Die Bakuninhütte in Geschichte und Gegenwart

Anmerkung: Der folgende Text entstammt einer frühen Broschüre zur Bakuninhütte aus den 1990er-Jahren. Damals scheiterte ein erster Versuch, die Hütte für die anarchistische Bewegung wiederzugewinnen 1994 an der Ablehnung der Anträge auf Rehabilitation durch das Amt für offene Vermögensfragen. Neue Bemühungen um die Hütte gab es ab 2003 und 2005 gelang ihr Rückkauf. Seit 2006 dient nun der Wanderverein Bakuninhütte e.V. als Nutz- und Unterstützungsverein. 2015 wurde die wiedergenutzte Hütte als erstes Gebäude der anarchosyndikalistischen Bewegung als Kulturdenkmal anerkannt.

Vorwort

Die Geschichte des Vernichtungsfeldzuges des Naziregimes gegen progressive Denker, Regimegegner und Nichtdeutsche liegt für viele inzwischen weit in der Vergangenheit zurück. In der linksorientierten Bevölkerungsschicht entwickelte sich in den Zwanziger Jahren ein starker Zusammenhalt, welcher den Mächtigen der Weimarer Republik und deren faschistischen Nachfolgern ein Dom im Auge ihrer Herrschaft war. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten vor nunmehr 61 Jahren wurde den geschaffenen Freiräumen ein abruptes Ende gesetzt. In Meiningen, einer mittleren Kreisstadt in Thüringen, schlossen sich in den Zwanzigern eine Gruppe von freidenkenden Menschen zusammen, um, in der FAUD organisiert, ihren Vorstellungen Gestalt zu verleihen. Sie erwarben ein Stück unerschlossenes Land in der Umgebung von Meiningen und errichteten ein Gebäude, welches in der anarchistischen Bewegung ein Begriff wurde, die BAKUNINHÜTTE.

Der Siedlungsverein "Gegenseitige Hilfe" e.V., welcher die Hütte unterhielt, wurde im Jahre 1933 verboten und enteignet. Auch nach 1945 erhielten die Mitglieder ihren geschaffenen gesellschaftlichen Freiraum nicht wieder zurück. Heute, nach über 60 Jahren, existiert zwar ein Antrag auf Rehabilitierung des Verein, jedoch kann mensch vermuten, daß der Staat sich einzumischen versteht. Zweifel an der Neutralität des Staates sind angesichts der Entwicklung in der Mainzer Straße oder der Hafenstraße jedenfalls angebracht.

Diese Broschüre soll die Aufgabe haben, die BAKUNINHÜTTE wieder bekannter und interessanter für alle Kreise der aufgeschlossenen Bevölkerung zu machen, und gleichzeitig dazu dienen, der überregionalen Unterstützung den Weg zu ebnen, damit sich eventuell die Chancen auf die Wiedergewinnung erhöhen.

Freies Land und freie Hütte,
Freier Geist und freies Wort
Freie Menschen, freie Sitte
Zieht mich stets zu diesem Ort

(Inschrift einer ehemaligen Tafel an der Bakuninhütte)

Fund der Bakuninhütte

Durch die hermetische Abschottung des Übungsgeländes der Bereitschaftspolizei an und um die BAKUNINHÜTTE war das Grundstück für die normale Bevölkerung zu DDR - Zeiten nicht zugänglich. Besonders die jüngere Bevölkerungsschicht kannte die Hütte allenfalls durch den Wehrdienst und hatte über ihre Entstehungsgeschichte, Enteignung und spätere Nutzung durch die Nationalsozialisten nichts erfahren.

Im Jahre 1990 erfuhr ein Mitglied der Antifa zum ersten Mal etwas von einem Gebäude namens BAKUNINHÜTTE. Die Nachforschungen verliefen zu Beginn zumeist sporadisch, da der Philosoph dem Großteil der linksorientierten Gruppe weniger bekannt war. Nach eher oberflächlichen Nachforschungen und einer erfolglosen Suche war sie vorläufig kein Thema mehr. Einige Zeit später, nach dem Erwerb des Werkes "Staatlichkeit und Anarchie", wurde erkannt, daß hinter dem Namen der Hütte doch einiges mehr verborgen liegt.

