Anarchosyndikalistischer Widerstand - Köln

Ein Interview

Das folgende - hier auszugsweise veröffentlichte - Gespräch führten wir im Januar 1980 mit einigen ehemaligen Mitgliedern der anarchosyndikalistischen Jugend Kölns. Die Zeit des Faschismus erlebten sie aus der Sicht derer, die sich nicht als "brauchbare Mitglieder der deutschen Volksgemeinschaft" in den Nazi-Apparat eingliedern ließen. Ihre persönlichen Berichte tragen zu einer umfassenderen Einschätzung des Arbeiterwiderstands bei:


Könnt Ihr die Situation der FAUD und der anarchosyndikalistischen Jugend in Köln vor der Machtergreifung der Faschisten beschreiben?

Walter: Die Kölner Ortsbörse der FAUD bestand aus zwei unterschiedlichen Altersgruppen - man könnte sagen aus zwei Generationen. Die Älteren hatten sich zumeist in den Jahren 1919/20 in der FAUD organisiert. Sie beteiligten sich an den revolutionären Kämpfen anläßlich des Kapp-Putsches und erlebten schließlich den Niedergang der außerparlamentarischen Arbeiterbewegung in Deutschland. Wir hingegen sind erst später - über die Jugendbewegung - zur FAUD gekommen und waren daher auch hauptsächlich in der anarchosyndikalistischen Jugend Kölns aktiv. Dieser Erfahrungs- und Altersunterschied machte sich in der praktischen politischen Arbeit bemerkbar.

Anarcho-syndikalistische Jugend Köln 1921

Johann: Einig waren wir uns in der Ablehnung von Arbeitervertretern bei sozialpolitischen Auseinandersetzungen, und gemeinsam propagierten wir die Direkte Aktion. Wir, die Junganarchisten, hatten die Absicht, unser politisches Verhalten volkstümlich, vor allem praxisbezogen zu gestalten. Die älteren Genossen hingegen beschränkten sich oft auf theoretische Diskussionen, die ein so hohes Niveau hatten, daß sie teilweise gar nicht mehr verstanden wurden. Dies trug sicherlich nicht dazu bei, ihre Verbindung zur Basis zu stärken. Doch bei Streiks waren auch sie immer aktiv dabei.

In der Agit-Prop-Truppe arbeiteten sowohl alte als auch junge FAUD-Mitglieder: Wir plakatierten nachts ganze Straßenzüge und forderten die Arbeiter in den Betrieben zur Sabotage auf. Die Direkte Aktion erwies sich bei Streiks als die beste Möglichkeit, den Forderungen entsprechenden Nachdruck zu verleihen.


Ihr wart in der Anarchistischen Jugend organisiert. Könnt Ihr näheres über deren Entwicklung in Köln berichten?

Walter: Sie entstand 1925 in Kalk, wurde anfangs von Mathias Zander und Paul Geboni organisiert, breitete sich bald in Ehrenfeld, dann im ganzen Kölner Raum aus. Zu Beginn waren wir 15 - 20 Jugendliche und trafen uns regelmäßig in der "Freien Schulfarm" in Dellbrück.

Junge Anarchisten 1929Marga: Die Schulfarm war ein Erholungszentrum und diente der Freizeitgestaltung für Jugendliche. Unterhalten wurde sie vom Freidenker-Verband, einer antireligiösen Organisation, die konfessionsfreie Schulen betrieb und sich auch um viele andere kulturelle Bereiche kümmerte. Die "Freie Schulfarm" bot vielen Jugendlichen die Möglichkeit, sich gegenseitig kennenzulernen, besonders auch weil wir am Bau des Hauses mitgearbeitet haben.

Johann: Wir hatten dort intensive Begegnungen mit anderen politisch linksorientierten Jugendgruppen. Ich kann mich erinnern, daß wir gemeinsam mit Jungkommunisten, ISK’lern und Jugendlichen aus der SPD das Schwimmbecken der Schulfarm ausgehoben haben.

Walter: Wir haben sowieso viel mit den Jungkommunisten gemacht und befanden uns laufend in der Diskussion mit ihnen, wodurch wir uns mit den Ideologie-Inhalten auseinandersetzten. Sie hatten auch Differenzen mit den Älteren in ihrer Partei. Zwar brüllten sie die Parolen der KPD nach, aber sie war ihnen zu dogmatisch.

