen. Teilweise gelang es ihnen. Aber der Teilerfolg war das Ergebnis langer Monate der Agitation, und währenddessen hatten die konterrevolutionären Kräfte die C.N.T. und den Flügel um Largo Caballero aus dem politischen Spiel ausgeschaltet. Sozialisierungsgegner und reaktionäre Gegenoffensive wurden mächtiger. Generell kann man sagen, daß das Unternehmen der Gewerkschaften erfolgreich war. Nur mehrten sich leider die Schwierigkeiten. Als der Grundstein zu einer wirklichen industriellen Sozialisierung gelegt war, verstärkte sich der Mangel an Rohstoffen. Der Textilindustrie fehlte es an Wolle und Baumwolle. Hüttenbetriebe brauchten dringend Stahl und Tischlerwerkstätten Holz. Und als ob diese Schwierigkeiten nicht schon genug Probleme aufwarfen, sorgte die Regierungspolitik für eine weitere Verschlechterung der Lage.
Die Regierung „übernahm die Rohstoff Verteilung“. Das war ein Mittel, um die Syndikate ihrer Macht zu berauben und ihre Arbeit zu sabotieren. Dann „verstaatlichte“ die Regierung den größten Teil der Industrie. Sie benutzte dies als Vorwand, um diejenigen Zweige, in denen die Arbeiter große Bedeutung gewonnen hatten, in ihre Gewalt zu bekommen und die Sozialisierung zu zerschlagen. Jedoch entwickelte sich nicht alles so, wie ich es gerade beschrieben habe. Zum Glück nahmen - ungeachtet anderslautender Regierungsanweisungen - einige Syndikate in Katalonien von Anfang an die Angelegenheiten ihrer jeweiligen Industriezweige in ihre eigenen Hände. Und in einigen Städten außerhalb Kataloniens wurde die Sozialisierung sofort verwirklicht. Sie hat erstaunliche Ergebnisse erzielt.
Barcelona
In Barcelona haben Gesundheitssyndikat, Städtische Verkehrsbetriebe, Wasser- und Gassyndikat und das Syndikat für öffentliche Veranstaltungen die Leitung der Betriebe übernommen. Erstes und letzteres wurden erst nach der Revolution geschaffen, haben aber große Leistungen erbracht. Das Gesundheitssyndikat verbreitete sich über ganz Katalonien und organisierte den Gesundheitsdienst so, daß jedes Dorf seinen Arzt hatte. Die Eisenbahnen in Katalonien sind ein beredtes Beispiel dafür, was die Arbeiter hätten erreichen können, wenn sie nicht ihre Bewegungsfähigkeit durch Zugeständnisse an die Bourgeoisie verloren hätten. Die drei Hauptlinien, die drei ausländischen, heftig rivalisierenden Gesellschaften gehörten, wurden zu einer Gesellschaft zusammengeschlossen und vor kurzem von einem gemeinsamen zwölfköpfigen Komitee der U.G.T. (2) und C.N.T. geleitet. Es gab nur noch sehr wenige Ingenieure, da die meisten als Ausländer in ihre Länder zurückgekehrt waren. Dennoch wurden phantastische Ergebnisse erzielt.
Granollers
Außer Barcelona gibt es andere, nicht minder beachtenswerte Fälle großartiger Organisation. Da ist zum Beispiel die kleine Stadt Granollers. Alles wurde durch die Syndikate und die Stadtverwaltung sozialisiert. Und alles klappte vorbildlich. Die kleinen Fabrikationsbetriebe lösten sich auf - dies vollzog sich in Hunderten von Orten, wo die Arbeiter die Produktionsstätten übernahmen -, die Neuverteilung erfolgte zügig durch die städtischen Kooperativen. Die kleinen Handelsbetriebe wurden zunächst übernommen, dann aufgelöst. Den Geschäftsleuten wurden Stellen in den Kooperativen oder anderen Betrieben angeboten.
