Wolfgang Haug - Der Mythos der Brigaden und Milizen

Bei den Mitgliedern der Brigaden und Milizen handelte es sich zumeist mehr oder weniger um Freiwillige. Einschränken will ich das später, weil eine solche Feststellung schon Teil der Legendenbildung ist. So sehr der Anarchismus auf Freiwilligkeit basiert, so wenig sagt eine solche Haltung über die politische Zugehörigkeit und den politischen Willen eines Freiwilligen aus. Beginnen will ich deshalb mit einem deutschen Freiwilligen ganz anderer Art, namens Joachim Körner:

"Es wurden Freiwillige gesucht für die "Luftwaffenübung Rügen". Doch beim Begriff "Rügen" wußten alle, es geht um Spanien... Anfang Juli 1936 zogen die ersten Freiwilligen runter. Wir bekamen spanische Uniform, spanische Truppenausweise und einen spanischen Dienstgrad. Ich erhielt auch einen anderen Namen: Ich hieß dort Ernst Henning... Offiziell waren wir entweder vor dem Bürgerkrieg nach Spanien eingewandert oder hatten uns freiwillig zu Francos Truppen gemeldet." (1)

Dies zu Körners Vorgeschichte; warum ich gerade mit einem Mitglied der Legion Condor beginne, hat seinen Grund darin, daß er in bezug auf seine damaligen Feinde interessante Aussagen trifft:

"Durch Luftaufklärung konnten wir sehen, wo sich Interbrigadisten befanden. Die wurden möglichst nicht angegriffen. Die waren oft gut bewaffnet, ausgebildet und besaßen vor allem einen hohen Kampfeswillen. Wir versuchten stattdessen rauszufinden, wo sich Anarchisten, Anarchosyndikalisten bewegten. Die hielten die Festtage ein, gingen nach Feierabend ins nächste Dorf einen trinken und verließen die Stellung, wenn die Logistik nicht klappte oder die Munition zu Ende war. Da konnte man durchbrechen. Die Tatsache, daß die Anarchosyndikalisten manchmal einfach nach Hause liefen, hat der Republik" (einen ähnlichen Schaden zugefügt wie andererseits) "die Geheimpolizei der Kommunisten, die überall Spitzel und Verräter witterte und besonders wenig Vertrauen hatte zu den Ausländern in den Interbrigaden. Es hat sehr zur Niederlage beigetragen, daß durch die sowjetische Geheimpolizei so viele fähige Menschen umgebracht wurden. Für uns war es damals von Vorteil..." (2)

Die Mitglieder der Legion Condor wurden nach 8,9 Monaten ausgetauscht, damit möglichst viele deutsche Wehrmachtsangehörige Kriegspraxis bekommen konnten. Körner war von Herbst `38 bis Mai `39 in Spanien, also in der Endphase - und das ist nicht unbedeutend für seine Aussagen. Schon am 21. September `38 hatte der spanische Ministerpräsident Negrin vor dem Völkerbund in Genf erklärt, daß der internationale Konflikt auf einen innerspanischen reduziert werden sollte und dabei den Rückzug aller Ausländer verlangt, - einschließlich derer mit spanischen Papieren. Zwei Tage später wurden die Interbrigaden von der Front zurückgezogen, entwaffnet und demobilisiert. Tausende verließen Spanien noch vor der offiziellen Abschiedsparade am 15. November in Barcelona. Nur 2600 wurden in den Rückzugsgefechten vom 21.1. bis 9.2.39 in Katalonien nochmals bewaffnet. (3)

