Instruktion zur Bildung von revolutionären Betriebsräten! (1919)
Einer von vielen programmatischen Entwürfen aus der Zeit der Münchener Räterepublik, laut Textquelle von den rätekommunistischen "Revolutionären Räterepublikanern Münchens".
1.) Der Betriebsrat des Werkes, der Fabrik, der Werkstatt ist die revolutionäre Klassenorganisation der Proletarier gegenüber dem Unternehmer, dem Aufsichtsrat, der Gewerkschaft und allen anderen untergeordneten Organen des Kapitals.
2.) Bis zur Vergesellschaftung der Produktionsmittel, durch eine proletarische Republik, ist der Betriebsrat das beratende und vollziehende Organ in allen Werk- und Betriebsangelegenheiten, und Kontrollorgan der Proletarier über die kapitalistische Geschäftsführung.
3.) Seine Aufgabe ist die Verteidigung aller revolutionären Positionen des Proletariats und die Erkämpfung neuer, welche den endgültigen Sieg des Proletariats über das ausbeutende Kapital, seinen gegenrevolutionären Regierungs- (Unterstützung)-Apparat, sei er nun in den Händen der ausbeutenden Bourgeoisie selbst oder seiner scheinsozialistischen Lakaien, beschleunigen und schließlich besiegeln können. Diese Aufgaben sind politischer, wirtschaftlicher und sozialer Natur.
4.) Das Proletariat kann seine Macht nicht mit dem imperialistischen Kapital und seinen untergeordneten und parasitären Organen teilen, sowenig wie das Kapital unter der gesetzlichen Diktatur der Bourgeoisie seine Macht mit dem Proletariat teilt. Wenn sich die Angestellten nicht als Beauftragte und untergeordnete Organe des Kapitals fühlen und sich nicht als parasitäre Berufsklasse zwischen die beiden um die Existenz und die Macht kämpfenden Klassen eindrängen, werden sie immer wieder solidarisch als Ausgebeutete mit der Klasse der ausgebeuteten Proletarier marschieren und kämpfen, und brauchen deshalb keine eigene Klassenvertretung. Als feindliche parasitäre Klasse haben sie aber keinen Anspruch auf eine Vertretung in der revolutionären Klassenorganisation des Proletariats, weil sie den Vormarsch der Revolution nur lähmen und verraten würden.
5.) Der Betriebsrat wird von allen arbeitenden Proletariern mit Einschluss der Lehrlinge und Lehrmädchen im Werke, im Betriebe selbst gewählt und es ist unzulässig die Wahl außerhalb des Betriebes vorzunehmen.
6.) In großen Betrieben und Werken wählt jede Werkstatt mit Einschluss des Schreib- und Büropersonals einen Delegierten.
7.) Zählen die zentralen Verwaltungskontore 100 und mehr Angestellte, dann wählen sie einen eigenen Delegierten.
8.) Werkstätten, Kontore und Bureaux unter 100 Arbeitern und Angestellten, werden mit der nächstverwandten Werksatt oder der nächstverwandten Gruppe zusammengelegt, z.B. die Schmiede mit der Schlosserei.
9.) Mittlere Betriebe, wo die Werkstätten und Kontore unter 100 Arbeiter und Angestellte zählen, wählen die Delegierten kollektiv, sodass auf je 100 Ausgebeutete ein Delegierter entsendet wird.
10.) Betriebe mit 50 bis 100 Ausgebeuteten wählen einen Betriebsrat.
11.) Betriebe mit weniger als 50 Ausgebeuteten wählen nach Branchen zusammengelegt. Jeder Betrieb oder jede Werkstatt wählt einen Vertrauensmann und die Vertrauensleute wählen einen Betriebsrat auf je 100 Ausgebeutete. Dabei sind die Betriebe nach Straßen und Vierteln zusammenzulegen.