Castellon
Fahren wir entlang der Mittelmeerküste nach Süden, kommen wir nach Castellon. Wenig oder gar nichts sickerte über diese Stadt durch, obwohl die Hüttenindustrie seit Oktober 1936 ganz in der Hand der Syndikate war. Die anderen Industriezweige befanden sich in einem ähnlichen Sozialisierungsprozeß. Und doch gab es in dieser Stadt keine revolutionäre Genossenschaftstradition. Aber es mangelte den Arbeitern nicht an gesundem Menschenverstand, und sie waren sich tief ihrer Verantwortung bewußt.
Alcoy
Ein noch typischeres Beispiel liefert uns Alcoy in der Provinz Alicante. Die dortigen Arbeiter sind seit langem gut organisiert. Die militanteren Gruppen brauchten kein Mobilisierungsdekret. Sie übernahmen sehr früh Werkstätten und Fabriken und organisierten die Produktion auf neue An und Weise. Jeder Industriezweig ist zentral im gewerkschaftlichen Verwaltungskomitee vertreten. Dieses Komitee teilt sich in so viele Abteilungen auf, wie es wichtige Industriezweige gibt. Wenn die Verkaufsabteilung einen Auftrag erhält, wird er an die Produktionsabteilung weitergeleitet, die zu entscheiden befugt ist, welche Produktionsstätten die besten technischen Voraussetzungen für die Herstellung der erforderlichen Güter aufweisen. Während diese Frage geregelt wird, werden die notwendigen Rohstoffe bei der zuständigen Abteilung bestellt. Diese gibt dann ihrerseits dem Lager die Anweisung, das Material zu liefern, und schließlich wird die Einkaufsabteilung genau über die Angelegenheit informiert, damit sie das verwendete Material wiederbeschaffen kann.
Diese kurze Darstellung, die in einem weiteren Rahmen unendlich viel eingehender gegeben werden könnte, läßt uns klar erkennen, daß die spanischen Arbeiter libertärer Prägung die Produktion besser koordinieren und rationalisieren, als dies der Kapitalismus vermocht hat. Ich möchte vor allem hervorheben, dass kleine, ungesunde, kostspielige Fabrikationsstätten von der Bildflache verschwunden sind und Maschinen unter Beachtung des Nutzenoptimums wirkungsvoll eingesetzt werden. Eines der hervorstechendsten Ergebnisse ist die Zentralisierung der Verwaltung. Es läßt sich also sagen, daß - sofern nicht die Zusammenarbeit mit politischen Parteien die Arbeiter lahmte - es letzteren gelang, sogar dann, wenn ihre Syndikate erst seit kurzem bestanden, Produktion und öffentliche Dienstleistungen höchst überzeugend zu organisieren. Bleibt uns noch die Beschreibung der Rolle, die die Arbeiter in der Verwaltung und der Leitung von Industriebetrieben spielten.
Das Industrieverwaltungskomitee ist weder eine autonome noch unfehlbare Organisation. Die Gewerkschaft besteht noch; ihr Zentralausschuß hält die Fäden aller Tätigkeitsbereiche in seiner Hand. Ernannt wird er von der Generalversammlung der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter. Ein Teil seiner Delegierten kommt direkt aus den Produktionsstätten, damit der Kontakt zur Arbeiterschaft gewahrt bleibt. In den Produktionsstätten gibt es Komitees, die von einer Versammlung dort beschäftigter Arbeiter gewählt werden. Diese Komitees sind dafür verantwortlich, daß für den Arbeitsablauf eingegangene Anweisungen auch befolgt werden. Ihre Beobachtungen teilen sie wiederum dem Zentralausschuß mit. Beschlüsse über die tägliche Arbeit in den Betrieben und die Tätigkeit des Verwaltungskomitees werden auf Versammlungen gefaßt.
Wir steuern somit nicht auf eine Verwaltungsdiktatur zu, sondern auf eine funktionale Demokratie, in der jede spezielle Tätigkeit ihre Rolle spielt, eine Rolle, die nach eingehender Prüfung von der Versammlung festgelegt worden ist.