Viel persönliche Erfahrungen kann Körner also mit den Interbrigaden nicht mehr gesammelt haben. Was er erzählt ist demnach schon Mythos, - und wohl in mehrfacher Hinsicht. Er mischt damals wie heute bekannte Fakten - wie etwa die unterschiedlich gute Bewaffnung auf Seiten der Republik - mit damals wie heute existierenden Vorurteilen und Urteilen über die einzelnen Gruppen. D.h, die Mythenbildung lag nicht nur im Selbstdarstellungsinteresse oder der Legendenbildung der am Bürgerkrieg beteiligten Gruppen, sondern sie begann schon während der Ereignisse und ging damals weit stärker vom politischen Gegner bzw. militärischen Feind aus. Auch wenn der - heute friedensbewegte - Ex-Legionär Körner politisch einen weiten Weg zurückgelegt hat, so ist es kein Zufall, daß er gerade in Fragen der Disziplin heute wie damals dasselbe vertritt: die Anarchisten stehen für den Urbegriff von Chaos, also gehen sie einen trinken; die Interbrigadisten als alte Kader z.B. des Rot Frontkämpferbundes stehen für soldatische Disziplin, also haben sie einen "hohen Kampfeswillen". Doch - folgt man Peter Weiss - scheint diese Einschätzung eines Deutschen typisch deutsch zu sein und wiederum auf die deutschen Interbrigadisten anwendbar. So erklärt bei Peter Weiss ein englischer Interbrigadist in einer Diskussion über "Kadavergehorsam" seinen deutschen Mitkämpfern: "Das Preußentum ... ist jedoch immer noch, zum Leidwesen ausländischer Genossen, in den deutschen antifaschistischen Einheiten zu finden. Nicht, daß er gegen die harte Schule im Ausbildungslager sei,... sondern nur gegen eine Tradition, die dem Kampfgeist der Soldaten in Spanien nichts nütze. Skandinavier, nach verlustreichen Gefechten zurückgekommen, seien von deutschen Befehlshabern gestellt und auf korrekte Jackenknöpfung untersucht worden, und einige, die sich über die Verweise ungebürsteter Stiefel wegen empörten, hatten eine mehrtägige Arreststrafe erhalten." (4)

Wir müssen also vorsichtig sein, wenn wir nach den Produzenten von Mythen fragen. Sie entstanden sowohl in der konkreten Situation wie auch in der späteren Geschichtsschreibung aufgrund der Konkurrrenzsituation zwischen Kommunisten, Anarchisten, Sozialisten, Linksnationalisten oder POUMisten im Lager der Republik; Ursache waren politische Propaganda, Schuldzuweisung und vor allem die verschiedenen politischen Zielvorstellungen. Und letzteres erscheint mir der lohnenswerteste Zugang zum gestellten Thema.

Knüpfen wir an dem zuletzt Zitierten an, so handelte es sich ja um eine Kritik an soldatischem Drill seitens eines Interbrigadisten an Teilen von Interbrigadisten - und wohl nicht zufällig an Deutschen. Dies verdeutlicht, daß es nicht mit einer Gegenüberstellung etwa von anarchosyndikalistischen Milizen einerseits und Interbrigaden andererseits getan ist. Der genauer dokumentierte Fall eines deutschen Kommunisten (5), der aus den Interbrigaden aufgrund der Militarisierung zur Grupo International der anarchistischen Columna Durruti übertrat, mag beispielhaft belegen, daß es zahlreiche konkrete Probleme in den militärischen Einheiten gab, die sogar die politische Grundeinstellung der Einzelnen verändern konnten.

Trotzdem will ich die Unterschiede zwischen diesen beiden Militärerscheinungsformen ausführen, um die unterschiedliche Tendenz der Organisationsform und der damit verbundenen politischen Zielvorstellungen zu verdeutlichen. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, sei vorneweg festgestellt, daß meine Gegenüberstellung vereinfacht, und ich erhebe keinen Anspruch, für die Gesamtheit der Milizen Aussagen zu treffen, sondern beschränke mich auf die der anarchistischen Bewegung. Dabei handelt es sich in den Reihen der Milizen allerdings um die zahlenmäßig stärkste Gruppe. Patrick von zur Mühlen (6) bezifferte die Mitgliedszahl der anarchistischen Milizen zu Anfang auf ca. 12.000 von insgesamt 22.000. Damit folgt er dem deutschen Anarchosyndikalisten und IAA-Sekretär Helmut Rüdiger, der später von 86.000 Anarchisten unter Waffen sprach. Im Vergleich dazu gab es 200.000 Mitglieder von Volksarmee und Interbrigaden, wobei die Interbrigaden nach widersprüchlichen Quellen ungefähr 50.000 Mann gestellt haben dürften.

