Anarchosyndikalistischer Widerstand - Wuppertal
Die soziale Situation der Arbeiterschaft
"In Wuppertal wächst vom Januar 1930 ab in einem unheimlichen Tempo die Arbeitslosigkeit. Im April 1930 erreicht die Zahl der Erwerbslosen bereits 22.040 Personen beiderlei Geschlechts. Das Arbeitsamt teilte dazu mit, daß weitere Massenentlassungen folgen werden. Eine Firma ist gezwungen, auf einen Schlag 600 Kräfte freizustellen, weil keine Aufträge mehr hereinkommen.
...Im Juni 1930 schnellt die Zahl der beim Arbeitsamt gemeldeten Arbeitslosen auf 24.600 hoch, einen Monat später steigt sie wieder um 1.000, im August sind es 29.000 und im September 30.000. Besonders niederdrückend ist die Lage in der Wuppertaler Heimindustrie. Rund 70% der Bandstühle stehen still. Aber auch die Metallindustrie hat nichts zu tun. Eine Reihe von Gießereien ist nahezu stillgelegt. Schlosser, Dreher und Fräser, alles hochwertige gelernt Spezialarbeiter, kommen zur Entlassung. In Cronenberg müssen selbst die Grobschmiede "feiern". Schwer leidet auch die Textilmaschinenindustrie. Daß sich die Flaute auf den Angestelltenmarkt auswirkt, ist selbstverständlich. Besonders trifft es die älteren Angestellten, die überhaupt keine Aussicht haben, wieder in den Arbeitsprozeß eingeschaltet zu werden. Am 17. Oktober meldet das Arbeitsamt 32.965 arbeitssuchende Wuppertaler. Mit 34.917 liegt der Stand um 122 % über dem vom 1. Dezember 1929. Ein bitteres Weihnachtsfest steht vor der Tür...
Von diesen armen Menschen beziehen 22.317 das bittere Brot der staatlichen und städtischen Hilfe als Hauptunterstützungsempfänger, 15.273 erhalten Arbeitslosengeld und 7.044 stehen in Krisenunterstützung. ... Die Folgen der rapiden Erhöhung der Lasten, die zur Steuerung der dringendsten Not der Erwerbslosen erforderlich wird, bestehen in einem unheimlichen Anwachsen der Fehlbeträge des städtischen Etats. Im März waren es 3,5 Mio. Mark, im Mai 6 Mio. Eine damalige Mitteilung der Stadtverwaltung weist darauf hin, daß der Wohlfahrtetat alleinbereits 15,6 Mio. Mark Zuschuß erfordert. Im Mai 1930 steht jeder achte Einwohner in Unterstützung ..." (Aus: 6 Jahrzehnte Zeitgeschehen, Wuppertal 1959)
Diese Zahlen vervielfachten sich bis zum Jahre 1932: Für 60.000 Erwerbslose brachte das letzte Jahr der Weimarer Republik Hunger und Not.
"Während die Arbeiter und Arbeitslosen in geflickten und abgewetzten Kleidern herumlaufen, provoziert die trotz Verbotes uniformierte SA mit gestärkten weißen Hemden, braunen Hosen und Schaftstiefeln. Daß sie auch möglichst gut bewaffnet ist, dafür sorgte der Stadtparlamentsabgeordnete der NSDAP, der SA-Sturmbannführer Willy Veller, der spätere Polizeipräsident von Wuppertal. An finanziellen Mitteln mangelt es der NSDAP und ihren Schlägertrupps nicht." (D. Gerhard: Antifaschisten)
Der "Kampfbund gegen den Faschismus"
Die NSDAP beabsichtigte, Wuppertal zum "Flugzeugmutterschiff der Bewegung" zu machen. Doch mit diesem Ziel traf sie auf den entschlossenen Widerstand der Wuppertaler Arbeiterschaft.
"In dieser Stadt, in der Friedrich Engels seine ersten kommunistischen Versammlungen abhielt, wo Lasalle ein Viertel seiner deutschen Anhängerschaft konzentrierte, wo Hasselmann, in den achtziger Jahren neben Johann Most der zweite Mann des organisierten deutschen Anarchismus, seine politische Arbeit entfaltete, - in dieser Stadt, die wegen ihrer Textil-, Metall- und chemischen Industrie als "deutsches Manchester" bekannt wurde, hatte sich die Arbeiterschaft immer als "Avantgarde des proletarischen Sozialismus" gefühlt; hier gaben die "Roten" nicht auf." (G. Werner: Aufmachen Gestapo)
Obgleich sich die Nazis bis zur Machtübernahme nicht offen in die Vorstädte der Arbeiterviertel hineinwagten, wurde der Terror der SA immer stärker. Die SA-Kaserne in der Kniestraße, zwischen Barmen und Elberfeld, wurde zum Ausgangspunkt für zahlreiche Überfälle auf Arbeiter. Viele wurden auf offener Straße, auf dem Weg zur Arbeit, überfallen oder zusammengeschossen.