Landwirtschaft
Das beste Beispiel sozialen Fortschritts liefert jedoch die Sozialisierung der Landwirtschaft. Diese Sozialisierung vollzog sich nicht überall zur gleichen Zeit und ohne Einschränkung. Inspiriert vom libertären Geist keimte sie zuerst in Aragon auf, griff dann auf die Levante über und den Teil Andalusiens, der in unserer Hand blieb, und breitete sich schließlich bis in den Süden Kataloniens und in Kastilien aus.
Die Agrarrevolution hat zum erstenmal die libertären Konzeptionen verwirklicht. Und sie hat so großartige Erfolge erzielt, daß selbst die anarchistischen Theoretiker - diejenigen, die immer die jetzt realisierten Vorstellungen verfochten hatten - völlig benommen waren und niemals den herrlichen Traum, den sie durchlebten, vergessen werden.
Wir wollen nicht vergessen, daß ein tiefes soziales Gefühl, wie es den spanischen Bauern kennzeichnet, die Voraussetzung für die Verwirklichung dieser Ideen bildete.
Aragon
In etwa drei Monaten richteten die meisten Dörfer Aragons - einige wurden den Faschisten von den Verbänden Durrutis und anderer „undisziplinierter“ Guerillakämpfer abgerungen - landwirtschaftliche Kollektive ein. Man darf diese nicht mit den Industrie“kollektiven“ verwechseln, die mit Hilfe des oben erwähnten Dekrets und nach den Anweisungen der katalanischen Regierung errichtet wurden. Das Wort „Kollektive“ beschreibt zwei ganz verschiedene Dinge.
Die Bildung der Kollektive Aragons vollzog sich allgemein nach dem gleichen Schema. Zunächst wurden die örtlichen Behörden überwältigt, wenn sie Faschisten waren; wenn nicht, wurden sie von antifaschistischen oder revolutionären Komitees abgelöst. Dann wurde eine Versammlung aller Ortsansässigen einberufen, auf der über das Aktionsprogramm beschlossen wurde. Eine der ersten Maßnahmen bestand darin, die Ernte einzuholen, und zwar nicht nur auf den Feldern der immer noch vorhandenen Kleinbesitzer, sondern auch - und dies war noch viel wichtiger - auf den Gütern der Großgrundbesitzer, die alle konservative ländliche „Fürsten“ oder Führer waren. Gruppen wurden eingeteilt für das Mähen und Dreschen des Weizens der diesen Großgrundbesitzern gehörte. Spontan fing man an kollektiv zu arbeiten. Da man den Weizen nicht einem geben konnte, ohne unfair gegenüber allen anderen zu sein, kam man überein, ihn einem Ortskomitee zu unterstellen. Der Weizen war für den Nutzen aller Ansässigen bestimmt, zum Verbrauch oder als Tauschmittel für Fertigwaren, wie z.B. Kleidung, Stiefel usw. für diejenigen, die am bedürftigsten waren.
Später war es notwendig, das Land der Großgrundbesitzer zu bearbeiten. Meistens war es das größtflächige und fruchtbarste der ganzen Gegend. Die Angelegenheit wurde noch einmal vor die Dorf Versammlung gebracht. Das Kollektiv wurde endgültig errichtet - falls dies noch nicht auf der ersten Versammlung geschehen war.
Es wurde ein Delegierter für Ackerbau und Viehzucht ernannt (oder einer für jeweils einen Bereich, wenn Viehzucht stark betrieben wurde), jeweils ein Delegierter für die örtliche Verteilung von Gütern, für Tausch, öffentliche Arbeiten, Hygiene, Erziehungswesen, revolutionäre Verteidigung. Manchmal gab es mehr, manchmal weniger.