Wollten wir nun einfach das Pro und Contra für die Milizen oder die Volksarmee an der militärischen Effizienz messen, würden wir die Entstehungsbedingungen, die Zusammensetzung, die gesellschaftsverändernde Funktion, die politische Einflußnahme außer acht lassen und uns in die Legendenbildung einreihen. Es kann deshalb nicht um eine Erörterung gehen, die mit militärischen Erfolgen und Mißerfolgen argumentierend dem einen vor dem anderen den Vorzug gibt. Ich will sogar noch weiter gehen und behaupten, daß Milizen wie Volksarmee wie Interbrigaden eine unter dem Strich ähnliche militärische Bilanz aufzuweisen haben: Alle drei Variationen kannten Siege und Niederlagen und alle drei scheiterten in der Konsequenz, so daß es müßig wäre zu behaupten, es hätte eine Kriegswende gebracht, wäre das eine System dem anderen vorgezogen worden. Und wer anfangs noch meinte, in dem leichtsinnigen Enthusiasmus vieler Milicianos genügend Ursachen für die hohen Verluste zu erkennen und diesem mit eiserner Disziplin begegnen zu müssen, der mußte unter Umständen vor einer ganz anderen, nämlich "revolutionären Selbstdisziplin" den Hut ziehen, wenn sich gerade politische Einheiten in aussichtsloser Situation erbittert wehrten und durch ihren Widerstand anderen Luft verschafften (vgl. z.B. POUM-Miliz bei ihrem Widerstand in Sigüenza). "Enthusiasmus" und "revolutionäre Selbstdisziplin" hatten diesselbe Quelle. - Und selbst diejenigen, die - wie die Kommunisten - aus politischem Kalkül meinten, nicht die Revolution, sondern die legale bürgerliche Republik verteidigen zu müssen, sahen sich in scheinbar aussichtslosen Situationen gezwungen, eine revolutionäre Massenmobilisierung mitzuentfachen, weil es ohne eine solche Massenmobilisierang der Bevölkerung z.B. Madrids niemals gelungen wäre, die Stadt zu verteidigen.

Um eine Grundlage für die Diskussion zu schaffen, will ich Entstehungsgeschichte und Struktur von Milizen und Interbrigaden in ihren wesentlichsten Unterschieden kurz vergleichen. Vorausgeschickt sei als einleitendes Zitat die Aussage des deutschen Anarchosyndikalisten Hans Bronnen zur deutschen Centuria, der späteren Grupo International, in der Kolonne Durruti:

"Unsere Erich Mühsam Gruppe ist dagegen nur ein Häuflein von dreißig aufrechten deutschen Anarchosyndikalisten, die erst im Verlauf des Kampfes vor Huesca zu einer beachtlichen Centuria (Hundertschaft) anwachsen sollte. Unter einer schwarzroten Fahne, bestickt mit den Namenslettern unseres unvergeßlichen, im KZ Oranienburg von den Nazis bestialisch ermordeten Kameraden, werden wir in Aragonien unseren Mann stehen. Noch bevor wir dort den ersten Schuß abgefeuert haben, fallen wir wenigen schon auf durch unsere relativ gute militärische Ausrüstung: Ein schweres MG, Typ Maxim, mit ausreichender Munition, für jedermann Stahlhelm, Spaten und Tornister, Karabiner mit Patronengurt, etliche mit Pistolen, zur Verfügung aller sogar ein Binockel 10x50. Alles Beutestücke aus dem Straßenkampf der Barceloneser Juli-Tage 1936, abgerungen der dortigen Auslandsorganisation der NSDAP. Bei solchem Einsatz hatte sich unsere Kampfmoral bewährt. Nunmehr sollten wir auf dem Wege bis zu den Toren der aragonesischen Provinzhauptstadt auf eine weitere harte Probe gestellt werden, die nicht mehr von der Taktik des Straßenkampfes, sondern dem militärisch-strategischen Charakter eines revolutionären Bürgerkriegs diktiert wird."

Die anarchistische Miliz

  • entstand spontan und lediglich lokal organisiert im Abwehrkampf gegen den Putsch der Generale in Straßenschlachten, Kasernenbelagerungen etc.
  • veraltete Waffen und aus Kasernen eroberte Waffen rüsteten die Arbeiter und Arbeiterinnen aus, die an die Aragon-Front gingen und diese Front lange und mit geringer Unterstützung seitens der Republik hielten
  • die Milicianos/-as lernten ihre Waffen, Strategie und Taktik oft erst in der kriegerischen Auseinandersetzung selbst kennen
  • diese Armee von unten war kaum spezialisiert, hatte wenig schwere Waffen, lange keinerlei Luftunterstützung, wenig geschulte Berufssoldaten oder Offiziere
  • was sie hatte, war "revolutionärer Elan" und eine Vorstellung von einer herrschaftsfreien, egalitären Gesellschaftsordnung, und dies drückte sich aus in z.B.:
  • gleichem Lohn (10 Peseten pro Tag für alle)
  • gleiche Rechte und politisch-kulturelle Weiterbildung in Ruhestellungen
  • keine Rangunterschiede
  • Abschaffung des alten Militärstrafgesetzbuches
  • Frauenbeteiligung
  • Ausländerbeteiligung
  • Delegiertensystem
  • Abwahlmöglichkeit des Kommandeurs
  • problemloser Ein- und Austritt
  • wichtige Entscheidungen werden von allen diskutiert
  • eine Centuria kann - nach Diskussionen - auch Regierungsdekrete für sich außer Kraft setzen
  • mit diesen Prinzipien war das Milizsystem einerseits Ausdruck von und andererseits Mittel zur sozialen Revolution in Spanien und in seiner Bedeutung den Kollektivierungen und kulturrevolutionären Bestrebungen gleichzusetzen.