Ein organisierter Massenselbstschutz der Linken schien von Tag zu Tag unentbehrlicher. Dennoch gingen die verschiedenen Parteien und Organisationen in Wuppertal zunächst noch auf getrennten Wegen vor. Erst der Mord an Fritz Klaus, einem Trompeter aus einem Arbeitermusikverein, wurde zum Zeichen für tausende von Menschen in den Arbeitervierteln Barmen, Ronsdorf, Elberfeld, Cronenberg, Beyenburg und Vohwinkel, jetzt gemeinsam den Kampf aufzunehmen. Es wurde der "Kampfbund gegen den Faschismus" begründet. An dieser antifaschistischen Einheitsfront beteiligten sich Mitglieder der KPD, FAUD, SAP, SPD und Reichsbanner.
Ein ehemaliges Mitglied des "Kampfbundes" berichtet: "Es hat vor 1933 in Wuppertal sehr harte Auseinandersetzungen mit den Nazis gegeben. ... Inzwischen hatten sich auf der Basis absoluter Überparteilichkeit antifaschistische Abwehrgruppen gebildet. In den Arbeitervierteln wurden die Leute derartig terrorisiert, daß sie sich einfach organisieren mußten. Die Leute, die keine direkten Nazis waren, wurden oft verprügelt. Da wurde nicht gefragt, ob jemand das Parteibuch der Kommunisten oder sonst eins in der Tasche hatte. Diese antifaschistischen Abwehrformationen leisteten den Nazis und ihrem Terror Widerstand. Je mehr es auf den 30. Januar zuging, desto stärker wurde der Terror der Nazis besonders in den Arbeitervierteln. Die wurden ja von ihrer Führung geradezu gezwungen, in den einzelnen Stadtteilen, gerade da wo Arbeiter lebten und wohnten, die Leute in Angst und Schrecken zu versetzen. ... Unsere Abwehrorganisationen hatten in erster Linie die Aufgabe, diesen Terror zu verhindern und zu brechen. Der Kampfbund gegen den Faschismus, dem ich auch angehörte, war zum Beispiel eine ausgesprochene Kampforganisation gegen die SA und die SS. Sie befaßte sich natürlich auch mit der gegnerischen Strategie und Taktik bei Überfällen und versuchte, eigene Strategien und Taktiken zu entwickeln, um diese Überfälle unmöglich zu machen und darüberhinaus neue Menschen für den antifaschistischen Kampf zu gewinnen. Den Nazis wurden Denkzettel verpaßt, die ihnen zeigten, daß es keinen Zweck hat, auf diese Art und Weise in dem Stadtteil vorzugehen." (D. Gerhard: Antifaschisten)
Hauptaufgabe des "Kampfbundes" war es also, die Abwehr gegen SA-Überfälle in den Arbeitervierteln aufzubauen. Aber man blieb nicht nur in der Defensive; es wurden viele Demonstrationen organisiert: Als am 13. Juli 1932 anläßlich des Reichstagswahlkampfes Josef Goebbels persönlich nach Wuppertal kam, wurde er mit Steinen empfangen. Sein "Triumpfzug" wurde zum Spießrutenlauf.
Am Tag der Machtübernahme, während in Berlin die SA ihren Fackelzug veranstaltete, demonstrierte in Wuppertal der "Kampfbund". Tausende kamen auf dem Barmer Rathausplatz zusammen. Als die Polizei versuchte, die Anti-Hitler-Versammlung zu sprengen, marschierten die Arbeiter zum Elberfelder Rathaus.