Die Voraussetzung zu einer erneuten Suche nach der BAKUNINHÜTTE war erfolgversprechender, da, als mensch den wahren Grund für den Bau der Hütte erkannte, durch vorangegangene Erkundung ein Bild vorhanden war, mit dessen Hilfe das Gebäude identifiziert werden konnte. Der Erfolg stellte sich nun auch nach einiger Mühe ein. Die Suchenden waren völlig begeistert von dem was sie vorfanden. An einem Waldrand, umschlossen mit viel Vegetation, stand ein zweistöckiges Gebäude, welches mensch nicht mehr als Hütte bezeichnen konnte. Die BAKUNINHÜTTE machte entgegen der Erfahrung mit anderen alten Häusern äußerlich einen sehr gut erhaltenen Eindruck, welches die Stimmung nur noch mehr anhob. Nach den darauf folgenden Recherchen, wobei immer eindeutiger wurde, auf was die Mitglieder der Antifa gestoßen waren, wurde der Entschluß, die Wiedereinweihung mit einer Party zu begehen, von allen bejubelt. Aus dieser Feier entwickelte sich die seitdem alljährlich stattfindende Jahresauftaktsparty. Sie soll in diesem Jahr und in Zukunft noch stärker der Problematik rund um die BAKUNINHÜTTE gewidmet werden.

Zur Geschichte

Der Aufbau

Im Jahre 1919 bildete sich parallel zur Gründung der Freien Arbeiterunion Deutschlands eine FAUD Ortsgruppe Meiningen. Sie bestand zum damaligen Zeitpunkt aus 30 Mitgliedern. Da die Armut kurz nach dem 1. Weltkrieg Alltag für einen Großteil der Bevölkerung war, entschloß sich die Ortsgruppe den erwerbslosen Genossinnen zu helfen. Sie erwarb in der Nähe Meiningens ein etwa 0.5 ha großes Grundstück, auf dem Nahrungsmittel zur Überbrückung dieser Zeit angebaut werden sollten.

Das Grundstück kostete 21000 RM, was für die Gruppe kein gerade lächerlicher Betrag war. Hermann Staedtler aus Dreißigacker, der gerade geerbt hatte, stellte 11000 RM zur Verfügung. Ein weiterer Genosse namens Otto Heller konnte 4000 RM beisteuern. Die restlichen 6000 RM liehen sich die Mitglieder von einem Verwandten Fritz Baewerts. 1920 konnte damit der Entschluß in die Tat umgesetzt werden. Bis 1925 baute mensch auf dem Grundstück Kartoffeln, Gemüse und Getreide an. Als sich die wirtschaftliche Situation besserte, wurde der Anbau so nach und nach vernachlässigt, bis das Grundstück dann brach lag.

Jedoch hatten die Genossinnen ihr Stück Land lieb gewonnen, was sie animierte sich kontinuierlich zu treffen und ihre Freizeit hier zu verbringen. 1922 verzichtete Hermann Staedtler auf seinen Anteil. Die restlichen 10000 RM konnten zurückgezahlt werden.

Damit hatte die FAUD Ortsgruppe ihre Grundstücksschulden getilgt. Eines Tages wurden die Besucherinnen von einem Gewitterregen überrascht und mußten völlig durchnäßt nach Hause zurückkehren. Franz Dressel, ein Mitglied, hatte die Idee eine kleine Hütte für solche Fälle zu errichten. Der Einfall stieß auf Wohlwollen und es wurde spontan eine Überdachung errichtet, die fortan die Schutzhütte genannt wurde. Es dauerte nicht lange, da beschloß mensch die Hütte zu einem verschließbaren Raum auszubauen. Bei dieser Arbeit halfen schon andere Menschen, z.B. beim Steine transportieren. Nach der Fertigstellung erhöhte sich die Besucherinnenzahl schlagartig. Die Bevölkerung spendete Herde, Öfen, Feldbetten ... Jetzt konnten die BesucherInnen selbst etwas Eßbares zubereiten und für Getränke wurde auch bald gesorgt. Das Grundstück hatte sich schnell zu einem beliebten Treffpunkt entwickelt, auf dem nicht nur Mitglieder der FAUD ihre Freizeit verlebten.

Die besten Jahre

In den darauffolgenden Jahren entwickelte sich das Leben auf dem Grundstück beträchtlich. Auch wurde die dort errichtete Schutzhütte bekannter in Deutschland. Es stellte sich schnell heraus, daß das Gebäude für größere Treffen zu klein war. Ein werterer Ausbau wurde angedacht, der Traum einer Arbeiterkolonie entstand.