Innenpolitisch verdankte die Republik dieser Einrichtung ihr Überleben, - wollte sie aber auch zukünftig politisch überdauern, mußte sie alles dafür tun, diese Milizen in eine zentral gelenkte und kontrollierte Volksarmee zu integrieren. Aus dieser Konstellation erklärt sich, daß die offensichtlichen Schwächen des lokal entstandenen Milizsystems nicht als verbesserungsfähig erachtet wurden, sondern daß die ersten Niederlagen im August und September `36 sie sofort in den Mittelpunkt der Kritik rückten. Die Niederlagen verdeutlichten die Notwendigkeit überregionaler Planung und Koordination; deshalb wurden die eindimensionalen Forderungen nach einem "einheitlichen Kommando" sogar seitens der Anarchosyndikalisten laut. Diese Stimmung kam den Reorganisierungsplänen der Regierung entgegen. Das Stichwort von der "Militarisierung" beschreibt das politische Ende der Milizen, ihre praktische Integration in die Volksarmee und deren politische Implikationen (wie z.B. altes Militärstrafgesetzbuch, Paraden (!), Neu-Zusammensetzung einiger Kolonnen; Widerspruch zur antimilitaristischen Ideologie des Anarchismus, unnötige Konflikte innerhalb der anarchistischen Bewegung wie die Auflösung der "Eisernen Kolonne", die Entstehung der basisorientierten Gruppe der "Freunde Durrutis" aus ehemaligen Milizionären etc.).

Die Interbrigaden

entstanden zentral von der Kommunistischen Internationale - KI - organisiert; KP und KP-nahe Organisationen rekrutierten z.B. in Paris Arbeitslose ohne Perspektive, Kommunisten und politische Emigranten - in der Endphase auch mit Moral- und - schlimmer - Parteidruck. Vor ihrem Einsatz wurden die Truppen politisch überprüft, im zentralen Basislager Albacete ausgebildet und mit SU-Hilfe bewaffnet. Diese Armee von außen besaß verschiedene Waffengattungen, russische Flugzeuge und ausländische (darunter russische) Berufsoffiziere. Politkommissare kontrollierten die Mitglieder und erreichten nicht selten die Bedeutung der Kommandeure. Die innere Struktur der Interbrigaden verdeutlicht deren Orientierung auf den Kriegsgewinn als politisches Ziel:

  • kein gleicher Lohn
  • getrennte Küche für Mannschaft und Offiziere
  • keine Frauen
  • keine Soldatenräte
  • keine Diskussionsmöglichkeit
  • Ränge, und steigender Abstand zwischen Mannschaft und Offizieren
  • Kommandeure und Komissare von oben eingesetzt
  • altes Militärstrafgesetzbuch in Kraft
  • Austritt legal quasi unmöglich, weil alle Papiere von den kommunistisch kontrollierten Erfassungsstellen eingezogen worden waren.

Damit unterscheiden sich die Interbrigaden in ihrer inneren Struktur und ihrer politischen Zielvorstellung in nichts von der Ende 1936 neu organisierten Volksarmee der Republik - und das trotz ihres Mythos des Internationalismus, der Weltrevolution usw.

Ich habe schon erwähnt, daß der wichtige Prestigegewinn der Interbrigaden im Verteidigungskampf um Madrid wesentlich mit der revolutionären Massenmobilisierung zusammenhing. Auch der einzige große Sieg in der Guadelajara-Schlacht gelang unter Anwendung revolutionärer Methoden, die Teile von Mussolinis Soldaten zum Überlaufen brachten. D.h. die revolutionären Mitglieder dieser Einheiten waren durchaus von Nutzen; doch wurden sie - neben der 5. Armee - am besten von der KI kontrolliert, so daß ihre revolutionären Hoffnungen nicht in eine soziale Revolution münden konnten sondern funktionalisiert wurden.