12.) Selbständige Handwerker, welche keinen Proletarier, auch nicht in der Heimarbeit ausbeuten (Familienmitglieder), wählen mit und zwar, weil sie sich nicht selbst als Vertrauensleute wählen können, durch Organisationen nach Straßen und Vierteln. Auf je 100 von ihnen sollen sie einen Betriebsrat wählen.
13.) Der Delegierte zum Betriebsrat, der Betriebsrat oder der Vertrauensmann darf kein untergeordnetes Vertrauensorgan des Kapitals (Meister, Vorarbeiter) sein und auch in keinem abhängigen Lehrverhältnis zu anderen Ausgebeuteten stehen, ebenso wenig darf er selbständiger Meister oder Ausbeuter sein.
14.) Das Mandat der Delegierten, Betriebsräte und Vertauensleute dauert nur so lange bis sie von ihren Auftraggebern abberufen werden.
15.) Der Betriebsrat und die Vertrauensmänner sind für ihre gesamte Tätigkeit ihren Auftraggebern, den Proletariern verantwortlich. Sie haben ihnen regelmäßige Berichte über Tätigkeit und Verhandlungen in Versammlungen zu erstatten. Sie haben ihnen ihre Beschlüsse zur Annahme vorzulegen und bei allen Aktionen haben sie ihre Auftraggeber zu befragen, welche endgültig über Annahme oder Verwerfung entscheiden.
16.) Zur Durchführung aller Massenaktionen treten die Betriebsräte und Vertrauensleute in gegenseitige Verbindung, um durch die Solidarität aller Proletarier die höchste proletarische Energie zu erreichen. Durch regelmäßige Konferenzen haben sie immer den Kontakt mit allen Proletariern zu erhalten.
17.) Bei allen Werkstattangelegenheiten ist der Delegierte seinen Auftraggebern ebenso verantwortlich, wie der Betriebsrat der Belegschaft verantwortlich ist.
18.) Die Tätigkeit des Betriebsrates in größeren Werken, wo er aus mehreren Delegierten besteht, ist kollegial und einheitlich, weil auch das Werk eine einzige arbeitende Einheit ist. Die Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefasst.
19.) Das Werk hat dem Betriebsrat zur Ausübung seiner Funktionen ein Büro mit allen Zubehör, eventuell notwendigen Kräften zur Verfügung zu stellen.
20.) Der Betriebsrat kontrolliert die gesamte Geschäftsleitung des Werkes und die Organe und Angestellten des Kapitals strenge Rechenschaft schuldig durch Vorlegung der Bücher und Belege.
21.) Der Betriebsrat kann auch in den Produktionsprozess eingreifen, wenn er sieht, dass mit den vorhandenen Mitteln unökonomisch gehandelt wird, durch Preisschleuderei, Bestechung, unwirtschaftlichen Einkauf nach kapitalistischen Konnexionen, besonders aber, wenn durch die Produktion und Lieferung von Unterdrückungsmitteln das Proletariat selbst bedroht wird, oder bei direkter und indirekter Sabotage des Kapitals.
22.) Der Betriebsrat greift auch überall in die Produktion ein, wenn die menschliche Gesundheit durch verfälschte Lebensmittel usw. bedroht wird.
23.) Zur Sicherung der Produktion, der Löhne und Gehälter usw. kann der Betriebsrat auch Bankguthaben sperren,
24.) Zur Sicherheit des Betriebes und der Ausgebeuteten kann der Betriebsrat den Organen des Kapitals den Eintritt in den Betrieb verweigern.
25.) Dafür ist der Betriebsrat für den geregelten Gang der Produktion den Proletariern verantwortlich.
26.) Entlassung und Einstellung von Arbeitern und Angestellten und sonstigen Untergeordneten des Kapitals (Werkmeister, Vorarbeiter) erfolgt durch den Betriebsrat.
27.) Festsetzung der Löhne und Gehälter und die Kontrolle über deren ordnungsgemäße Zahlung erfolgt durch den Betriebsrat. Abzüge dürfen ohne seine Zustimmung nicht erfolgen.
