I.W.W. - Das ABC des revolutionären Unionismus

Seit 1970 hat sich in der Welt viel verändert. Eine Verteilung der Reichtümer in zuvor unbekanntem Ausmaß hat Millionen von Menschen arm gemacht, während sie eine Handvoll so reich gemacht hat, wie es sich früher nicht einmal hätte träumen lassen. Hier sind die Fakten:

  • Die 340 Milliardäre der Welt verfügen über mehr Reichtum als die 2 Milliarden der ärmsten Menschen zusammen. Tagtäglich verhungern Menschen, wird die Natur ausgebeutet und kulturelles Leben zerstört. Und wozu? Um einige Tausend reich und mächtig zu machen.
  • Wir haben den Zusammenbruch des so genannten kommunistischen Systems erlebt und das Umsichgreifen eines Freien-Markt-Systems, das so anders gar nicht ist.
  • Die Industrialisierung verschiebt sich in die früheren sozialistischen Länder und die „Entwicklungsländer“. Die Folge sind Sweatshops und Raub von Ressourcen in enormem Ausmaß.

Die Industrial Workers of the World (IWW oder Wobblies) sind eine revolutionäre Gewerkschaft, die es seit 1905 gibt. Die IWW wurde von nordamerikanischen ArbeiterInnen der Basis gegründet, die sich eine wirklich radikale, demokratische Gewerkschaft wünschten.

Unter den Gewerkschaften sind die Wobblies berüchtigt und Bosse fürchten uns. Aufgrund unserer demokratischen Struktur, unserer flexiblen Taktiken, unserer Solidarität und unserer Zukunftsvision bleibt der Einfluss der IWW auf der ganzen Welt spürbar.

Heute wird die IWW sogar noch mehr gebraucht als früher. Wir hoffen, dass dieser Einführungstext in unsere Gewerkschaft euch dazu anregen wird, euch mit uns zusammenzuschließen, um die One Big Union für alle ArbeiterInnen zu formen und die Plage des Kapitalismus und der Klassengesellschaft ein für alle Mal zu überwinden.

A. Prinzipien

1. Die Präambel

Die Präambel zur Verfassung der IWW ist die Grunderklärung unserer Prinzipien:

Die arbeitende Klasse und die arbeitgebende Klasse haben nichts gemeinsam. Es kann keinen Frieden geben, solange unter Millionen von Arbeitenden Hunger und Not herrscht und die Wenigen, aus denen die arbeitgebende Klasse besteht, alle guten Dinge des Lebens besitzen. Zwischen den beiden Klassen wird es einen Kampf geben, bis die ArbeiterInnen der Welt sich als eine Klasse organisieren, die Erde und die Produktionsmittel in Besitz nehmen, das Lohnsystem abschaffen und in Harmonie mit der Erde leben.

Wir denken, dass die Zentralisierung des Industriemanagements in immer weniger Hände die meisten Gewerkschaften unfähig macht, der immer größer werdenden Macht der arbeitgebenden Klasse etwas entgegenzuhalten. Die Gewerkschaften stützen eine Situation, die es erlaubt, ArbeiterInnen derselben Industrie gegeneinander auszuspielen. Außerdem helfen die Gewerkschaften den Arbeitgebern, die ArbeiterInnen glauben zu machen, dass die arbeitgebende und die arbeitende Klasse gemeinsame Interessen hätten.

Nur eine Organisation, in der alle Mitglieder, egal welcher Abteilung, zu arbeiten aufhören, wann immer es irgendwo einen Streik oder eine Aussperrung gibt, kann diese Bedingungen ändern und die Interessen der Arbeiterklasse aufrechterhalten. Ein Unrecht an einem/einer ist ein Unrecht an allen.

Anstelle des konservativen Mottos „Gerechter Lohn für gute Arbeit!“ müssen wir die revolutionäre Losung „Abschaffung des Lohnsystems!“ auf unsere Fahnen schreiben.

Es ist die historische Mission der Arbeiterklasse, den Kapitalismus zu zerstören. Die Armee der ArbeiterInnen muss organisiert sein, nicht nur für den alltäglichen Kampf gegen die Kapitalisten, sondern auch, um die Produktion nach dem Ende des Kapitalismus weiterzuführen. Indem wir uns industriell organisieren, formen wir die Struktur einer neuen Gesellschaft im Rahmen der alten.