Dann wurden Arbeitsgruppen gebildet. Die Anzahl dieser Gruppen entsprach meist der Anzahl der Zonen, in die das Ortsgebiet aufgeteilt war. Auf diese Art und Weise war es einfacher, alle Arten anfallender Arbeit zu berücksichtigen. Die Anzahl der Zonen ergibt sich nicht nur aus der Landfläche, sondern auch aus der topographischen Lage des Gebiets, die in Spanien im allgemeinen bergig ist.
Jede Arbeitsgruppe wählt ihren Delegierten. Die Delegierten treffen alle zwei Tage oder einmal in der Woche mit dem Berater in Fragen Ackerbau und Viehzucht zusammen, um all die verschiedenen Tätigkeiten zu koordinieren. Sie entscheiden z. B., ob bestimmte Felder gepflügt werden oder ob Weizen oder Weinbau, Oliven- oder andere Obstbäume vorrangig sind, ob man besser Kartoffeln anpflanzt oder Rotebeete sät, usw. Je nach der Dringlichkeit und Wichtigkeit der Arbeit werden Gruppen eingeteilt, die sie verrichten und die erforderlichenfalls von einer Zone in die andere überwechseln. In dieser neuen Organisation gibt es Kleinbesitz fast gar nicht mehr. In Aragon haben sich 75% der Kleinbesitzer freiwillig der neuen Ordnung angeschlossen. Wer dies verweigerte, wurde respektiert. Es stimmt nicht, daß diejenigen, die in Kollektiven mitmachten, dazu gezwungen wurden. Diesen Punkt kann man angesichts der vielen Verleumdungen, die in dieser Hinsicht gegen die Kollektive gerichtet worden sind, nicht stark genug betonen. Wie weit diese Falschmeldung von der Wahrheit entfernt ist, läßt sich daraus ersehen, daß die landwirtschaftlichen Kollektive überall besondere Kontokorrentkonten für Kleinbesitzer eingerichtet und Konsumentenkarten eigens für sie gedruckt haben, um ihnen genauso wie den „Kollektivisten“ die dringend gebrauchten Industrieprodukte zukommen zu lassen.
Bei dieser Eigentumsumstrukturierung müssen besonders die praktische Begabung und das psychologische Feingefühl der Organisatoren hervorgehoben werden, die in fast allen Dörfern jeder Familie ein kleines Stück Land zugeteilt haben, auf dem der Bauer für seinen eigenen Gebrauch sein bevorzugtes Gemüse auf seine bevorzugte Weise anbauen kann. Dadurch kann der Unternehmungsgeist des einzelnen angefeuert und befriedigt werden.
Neue Anbaumethoden
Kollektives Arbeiten hat sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Industrie zu einer Rationalisierung geführt, die weder unter den Kleinbesitzern noch unter den Großgrundbesitzern möglich war. Traktoren und Maschinen werden dort eingesetzt, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Vorbei sind die Zeiten, da die Produktionsmittel ungenutzt in den Scheunen der Reichen standen, während die armen Bauern das Land mit uralten Pflügen, die von ausgemergelten Eseln und Maultieren gezogen wurden, bearbeiteten!
Lastentiere werden der Arbeit zugeteilt, für die sie sich am besten eignen. Die starken Maultiere führen die schweren Arbeiten aus, von den schwächeren werden weniger anstrengende Leistungen verlangt. Ferner wird hochwertigeres Saatgut verwendet. Dies wurde durch Aufkauf großer Bestände ermöglicht, was sich der kleine Bauer früher einfach nicht leisten konnte. Saatkartoffeln kommen aus Irland, Weizensaatgut wird nur in ausgesucht guter Qualität genommen. Chemische Düngemittel finden Verwendung. Da sinnvoll genutzte moderne Maschinen - Traktoren und moderne Pflüge erhielt man durch Tausch oder durch Kauf im Ausland - den Boden tiefer bearbeiten, hat das neue Saatgut einen Hektarertrag erzielt, der weit über den Ernten liegt, die unter den Bedingungen früherer Jahre herausgewirtschaftet wurden. Die neuen Methoden haben ebenfalls ermöglicht, die Anbaufläche zu vergrößern.