Zu dieser Zeit einigte sich die Ortsgruppe auf eine Überschreibung des Grundstücks an die Gemeinschaft. Praktiziert wurde das eigentlich schon lange. Jedoch waren Otto Baewart und Ferdinand Ruettinger auf dem Grundbuchamt die eingetragenen Besitzer, was späteren Generationen Probleme schaffen könnte.

Da die FAUD nicht rechtsfähig war, entschlossen sich die Mitglieder der FAUD Ortsgruppe einen Verein zu gründen. Er sollte als Eigentümer gelten, womit die willentliche Nachfolgeschaft gesichert werden konnte. Der Zusammenschluß wurde Siedlungsverein "Gegenseitige Hilfe" genannt, wurde als e.V. rechtsfähig und erschien ab 1927 im Grundbuch in Meiningen als Eigentümer. Der Siedlungsverein "Gegenseitige Hilfe" e.V. verstand sich auch unter diesem Namen als ein Teil der FAUD.

In seiner Satzung stand unter § 3a , daß die Provinzialbörse Groß-Thüringens ständiges Mitglied im Siedlungsverein war. Weiterhin legte er fest, daß ein Austritt aus der FAUD gleichzeitig der Austritt aus dem Verein bedeutete. Für eine zu diesem Zeitpunkt nicht vorgesehene Auflösung schrieb die Satzung vor, daß das gesamte Vermögen an die FAUD übergehe. Dies alles hatte jedoch keinen Einfluß auf das Leben an der Hütte. Es war wohl eher eine aufgezwungene Antwort an die deutsche Bürokratie. Etwa zur gleichen Zeit wurde das Gebäude umgetauft in "Bakuninhütte". Auf dem Grundstück wurde ein Gedenkstein für Michael Bakunin errichtet, der heute in den sicheren Händen des Siedlungsvereins "Gegenseitige Hilfe" e.V. ist. Weiterhin entstand eine Steingruppe, die an die Ermordeten Sacco und Vanzetti und an Francisco Ferner erinnerte.

An der Hütte arbeiteten Otto Walz und sein Sohn Heini eine Marmorplatte ein, mit der Inschrift: "Freies Land und freie Hütte / Freier Geist und freies Wort / Freie Menschen freie Sitte / Zieht mich stets zu diesem Ort".

Die folgenden Jahre waren wohl die Blütezeit der Bakuninhütte. Das Ziel des Vereins eine Ferienstätte für die Genossen, einen Tagungsort und ein Wanderziel zu schaffen, wurde verwirklicht. So fand hier unter anderem 1930 das erste Reichsferienlager der Syndikalistischen Anarchistischen Jugend Deutschlands (SAJD) statt. Auch luden die Mitglieder des Vereins überregional zur Einweihungsfeier des Neubaus für den 27. und 28.5.1928 und zum Frühlingsfest am 20.5.1929 ein.

In dieser Zeit entstand das Hüttenbuch, in das sich BesucherInnen eintrugen und ein paar Sätze hineinschrieben.

Fritz Scherer, ein Anarchosyndikalist aus Berlin, war etwa ein Jahr Hüttenwart und veröffentlichte einige Berichte über die "Bakuninhütte"und ihre schönste Zeit. Jedoch sollte es nicht so kommen, wie es sich die Mitglieder des Siedlungsvereins erträumten.

1933-1945

Wie überall in Deutschland bedeutete die Machtergreifung der NSDAP auch für den Verein ein abruptes Ende. Die Machtergreifung der Nazis am 30.1.1933 hatte schnell Folgen für den Siedlungsverein "Gegenseitige Hilfe". Am 3. April 1933 verfügte der Stadtvorstand von Meiningen, aufgrund §1 der Verordnung des Reichspräsidenten vom 28.2.1933 -RGB-, die Auflösung des Vereins mit sofortiger Wirkung. Die Hütte wurde durchsucht, geschlossen und beschlagnahmt. Gleich darauf meldete die Stadt Meiningen Interesse für die Bakuninhütte an.