Der Kapitalismus spielt die ArbeiterInnen der Welt und ihre verschiedenen Lebens-und Arbeitsbedingungen gegeneinander aus. Um die Macht des global agierenden Kapitals zu brechen, gibt es kein anderes Mittel als die Globalisierung von unten, den solidarischen und Grenzen sprengenden Zusammenschluss von ArbeiterInnen aller Kontinente.

2. Die Emanzipation der ArbeiterInnenklasse

Die IWW glaubt, dass wir eine neue Welt durch das Praktizieren gemeinsamer Solidarität schaffen. Durch Solidarität wird es zu einer freien Welt kommen, in denen die guten Dingen des Lebens allen zugänglich sein werden. Ja, die IWW ist radikal. Sie ist radikal wie eine Wissenschaftlerin, die in ihrem Labor forscht, wie ein Chirurg, der eine Operation vorbereitet, wie LehrerInnen, die die Wahrheit sagen. Alles, was das heutige Leben besser als das gestrige macht, ist der Radikalität zu verdanken. Die Radikalität ist die einzige Kraft, der es möglich ist, die Welt vom Dunkel des Hungers, des Hasses und der Angst zu befreien. Wir zielen auf die Zerstörung des Kapitalismus ab, da der Kapitalismus eine unglückliche Welt geschaffen hat, die unsere Träume, unsere Familien, ja die Welt selbst vergiftet, damit die Reichen immer noch reicher werden können.

3. Die IWW ist nicht politisch definiert

Die IWW ist als Organisation nicht politisch definiert und mischt sich nicht in die politischen Überzeugungen oder Aktivitäten ihrer MitgliederInnen ein. Sie verlangt nur, dass politische Ansichten zu keinen Spaltungen innerhalb der Gewerkschaft führen. Dies erlaubt ArbeiterInnen mit verschiedenen politischen Überzeugungen sich im Kampf zu vereinen, um ihre ökonomischen Interessen durchzusetzen. Die IWW konzentriert sich auf direkte ökonomische Aktionen (Streiks, Arbeitsniederlegungen, Boykotte), da die Geschichte zeigt, dass die politische Macht in den Händen derjenigen liegt, die auch die ökonomische Macht innehaben. Die IWW glaubt, dass alles, was ArbeiterInnen von PolitikerInnen gegeben wird, genau so schnell wieder weggenommen werden kann – vielleicht sogar mit Zinsen. Nur das, was die ArbeiterInnen aufgrund ihrer eigenen ökonomischen Stärke gewinnen, kann auch wirklich behalten werden. Die IWW hat gelernt, dass wir als ArbeiterInnen nur kämpfen und die Bosse besiegen können, wenn wir uns alle als Klasse vereinen. Anstatt unsere Energien in internen Streitigkeiten um Parteien oder politische Linien zu vergeuden, setzen wir sie für den Kampf gegen unsere Bosse ein, und zwar dort, wo es zählt: am Arbeitsplatz.

4. Die IWW ist nicht religiös definiert

Die IWW hat keine religiöse Ausrichtung und mischt sich nicht in die Glaubensangelegenheiten ihrer MitgliederInnen ein. Diese sind Teil der menschlichen Freiheit, und die IWW strebt danach, Freiheit auszudehnen, nicht sie einzuschränken.

B. Wie die IWW organisiert ist

One Big Union: Die IWW glaubt, dass sich ArbeiterInnen in einer großen Gewerkschaft, der One Big Union (OBU) organisieren müssen, um ihre gemeinsamen Interessen verteidigen und die Ökonomie kontrollieren zu können.

Industrieller Unionismus:
Die IWW hat immer geglaubt, dass die Organisation auf der Basis von Fach oder Beruf Trennungen und Rivalitäten unter ArbeiterInnen wie unter verschiedenen Gewerkschaften schafft. Deshalb organisieren wir uns in 27 breiten Industriegewerkschaften, die versuchen, alle ArbeiterInnen einer bestimmten Industrie zu vereinen.