"An diesem Tage der Machtergreifung wagte sich die Wuppertaler SA angesichts der Massendemonstrationen kaum aus den Häusern. Die SA wagte sich erst am nächsten Tag aus ihren Kasernen zu einem Fackelzug hervor, von feindlicher Menge umsäumt. Schüsse fielen aus dem Zug heraus und in ihn hinein, zwei Verletzte wurden auf Bahren davongetragen." (D. Gerhard: Antifaschisten)
Die Kampfkundgebung der Arbeiterschaft gegen die Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 sollte die letzte offensive Demonstration gegen das Nazi-Regime sein. Von nun an konzentrierten sich alle Kräfte des Kampfbundes auf die Verteidigung der Arbeiterviertel gegen die SA-Überfälle. Tatsächlich schafft es die SA zunächst nicht, die Stadt, vor allem die Arbeiterviertel, zu beherrschen. Doch die Nazis hatten nun, da sie "legal" vorgingen, die Verwaltung und die Polizei auf ihrer Seite. SA und SS wurden im Februar 1933 als Hilfspolizei eingesetzt. "Jeder Schuß von einem Hilfspolizisten ist ein Schuß von mir, den ich verantworte!" tönte Göring.
Die Nazis begannen mit ihrer Rache für die Niederlagen in der Vergangenheit. Ganze Arbeiterviertel werden abgesperrt, Personenkontrollen finden allerortens statt, die linken Arbeiterorganisationen werden verboten. Das ist erst der Beginn des Terrors. Als dann die Massenverhaftungen einsetzten, Gefangene zu Scharen in das eigens für diesen Zweck an der Wupper angelegte Konzentrationslager Kemna getrieben wurden, brach der antifaschistische Massenselbstschutz in Wuppertal zusammen.
Der syndikalistische Widerstand nach 1933
Es begann die Zeit des illegalen Widerstandes in Kleingruppen: Die Zusammenarbeit zwischen den linken Organisationen wurde aus konspirativen Gründen abgebrochen. Man vertraute nur noch den Genossen, mit denen man in jahrelanger gemeinsamer politischer Arbeit und Freundschaft verbunden war.
Nächst den Kommunisten, die den Großteil der illegalen Widerstandsgruppen in Wuppertal stellten, ist die außerparlamentarische FAUD der Syndikalisten als die aktivste illegale Gruppe in Wuppertal zu nennen.
"Wie der lassalleanische und der marxistische Sozialismus, so hat auch der nichtmarxistische Anarchismus in Wuppertal Tradition. Elberfeld-Barmen war von jeher eines der Zentren der anarchistischen Bewegung in Deutschland. ... Und als sich kurz vor dem Ersten Weltkrieg der von Partei und Staat wegdrängende gewerkschaftlich orientierte Syndikalismus mit dem Anarchismus zum Anarcho-Syndikalismus zusammenschloß, der an die Stelle der parlamentarisch-politischen Arbeit die Direkte Aktion durch Streik, Generalstreik, Sabotage und Boykott - aber nicht durch Attentate - setzte, wurde auch Wuppertal immer wieder der Ort von Delegiertentagungen und Vertauensmännerkonferenzen der neuen "Freien Arbeiter-Union Deutschlands" (FAUD). Vom 31. März zum 1. April 1920 war sogar im Anschluß an die Kapp-Kämpfe das Elberfelder Rathaus eine Nacht lang in den Händen der FAUD." (G. Werner: Aufmachen Gestapo)
Es nimmt daher nicht Wunder, daß die Anarcho-Syndikalisten in Wuppertal neben ihrer aktiven Teilnahme am "Kampfbund" vor 1933 auch während der faschistischen Diktatur weiter illegal tätig blieben. Wenn auch die Zahl der Aktiven zurückging, so gelang es doch, funktionierende Widerstandsgruppen in der Illegalität aufzubauen. Schwerpunkte ihrer Arbeit waren laut Gestapoakten: "Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhangs, Einziehung von Beiträgen, Sammlung für Spanienkämpfer, Herstellung von Flugblättern, Verbreitung illegaler Zeitungen und Broschüren. Es gab "Lit-Anlaufstellen" für illegale Literatur, Treffs, Flüchtlingshilfe usw."
Verbindungen nach Düsseldorf
Gute Kontakte unterhielten die Wuppertaler zu den illegalen Gruppen der Düsseldorfer und Duisburger Syndikalisten.
Aus Düsseldorf erhielten sie ab 1934 auch den Großteil der eingeschmuggelten Literatur. Die Verteilung für Wuppertal hatte der Heizer Walter Tacken aus Elberfeld übernommen. Er achtete auch darauf, daß die Schriften, nachdem sie in den Gruppen gelesen worden waren, wieder eingesammelt wurden. Denn von Wuppertal aus gingen die noch lesbaren Exemplare wieder zurück nach Düsseldorf, um von dort an eine Kölner Gruppe weitergereicht zu werden.