Das Ende ihres Einsatzes lag wesentlich in den internationalen politischen Konstellationen begründet und dem damit zusammenhängenden russischen Desinteresse an einer Fortdauer der Auseinandersetzungen. Die "Freiwilligen"-Armee von außen verschwand, auch wenn einzelne Mitglieder perspektivlose politische Emigranten geblieben und nun beiderseits der französischen Grenze unwillkommen waren.

Diese sicherlich vereinfachte Darstellung der Grundtendenzen verdeutlicht immerhin die politische Aufgabe, die sich die Milizen selbst stellten bzw. die den Interbrigaden von der KI zugedacht war.

Da die anarchosyndikalistischen Milizen bereits Teil der sozialen Revolution waren und sich bewußt so verstanden, waren "Diskussionen" eine Selbstverständlichkeit. War selbst das "Trinken gehen" nachvollziehbar, weil die Kneipe im Dorf zum befreiten, kollektivierten Gebiet gehörte. Am Beispiel der Aragon-Front läßt sich zeigen, wie stark die Verankerung anarchistischer Milizeinheiten in der Bevölkerung war: die Milicianos wurden zum Essen ganz einfach bestimmten Bauernfamilien zugeteilt und einzelne halfen bei der Zubereitung der Speisen; die Kosten für das Essen - auch die für die Bauernfamilie - übernahm die jeweilige Milizeinheit. (8) Die "Gefährlichkeit" für das Hinterland und das Risiko für den einzelnen bei solchem Handeln wurde in anderen Momenten durch die hohe Motivation ausgeglichen, die daraus entstand, daß die Milizionäre jederzeit wußten, wofür sie kämpften und nicht nur wogegen. Auch nebensächlich scheinende Momente wie beispielsweise die Tatsache, daß Männer in einer Bauersfamilie kochen, in der trotz anarchistischer Theorie die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen sehr feststand, verdeutlicht den Sozialrevolutionären Charakter des Milizsystems. Daß die Frage der Motivation eigentlich eine militärische Binsenweisheit ist, will ich mit einem Zitat Schocholow (9) illustrieren, der in seinem Roman über den russischen Bürgerkrieg ausführt: "Die Idee ist die Hauptsache. Nur der siegt, der genau weiß, wofür er kämpft, und der an seine Sache glaubt. Diese Weisheit ist so alt wie die Welt, und du solltest sie nicht für deine Entdeckung ausgeben."

Die von allen Parteien, einschließlich der anarchistischen "Führer" (10), betriebene Militarisierung der Milizen entzog der anarchistischen Bewegung einerseits die Machtmittel für ihre sozialen Veränderungswünsche und untergrub bei den einzelnen anarchistischen Kämpfern - die Kämpferinnen wurden jetzt endgültig wieder nach Hause geschickt - das Wissen um das Wofür und damit die Identifikation mit den Zielen des Krieges. Dieser Prozeß begann schon Ende September ´36. Er wurde mit der Abschaffung des "Zentralkomitees der Milizen" am 1. Oktober fortgesetzt und endete mit der - auch zwangsweisen - Militarisierung der anarchistischen Milizen und deren Einbeziehung in die Volksarmee im Januar 1937; mit einher ging die Gründung eines Generalkomissariats und in dessen Gefolge die Einführung von Politkommissaren. Symbolisch in diesem Zusammenhang ist auch das Dekret über die Entwaffnung der Arbeiter vom 27.10.36.

Nimmt man den Vergleich zwischen Interbrigaden und anarchistischen Milizen an dieser Stelle noch mal auf und fragt nach der Reaktion auf die Militarisierung unter den Mitgliedern, so läßt sich die Orientierung an den politischen Zielsetzungen selbst unter diesen "realpolitischen" Maßnahmen nochmals beschreiben:

