„N. glaubte nie, dass Organisation, syndikalistische Zusammenfassung der Massen, so zweckmässig sie für den praktischen Arbeitskampf ist, eine Panazee ist für das, was den meisten einzelnen Arbeitern an Schlagkraft noch fehlt. Er hielt viel auf die Lehre von Tolstoi, der an jeden Einzelnen ethische Anforderungen stellte und diese in ihm zu erwecken suchte und bedauerte immer, dass Tolstoi durch seine religiöse Terminologie seine Werke zur Unfruchtbarkeit verurteilte. Er machte nie Arbeiterstudien, kannte aber die Arbeiter aus dem gewöhnlichen Leben vielleicht mehr als solche, die nur die Elitearbeiter sozialistischer Kreise oder statistische Ziffern kennen. Ihn empörte die von den meisten Sozialisten proklamierte Ansicht, dass der Arbeiter für nichts verantwortlich ist, was er als Lohnsklave tut und er trat für ein soziales Verantwortlichkeitsgefühl der Arbeiter ein, die, wenn sie sich weigern würden, im Auftrag jede der Allgemeinheit schädliche Arbeit unbedenklich auszuführen, mit der Allgemeinheit eine Solidarität begründen könnten, die ihnen selbst und Allen zu gute kommen würde.
In diesem Sinn schrieb er in Freedom 1897 einen Artikel und hielt in der Freedom Discussion Group (London) im November 1899 einen Vortrag, den er dann für Freedom niederschrieb und der 1900 als Brochure gedruckt und von der Freedom Group dem für den Herbst 1900 in Paris geplanten internationalen syndikalistischen und anarchistischen Kongress (der verboten wurde und nur in privaten Sitzungen zusammentrat) eingeschickt wurde. Responsability and Solidarity in the Labour Struggle (London, Freedom Pamphlets 10) wurde in eine ganze Reihe von Sprachen übersetzt, fand Zustimmung der verschiedensten anarchistischen Richtungen; einige andere machten ähnliche Vorschläge und manchmal weigerten sich ja Arbeiter unter allgemeinem Beifall besonders odiose Arbeiten zu verrichten. Man versuchte auch nach dem Weltkrieg in diesem Sinn auf die Rüstungsarbeiter und die Transportarbeiter einzuwirken. Aber es zeigte sich, dass ein latenter ungeheurer Widerstand gegen diese Idee besteht – ein Zustand, der eben das jetzige System stützt und höchstens zu Gunsten einer stärkeren Diktatur, nicht einer freieren Entwicklung wird fallen sehen. Dass der Arbeiter liebt, verantwortungslos zu sein, hat schon die produktive Cooperation zu so ganz geringer Ausdehnung verurteilt, da die allermeisten Arbeiter lieber den Kapitalisten das Risiko tragen sehen als selbst etwas zu riskieren und sich ökonomisch zu befreien. Tout se tient, und wer sich nicht selbst geistig und moralisch befreit, kann nur erwarten aus einer Knechtschaft in die andere zu fallen und der sozialistische oder kommunistische Machthaber versteht das ebenso gut als der Kapitalist und der bürgerliche Staat, wahrscheinlich besser.“
Aus dem Ergänzungsband zur mehrbändigen Geschichte der Anarchie, Zitat aus den Biographischen und bibliographischen Daten über Max Nettlau, die von ihm selbst im März 1940 verfasst wurden.
Zu Nettlau - Verantwortlichkeit und Solidarität im Klassenkampf bei William Morris Texte (der Text findet sich ohne Anmerkungen auch auf dieser Seite unter "Anarchistische KlassikerInnen / Max Nettlau")
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