Am 24. August 1933 wurde ein Vertrag zwischen dem thüringischen Kreisamt als Vertreter des thüringischen Innenministeriums und dem Stadtvorstand Meiningen unterschrieben, in dem es heißt, daß das beschlagnahmte Eigentum des Vereins leihweise der Stadt Meiningen übertragen wird. Im Juli 1934 trat das thüringische Innenministerium mit der SS in Kontakt. Die sollte bei einer eventuellen Übernahme der Bakuninhütte lediglich einen Unkostenbeitrag von 100 RM zahlen. Die SS war damit einverstanden. Für sie sollte der SS-Hauptsturmführer Schaller aus Meiningen in das Grundbuch eingetragen werden. Im Grundbuch ist jedoch keine solche Eintragung zu finden. Am 31.8.1935 wurde stattdessen die NSDAP München als Eigentümer des Grundstücks ins Grundbuch eingetragen. Wahrscheinlich konnte die nichts besonderes damit anfangen, oder zumindest nicht zweckmäßig nutzen, denn schon 1937 änderte sich laut Grundbuch wiederum der Eigentümer. Bis 1947 war die Bakuninhütte einschließlich Grundstück in Besitz von Otto Siggert aus Ellingshausen. Ob dieser sie von der NSDAP käuflich erwarb oder geschenkt bekam ist nicht aus den vorhandenen Unterlagen zu erkennen.

Was nach der Auflösung des Siedlungsvereins "Gegenseitige Hilfe" innerhalb der Gruppe geschah, ist nicht bekannt. Es heißt, einige der Mitglieder hätten am Spanienkrieg teilgenommen. Laut einem Bericht von Fritz Scherer sei Otto Walz, dem ehemaligen Vorsitzenden des Siedlungsvereins, von der NSDAP vorgeschlagen worden, die Hütte wieder übernehmen zu können. Das war sicher ein Versuch herauszubekommen, ob die anarchosyndikalistische Gruppe noch existierte. Er lehnte das Angebot richtigerweise ab.

1945

Der zweite Weltkrieg und 12 Jahre faschistische Diktatur waren mit dem Ergebnis von 50 Millionen Toten zu Ende. Allgemeiner Optimismus und Zukunftshoffnung für eine gerechte und freie Gesellschaft beherrschten das linke Spektrum. Nur sollte, durch die Spannungen zwischen den Alliierten und dem gewollten Alleinanspruch der SED auf Neugestaltung der Gesellschaft nichts daraus werden. Die anarchistische Bewegung war im dritten Reich völlig vernichtet worden, ein Neubeginn wurde durch die SED mit ihren sowjetischen Verbündeten im Keim erstickt. So geschah es auch in Meiningen. Laut Fritz Scherer, der nach dem Krieg als Gefangener der Roten Armee nach Meiningen kam, war Otto Walz, um politisch tätig sein zu können, in die KPD eingetreten. Er wurde als bekannter Revolutionär in den Meininger Vorstand gewählt. 1946 verstarb Otto Walz an Krebs und soll auf dem Sterbebett die Bakuninhütte an die SED vermacht haben.

Laut der Satzung des Siedlungsvereins "Gegenseitige Hilfe" wäre dies niemals möglich gewesen, schon gar nicht durch eine einzelne Person. Die Rechnung ist einfach. Die Nazis hatten gute Vorarbeit geleistet. Ein Verein, der nicht existiert, hat keine Satzung und keine derartigen Rechte. Der ehemalige Siedlungsverein kämpfte um seine Rehabilitation und verhandelte mit der SED über die Rückgabe der Bakuninhütte. Das Ergebnis war ein "Nein" und zuguterletzt wurde Ihnen sogar mit Repressionen durch die sowjetische Besatzungsmacht gedroht.

So erfuhren die Anarcho-Syndikalisten kein anderes Schicksal als 1933. Fritz Scherer schrieb: "Auch ohne Otto hätten die sogenannten Kommunisten dieses Land samt Hütte beschlagnahmt. So ging das einstige, mit viel Mühe, Arbeit und Opfern erbaute Grundstück der Arbeiterschaft wieder verloren."

Otto Siggert, der bis 1945 Besitzer war, übergab laut vorliegendem Archivmaterial die Hütte an die "Aktiva". Der Vertrag wurde von einem Notar beglaubigt und beidseitig unterschrieben. Nachkommen von O. Siggert behaupten, er wäre zu diesem Schritt gezwungen worden. Wie das ja bei dem Siedlungsverein zu erkennen ist, liegt das auf jeden Fall im Rahmen des Möglichen. Nur sollten sich die Nachkommen anhand der Geschichte der Hütte überlegen, woher Otto Siggert das Grundstück hatte. Gleichzeitig sollte angedacht werden, wenn die Übereignung 1947 unrechtmäßig war, ob die Enteignung des Vereins durch die Nazis ein gerechter Schritt gewesen ist, und daß vielleicht Otto Siggert unrechtmäßig dieses Grundstück besessen hatte.