Johann: Der Zusammenhalt zwischen uns und den Jungkommunisten ging soweit, daß wir einmal gemeinsam einen Trupp vom "Jungdeutschen Orden" Verprügelt haben, weil sie uns vorher wegen unserer Russenkittel ausgelacht hatten.


Es gab also eine Jugendgruppe mit anarchistischen Ideen und Ansprüchen. Worin bestand nun Eure praktische Arbeit?

Marga: Wir hatten das Ziel, unsere Werte den Leuten mitzuteilen, und zwar so volkstümlich und basisnah wie möglich. Durch unsere Aktionen wurden wir bald sehr populär. Wir organisierten Veranstaltungen in größeren Sälen, zu denen wir Rudolf Rocker und Erich Mühsam als Redner einluden. Unser Genosse Harry Bartsch, der lange in Afrika gelebt hatte, referierte über die Zerstörung afrikanischer Kulturen durch die Kolonialisierung. Oder wir hielten sogenannte "Fragestunden", in denen Informationen zu Problemkreisen - wie Schwangerschaftsunterbrechung - gegeben wurden. Übrigens gaben wir auch Tips zum Verhalten bei Verhaftungen - das allerdings nur im kleineren Kreis.

Johann: Unsere Gruppe war von der Masse her nicht so groß, aber dafür waren wir sehr mobil. Überhaupt hatten wir viel mehr Idealismus als die Jugend heute. Da wurde nicht gefragt, "was krieg ich dafür". Jeder machte alles und das mit viel Spaß. Damit wurde das Hervortreten einiger aus der Gruppe, das "Spezialistentum", vermieden.

Walter: Vor allem bei unseren Theaterinszenierungen machte jeder mit. Wir führten politische Revuen auf, z.B. "Die Donauschiffer" (beinhaltet die Ausbeutung der Donauschiffer) oder "Zyankali" (Theaterstück von Friedrich Wolf gegen den §218). Oder Erich Mühsams Gedicht vom Lampenputzer wurde vorgetragen. In Sprechchören riefen wir zum Kampf gegen den Faschismus und gegen den Krieg auf. Wir traten für eine freie Sexualität ein und griffen den §218 an. ZurFinanzierung nahmen wir einen kleinen Eintritt. Auch verkauften wir zu diesem Zweck alte Exemplare unserer Zeitung "Junge Anarchisten"; meistens vor Theater- und Kinoausgängen. Bei unseren Wanderungen durch das Vorgebirge brachten wir den Bauern oft welche mit.


Ihr seid an die Öffentlichkeit getreten - mit welcher Wirkung?

Johann: Durch solche Aktionen wurden wir natürlich im ganzen Umkreis bekannt. Die Leute kamen gerne zu unseren Vorstellungen. Es gab in Köln kaum eine linkspolitische Veranstaltung ohne die syndikalistische Jugend.


Wie war sonst die politische Atmosphäre, wie verhielten sich die staatlichen Institutionen?

Walter: Auch in der Weimarer Republik waren wir staatlichen Repressionen ausgesetzt. Schon 1927 mußten wir die politische Polizei von unseren Veranstaltungsterminen unterrichten. Auch der SA, die immer stärker wurde und die Leute terrorisierte, waren wir bekannt. Für unseren späteren Widerstand war das sehr hinderlich; jeder wußte, daß wir uns zum Anarcho-Syndikalismus bekannten.

Anarchistische Jugend Köln 1932

Wie reagierten die Anarcho-Syndikalisten in Köln auf die Machtergreifung der Faschisten?

Marga: Unsere Organisation, die FAUD, wurde in Köln, wie auch in den meisten anderen Städten, Anfang Februar offiziell aufgelöst. Ihre bisher legalen Einrichtungen mußten aufgegeben werden, so z.B. unser Lokal in der Albertusstraße, dessen Möbel und auch sonstige Unterlagen unter den Mitgliedern verteilt wurden. Die Bibliothek schafften wir in ein Gartenhäuschen, wo sie uns vor dem Zugriff der Gestapo sicher schien. Eine Abzugsmaschine wurde für den Druck von Flugblättern in einem Keller in Köln-Ehrenfeld versteckt.