28.) Die Festsetzung der notwendigen Arbeitszeit, sowie ihre Verteilung, der Überstunden, der Arbeitsschichten, einzulegende Feierschichten erfolgt durch den Betriebsrat.
29.) Der Betriebsrat bestimmt über Beibehaltung oder Unterdrückung der Accordarbeit oder Prämiensysteme und setzt die Höhe der Accorde oder Prämien fest.
30.) Der Betriebsrat bestimmt über die Zahlung von Tantiemen und setzt deren Höhe fest, wann deren Gewährung im Interesse der Produktion nötig ist.
31.) Die Dividenden, Bonus, Ausgabe von Gratifikationen dürfen nur im Einverständnis mit dem Betriebsrat festgesetzt und ausgegeben werden.
32.) Bei Ausgabe von Aktien, Obligationen usw. darf das Agien [Aufgeld] nur mit dem Einverständnis des Betriebsrates verwendet werden.
33.) Die Verteilung der Lebensmittel, Marken und Bedarfsartikel wird vom Betriebsrat vorgenommen. Alte Vorräte und Vorratslager, sowie der Ein- und Verkauf unterstehen ihm.
34.) Dem Betriebsrat unterliegt die Führung der Kantinen und Speiseanstalten oder bei Verpachtung deren Kontrolle.
35.) Alle Unterstützungs- und Betriebskassen werden vom Betriebsrat geführt und verwaltet, ebenso alle Wohlfahrts- und Pensionsfonds.
36.) Die Kontrolle über die Durchführung der Gesetze und Verordnungen über Hygiene und sonstige sozialen Maßnahmen ist Sache des Betriebsrates.
37.) Der Betriebsrat bestimmt die Zahl der Lehrlinge und Lehrmädchen, überwacht ihre Ausbildung und ihren gesetzlichen Schutz.
38.) Der Betriebsrat sorgt für den Rechtsschutz der Arbeiter und Angestellten gegen das Kapital und seinen politischen Machtinstrumenten, Staat und Stadt.
39.) Umstellungen des Betriebes auf andere Produktionsgebiete dürfen nur im Einverständnis des Betriebsrates vorgenommen werden.
40.) Alle motivierten Beschwerden der Arbeiter und Angestellten, sowie der Unternehmer und ihrer Organe gegen die ersteren, prüft und untersucht der Betriebsrat und sorgt für ihre Abstellung.
41.) Alle Verhandlungen mit den Vertretern des Kapitals und Behörden und seinen untergeordneten Organen führt der Betriebsrat im Interesse seiner Auftraggeber, der Proletarier.
42.) Bei allen Verhandlungen zwischen Kapital und Behörden müssen Vertreter des Betriebsrates zugezogen werden und die Verhandlungsergebnisse sind dem Betriebrat zur Genehmigung vorzulegen.
43.) Der Betriebsrat kontrolliert die Einhaltung aller Arbeits- und Produktionsbedingungen auf Seite der Arbeiter und Angestellten.
44.) Bei allen wichtigen Veränderungen im Betrieb, ob sie die Produktion, die Löhne, die Arbeitszeit, sowie wichtige Verhandlungen betreffen unterliegen der Genehmigung der Betriebsversammlung, welche rechtzeitig einberufen werden muss.
45.) Alle Anträge und Vorschläge der beschäftigten Proletarier sind vom Betriebsrat zu prüfen und der Betriebsversammlung zur Entscheidung vorzulegen.
46.) Der Betriebsrat schützt den Betrieb, die Produktion und seine Einrichtungen gegen alle unberechtigten und individuellen Gewaltangriffe und Störungen.
47.) Der Betriebsrat beschließt und führt alle notwendigen Kampfaktionen gegen das Kapital wie Streiks usw. durch. Alle diese Aktionen unterliegen der Entscheidung der Betriebsversammlung.
48.) Nach der Wahl des Betriebsrates werden alle früheren Ausschüsse aufgelöst.
Originaltext: Erschienen als Nr. 106 der anarchosyndikalistischen Flugschriftenreihe