Augustin Souchy - Ausländische Arbeitskräfte und inländische Arbeiterschaft

Einwanderungsbewegungen, Konkurrenzdruck am Arbeitsplatz, Fremdenhass sind alles andere als neue Phänomene. Die populistische Rechte gibt darauf nationalistische Antworten - doch auch zehntausende GrenzbeamtInnen und FremdenpolizistInnen könnten nicht verhindern, dass Menschen ihr Glück in reicheren Ländern suchen (von den zahlreichen anderen Fluchtgründen ganz abgesehen). Stattdessen entsteht mit "Illegalisierten" ein Reservoir an leicht ausbeutbaren Arbeitskräften, die KapitalistInnen hohe Profite versprechen. Die beste Möglichkeit, Lohndrückerei zu verhindern, ist die gewerkschaftliche Organisierung aller ArbeiterInnen, egal welches "fremdenrechtlichen" Statusses. Wer bei Arbeitsmigration zuallererst an TürkInnen o.a. denkt, sollte sich einmal überlegen, warum in den letzten Jahren massiv Deutsche für die  österreichische Tourismusbranche angeworben wurden... Vom ÖGB oder DGB ist in diese Richtung nichts zu erwarten, einige europäische Basisgewerkschaften jedoch haben diese Notwendigkeit längst erkannt. Der gemeinsame Kampf gegen miese Lebensbedingungen ist der Weg, Lohndrückerei zu verhindern - nicht der Hass auf "die Anderen".

Die Auswanderung der Arbeiterschaft aus Ländern mit niedrigem Lebensstandard in solche mit höherem Lebensstandard oder aus Ländern politischer Rückständigkeit oder Reaktion in Länder mit mehr politischer Freiheit ist von jeher gang und gäbe gewesen, so lange der Kapitalismus besteht. In den Zeiten nach dem Kriege hat sich diese Auswanderung aus den Ländern Mitteleuropas nach Nord - und besonders Südamerika erheblich gesteigert, und nach dem Antritt der Herrschaft der Reaktion in Italien und Spanien geht auch von diesen Ländern eine starke Auswanderung vor sich. In Europa ist gegenwärtig Frankreich das Land der Einwanderung polnischer, italienischer, spanischer und arabischer Arbeiter. Es dauerte nicht lange, bis es zu gewissen Gegensätzen und sogar Konflikten zwischen den einheimischen und den ausländischen Arbeitern gekommen ist. Da es sich hier keineswegs um Einzelfälle handelt, sondern um eine allgemeine Erscheinung, ist die Behandlung dieser Frage von dringender Notwendigkeit für die internationale Arbeiterbewegung. In nachstehenden Ausführungen soll zunächst die Diskussion über diese Frage aufgeworfen werden, der II. Kongreß der I.A.A. wird sich noch näher damit befassen müssen.

Die Ursachen der Auswanderung sind bereits in dem einleitenden Satze angedeutet worden: sie liegen in der Verschiedenartigkeit der wirtschaftlichen Lebensbedingungen, und politischen Verhältnisse der einzelnen Länder. Würde diese Verschiedenartigkeit von einer Gleichartigkeit abgelöst werden, dann würde unter normalen Verhältnissen auch die Massenauswanderung oder Einwanderung aufhÖren und nur noch eine Auswanderung aus persönlichen Veranlagungen und Neigungen einzelner stattfinden. Von dieser Norm würde nur dann eine Abweichung erfolgen, wenn die Entdeckung eines neuen Landes — und dies kommt heute nicht mehr in Frage — oder die Entdeckung neuer Rohstoffquellen sowie besonders günstige Entwicklungsmöglichkeiten Anreiz zu einer Erleichterung der Lebensfristung bieten. Es ist nicht vollständig ausgeschlossen, Das in späterer Zukunft unter freieren politischen Verhältnissen und bei weiterer Steigerung des Bevölkerungszuwachses in Mitteleuropa Rußland zu einem neuen Anziehungspunkte für auswanderungslustige Elemente werden wird, gleichwie im vergangenen Jahrhundert Amerika es gewesen ist.