Lokale Organisation:
MitgliederInnen der IWW können verschiedene Arten von Gruppen formen: eine IWW-Betriebsgruppe an einer Arbeitsstelle; eine IWW-Branchengruppe für MitgliederInnen derselben Industriegewerkschaft; eine IWW-Ortsgruppe, die sich aus einzelnen MitgliederInnen verschiedener Industriegewerkschaften zusammensetzt; eine IWW-Lokalföderation, die die Aktivitäten der jeweiligen Branchen koordiniert.

Regional:
MitgliederInnen der IWW können in jeder Region ein Regionales Organisationskomitee (ROK) gründen, um die IWW-Aktivitäten der Region zu koordinieren.

Weltweit: Die IWW ist dieselbe Organisation in Sydney oder Sierra Leone, Moskau oder Vancouver. Wir haben dieselben Grundsätze und Statuten in jedem Land. In der gegenwärtigen Welt des „Freihandels“ und der multinationalen Konzerne ist dies der einzig sinnvolle Weg, sich zu organisieren.

Ein Grundpfeiler der IWW ist der Glaube, dass die ArbeiterInnen der Basis die Gewerkschaft und ihre VertreterInnen kontrollieren müssen, anstatt von ihnen kontrolliert zu werden. Keine Gewerkschaft kann eine Gewerkschaft der Basis sein, wenn sie die Freiheit ihrer MitgliederInnen einschränkt oder Minderheiten durch eine Reihe unnötiger Regeln mundtot macht. Daher gibt es in der IWW nicht mehr Regeln als notwendig sind. Wichtige Fragen, inklusive die Wahl der GewerkschaftsvertreterInnen, werden im Abstimmungsverfahren von den MitgliederInnen entschieden. VertreterInnen, die es verabsäumen, die Anliegen der Mehrheit zu vertreten, werden unmittelbar abgesetzt.

International gewählte Positionen in der IWW beinhalten die MitgliederInnen des siebenköpfigen General Executive Boards (GEB) und den/die General Secretary Treasurer (GST – IWW-SchatzmeisterIn). Das GEB ist die Körperschaft, die die Aktivitäten der IWW zwischen den Mitgliederversammlungen überblickt, sowie den Arbeitsalltag, die Finanzen und Publikationen der IWW. Der oder die GST übersieht die Bücher, Papiere und Vermögenswerte des Büros und ist verantwortlich für die offiziellen Dokumente und die Korrespondenz. Die Gehälter der VertreterInnen und Angestellten der Gewerkschaft entsprechen dem durchschnittlichen Lohn der Mitglieder der jeweiligen Industrie. Gemeinsam mit der Limitierung der Amtsperioden reduziert dies die Möglichkeit der Bildung einer Klasse von GewerkschaftsbürokratInnen, die den ArbeiterInnen der Basis die Macht nehmen. Die meiste Arbeit in der IWW wird unbezahlt geleistet, da die Organisation aus ArbeiterInnen besteht, die an ihre Bewegung glauben und gerne ihr Äußerstes tun, um zu ihrem Wachsen beizutragen. Während die Struktur und Verfassung der IWW entschieden demokratische Werte verteidigen, kann kein Gesetz diese sichern oder zurückgewinnen, wenn einmal der Wille, für sie zu kämpfen, verloren gegangen ist. Die Wurzel der Freiheit ist nicht das Gesetz, das Menschen jederzeit ändern können – die Wurzel der Freiheit sind die Menschen selbst.

C. Methoden und Taktiken

1. Flexibilität

Die IWW ist berühmt dafür, dass sie viele neue und innovative Formen entwickelt, die Bosse zu bekämpfen. Wir glauben, dass der Schlüssel für den Sieg der Arbeiterklasse Flexibilität, Kreativität und ein Verständnis unserer eigenen Macht als ArbeiterInnen sind. Im Herzen unseres Glaubens liegt die Vorstellung, dass ArbeiterInnen – die Mehrheit der Menschheit – jedes Recht haben, ihr eigenes Leben und die Gesellschaft zu kontrollieren. Eine IWW-Aktion am Arbeitsplatz kann jede Form annehmen: von einer spontanen Arbeitsniederlegung bis zu einer legal anerkannten Gewerkschaftsbildung. Wir anerkennen, dass wir manchmal Arbeitsrechte zum Schutz von ArbeiterInnen gegen die Angriffe ihrer Bosse bemühen müssen. Aber auf lange Sicht gesehen, glaubt die IWW, dass ArbeiterInnen den Kampf um die Demokratisierung des Arbeitsplatzes selbst bestimmen müssen.