  • Die Interbrigaden galten als Vorbild für die Militarisierung. Im November 1936 wurden ihnen die anderen kommunistischen Miliz-Einheiten aus der Anfangszeit wie etwa die Centuria Thälmann zugeschlagen. Der Widerstand einzelner Soldaten brachte diese vor ein Kriegsgericht.
  • Die anarchistischen Milizen führten über die Frage der Militarisierung eine breite Diskussion; tauschten auf Delegiertentreffen die Meinungen aller anarchistischen Einheiten aus und entschieden sich schließlich im Januar 1937 mehrheitlich für die - von der CNT mitunterstützte - Militarisierung. Um bestimmte unanarchistische Auswirkungen zu unterlaufen, wurde jedoch beispielsweise darauf geachtet, daß die anarchistischen Einheiten nicht auseinandergerissen wurden oder daß der höhere Lohn von Rangträgern für anarchistische Projekte abgeführt wurde etc. Mitglieder, die trotzdem nicht einverstanden waren, verließen nach der Entscheidung ohne Schwierigkeiten die Front. Sie bildeten z.B. in Barcelona die Mehrheit der "Freunde Durrutis", die in den Maitagen (3.-6.5.37) wesentlich am Aufstand beteiligt waren. (11)

Sieht man diesen Auftstand im Mai 1937 als letzten Versuch der anarchistischen Basis, "ihre Revolution" zu retten, so verwundert die kampflose Aufgabe Barcelonas 1939 - also der Stadt mit den höchsten anarchistisch gesinnten Bevölkerungsanteilen - nicht. War in Madrid gerade mit revolutionären Parolen und unter der Voraussetzung einer schon geflohenen Regierung eine Massenmobilisierung zustande gekommen, so waren die revolutionären Hoffnungen der Einwohner Barcelonas, die eine siegreiche Revolution nach dem 19. Juli `36 schon vor Augen gehabt hatten, systematisch zerstört worden.

Zusammenfassend würde ich deshalb für die anarchistischen Milizen festhalten:

Die Militarisierung enthielt politische Implikationen, die mit den Erfordernissen des Krieges nichts zu tun hatten. Erkenntnisse aus unverantwortlichen Aktionen wurden bereits bewußt verarbeitet, die Umstellung vom Straßenkampf auf einen Stellungskrieg wurde erlernt und die Verbesserung der Ausbildung war bereits in Gang gekommen; - eine bessere Bewaffnung, mehr Koordination der Kommandoebenen zwischen Madrid und Barcelona, um z.B. eine Offensive an der Aragon-Front zu ermöglichen, hätte militärisch ausreichende Perspektiven eröffnet und wäre ohne Militarisierung erreichbar gewesen, was die hohe persönliche Identifikation der Milicianos mit den politischen Zielen nicht zerstört hätte.

Doch dies ist die Sicht von unten, die Perspektive für eine soziale Revolution in Katalonien und Aragon - eine solche Perspektive teilten die übrigen Spanier, darunter vor allem die Republikaner und Kommunisten, und die Sowjetunion nicht. Eine Realität, der sich die CNT-"Führer" glaubten nicht verschließen zu dürfen und die sie dazu bewog, an der eigenen Basis vorbei, gegenrevolutionäre Entscheidungen mitzutragen. (Inwieweit diese Bereitschaft der CNT auch an ihrer eigenen syndikalistischen Ideologie, an ihrer Wunschvorstellung einer wirtschaftlichen Gegenmacht aus CNT und UGT, der es politische Opfer zu bringen galt, gelegen hat, kann nicht Gegenstand dieser an den militärischen Einheiten orientierten Darstellung sein.)

Die offensichtlichen militärischen Schwächen des Milizsystems wurden von politisch Anderswollenden benutzt, um ein anderes kontrolliertes System der Verteidigung zu etablieren. Das Konzept der Volksarmee, der jahrgangsweisen Einziehung, der Politkommissare und der offiziell überparteilichen, aber kommunistisch gelenkten Interbrigaden stoppte die Revolution von unten. Die militärischen Erfordernisse wurden hochgespielt, um politische Positionen durchzusetzen und die soziale Revolution in die geordneten Bahnen der Republik zurückzulenken. Diese als Sachzwangpolitik ausgegebenen Umstrukturierungen entsprachen der Interessenpolitik der kommunistisch beeinflußten republikanischen Regierung.

Diese Feststellung sagt natürlich nichts aus über die subjektive Ehrlichkeit der einzelnen Interbrigadisten, die zum Teil jahrelang mittels der Sozialfaschismustheorie u.ä. von wirksamen Aktionen gegen den Faschismus abgehalten worden waren und nun meinten, es endlich mit ihrem wirklichen Feind zu tun zu bekommen. Sie konnten in einem militärischen Sieg wirklich ein politisches und revolutionäres Ziel erkennen, galt ihre Hoffnung doch Italien, Deutschland und der Weltrevolution. Daß sie die Revolution in Spanien kaum wahrnahmen, lag mit an der jahrelang praktizierten Abgrenzung von anderen politischen Positionen der Linken und einer gut in Szene gesetzten Kontrolle der KP. Daß sie nicht für die Weltrevolution kämpften ahnten nur wenige, und die, die es später gestanden, weil sie von den Moskauer Schauprozessen irritiert wurden, verdrängten diese Zweifel gerade angesichts des konkreten Kampfes gegen den wirklichen Feind. Wer nicht mehr genau wußte, wo überall dieser Feind zu Hause war, hielt sich umso sklavischer an den Mythos von den "Faschisten" - auch wenn damit die Nachbarmiliz der POUM gemeint war.