Das geeignetste Untersuchungsobjekt für die Beziehungen zwischen ausländischen und einheimischen Arbeitern bieten die Vereinigten Staaten Nordamerikas. So gut wie die gesamte Bevölkerung Amerikas besteht aus Nachkommen Eingewanderter oder neu Eingewanderter. Der Unterschied zwischen den geborenen Amerikanern oder den vor langer Zeit eingewanderten Elementen, die das Bürgerrecht erworben haben, und den neu Eingewanderten ist augenfällig, selbst innerhalb der Arbeiterschaft. Und auch unter den Arbeitern, die neu eingewandert sind, macht sich bald eine Kluft auf zwischen den gelernten und ungelernten Arbeitern, sowie zwischen den einzelnen Nationen. Gelernten Arbeitern, die der englischen Sprache mächtig sind, ist von vornherein ein besseres Los beschieden als ungelernten Arbeitern, die die offizielle Landessprache nicht beherrschen. Da aber die überwiegende Anzahl der Einwanderer der Landessprache unkundig ist, so liegt hier das ganze Problem. In der Regel besteht ein großer Unterschied in der Lebenshaltung der einheimischen Arbeiterbevölkerung und der zugewanderten, der oft so groß ist wie der Unterschied in der Lebenshaltung zwischen Kleinbourgeois und Arbeiter. Der zugewanderte Arbeiter, selbst wenn er bald Arbeit findet, ist an eine bescheidenere Lebensführung gewöhnt und führt diese in den ersten Jahren auch noch weiter. Er ist anspruchsloser und begnügt sich daher oft mit weit niedrigeren Löhnen als der einheimische Arbeiter. Daran ist mit unter noch nicht einmal das unentwickelte Klassenbewußtsein schuld, denn viele der Einwanderer waren in ihrem Heimatlande Mitglieder einer Klassenkampforganisation. Es ist aber das traurige Los und das graue Elend, dem die Einwanderer nicht selten mit Frau und Kind ausgesetzt sind, wodurch sie wohl aus Verzweiflung Arbeit um jeden Preis und unter den schlimmsten Bedingungen annehmen.

Derartige Verhältnisse finden wir nicht nur in Amerika, sondern in fast allen Ländern mit Einwanderung. Und hier setzt auch der Gegensatz ein zwischen den einheimischen und den zugewanderten Arbeitern. Nimmt die Einwanderung große Dimensionen an, wie in den letzten Jahren in Frankreich, dann kann dieser Gegensatz selbst zur Erweckung des Nationalhasses bei nicht klassenbewußten und nicht sozialistisch geschulten einheimischen Arbeitern führen.

Der revolutionäre Syndikalist freilich wird in wahrer Erkenntnis der Sachlage dieser nationalistischen Verirrung nicht anheimfallen; er weiß, dass er gerade dadurch den herrschenden Mächten des Kapitalismus und Nationalismus den besten Dienst leisten würde. Die Einwanderung nach den südamerikanischen Ländern, nach Kanada und auch nach Frankreich wird von dem Unternehmertum dieser Länder mit großem Eifer begünstigt. Die Agenten dieser Kapitalisten locken geradezu die durch lange Arbeitslosigkeit und großes Elend im Heimatlande verzweifelten Arbeiter durch Vorspiegelung glänzender Verhältnisse zur Auswanderung an, weil sie dadurch billige Arbeitskräfte erhoffen, die nicht nur selbst zu niedrigeren Löhnen arbeiten, sondern auch die von der einheimischen Arbeiterschaft erkämpften höheren Lohne und besseren Arbeitsbedingungen herabzusetzen drohen. In der Tat haben die organisierten Tischler von Buenos Aires vor Zuzug warnen müssen, da der Arbeitsmarkt überfüllt ist, und mit jedem neuen Einwandererschiff neue Arbeitslose und damit auch Lohndrücker ankommen. Die neu Ankommenden, die ihr ganzes Hab und Gut für das Reisegeld zur Überfahrt ausgegeben haben, sind natürlich mittellos und darauf angewiesen, unter allen Umständen Arbeit anzunehmen, wenn sie nicht vollständig dem Elend anheimfallen wollen.