1960 bekam sie die Energieversorgung Suhl, 1961 der Rat des Bezirkes, Abteilung Landwirtschaft. 1964/65 wurde das Grundstück durch den Rat des Bezirkes, Abteilung "Lehr-und Forschungsstation für Natur- und Heimatpflege" genutzt. Ab 1965 hatte der Rat der Stadt Meiningen, Abteilung Kultur Verwendung für die Hütte. Dieser gab sie dann 1970 an das Ministerium des Innern, bei dem sie dann bis heute blieb. Vom damaligen Zeitpunkt an wurde die Hütte Stabsgebäude für Übungen der Bereitschaftspolizei Meiningen. Ab 1989 wurde das Gebäude nicht mehr durch das Ministerium genutzt, jedoch befindet sich das Grundstück bis zur Beendigung des Liegenschaftsverfahrens in dessen Händen.

Die "Aktiva" überschrieb, für den selben Betrag wie an Otto Siggert ausgezahlt, das Grundstück an die Gemeinde Ellingshausen, die es aber schon ein Jahr vorher betreute. Von nun an wechselte der Eigentümer ständig zwischen den einzelnen Institutionen. Noch 1953 ging die Bakuninhütte an den Rat des Kreises, Abteilung Volksbildung.

Gründung des Vereins

Im Dezember 1989 schloß sich, hauptsächlich in Bezug auf die bevorstehende Wiedervereinigung, eine Gruppe Jugendlicher in Meiningen zusammen, welche auf den allwöchentlich stattfindenden Demonstrationen mittels Flugblättern versuchte, die Bevölkerung von den bevorstehenden Problemen zu informieren. Wie überall in der ehemaligen DDR stieß dies fast ausnahmslos auf taube Ohren und Ablehnung. Aus dieser Gruppe entstand, zusammen mit linksorientierter Jugendlichen aus Suhl, 1990 die Antifa Suhl-Meiningen. Dieser Zusammenschluß arbeitete vorrangig an der Aufgabe, in ihren Städten selbstverwaltete Jugendzentren zu schaffen, welches in der folgenden Zeit auch mit einigen Rückschlägen gelang. Mit der überregionalen Strukturierung und dem Hinzukommen einer Gruppe aus Ilmenau entstand die Antifa Südthüringen.

Nachdem 1991 die BAKUNINHÜTTE entdeckt worden war, entschlossen sich ein Teil der Antifa-Ortsgruppe Meiningen und einige nichtorganisierte linke Jugendliche, sich zusammenzuschließen, um das ehemals der anarchistischen Bewegung gehörende Grundstück mit dem Gebäude für die heutige linke Bewegung wiederzugewinnen. Da diese Gruppe dieselbe Wettanschauung wie der frühere Siedlungsverein "Gegenseitig Hilfe" e.V. vertritt und als der einziger Zusammenschluß dieser Art in Meiningen vertreten ist, sah und sieht sich diese Vereinigung in der unmittelbaren Nachfolge des damaligen Vereines. In erster Linie wurden Recherchen in den Archiven und bei Augenzeugen geführt, wobei die FAU starke Unterstützung leistete. Am 18.03.1991 gründete sich der heutige Siedlungsverein "Gegenseitige Hilfe", welcher kurze Zeit später als "eingetragener Verein" anerkannt wurde. Im August 1991 hinterlegte er beim Liegenschaftsamt Meiningen einen Antrag auf Rehabilitierung und Rückgabe des enteigneten Grundstückes einschließlich der BAKUNINHÜTTE. Das Liegenschaftsverfahren ist bis heute nicht eröffnet worden, und somit steht nach wie vor im Raum, ob dieser Ort wieder so genutzt werden kann, wie es durch den damaligen Siedlungsverein "Gegenseitige Hilfe" e.V. geplant war und auch bis 1933 durchgeführt wurde.

Derzeitige Situation

Einer Einschätzung des Siedlungsvereins "Gegenseitige Hilfe" e.V. zufolge, kann im Rückblick auf die letzten drei Jahre nur von minimalem Erfolg gesprochen werden.