Walter: Die Situation spitzte sich dann aber immer mehr zu. Eine Welle von Hausdurchsuchungen traf diejenigen, die in der Opposition zu den Nazis standen, und das waren in Köln noch sehr viele, besonders in der Arbeiterschaft. Eine organisierte konspirative Tätigkeit wurde für uns immer schwieriger, ja fast unmöglich. Einige unserer Freunde mußten gleich zu Anfang fliehen. Sie gingen nach Amsterdam, wo von Genossen der FAUD eine Emigrantenanlaufstelle errichtet wurde.


Ihr spracht von einer starken Opposition gegen die Nazis in Köln. Wie beurteilt Ihr die Tatsache, daß es nicht zu einem effektiven Widerstand kam?

Johann: Erfolgreich hätte dieser nur vor der endgültigen Machtergreifung sein können. Aber die großen Arbeiterorganisationen waren untereinander zerstritten und konnten sich nicht zu einer Strategie entschließen. Ich erinnere mich an die Rede des Reichstagsabgeordneten der SPD, Otto Wels, der behauptete: "Wir brauchen nur ein Wort zu sagen und der ganze Nazi-Spuk ist zu Ende." Teile der Arbeiterschaft warteten auf dieses "Wort", tatsächlich aber geschah nichts von seiten der Partei- und Gewerkschaftsführungen.


Nachdem dann die Faschisten an der Macht waren, kam es in Köln dennoch verschiedentlich zu bewaffneten Widerstandsaktionen. Könnt Ihr darüber etwas berichten?

Johann: Ja, das ist richtig, doch muß man dazu sagen, daß dieser Widerstand nicht von den Arbeiterorganisationen initiiert wurde - diese waren ja nach den Massenverhaftungen ihrer Funktionäre praktisch zerschlagen. Die Kämpfe in einigen Arbeitervierteln Kölns entstanden hingegen spontan, ausgelöst durch die provozierenden Aufmärsche und Paraden der SA. So wollten die Nazis - ich glaube, das war im März 1933 - mit einer großen Formation in die Elsaßstraße einmaschieren. Bisher hatten sie sich nicht soweit vorgewagt, denn dort wohnten viele oppositionelle Arbeiter, besonders Jungkommunisten. Als der SA-Zug ungefähr bis zur Hälfte der Straße vorgedrungen war, hagelte es Abfälle und Blumentöpfe von den Dächern der Häuser. Die Bewohner errichteten Barrikaden aus Mülltonnen, schließlich kam es zu Schießereien. Die SA wurde sehr schnell in die Flucht geschlagen. Doch bald rückte sie erneut an, verstärkt durch Polizei, und riegelte mehrere Tage das ganze Viertel ab. Einige Genossen konnten durch die Hinterhöfe fliehen, aber viele wurden verhaftet. Es gab bei den Kämpfen drei Tote. Die Menschen im Viertel bekamen nun den Nazi-Terror in seiner ganzen Grausamkeit zu spüren: Razzien nach Waffen, antifaschistischen Schriften und sonstigem "Belastungsmaterial" wurden durchgeführt, wobei die Polizei Fußbodenbretter rausriß und die Wände der Wohnungen mit Pickeln aufbrach.

Walter: Ähnliche Widerstandsaktionen spielten sich auch in der Kalker Vietorstraße ab und in der Palanterstraße in Köln-Sülz. Der anschließende Terror sprach sich in ganz Köln rum. Die Leute gerieten in Angst und Schrecken, Organisierter Widerstand war kaum mehr möglich.

Das Regime übte starken Druck auf die Bevölkerung aus, aber auch die materielle Not trug zur Verängstigung bei; es gab 8 Mio Arbeitslose. Die Verzweiflung trieb viele in die Hände der Nazis, manch einer ging zur SA, nur um Stiefel für den Winter zu bekommen. Einige, zumeist kleine Geschäftsleute, die um ihre Existenz bangten, gingen in die NSDAP, um sich abzusichern; andere reizte die Macht, die sie durch einen Parteiposten über andere ausüben konnten. In dieser Situation bestand ein guter Boden für das Denunziantentum.


Wie wirkte sich dies alles auf Euch, Euren Alltag aus?

Johann: Sehr stark. Mein Vater, bei dem die Gestapo das Kassenbuch der FAUD fand, wurde verhaftet und während der Verhöre schwer mißhandelt. Trotzdem hatten wir noch Glück im Unglück: Einmal, weil bei der Hausdurchsuchung ein Stapel Flugblätter im Nachtschränkchen nicht aufgefallen war; außerdem wurde mein Vater bald wieder freigelassen, denn wir kannten eine Familie mit "Beziehungen", die für ihn ein Leumundszeugnis abgab.