Wie steht es in Frankreich? Ein großer Prozentsatz der Arbeiterschaft in den Seifenfabriken zu Marseille sind Araber. Diese arbeiten zu niedrigeren Löhnen als die französischen Arbeiter. Das erzeugt bei den französischen Arbeitern einen Fremdenhaß, von dem der Nationalismus und Chauvinismus selbstverständlich profitieren. Ähnlich ist die Lage im französischen Baugewerbe. Zum Wiederaufbau der zerstörten Kriegsgebiete Nordfrankreichs, später für das ganze Land, wurden von den Unternehmern ausländische Arbeitskräfte ins Land gezogen, die bald so zahlreich wurden, Das sie stellenweise das zahlenmäßige Übergewicht über die französischen Arbeiter des Baugewerbes haben. Die Agenten der Kapitalisten haben meist schon mit den auswandernden Arbeitern in deren Heimat Verträge abgeschlossen, die im Widerspruch standen mit den im Baugewerbe geltenden Arbeitsbedingungen und Arbeits- löhnen. Eine allgemeine Niederdrückung der Arbeitsbedingungen setzte ein seitens der Unternehmer trotz der günstigen Konjunktur im Baugewerbe. Nun setzten die französischen Bauarbeiter sich in Harnisch gegen die ausländischen Arbeitskräfte und sie wollen die ausländischen Arbeiter verantwortlich machen für den Verlust des Achtstundentages und für die niedrigen Löhne, die jetzt im allgemeinen gezahlt werden. Die Lage hat sich derart zugespitzt, dass die französische Bauarbeiterföderation Zusammenstöße auf den Bauplätzen zwischen den französischen und ausländischen Arbeitern fürchtete.

Die leitenden Personen der Gewerkschaften werden alle Hände voll zu tun haben, um den Arbeitern klarzumachen, daß nicht die ausländischen Arbeiter die Schuld trifft, sondern die durch den Kapita1ismus hervorgerufene Lage. Tatsächlich kann man feststellen, dass von dieser Reaktion auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete nicht nur die französischen Arbeiter, sondern auch die ausländischen betroffen sind, die sehr oft wohl nichts besseres wünschten als höhere Löhne und kürzere Arbeitszeit.

Vor dem Kriege war auch Deutschland ein Einwanderungsland. Italienische Arbeiter waren auch da im Baugewerbe tätig und arbeiteten für niedrigere Löhne als die einheimischen deutschen Arbeiter, da ihre Bedürfnisse geringer waren. Heute kann die deutsche Industrie keine ausländischen Arbeiter mehr aufnehmen, Deutschland gibt im Gegenteil noch qualifizierte Arbeiter ins Ausland ab. Landwirtschaftliche Arbeiter aus Polen und den Oststaatenwandern aber auch heute noch ein und verrichten für weit niedrigere Löhne als die deutschen Arbeiter dem preußischen Junker Erntearbeiten. Zwar suchen die Gewerkschaften gegen diese Lohndrückerei Front zu machen, ihr Einfluß ist aber bei weitem nicht groß genug, dieselbe zu verhindern.

In Brasilien kam es in den Kohlengruben von Arrico Rato bei Jeranymo zu einem Konflikt. Die Belegschaft besteht zum Teil aus Spaniern und zum Teil aus eingewanderten Ruhrbergleuten. Als der Streik ausbrach, waren es sieben deutsche Ruhrbergleute, die Streikbrecherdienste verrichteten. Die Verständigung zwischen ihnen und den spanischen sowie portugiesischen Arbeitern war wegen der Sprachverschiedenheiten sehr schwer. Nach Beendigung des Streiks, der eine Niederlage der Arbeiterschaft brachte, veranlaßten die Grubenbesitzer die Einwanderung neuer Bergarbeiter aus Deutschland, um neue Streikbrecher zur Hand zu haben.

Aus diesen Beispielen ersieht man, daß wir es hier nicht mit nationalen Fragen zu tun haben, sondern mit Wirkungen des kapitalistischen Systems. Das ausländische Lohndrückerwesen ist von dem Kapitalismus mit Absicht organisiert. Ist es den Arbeitern eines Landes durch hartnäckige Kämpfe gelungen, ihre Arbeitszeit zu verkürzen und ihre Löhne zu erhöhen, dann ziehen die Kapitalisten fremde Arbeitskräfte herein und machen somit die Errungenschaften der Arbeiter illusorisch. Wendet sich dann die einheimische Arbeiterbevölkerung gegen die ausländische und kommt es zu einem Bruderkampf, dann haben die Unternehmer gerade das erreicht, was sie wollten, um das gesamte Proletariat besser beherrschen zu können. Das Unternehmertum handelt auch hier nach dem bewährten Grundsatz: Teile und herrsche.