Dem anfänglichen Optimismus stellte sich schnell deutsche Bürokratie und Antipathie seitens verschiedener Institutionen entgegen. Auch verschiedene Bevölkerungsteile der umliegenden Dörfer waren durch falsche Information nicht gerade angetan von dem, was sich aus ihrer Sicht an der Hütte abspielte.

So war mensch der Meinung, daß dort Rowdies randalieren würden, der Müll nicht beseitigt und die Umwelt zerstört wird, sowie daß Neonazis hier ihren Treffpunkt hätten. Das letztere kam wohl daher, daß einzelne Personen keine Vorstellung darüber besaßen, welcher politischen Richtung Menschen mit bunten Haaren zuzuordnen sind.

Das Randalieren und der Müll sind Realität, jedoch nicht von uns verursacht, sondern wie mensch sicher verstehen wird, nicht gerade begeistert von uns vorgefunden. Die frisch angepflanzten Klettergewächse wurden abgebrochen, Plastik- und Metalldosen gleichmäßig auf dem Gelände verteilt, ebenso wurde das Hüttenmobiliar zerstört.

Nachdem die Polizei die Bakuninhütte gesperrt hatte, entschloß sich der Siedlungsverein "Gegenseitige Hilfe" einen Antrag auf vorläufige Übernahme (bis zur Entscheidung im Liegenschaftsverfahren) der Bakuninhütte mit Grundstück zu stellen. Die Polizei lehnte ihn ab mit der Begründung, daß es unfair sei, die Hütte einem Antragsteller vorläufig zu übergeben. Der zwischenzeitliche Besitzer würde schließlich seine eigenen Vorstellungen in die Tat umsetzen, was vielleicht gar nicht im Interesse des zukünftigen Eigentümers wäre.

Widerwillig akzeptierten die Mitglieder diese Entscheidung. Kurze Zeit später kam erneut Post von der Polizei. Darin wurde der Siedlungsverein informiert, daß bis zum Abschluß des Liegenschaftsverfahrens die Gemeinde Ellingshausen die Bakuninhütte mieten würde. Zur Erinnerung: Ellingshausen verwaltete die Hütte in den 50er Jahren ca. ein Jahr lang, und ist ebenfalls Antragsteller im Liegenschaftsverfahren. Dies wurde als erstes Zeichen für Gegenwind von Seiten des Staates gewertet.

Die Gemeinde Ellingshausen plant die Bakuninhütte zur Wanderhütte auszubauen, erfuhr ein Sympathisant des Siedlungsvereins, der sich als Journalist ausgab. Jedoch hat sich seitdem nichts getan.

Im Herbst 1993 erschien im "Freien Wort" (Regionalzeitung) ein völlig einseitiger Artikel. Der Autor hatte sich weder mit dem Siedlungsverein in Verbindung gesetzt, zwecks Recherche, noch wurde die Geschichte der Bakuninhütte überhaupt erwähnt.

Natürlich kam allgemeine Empörung über die Vorgehensweise des Journalisten auf und das "Freie Wort" mußte einen Artikel des Siedlungsvereins abdrucken. Darin wurde dann beispielsweise auch die unrechtmäßige Übernahme der Hütte durch Ellingshausen, sowie die Tatenlosigkeit der derzeitigen Besitzer erwähnt.

Diese Kritik rief den Bürgermeister der Gemeinde auf den Plan. Er konterte damit, daß der Siedlungsverein noch Mobiliar in der Hütte stehen hätte. Der Siedlungsverein räumte die Bakuninhütte vollständig, was jedoch nichts am Verhalten der Ellingshäuser änderte. Es hat sich nichts an der Hütte getan.

Seit dem Frühjahr 1991 findet alljährlich eine Frühlingsfete statt. Der Charakter dieser Feiern änderte sich mit den zunehmenden Schwierigkeiten. 1993 wurden zum ersten mal auswärtige Menschen eingeladen, um die Bakuninhütte überregional bekannter zu machen und gleichzeitig Informationen über die Problematik zu verbreiten.

Nicht nachweisbaren Gerüchten zufolge hatte am Abend der Fete 1993 die Polizei einen Einsatz geplant. Falls dies der Wahrheit entspricht, ist anzunehmen, daß in nächster Zeit der Versuch einer Kriminalisierung ansteht. Die Gründe dafür werden jeder/m klar sein.