Wir glauben, dass es in unserem Kampf besser ist, sich auf uns selbst zu verlassen anstatt auf andere. Dem entspricht auch das Prinzip der „direkten Aktion“, das viele Formen annehmen kann. Eine direkte Aktion kann einfach oder kompliziert sein, spontan oder lange geplant. Der Punkt ist, dass wir unser eigenes Schicksal bestimmen. Dies können wir nur tun, wenn wir uns gemeinsam organisieren.

2. Solidarität

Die Bedürfnisse und Interessen der arbeitenden Klasse sind den Bedürfnissen und Interessen der arbeitgebenden Klasse entgegengesetzt. Als Individuen mögen ArbeiterInnen mit ihren Bossen etwas gemein haben. Es geht uns nicht um Rache gegen die Kapitalisten, nur darum, dass sie beginnen, ehrlich zu arbeiten. Wir, die ArbeiterInnen, haben die Macht, uns die Dinge, die wir brauchen, zu nehmen, indem wir gemeinsam auf unser Ziel hin arbeiten. Das ist Solidarität. Unsere Solidarität überschreitet dabei alle Grenzen von Rasse, Ethnie, Geschlecht, Nation, Religion, Alter, sexueller Ausrichtung, Sprache, Erziehung und Beruf. Diese Trennungen schwächen uns in unserem gemeinsamen Kampf um eine bessere Welt. Der einzige Weg, um als Klasse zu gewinnen, besteht darin, zu erkennen, was uns trennt, diese Trennungen zu überwinden und uns gegen die Bosse zusammenzuschließen. Ein Unrecht an einem/einer ist ein Unrecht an allen!

3. Wir sind alle Anführer!

Die IWW lehnt „Anführer“ als solche ab, da Menschen, die führen, auch in die Irre führen können. Die Arbeiterklasse wurde immer und immer wieder von Anführern verraten, denen sie traute und folgte. Sie wird nur dann nicht mehr verraten werden, wenn sie sich von Ideen anstatt von Menschen führen lässt. Wie Eugene Debs, einer der Gründer der IWW, sagte: „Alle Menschen, die in eine Revolution geführt werden, können auch wieder aus ihr herausgeführt werden.“ Doch es gibt Menschen, die eine besondere Fähigkeit haben, Ideen zu präsentieren und Taktiken zu entwickeln, die den Bedingungen angemessen sind. Die besten unter ihnen wünschen jedoch nicht zu führen und sie werden nicht blind folgen. Innerhalb der IWW werden solche Charakteristika ausgebildet und gefördert – zum Teil, weil die IWW eine Basisorganisation ist, zum Teil aufgrund der gemeinsamen Erfahrungen ihrer MitgliederInnen, zum Teil weil ArbeiterInnen intelligent und initiativ sind.

4. Gewaltlosigkeit

Die Gewalt ist immer von den Arbeitgebenden ausgegangen, und die IWW lehrt nur, was das Gesetz bestätigt: nämlich dass die Arbeitenden das Recht haben, sich selbst zu verteidigen. Während der späten 1980er Jahre konnte die Welt den Zusammenbruch der Polizeistaaten Osteuropas beobachten. Diese Staaten brachen zusammen, als Menschen von allen Klassen sich weigerten, sie weiter zu stützen. Dasselbe wird passieren, wenn wir ArbeiterInnen uns weigern, den Kapitalismus weiter zu stützen. Deshalb ist Gewalt nicht notwendig. Alles, was notwendig ist, um die Welt zu gewinnen, ist, dass wir die Arme verschränken und den Generalstreik ausrufen.

5. Mitgliedschaft

Die Mitgliedschaft in der IWW beruht auf drei einfachen Dingen:

  1. Seid ihr ArbeiterInnen, die nicht die Macht haben, anzustellen und zu feuern?
  2. Stimmt ihr mit der Präambel der IWW überein?
  3. Erklärt ihr euch bereit, den Prinzipien und Zielen der IWW zu folgen?


Wenn ihr diese drei Fragen mit einem Ja beantworten könnt, könnt ihr Mitglieder der IWW werden.

Von Morgan Miller, Übersetzung von Gabriel  Kuhn

Originaltext: www.wobblies.de (PDF)


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