Jens Herrmann - Politische Kommuneprojekte

Immer und immer wieder bringt die Gesellschaft Menschen hervor, die sich mit den gegebenen Herrschaftsverhältnissen nicht arrangieren wollen. Sie wollen sich der Maschine (p.m.) von Geld, Arbeit, Unterdrückung - kurz den herrschenden Verhältnissen - nicht unterordnen. Sie wollen etwas anderes machen: sie wollen frei sein. Die Gesellschaft betrachtet sie verächtlich als Utopisten und Träumer. Doch viele lassen sich nicht beirren in ihren Visionen von einem anderen Leben, einem Leben in Gemeinschaft. Nicht die Herausbildung des Individuums als selbstbestimmtes und freies Wesen ist es, dem sie entgegentreten wollen, sondern dem Prozess der Individualisierung, Vereinzelung und Verwertung der Menschen. Während die Wurzeln von Kommuneprojekten bis in die ferne Menschheitsgeschichte zurückreichen, waren es in unserer kapitalistischen Epoche insbesondere die Frühsozialisten, welche die Idee des Gemeinschaftslebens wiederentdeckten. Namen wie Pjotr Kropotkin, Robert Owen, Charles Fourier, Pierre-Joseph Proudhon und Gustav Landauer sind nicht nur als anarchistische Aktivisten bekannt geworden sondern auch über ihre Aktivität für Gemeinschaftsprojekte.

In der BRD waren es vor allem die Projekte der 68er die eine breite Wahrnehmung genossen. Die Kunzelmanns, Teufels und Langhanses machten viel Wind, doch vor dem Hintergrund einer praktischen Aufbauarbeit alternativer Lebensstrukturen blieben ihre Projekte eher unbedeutend. An ihnen war es eher die verkrusteten Gesellschaftsstrukturen der Nachkriegszeit aufzubrechen und den Weg für viele Projekte, die dann in den 70er und 80er Jahren gegründet wurden, zu öffnen. Die Provokation war ihre politische Methode und viele Kommuneprojekte spüren ihre Wirkung bis heute durch die zahlreichen Vorurteile die ihnen von großen Teilen der Gesellschaft entgegengebracht werden. Viele dieser Stereotype haben natürlich mit dem Alltag der heute bestehenden Kommuneprojekte wenig zu tun: weder sind Kommunen heute "Terroristenhorte" noch sind sie "Kollektivpuffs". Vielmehr sind es Orte an denen Menschen versuchen ein Stück ihrer gesellschaftlichen Utopie schon jetzt - noch innerhalb der herrschenden Gesellschaftsstrukturen - zu verwirklichen. Sie sind damit praktische Lebensalternative und Versuchsfeld in einem.

Diese Versuche sind notwendig und wichtig vor allem vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass letztlich die Menschen (jedeR Einzelne) es sind, die die Herrschaftsverhältnisse permanent reproduzieren. Für ein herrschaftsfreies Leben bedarf es auch einer entwickelten Praxis, sonst scheitert die "Revolution" letztlich an dem fehlenden alternativen Wissen und den Handlungsmöglichkeiten. Der Kommunist Antonio Gramsci und der Anarchist Gustav Landauer haben diesen Zusammenhang dargestellt: Befreiung aus den Herrschaftsverhältnissen muss sich demnach sowohl an subjektiver Emanzipation orientieren, als auch sich gegen staatliche und gesellschaftliche, insbesondere ökonomische Institutionen wenden. Der Abbau von ´Staat in uns´ selbst bekommt eine wesentliche Rolle im politischen Kampf.

Die radikale politische Linke ignoriert diese Erkenntnis in ihrer Praxis fast durchgängig. Sie orientiert sich im Wesentlichen an der fetischhaften militanten Auseinandersetzung mit dem Staat. Durch diese einseitige Orientierung an den Institutionen der Macht und Herrschaft kopiert sie jedoch tendenziell immer deren Herrschaftsmuster und schafft keine neuen, emanzipatorischen Gesellschaftsmodelle als Antwort auf ganz alltägliche Fragen. Trotzdem sind nicht selten aus dieser Kritik heraus alternative Lebens- und Arbeitsformen entstanden, doch stellen sie einen offenen Tabubruch mit dem linksradikalen Selbstverständnis dar. Dieses gründet sich auf das "Zerstören" und "Zerschlagen" und nicht auf das "Auflösen" und "Neugründen". Dadurch entsteht leicht ein prekärer Dualismus. Zum einen führt der Einstieg in alternative Lebensentwürfe oft zum Ausstieg aus linksradikaler Politik, zum anderen verkommt er leicht zur Nische (bzw. zum "Ghetto") im System, dem die Bezüge zu den gesellschaftlichen Konflikten und Kämpfen fehlen.