Ausschnittweise - und nur darum konnte es sich hier handeln - habe ich Klischeemythen deutscher Art über Anarchisten, Interbrigaden, politische Mythen über die Militarisierung und solche über die vorgebliche Ernsthaftigkeit der revolutionären Absicht behandelt. Es wäre ein leichtes, viele weitere Mythen im spanischen Bürgerkrieg aufzuzeigen; ins Auge springen sie bei der politischen Selbstdarstellung der Gruppen. Unzählige Beispiele von enthusiastischen, aber sinn- und verantwortungslosen Heldentaten könnten nacherzählt werden. Aber - so sehr es dem gestellten Thema entsprechen würde - kann es nicht meine Absicht sein, solche Einzelaktionen zu denunzieren, denn all diese - objektiven - Sinnlosigkeiten drücken auch etwas Positives aus: das Lebensgefühl, die Begeisterung und Hoffnung dieser Menschen. Und daß dieses Lebensgefühl angesichts einer solchen Kriegssituation vielleicht unangebracht ist, will ich seinen Urhebern nicht anlasten.

Um nun nicht für auf dem anarchistischen Auge blind gehalten zu werden, will ich zum Schluß nochmal auf die Anfangsphase der spanischen Revolution zurückkommen: Interessieren wird in unserem Zusammenhang die politische Funktion des "Zentralkomitees der Milizen", das am 23.7.36 gebildet worden war.

In der Sprachregelung der Anarchisten bildete es das eigentliche Machtzentrum, das die wirklichen Entscheidungen traf und an das sich die alte Katalanische Regierung, die Generalität, lediglich anlehnte. Diese Regierung - so sahen es die Anarchisten - hatte nur noch die taktische Funktion, das Ausland zu beruhigen. Das Milizkomitee übernahm die Organisation der Gesellschaft, wie es der spanisch-argentinische Anarchist Abad de Santillan, der 1983 starb, formulierte; ich zitiere nach Semprun-Mauras Buch "Revolution und Konterrevolution in Katalonien":

"Das Komitee hat sehr weitgehende Befugnisse:

  • Einführung der revolutionären Ordnung in der Etappe;
  • Organisation von mehr oder weniger gut geführten Truppen für den Krieg;
  • Ausbildung von Offizieren;
  • Schulen für Nachrichten- und Signalwesen;
  • Verproviantierung und Bekleidung;
  • wirtschaftliche Organisation und gesetzgebende und gerichtliche Tätigkeit;


das Milizkomitee war alles und sorgte für alles;

  • Umstellung der Friedens- auf Kriegsindustrie;
  • Propaganda;
  • Beziehungen zur Zentralgewalt in Madrid;
  • Hilfeleistung an alle Kampfzentren;
  • Beziehungen zu Marokko;
  • Bewirtschaftung des zur Verfügung stehenden Bodens;
  • Gesundheit;
  • Überwachung der Küsten und der Grenzen

so stellten sich uns die verschiedenartigsten Probleme zu Tausenden." (12)

Ich kürze diese Ausführungen hier ab, denn es wird schon deutlich, daß wir es hier mit den Funktionen einer Regierung zu tun haben. Es findet sich auch im weiteren Verlauf keine Korrektur für den Eindruck, daß wir es hier mit einer Organisierung nach unten zu tun haben. Eine Richtungsangabe, die sehr wenig mit anarchistischen Prinzipien gemein hat. Doch damit nicht genug: Unter Komitees werden häufig zu recht Räte verstanden, also eine Versammlung von Delegierten, zumeist Arbeiterdelegierten. Dabei delegiert eine Basis in offener Abstimmung ihren Vertreter für eine Versammlung auf der Entscheidungen getroffen werden. Eine Methode, mit der die CNT auf ihren Kongressen hunderttausende von Mitgliedern repräsentierte und die sie zur Grundlage der Betriebsführung und der kommunalen Selbstverwaltung gemacht hat bzw. machen wollte. Die Delegierten des Zentralkomitees der Milizen jedoch wurden nie gewählt, sondern von der Gewerkschaftsspitze bzw. den Parteispitzen bestimmt.