Ich selbst bekam auch Ärger mit den Nazis. Sie kannten mich und meine Freunde noch von früher und wußten, daß wir Anarchisten waren. Oft wurde ich auf der Straße angehalten und gefilzt oder verprügelt. Erst als ich beim Arbeitsdienst war und diese Uniform trug, hatte ich Ruhe. Jetzt wurde ich eher von meinen Bekannten gemieden, weil sie dachten, ich sei ein Überläufer. Es war gar nicht so einfach, ihnen das zu erklären. - Mißtrauen war weit verbreitet; angesichts der politischen Lage aber auch notwendig...

Marga: Die Unterdrückung, der wir ausgesetzt waren, wirkte sich auch auf unser Gruppenleben aus. Offen konnte die anarcho-syndikalistische Jugend nicht mehr auftreten; aber selbst vertrauliche Zusammenkünfte waren in der Stadt zu gefährlich. Daher unternahmen wir Wanderungen in die Eifel und ins Bergische Land, wo wir uns auch mit anderen Jugendgruppen trafen. Wir tauschten Informationen aus und diskutierten miteinander. Jetzt zahlte es sich aus, daß wir damals in der "Freien Schulfarm" ein so gutes Verhältnis zueinander aufgebaut hatten. Insbesondere mit den Jugendlichen vom ISK und den Nationalkommunisten hatten wir noch lange freundschaftliche Kontakte.


Entwickelte sich aus diesen Verbindungen eine Widerstandsarbeit?

Walter: Manchmal gingen wir nachts gemeinsam mit Kleistereimern durch die Straßen und klebten überall Handzettel. Wenn wir gutes Material hatten, benutzten wir Wasserglas als Klebstoff, was sehr schwer zu entfernen ist. Das war alles sehr riskant, weil Polizei und SA nachts in den Straßen Streifendienste verrichteten. Wir brachten uns dadurch schon in Gefahr, aber alle hofften natürlich, nicht erwischt zu werden, obwohl auch niemand damit rechnete.

Ansonsten wehrten wir uns mehr durch alltägliche Kleinigkeiten, z.B. durch Krankmachen, wenn wir als Westwall-Arbeiter eingesetzt wurden, oder einfach durch Schwarzarbeit. Es war nur möglich, versteckt, zusammen mit Freunden und engen Bekannten zu arbeiten, um das Risiko gering zu halten; beispielsweise auch bei der Verbreitung von Schriften und Broschüren. Trotzdem versuchten wir, sämtliche antifaschistischen Unterlagen auszutauschen, egal woher sie kamen, das Material wurde ja auch immer knapper.

Marga: Es konnte wegen der fehlenden Organisation und der miserablen Lage, die sich immer mehr verschlechterte, eine Auflehnung gegen das System nur auf einer individuellen Ebene stattfinden. Da gibt es viele Fälle.

Johann: Ja, beispielsweise im Jahre 1939 habe ich im Kölner Hauptbahnhof als Anstreicher gearbeitet. Zur gleichen Zeit wurden dort die Soldaten für die Westfront verladen. Diese Gelegenheit wurde genutzt, in den Wartesälen Handzettel auszulegen, die die Soldaten über ihre wahre Funktion im Faschismus aufklären sollten.

Im gleichen Jahr wurde auch ein Schwarzsender gemeinsam von einem Anarcho-Syndikalisten und einem Kommunisten betrieben. Während der Sendungen fuhren sie mit einem kleinen Lieferwagen durch die Stadt und "kommentierten" die Propagandareden der NSDAP im Radio. Leider war das nur für kurze Zeit möglich. Sie wurden mit Peilgeräten gesucht und die Angelegenheit wurde zu gefährlich. Schließlich mußten sie den Sender wegen der Hausdurchsuchungen auch noch zerlegen.


Bestanden für Euch Möglichkeiten, überregionale Kontakte aufzunehmen?

Marga: Das war ebenfalls nur im persönlichen Bereich durchführbar. Bis Mitte 1934 hatte mein Mann noch Verbindung zu Julius Nolden aus Duisburg. Er hatte uns des öfteren besucht und Schriftenmaterial mitgebracht. Leider war die Gestapo schon auf der Spur Noldens und wir mußten den persönlichen Kontakt abbrechen.