Doch was sind eigentlich Kommunen? Was zeichnet eine Kommune oder ein Gemeinschaftsprojekt aus? Zunächst einmal leben und arbeiten die meisten Projekte zumindest überwiegend gemeinschaftlich. Die Meisten verfügen über eine gemeinsame Haushaltsführung mit einer gemeinsamen Ökonomie. Viele sind eher spirituell, künstlerisch, therapeutisch oder ökologisch orientiert, einige auch dezidiert links-politisch oder radikalpolitisch.

Für linke, anarchistische Politik dürften insbesondere die letzten beiden Gruppen interessant sein. Allein im Bundesgebiet kommen so ein paar dutzend Projekte zusammen. Die weltweit größte Ansammlung von Gemeinschaftsprojekten dürften die israelischen Kibbuzim sein, von denen in den letzten 80 Jahren mehr als 230 gegründet wurden. Das wohl bekannteste Projekt in Deutschland ist die Kommune Niederkaufungen bei Kassel. Dort leben und arbeiten etwa 75 Erwachsene und Kinder zusammen. Die Kommune betrachtet sich als links-politisches und ökologisches Gemeinschaftsprojekt. In ihr ist nicht nur Privatbesitz weitgehend abgeschafft, auch die Entscheidungsfindung ist hierarchiearm gestaltet. Alle Bereiche der Kommune sind selbstverwaltet und kleinfamiliäre Strukturen sollen abgebaut werden. Die Kommune betreibt ein Tagungshaus, mehrere Handwerksbetriebe, einen Kinderhort, einen Pflegedienst, eine Architekturwerkstatt, einen Landwirtschaftsbetrieb sowie eine therapeutische Praxis. Nicht zuletzt auch aufgrund der Größe der Gemeinschaft gibt es eine Reihe von Regeln und Zuständigkeiten im Kommuneleben in Niederkaufungen.

Als dezidiert anarchistisches Projekt begannt die "Luttergruppe" auf der Burg in Lutter (Nähe Salzgitter/Niedersachsen) Anfang der 80er Jahre die alte historische Burganlage zu sanieren und mit

Gemeinschaftsleben zu erfüllen. Die Gruppe betreibt heute mehrere Handwerksbetriebe und ein Tagungshaus. Ein anderes Projekt aus dem anarchistischen Umfeld war das "Projekt A", welches in Folge des von Horst Stowasser geschriebenen gleichnamigen Buches zunächst im hessischen Alsfeld, später dann in Neustadt an der Weinstraße gegründet wurde. Leider ist in Neustadt fast nichts mehr von dem sehr großen und zunächst auch erfolgreichen Projekt W.E.S.P.E. übrig geblieben. Zu groß waren die inneren Wiedersprüche und Reibereien der ProjektteilnehmerInnen und zuletzt auch der ökonomische Druck der auf den zahlreichen alternativen Betrieben lastete. Auch Horst Stowasser hat seine Visionen inzwischen in Richtung eines praktischer umzusetzenden Ökonomie- und Projektverständnisses abgeändert.

Doch es gibt auch neue Projekte, die Mut machen. So wurde in den letzten Jahren in Bremen das Projekt "Alla Hopp" aufgebaut. Etwa 20 Menschen haben dort eine alte Bonbonfabrik gemeinsam ausgebaut. Sie betreiben eine gemeinsame Kasse und verstehen sich als links-politische Aktivisten, die überwiegend aus feministisch- autonomen, autonomen, antipatriarchalen, ökosozialistischen sowie Graswurzelzusammenhängen kommen. Die Frage von praktischem Abbau von Herrschaftsverhältnissen und Hierarchien ist für sie ein zentraler Inhalt des Kommunelebens.