Die Arbeiterschaft aller Länder hat das größte Interesse daran, sich gegen dies schamlose Vorgehen des internationalen Kapitalismus zu wehren. Der Kampf gegen das ausländische Lohndrückertum muß von den Arbeiterorganisationen jedes Landes und dann auch von der internationalen Arbeiterbewegung geführt werden. In demselben Maße wie die Macht der Arbeiterbewegung steigt, wird die Lohndrückerei ausländischer Arbeitskräfte zurückgehen. Wie soll aber der Kampf gegen diese Lohndrückerei geführt werden? Dieser Kampf muß eingeleitet werden sowohl von dem Internationalen Gewerkschafts-Bund wie von der Internationalen Arbeiter-Assoziation.

Beide Internationalen müssen eine Kontrolle durch ihre angeschlossenen Landesorganisationen ausüben auf die auswandernden Proletarier. Diese Kontrolle wird sich effektiv zwar nur auf die organisierte Arbeiterschaft erstrecken, während die unorganisierten Arbeiter schwerer zu erfassen sein werden. Hier müssen die Gewerkschaftsorganisationen des Einwanderungsortes in Wirksamkeit treten. Kein ausländischer Einwanderer darf in einem Betriebe oder auf einem Bauplatz in Arbeit treten, wenn er nicht organisiert ist. Das hierbei außerordentliche Schwierigkeiten zu überwinden sind, weit größere als bei der Werbe - und Organisationsarbeit unter der einheimischen Bevölkerung, das liegt auf der Hand. Dennoch muß darauf der größte Wert gelegt werden, und auch die herbsten Enttäuschungen dürfen den Eifer nicht zum Erlahmen bringen. Wenn es erst einmal gelungen ist, die Einwanderer unter die Kontrolle der Arbeiterorganisationen zu bringen, dann wird die Gefahr des internationalen Lohndrückertums auch überwunden sein.

Den Arbeitern, die nach Beratung mit den Gewerkschaften ihres Landes ins Ausland auswandern, muß ans Herz gelegt werden, sich sofort in der entsprechenden Gewerkschaft des Einwanderungslandes zu organisieren. Womöglich sollte sogar von der Gewerkschaft, der ein Auswanderer in der Heimat angehörte, die Organisation im Einwanderungslande über das Eintreffen des Einwanderers informiert werden. Aber auch die unorganisierten Arbeiter müssen zur Organisation herangezogen werden. Um die Werbetätigkeit für die Organisation erfolgreich betreiben zu können, wird es notwendig sein, an den Einwandernden in seiner eigenen Muttersprache heranzutreten. Das macht die Verbindung der Arbeiterorganisationen des Einwanderungslandes mit denen des Auswanderungslandes notwendig, damit im Bedarfsfalle ein Agitator von den Organisationen des Mutterlandes herangezogen wird. Wenn es gelungen sein wird, die eingewanderten Arbeiter zu organisieren, dann ist es selbstverständlich, dass diese nur zu den Lohn- und Arbeitsbedingungen arbeiten, die von den Gewerkschaften erkämpft sind und die für die gesamte einheimische und zugewanderte Arbeiterschaft Geltung haben. Kommen wir erst einmal so weit, dann wird es nicht mehr möglich sein, dass die einheimische Arbeiterschaft die ausländischen Arbeiter verantwortlich macht für die Verschlechterung der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Denn es gehört zur Tätigkeit der Internationalen, daß sie auch in Bezug auf die Zahl der Einwanderer in jedes Land regulierend einwirken, so dass von einem bestimmten Beruf kein Zuzug mehr erfolgen darf, wenn in diesem Beruf bereits Arbeitslosigkeit herrscht oder ein Streik und dergl. ausgebrochen ist.

Wie es bereits innerhalb eines Landes heute geschieht, so muß auch die Solidarität des gesamten Proletariats auf alle Länder ausgedehnt und durch die Organisationen geregelt werden. Nur bei praktischer Anwendung wird die internationale Solidarität für das Weltproletariat einen Wert haben.