Das Komitee war politisch notwendig geworden, als die Anarchisten gemäß ihrer führenden Rolle bei der Niederschlagung des Putsches in Katalonien faktisch die Macht in Händen hielten, sich aber nicht der alten Regierungsformen bedienen wollten. Sie waren damals noch selbst- und machtkritisch genug, um die schwächeren Gruppen der Linken überproportional am Zentralkomitee zu beteiligen. Dies mag für die Übergangsphase vom 19.7 bis zum 23.7. auch ein ganz akzeptabler Vorgang gewesen sein; ganz unverständlich bleibt jedoch, daß die Anarchosyndikalisten noch nicht einmal den Versuch machten, dieses wichtige Politikinstrument von der Basis her zu legitimieren. Es wurde somit auf Dauer von den Funktionären der jeweiligen Organisationen beherrscht, so daß als Fazit bleibt, daß die so staatskritischen Anarchisten, die sich aufgrund der späteren Regierungsbeteiligung in zwei Lager spalteten, schon in der Anfangsphase fast unbemerkt eine Junta bilden ließen. Eine Regierungsform, die sie wohl unproblematisiert ließen, weil für spanische Anarchisten die drei mythosbeladenen Begriffe ("CNT", "Miliz", "Komitee") den Basischarakter schlechthin symbolisierten und in Form der lokalen Komitees praktisch darstellten. Die Nichtabsicherung durch die Basis erklärt jedoch das politische Verschwinden dieser Revolutionsregierung am 1. Oktober 1936, frühzeitig und ohne nennenswerten Widerstand, wohl weil die CNT-"Führung" am 27.9.36 durch ihren Eintritt in die katalanische Regierung, die ehemals machtlose Generalität, die politische Funktion dieser neugeschaffenen Institution scheinbar überflüssig machte.

Fußnoten:
1.) Joachim Körner: Legion Condor, Interview mit Welf Schröter, in: Sonderheft der TÜTE zum Spanischen Bürgerkrieg, Tübingen 1986; S.31f.
2.) ebd., S.32
3.) Patrick von zur Mühlen: Spanien war ihre Hoffnung, Bonn 1983, S.205f.; Hugh Thomas: Der spanische Bürgerkrieg, Frankfurt/Berlin 1961, S.429f.
4.) Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands, Frankfurt 1983, S.262
5.) Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Akte Nr.26159 Karl Hamann
6.) Patrick von zur Mühlen: Spanien war ihre Hoffnung, Bonn 1983, S.89
7.) Hans Bronnen (Pseud.): Manuskriptauszug aus "Mit der Centuria "Erich Mühsam" vor Huesca. Erinnerung eines Spanienkämpfers", Original im Privatbesitz, Kopie beim Verfasser. Vgl. auch Berichte in der Zeitschrift "Soziale Revolution" der Gruppe DAS in Barcelona 1936/37 (Mikrofilme im IISG Amsterdam)
8.) Thalmann, Paul und Clara: Revolution für die Freiheit, Grafenau 1987, S. 176f.
9.) Michail Schocholow: Der Stille Don, Zürich 1943
10.) Interview mit "Spain and the World", S .30f., Offener Brief an die Genossin Federica Montseny, S.39f.; in: Camillo Berneri in: Klassenkrieg in Spanien 1936/37, Hamburg 1974;
11.) IISG Amsterdam, Archivmaterial zur Grupo International und zur Gruppe DAS (Deutsche Anarchosyndikalisten) vor allem im Nachlaß von Rudolf Rocker, im CNT-Archiv und im FAI-Archiv
12) Carlos Semprun-Maura: Revolution und Konterrevolution in Katalonien, Hamburg 1983, S.50. Zuerst erschienen: Diego Abad de Santillan: Warum wir den Krieg verloren haben, 1940, S. 195
13) Wolfgang Haug: Geschichtsschreibung gegen Mythenbildung, in: Schwarzer Faden 3/83, S.48f.

Aus: Thomas Kleinspehn / Gottfried Mergner (Hg.): Mythen des Spanischen Bürgerkriegs. Trotzdem-Verlag, 1996. Digitalisiert von www.anarchismus.at mit freundlicher Genehmigung des Trotzdem-Verlags.


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