Ein weiteres interessantes Kommuneprojekt befindet sich in der Nähe von Gotha (Thüringen): Die Kooperative Haina. Sie verstehen sich als links-politisches Projekt und versuchen insbesondere eine Kritik an Arbeit und Geldwirtschaft mit praktischen Alternativansätzen zu verbinden. Doch viele Kommuneprojekte mussten in ihrer Geschichte - oft schmerzhaft - feststellen, dass die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit schwer zu überwinden ist und es ein richtiges Leben im falschen eben auch nur eingeschränkt geben kann. Letztlich sind die Kommunen auch eingebunden in das Weltsystem mit seiner kapitalistischen Ökonomie, dem Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und anderen Herrschaftsformen. Es ist ein Kampf gegen viele Probleme und alles perfekt machen zu wollen führte nicht selten zur totalen Überlastung der Projekte. Besonders die ökonomischen und patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen haben vielen Projekten sehr zu schaffen gemacht. Einerseits wollten sie alles gut machen, ein Kollektiv sein, alles ökologisch machen und dann auch noch billig und nicht ausbeuterisch - eine Rechnung die im Kapitalismus fast nie aufgeht. Patriarchale Strukturen sollten bekämpft werden. Doch das ist gar nicht so leicht, wenn die Individuen einerseits in dieser Weise sozialisiert wurden und sie zudem in ständigem Umgang mit der patriarchalen Außenwelt sind.

Oftmals bleibt für die Anbindung an radikale linke Politik, an Kampagnen und Aktionen kaum noch Zeit und Kraft - zu groß sind die Belastungen mit den eigenen Themen. Eine Entpolitisierung liegt nahe und ist und war auch in zahlreichen Projekten sehr deutlich zu beobachten. Oftmals wird die eigene Entpolitisierung dann damit kaschiert, das Leben in der Kommune an sich als die politische Aktivität darzustellen. Doch Politik, die auf gesellschaftliche Emanzipation abzielt und sich nicht nur mit der Nische abfinden will muss auch Beziehungen und Konflikte zur herrschenden Gesellschaft eingehen.

Zudem stagniert die Kommunebewegung seit einigen Jahren. Es wurden kaum noch neue Projekte gegründet und vielen alten Projekten fällt es schwer, Menschen für ein Leben in ihren Gemeinschaften gewinnen zu können. Und es fehlt auch an Impulsen. So ist zu beobachten, das es nur wenige politische Kommuneprojekte gibt, die antirassistisches Handeln praktisch umsetzen oder einen kritischen Arbeitsbegriff in ihrem Zusammenhang entwickeln und auf ihres Lebenspraxis anwenden. Immer mehr spirituell orientierte Gemeinschaften treten in diese Lücke und entpolitisieren die Kommunebewegung zunehmend.

In der Kürze dieses Artikels ist eine Darstellung politischer Gemeinschaftsprojekte natürlich nur sehr begrenzt möglich, weshalb ich nun noch ein paar Buchtips zum Weiterlesen geben will und auch auf meine Diplomarbeit "Politische Kommunen" hinweisen will. Sie ist im Umweltmagazin "Rabe Ralf" auszugsweise abgedruckt worden, wo die Artikel auch bestellt werden können (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).

Literaturtips:

  • Rolf Cantzen: Weniger Staat - mehr Gesellschaft. Freiheit - Ökologie - Anarchismus.3. Auflage. Grafenau: Trotzdem 1997. VI. 264 S.
  • Kollektiv Kommunebuch: Das Kommunebuch, Alltag zwischen Widerstand, Anpassung und gelebter Utopie, Göttingen, 1996
  • P.M.: bolo´bolo, Paranoia City Verlag, Zürich,1995
  • P.M.: Subcoma, Paranoia City-Verlag, Zürich, 2000
  • Eurotopia-Redaktion: Eurotopia, Verzeichnis europäischer Gemeinschaften und Ökodörfer, Ausgabe 2000/2001, Würfel-Verlag, Ökodorf Sieben Linden, 2000


Linktips zum Thema Kommunen von der T-Redaktion:

  • www.anarchistcommunitarian.org
  • www.contraste.org/kommunen
  • www.eurotopia.de
  • www.burg-lutter.de
  • www.kommune-niederkaufungen.de


Originaltext: http://www.terminator-berlin.tk/


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