Auswanderer, die wirtschaftlich bessere Lebensverhältnisse im neuen Lande suchen, müssen zum Eintritt in die Arbeiterorganisation des Landes herangezogen werden ; bei politischer Emigration größeren Stiles, die nach allen Anzeichen nur vorübergehender Natur ist, wäre es jedoch notwendig, daß die Mitglieder einer Arbeiterorganisation auch im Einwanderungslande das Band ihrer Mutterorganisation neben der Gewerkschaftsorganisation des Landes noch aufrechterhalten. Ein solcher Fall ist eingetroffen mit unseren italienischen Kameraden, die durch die faschistische Reaktion gezwungen waren, in Massen das Land zu verlassen, wenn sie dem grausamen Terror des Faschismus entgehen wollten. In diesem Sinne nahm auch die Syndikalistische Union Italiens auf ihrer letzten Landeskonferenz zu Mailand eine Entschließung an, in der über diese Frage gesagt wird: „Als Ausnahmefall, angesichts des politischen Charakters der Auswanderung der Flüchtlinge in die Nachbarländer Italiens, ladet die Konferenz diese Arbeiter ein, den Zusammenschluß der Anhänger der Syndikalistischen Union Italiens intensiv zu betreiben, jedoch weiterhin der syndikalistischen Bewegung ihres neuen Landes ihre Tätigkeit zu widmen."

Dieser Beschluß stützt sich auf die Innsbrucker Konferenz der I.A.A., in welcher über diese Frage folgendes beschlossen wurde: „... Die Konferenz legt es den Kameraden der Syndikalistischen Union Italiens, die durch den Faschismus gezwungen waren, sich nach dem Auslande zu begeben, ans Herz, überall dort, wo sie in genügender Anzahl vorhanden sind, sich organisatorisch zusammenzuschließen und sich als die Fortsetzung der Syndikalistischen Union Italiens zu betrachten. Es ist die Pflicht dieser Kameraden, sich zu organisieren und sich solidarisch zu erklären mit den Kräften des revolutionären Syndikalismus des Auslandes, für die es ihrerseits eine Pflicht sein muß , die italienischen Kameraden in ihrem Kampfe um die Verteidigung und die Existenz der Syndikalistischen Union Italiens zu unterstützen."

Das Land, in welches die meisten italienischen Kameraden flüchteten, ist Frankreich. Gerade in diesem Lande herrscht aber eine beklagenswerte Zerrissenheit der Arbeiterbewegung. Dieser Umstand mag wohl dazu beigetragen haben, dass der internationale Beschluß von Innsbruck und der Beschluß der Syndikalistischen Union Italiens nicht voll erfüllt worden sind. Es wäre wünschenswert, dass die französische Arbeiterschaft zu einer größeren Geschlossenheit käme, damit sie den revolutionären Syndikalisten Italiens, die durch die Reaktion gezwungen sind, im Auslande zu leben, alle Erleichterungen für eine Regelung im Sinne der angeführten Beschlüsse gewähren kann. Aber auch abgesehen von diesem besonderen Fall müssen die Arbeiterorganisationen, besonders die revolutionären Syndikalisten, dieser Frage größere Aufmerksamkeit widmen wie bisher. Unsere Kameraden aller Länder werden gut tun, die hier gegebenen Anregungen in Erwägung zu ziehen und danach zu handeln.

In der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sind die oft bedauernswerten Auswanderer ebenso das Opfer und das Ausbeutungsobjekt dieses Systems wie die einheimische Arbeiterschaft es ist. Nur der Sturz des Kapitalismus kann endgültige Befreiung und Ordnung schaffen. Bei der internationalen Vertrustung des Weltkapitalismus wird die Befreiung der Arbeiterschaft nur dann gelingen, wenn sie die Polypenarme des Kapitalismus in allen Ländern beseitigt. Wenn die Arbeiter aller Länder durch internationale Verständigung und internationale Aktionen einheitliche Lebensbedingungen errungen haben werden, dann wird auch der Anreiz zur Massenauswanderung bedeutend nachlassen. Das nächste Ziel der Arbeiterschaft muß daher sein, einen internationalen Realeinheitslohn in allen Industrien zu erkämpfen, angefangen bei den Seeleuten, dann bei den Bergarbeitern, Bauarbeitern usw., bis in alle Industrien.

Zurzeit ist die Arbeiterschaft in fast allen Ländern in Verteidigungsstellung gedrängt. Die Reaktion herrscht und will sich verankern. Sorgen wir dafür, daß es soweit nicht kommt. Kämpfen wir in allen Ländern für die Wiedereinführung des Achtstundentages, für Kontrolle über die Betriebe, für höhere Löhne und für den sozialen Fortschritt, gegen den internationalen Faschismus. Wenn dieser Kampf siegreich verläuft, dann wird die Auswanderung des Lohnsklaven keinen Anlaß mehr zum Klagen geben.

Aus: "Die Internationale" Nr. 3, 1. Jahrgang (1924). Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ae zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.


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