Eigene Flugblätter herzustellen, schien für die Wuppertaler zunächst nicht möglich. Ihre finanzielle Lage war äußerst schlecht, da die meisten von ihnen seit Jahren erwerbslos waren. Das Geld reichte häufig gerade für die kärgliche Ernährung der eigenen Familie. Was man erübrigen konnte, floß in einen Hilfsfond für die Angehörigen inhaftierter Genossen. Es wurde daher zu einer großen Hilfe, daß Gerhard Lasarzick ihnen im Namen der Düsseldorfer Gruppe versprach, Geldbeträge nach Wuppertal zu überbringen, die den Familien gefangener Genossen zukommen sollten. Diese finanzielle Erleichterung eröffnete den Wuppertalern wohl auch die Möglichkeit, in der Folgezeit eigene Flugblätter anzufertigen.
Die "Druckerei"
Was die Herstellung von illegalem Propagandamaterial betraf, so entwickelten die Wuppertaler Syndikalisten einen enormen Erfindungsgeist. Da ihnen keine Druckmaschine zur Verfügung stand, verfielen sie auf einen für heutige Verhältnisse seltsam anmutenden Gedanken: Eine alte Wäsche-Wringmaschine in der Wohnung der Familie Benner auf der Haspeler Schulstraße wurde zum Druck von Flugblättern "zweckentfremdet".
Fritz und August Benner, zwei Brüder, übernahmen den Druck der Flugblätter: Auf Linolplatten schnitten sie die Vorlagen, und in Nachtarbeit vervielfältigten sie das Material mit Hilfe der Wringmaschine. Nach jedem Druckvorgang wurde die Maschine sorgfältigst gesäubert - schon der kleinste Farbspritzer konnte bei den häufigen Hausdurchsuchungen verräterisch sein. Selbst beim Einkauf von Papier mußten sie auf der Hut sein, denn die Geschäftsleute waren von der Gestapo aufgefordert worden, größere Papierverkäufe zu melden. Durch ihre äußerste Sorgfalt, mit der die Brüder vorgingen, gelang es der Gestapo nicht, ihnen die nächtlichen Druckaktionen nachzuweisen.
Zyankali-Rattengift für die SA?
Von ihrem früheren - noch legalen - politischen Engagement her war die Familie Benner in Wuppertal als Anarcho-Syndikalisten wohlbekannt. Die Gestapo ahnte daher, daß es sich bei den Benners um Hauptaktivisten des örtlichen Widerstandsringes handeln mußte und suchte nach einer Möglichkeit, sie zu überführen. Diese Gelegenheit bot sich, als bei einer Durchsuchung im Keller des Hauses eine Zyankali-Flasche gefunden wurde. Obgleich es sich dabei um ein in der damaligen Zeit weit verbreitetes Rattengift handelte - oder vielleicht gerade deshalb -, folgerte die Polizei sofort, daß damit die örtliche SA in ihrer Kaserne vergiftet werden sollte. Erwähnt werden muß an dieser Stelle, daß ein solcher Vorwurf nichts einmaliges war: Auch andere Verdächtige wurden, fand man bei ihnen giftige Chemikalien, unter den gleichen Anschuldigungen verhaftet.
Bei den Gebrüdern Benner kam es zum Prozeß, aber sie mußten mangels Beweise freigesprochen werden. Doch so leicht ließen die Nazis jemanden, dessen sie sich sicher glaubten, nicht wieder laufen - ein "Schutzhaft"-Befehl wurde ausgestellt; sie blieben weiterhin inhaftiert. Fritz Benner gelang 1935 die Flucht. Mit Hilfe von Genossen floh er nach Amsterdam; von dort ging er nach Spanien und kämpfte im Bürgerkrieg auf seiten der spanischen Revolutionäre gegen Franco. 1938, nach Ende der spanischen Republik, brachte ihn eine letzte Flucht nach Schweden.
Widerstand - Organisiert in Kleingruppen
Wenn wir bisher die illegale Arbeit in Wuppertal als die Tat einiger weniger Aktivisten beschrieben haben, so wird dies den Geschehnissen nicht gerecht. Der Widerstand der Syndikalisten in Wuppertal war eingebettet in ein Netz von Kleingruppen. Das Prinzip dieser Art der Organisierung im Widerstand basierte darauf, daß in jeder Gruppe nur ein Mitglied den Kontakt zu anderen Gruppen aufrechterhielt. Dadurch wurde es der Gestapo fast unmöglicht gemacht, mehrere dieser Gruppen gleichzeitig aufzurollen.