Die Unterstützerinnengruppe weiß auch, daß es ohne überregionale Unterstützung schwer sein wird, aus dem Liegenschaftsverfahren oder/und einem Verhinderungsversuch staatlicherseits, erfolgreich hervorzugehen.

Nachwort

70 Jahre alt ist die Bakuninhütte und nur knapp 10 Jahre davon wurde sie so genutzt, wie es sich die Erbauerinnen vorstellten. Durch die Nazidiktatur und die SED Herrschaft war es Ihnen verwehrt, ein Projekt fortzuführen, das in Meiningen und überregional in der anarchistischen Bewegung viele Sympathisanten fand. Erbaut wurde dieser Ort, um Frieden, Freiheit und Spaß fern von jeder staatlichen Ordnung und Herrschaft möglich zu machen. Mißbraucht wurde er von SS und Bereitschaftspolizei. Gerade diese diktatorischen Institutionen sollten ihre kriegsvorbereitenden Übungen und ihre Gelage hier durchführen können.

Die DDR hatte es nie fertiggebracht, andere libertäre Gruppen anzuerkennen und genau damit hatte sie sich schon zu einem guten Nachfolger der NS-Diktatur gemacht. Projekte wie die "Bakuninhütte" hätten ihr sicher sehr gut getan, denn keine Strömung innerhalb der Linken ist allwissend und macht alles richtig.

In der DDR konnte keine Gesellschaft entstehen, die sich zu einem Sozialismus in Freiheit entwickelt. Das zeigt auch die Verweigerung einer Rehabilitierung des Siedlungsvereins. Dies ist nur ein kleiner Stein im Mosaik der Unbelehrbarkeit des sozialistischen Systems.

Es ist schwer, 61 Jahre nach der Enteignung durch die Nazis Personen von damals zu finden, die gemeinsam mit den heutigen Zusammenschlüssen das Projekt "Bakuninhütte" fortsetzen wollen. Jedoch muß damit endlich begonnen werden.

Nach NS-Diktatur und DDR besteht heute wieder dasselbe System, wie in der Weimarer Republik, in der die Hütte erbaut wurde. Außerdem ist es unsere Geschichte, unser Freiraum der uns weggenommen wurde und der nach über 60 Jahren noch immer nicht wieder in unserer Hand ist. "Uns" heißt nicht die Meininger Unterstützerinnen des Projekts oder der heutige Siedlungsverein "Gegenseitige Hilfe" e. V. "Uns" heißt: alle Menschen, ob regional oder überregional, die sich mit der anarchistischen Bewegung identifizieren und mit ihr sympathisieren.

"Uns" heißt auch: die Bevölkerung, die es satt ist, ihr Leben ständig in grundsätzlichen Bahnen zu führen und die vielleicht auch einmal in solchen Projekten einen neuen und möglicherweise besseren Weg zu einer progressiven und friedlichen Gesellschaft sieht.

Es muß damit gerechnet werden, daß sich der Staat etwas einfallen läßt, um eine Rückgabe zu verhindern. Mit der Vermietung an die Gemeinde Ellingshausen wurde der erste Schritt getan. Das Liegenschaftsverfahren dürfte langsam vor der Tür stehen. Um die Bakuninhütte wieder unser nennen zu können, bedarf es einer starken Unterstützung. Die Verfasser der Broschüre, möchten sich im Namen des Siedlungsvereins "Gegenseitige Hilfe" e. V. insbesondere bei Alexander G. (Historiker aus Berlin), bei allen Freundinnen der FAU und allen unbekannten Helferinnen bedanken, die durch ihre Nachforschungen in Bezug auf die Geschichte der Bakuninhütte den Verein unterstützt haben, und somit diese Broschüre ermöglichten.

Initiativgruppe zur Rückgewinnung der Bakuninhütte

Editorischer Hinweis/Originaltext: Die Broschüre inkl. zahlreicher historischer Bilder der Bakuninhütte wurde in den 1990er-Jahren von der "Initiativgruppe zur Rückgewinnung der Bakuninhütte“ herausgebracht, beim Druckprojekt in der Kellnerstraße 10a, 06108 Halle gedruckt und über die damalige Regionalkoordination Ost der FAU-IAA vertrieben. Informationen zur Bakuninhütte konnten damals beim Antifariat, JuZeCAFF, 98617 Meiningen eingeholt werden. Digitalisiert von www.anarchismus.at


Creative Commons - Infos zu den hier veröffentlichten Texten / Diese Seite ausdrucken: Drucken



Email