Sonst habe ich das Material meistens aus Amsterdam geholt, per Anhalter oder mit dem Zug; auch um unsere emigrierten Freunde zu besuchen. Hier habe ich oft Informationen aus dem Ausland bekommen, die in Deutschland unterschlagen wurden. Zu dieser Zeit bin ich sowieso viel gereist, deshalb war das auch nicht so auffällig.

Pech hatte ich allerdings im Winter 1936. Anläßlich eines Weihnachtsbesuches bei Verwandten in Schlesien habe ich auf der Rückreise in Chemnitz halt gemacht um unsere Genossen dort aufzusuchen. Als ich nachmittags bei ihnen eintraf, waren sie in größter Aufregung und hatten sämtliches Material versteckt. Ein paar Tage vorher waren einige von ihnen auf Skiern in die Tschechoslowakei gefahren, um von einer Druckerei antifaschistische Schriften abzuholen. Auf dem Rückweg verunglückte einer, und so waren die Behörden im Spiel. Gleich am nächsten Morgen kam die Gestapo und führte eine Hausdurchsuchung durch. Zwei der Genossen wurden verhaftet, mich hatten sie als Besucher laufen lassen. Danach habe ich erst die Wohnung aufgeräumt, meinen Koffer bei Nachbarn untergestellt, um dann noch andere Leute zu besuchen. Als ich zurückkam, hieß es die Polizei hätte meinen Koffer abgeholt, und ich sollte mich beim Revier melden. Dort wurde ich zwölf Tage festgehalten aufgrund eines Haftbefehls, in dem es hieß, ich sei "verdächtigt im anarcho-syndikalistischen Sinne tätig geworden zu sein". Während der täglichen Verhöre wurde ich vor allem auf meinen Mann angesprochen.

Sie führten mich in einen Raum, auf dessen Tische sämtliche unserer illegalen Schriften ausgebreitet waren. Auf die Frage, ob ich diese schonmal gesehen hätte, deutete ich auf eine Zeitung, die vor 1933, also noch legal erschienen war, um noch irgendwie glaubwürdig zu bleiben. Sonst leugnete ich jegliche illegale Tätigkeit ab.

Erst als mir partout nichts nachzuweisen war, wurde ich freigelassen, mit der Auflage die Stadt sofort zu verlassen. Zu Hause traf ich meinen Mann sehr beunruhigt an. Er hatte schon vermutet was geschehen war, denn auch im Rheinland häuften sich plötzlich die Festnahmen. Ein paar Tage später sind wir dann auch von der Kölner Gestapo verhaftet worden. Ich wurde drei Wochen im El-De Haus festgehalten. Während der Kreuzverhöre konnte ich sämtliche Anschuldigungen erfolgreich von mir weisen. Meinen Mann überführten sie nach drei Wochen Mißhandlung in den Klingelpütz. Ihm konnten sie aufgrund von Unterlagen, die sie in Duisburg gefunden hatten, was anhängen. Nach einem Jahr Untersuchungshaft wurde er dann im Mammut-Prozeß 1937 mit 95 anderen angeklagt. Da ihm keine Gruppentätigkeit nachzuweisen war, ist er mit vier Jahren Haft davongekommen. Zuerst saß er im Zuchthaus Lüttringhausen, wo ich ihn anfangs alle drei Monate nur zehn Minuten besuchen durfte.

Noch nach seiner Entlassung waren wir einer ständigen Kontrolle von seiten der Gestapo ausgesetzt: Ab 22 Uhr durften wir die Wohnung nicht mehr verlassen und hatten einen Hausschlüssel abzuliefern - zwecks Überprüfung. Wollten wir verreisen mußte beim Oberstaatanwalt ein Antrag gestellt werden. Erst gegen Ende des Krieges, nachdem wir ausgebomt waren und umziehen mußten, hatten wir unsere Ruhe.

Zu dieser Zeit verloren die Nazis auch schon die Kontrolle über die Stadt, und es wurde wieder in organisierter Form Widerstand geleistet, z.B. 1944 von den Edelweißpiraten.

Aus: Theissen / Walter / Wilhelms: Anarcho-Syndikalistischer Widerstand an Rhein und Ruhr. Zwölf Jahre hinter Stacheldraht und Gitter. Originaldokumente. Ems-Kopp-Verlag 1980. Digitalisiert von www.anarchismus.at


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