Meine eigenen Nachforschungen in Aragon lassen mich mit voller Berechtigung sagen, daß sich die Weizenernte durchschnittlich um 30% erhöht hat. Ein etwas niedrigerer Ertragszuwachs wurde für andere Getreidesorten, Kartoffeln, Zuckerrüben, Luzerne, usw. erzielt.
Familienlohn
Diese Tatsache ist von höchster Bedeutung, denn zum erstenmal in einer modernen Gesellschaft ist das anarchistische Prinzip „Jedem nach seinen Bedürfnissen“ verwirklicht worden. Die Anwendung erfolgte auf zweierlei Art: ohne Geld in vielen Dörfern Aragons oder mit Ortsgeld, vor allem in den meisten in anderen Provinzen errichteten Kollektive. Der Familienlohn wird mit diesem Geld gezahlt; er richtet sich nach der Anzahl der Familienmitglieder. Ein Haushalt, in dem Mann und Frau arbeiten, weil sie keine Kinder haben, erhält - um irgendeinen Betrag zu nennen - beispielsweise 5 Peseten pro Tag. Ein anderer Haushalt, in dem nur der Mann arbeitet, da sich die Frau um zwei, drei oder vier Kinder kümmern muß, erhält 6, 7, bzw. 8 Peseten. Die „Bedürfnisse“ und nicht die „Produktion“ im engen ökonomischen Sinn des Wortes bestimmen die Lohnskala bzw. die Güterverteilung, wo es Löhne nicht gibt.
Gegenseitige Hilfe
Diese Grundlage der Gerechtigkeit findet laufend weitere Anwendung. Sie schafft Caritas, Bettlertum und Sonderbudgets für Arme ab. Es gibt keine Notleidenden mehr. Wer arbeitet, tut das für andere ebenso mit, wie andere später durch ihre Arbeit ihm und seinen Kindern helfen werden.
Aber diese gegenseitige Hilfe geht über das Dorf hinaus. Bevor die faschistischen Angreifer die Kollektive Aragons zerstörten, taten kantonale Verbände ihr Möglichstes, um naturbedingte Ungleichheiten dadurch auszugleichen, daß sie weniger begünstigten Dörfern Maschinen, Maulesel, Saatgut, usw. besorgten, die ihnen zu höheren Erträgen verhelfen sollten. Diese Grundausrüstung wurde durch Vermittlung des Verbandes beschafft, der den Verkauf der Ernte von zwanzig, dreißig, vierzig oder sogar fünfzig Ortschaften übernahm und in deren Namen bei den Industrie- und Viehzuchtzentren die benötigten Güter einkaufte.
Was ich in dieser kurzen Darstellung gesagt habe, dürfte ausreichen, um die moralische Seite der spanischen Revolution zu verstehen und rechtfertigt meine Behauptung, daß nie zuvor in der Geschichte zivilisierter Völker ähnliches erreicht wurde. Aber es gibt noch andere Gesichtspunkte, die unsere Aufmerksamkeit verdienen.
Bildung
Nehmen wir als Beispiel die Bildung. Wo immer Revolutionen weitreichende Bedeutung gewonnen haben, kann man ernsthafte Anstrengungen in dieser Richtung feststellen. Schulen sind in Klöstern und Priesterseminaren eingerichtet worden, da dies im allgemeinen die besten Gebäude waren. Man kann sie zu Tausenden zählen. Jedes der 500 Kollektive in der Levante hat seine eigene Schule, meist in herrlicher Umgebung, mitten in Orangenhainen oder am Fuß schneebedeckter Berge. In Aragon, Katalonien, Kastilien - überall ist die große Aufmerksamkeit, die man der Bildung schenkt, zu bemerken. Niemals zuvor in der Geschichte Spaniens ist ein so großer Schritt vorwärts gemacht worden.