Wenn daher im sog. "Syndikalisten-Prozeß", 1937, dennoch 14 Wuppertaler auf der Anklagebank saßen, so läßt dies den Schluß zu, daß die Zahl derjenigen, die der Gestapo nicht in die Hände gefallen waren, um ein Vielfaches höher sein mußte.
Die verhafteten Wuppertaler Syndikalisten wurden wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt, die zwei von ihnen nicht überlebten.
Johann Steinacker
Einer von denen, die das Zuchthaus nicht überlebten, war Johann Baptist Steinacker aus Wuppertal-Barmen. Seine Geschichte, die wir hier kurz darstellen wollen, zeigt den Zynismus des Naziregimes in seiner ganzen Brutalität, aber auch den Versuch,- dem institutionalisierten Terror etwas entgegenzusetzen: Solidarität.
Johann B. Steinacker war von Beruf Schneider. Er hatte an den revolutionären Kämpfen der Arbeiterschaft im Ruhr-Gebiet teilgenommen und war dann der FAUD beigetreten. Als fast 65-jähriger mußte er mitansehen, wie die Faschisten die Macht eroberten. Doch er resignierte nicht wie viele seiner jüngeren Freunde. Als er zum ersten Mal auf der Anklagebank saß, beschuldigte man ihn, er habe illegale Flugblätter und Broschüren verbreitet, sowie als Kurier der FAUD in Solingen, Remscheid und Wuppertal gearbeitet. Er wurde zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in Lüttringhausen absaß. Kurz nach seiner Entlassung, im Juli 1936, setzte der nun fast 70-jährige seine Arbeit im Widerstand fort. Zusammen mit über vierzig Genossen wurde er im Januar 1937 festgenommen. Einer seiner Kameraden, der ihn zuletzt bei einer Gegenüberstellung während der Untersuchungshaft sah, erinnert sich:
„Der siebzigjährige Genosse Steinacker war erst kürzlich aus dem Zuchthaus entlassen worden. Nun sollte erwiesen werden, daß er nach seiner Entlassung wieder in illegaler Verbindung mit uns gestanden hat. Ich sagte aus, daß ich ihn nur daher kenne, daß er für meinen Schwiegervater Anzüge angefertigt habe. Meine Aussage war wertlos, denn im Prozeß wurde nicht Bezug darauf genommen. Auch sonst war es nicht möglich, diesem zähen, alten Kämpen etwas Handgreifliches nachzuweisen und die Verteidigung mußte in diesem Falle notgedrungen auf Freispruch plädieren. Trotzdem wurden gegen ihn wegen Vorbereitung zum Hochverrat 12 Jahre Zuchthaus beantragt, die wegen seines hohen Alters auf 10 Jahre ermäßigt wurden! ..."
Johann Steinacker wurde ins Zuchthaus Münster überführt, in dem auch viele andere kommunistische und syndikalistische Genossen interniert waren. Er erhielt eine Arbeit in der Schneiderei des Zuchthauses. Diese lag im ersten Stock des Gebäudes. Als Johann Steinacker, geschwächt durch die lange und beschwerliche Haftzeit, nicht mehr die Treppen zu seinem Arbeitsplatz hinaufsteigen konnte, trugen ihn seine Kameraden jeden Morgen auf ihren Schultern von seiner Zelle über die Treppen zum Arbeitssaal. Eines Tages jedoch nickte der alte, tapfere Mann bei seiner Arbeit ein. Zuchthauswärter beobachteten dies und machten eine Meldung. Kurze Zeit später erfuhren seine Freunde, daß er auf Veranlassung des Zuchthausdirektors Nebe in ein Konzentrationslager abgeschoben worden war. Sie wußten, daß dies für ihn den sicheren Tod bedeutet.
Am 14. April 1944 wurde Johann Baptist Steinacker als "unwertes Leben" im Massenvernichtungslager Mauthausen vergast.
Aus: Theissen / Walter / Wilhelms: Anarcho-Syndikalistischer Widerstand an Rhein und Ruhr. Zwölf Jahre hinter Stacheldraht und Gitter. Originaldokumente. Ems-Kopp-Verlag 1980. Digitalisiert von www.anarchismus.at