Wo Regierung und Staat ihren Einfluß nicht geltend machen konnten, ist auch ärztliche Hilfe sozialisiert, d. h. zu jedermanns Verfügung gestellt worden. Der Arzt sieht nach allen Kranken. Das Kollektiv bezahlt ihn. Es stellt auch alle Medikamente und überweist ernstere Fälle in städtische Krankenhäuser oder Sanatorien. Kleine Apotheken sind in einigen Dörfern eingerichtet worden; sie werden vom Kanton unterhalten. Niemand soll wegen mangelnder Pflege oder ärztlicher Behandlung kränkeln oder sterben.
In fast allen kollektivierten Dörfern Aragons wurden Altersheime eingerichtet, die alle alten Frauen und Männer ohne Familie aufnahmen. Für sie wurden die besten Häuser ausgesucht; junge Mädchen, die man ihrer Fröhlichkeit und ihres hübschen Äußeren wegen gewählt hatte, kümmerten sich um sie. Nichts lagerhaftes, keine lästigen Vorschriften. Die alten Leute kamen und gingen, wie sie wollten. Heute bestehen diese Altersheime noch dort, wo die faschistische Reaktion nicht gesiegt hat. Aber abgesehen von diesen Beispielen vollständiger Kollektivierung gibt es Fälle teilweisen Erfolgs, die es verdienen, erwähnt zu werden. In vielen Orten haben unsere Genossen Eingang in die Gemeindeverwaltung gefunden und die Verwirklichung beachtlicher Reformen erreicht, z. B. die Teilvergemeindung ärztlicher Hilfe, die allen Einwohnern die Dienste von Ärzten, Krankenschwestern und Hebammen sowie notwendige Medikamente zukommen läßt; die Verbesserung des Unterrichts; die Vergemeindung von Wohnungen. Mieten werden der Gemeinde gezahlt, die keine weiteren Einnahmen braucht und deshalb die Zahlung von Steuern abschafft. Man kann sich gut vorstellen, was das für Menschen, die nicht reich sind, bedeutet.
Die spanische Revolution und die Geschichte
Ich habe kurz die neue soziale Ordnung beschrieben, die durch die spanische Revolution geschaffen wurde. Die Erfolge der libertären Sozialisten sind eine Tatsache, und die Vortrefflichkeit ihrer Grundsätze hat sich eindeutig erwiesen. Ungefähr 3 Millionen Bauern - Männern, Frauen und Kindern - gelang es, dieses System, von den unmittelbaren Erträgen zu leben, zu verwirklichen, ohne daß deshalb die Produktion gesunken wäre, wie das meistens bei Umstrukturierungen durch neue Organisationsformen der Fall ist. Mindestens 2 Millionen Menschen haben aus Teilerfolgen Nutzen ziehen können. Ein großer Teil der Industrie ist erfolgreich von Arbeitersyndikaten geleitet worden.
Diese Zahlen müssen im Verhältnis zu den 12 Millionen Ortsansässigen und Flüchtlingen gesehen werden, die im nicht von Franco beherrschten Teil Spaniens leben. Schwierigkeiten in den Städten ergeben sich aus der Durchführung eines Systems, das die Regierungen - ganz gleich, ob die katalanische oder die spanische - erfunden haben. Dieses ungeheure Experiment enthält eine Fülle von Tatsachen, Charakteristika, Versuchen, Initiativen und Ergebnissen. Ich weiß nicht, ob ein Historiker eines Tages eine vollständige, objektive Analyse vornehmen wird. Wünschenswert wäre es.
Fußnoten:
(1) F. A. I. Federacion Anarquista de Iberia (Anarchistische Föderation Iberiens) / C. N. T. Confederacion Nacional de Trabajo (Nationale Arbeiterkonföderation, anarcho-syndikalistischer Gewerkschaftsbund mit l.700.000 Mitgliedern
(2) U. G. T. Union General de Trabajo (Allgemeine Arbeiterunion - sozialistisch)
Originaltext: Social Reconstruction in Spain. London 1938. Aus dem Englischen von Eike Freudenberg; Nachdruck in der Broschüre: 1936: Die Revolution in Spanien
Gescannt von anarchismus.at