LISA/FAS - Was ist eigentlich eine Basisgewerkschaft?

Es gibt eine Reihe von Unterschieden zwischen zentralistisch reformistischen Gewerkschaften wie dem ÖGB und föderalistisch revolutionär syndikalistischen Gewerkschaften wie der FAS. Demzugrunde liegen weniger unterschiedliche Weltanschauungen, als unterschiedliche Auffassungen über Gewerkschaftstätigkeit und die Rolle der Gewerkschaft in Betrieb und Gesellschaft. Die Weltanschauung wird natürlich von der Praxis beeinflusst und umgekehrt. Aber dazu später. Diese unterschiedliche Tätigkeit soll anhand der Gewerkschaftspraxis in Betrieb und Branche erklärt werden.

Der ÖGB bemüht sich, in den Betrieben Betriebsräte/PersonalvertreterInnen zu installieren. Jene sind fast immer Mitglieder einer (zumeist parteipolitischen) Fraktion im ÖGB (FSG, FCG/ÖAAB, UG, GLB, AUF etc.). Die Betriebsräte/PersonalvertreterInnen werden von der Basis gewählt (Wahlkampf inklusive), besitzen ein "freies Mandat", sind aber per Gesetz dem Wohle der Belegschaft und dem Wohle des Betriebes verpflichtet. Gleichzeitig handeln sie aber auch im Auftrag ihrer Fraktion und teilen der Basis die Entscheidigungen der oberen ÖGB Ebenen mit. Sie fungieren also gewissermaßen als Vermittler zwischen der Basis, der Geschäftsführung, ihrer Fraktion und der ÖGB Leitung. Verorten sich wohl manche Betriebsräte/PersonalvertreterInnen sehr nahe an der Basis, so sind doch die meisten Betriebsräte/PersonalvertreterInnen näher an den vermeintlich mächtigeren Hebeln (was durch so genannte "Freistellungen" und andere Vergünstigungen gefördert wird).

Anders verhält es sich mit der syndikalistischen Praxis. Eine syndikalistische Organisation ist betsrebt, Betriebsgruppen auf zu bauen. Betriebsgruppen stellen eine Form der selbstorganisierten Interessensvertretung dar. Nach dem Prinzip, dass die von einer Entscheidung direkt Betroffenen, diese Entscheidung auch selbst fällen sollten, ist eine Betriebsgruppe weitestgehend autonom. In der Betriebsgruppe hat jedes Mitglied eine Stimme und alle Entscheidungen werden gemeinsam gefällt. Diese Form der unmittelbaren, direkten Demokratie soll aber nicht nur innerhalb der Betriebsgruppe zur Anwendung kommen: Betriebsgruppen streben danach, Vollversammlungen aller Arbeitenden im Betrieb - egal ob Mitglieder der Betriebsgruppe oder nicht - abzuhalten, um direkte Demokratie zu ermöglichen und auszubauen. Die einzigen Einschränkungen denen eine Betriebsgruppe unterliegt, ist einerseits, dass ihr Vorgehen anderen ArbeiterInnen nicht schaden darf und dass sie andererseits nicht den gemeinsamen Prinzipien zuwider handelt und die Statuten nicht verletzt.

Während der ÖGB sein Augenmerk fast ausschließlich auf die Beziehung der Einzelmitglieder zum ÖGB und dessen VertreterInnen legt, ist der syndikalistischen Betriebsgruppe die Beziehung der einzelnen Mitglieder und aller Beschäftigten im Betrieb untereinander mindestens genauso wichtig.

Die nächste Ebene der syndikalistischen Organisation bildet die lokale Branchengewerkschaft (Syndikat). Auch hier sind alle Mitglieder gleichberechtigt. Es gibt keine Delegierung von oben nach unten. Es ist immer das gemeinsame Votum welches entscheidet, was wie von wem umgesetzt wird. FunktionärInnen und Delegierte sind den Beschlüssen der Basis verpflichtet und jederzeit abwählbar. Sie besitzen keinen Sonderstatus und können keine eigenmächtige Politik betreiben. Alle Syndikate gemeinsam sind die Basis der FAS. Sie entscheiden gemeinsam ohne Umwege die gemeinsame Vorgehensweise. Es gibt keine Zwischen - oder Neben - oder sonstige Hierarchien. Die FAS und die einzelnen Syndikate sind wiederum global mit revolutionären Basisgewerkschaften vernetzt, da auch der Kampf gegen Ausbeutung, Herrschaft und Unterdrückung ein globaler ist.

Die ÖGB Gewerkschaften sehen in der Regel weder im Betrieb, noch darüber hinaus eine Beteiligung der Mitglieder vor. Der ÖGB gleicht eher einer Versicherungsanstalt, welche auch verbilligte Gummistiefel und Rechtsberatung anbietet. Er ist eine "Service Gewerkschaft". Demzufolge ist das Verhältnis der Mitglider zur eigenen Gewerkschaft ein formal rechtliches. Über die Beziehung der Mitglieder untereinander gibt es nicht viel zu sagen. Zwar gibt es Fraktionen und Initiativen, welche die Basis mit ein beziehen. Aber auch diese scheitern regelmäßig an der vorgegebenen Hierarchie.

Die FAS bietet keinen Rechtsschutz und keine Vergünstigungen an. Sie baut auf die gegenseitige Hilfe der Mitglieder untereinander. Wissen, Erfahrungen und Ressourcen werden geteilt und es wird zur Selbsstätigkeit angehalten. Solidarität verkommt demzufolge nicht zu einer hohlen Phrase oder einer Versicherungsleistung, sondern ist unsere stärkste Waffe im Kampf für bessere Arbeits- und Lebensverhältnisse.

Während der ÖGB möglichst viele zahlende Mitglieder benötigt, um seine Angebote aufrecht zu halten, benötigt eine sydikalistische Gewerkschaft möglichst viele aktive Mitglieder (natürlich benötigt auch der ÖGB AktivistInnen und die FAS Geld. Die Prioritäten sind aber gegensätzlich). Im ÖGB gibt es unzählige Sekretariate, Referate, zwischen- und Nebenhierarchien. In der FAS gibts es keine Zentrale und keine Anweisungen von "oben". AUf dem Kongress der Syndikate werden zwar FunktionärInnen gewählt, welche für verschiedene Bereiche zuständig sind. Diese haben aber keine Sonderstellung und sind dem Auftrag der Basis (also der Mitglieder der Syndikate) verpflichtet. Im Gegensatz zum ÖGB haben in der FAS, wie in anderen syndikalistischen Organisationen auch, politische Organisationen und Parteien keinen Platz. Parteimitglieder können zwar FAS Mitglieder sein, dürfen aber weder Fraktionen bilden, noch FAS-Funktionen übernehmen.

Während im ÖGB ein Arbeitskampf von oben verordnet und beendet werden kann, zumindest aber von oben bewilligt werden muss, gibt es in den FAS Syndikaten und Betriebsgruppen keine Möglichkeit und Notwendigkeit der Einmisching von außen oder von "oben" solange sich die jeweiligen Einheiten an die Prinzipien und Statuten halten. Niemand darf an Stelle der direkt Betroffenen tätig werden, außer auf ausdrücklichen Wunsch und im Rahmen eines bindenden Auftrages derselben.

Eine seiner Hauptaufgaben, neben der Sicherung der "betrieblichen Mitbestimmung", sieht der ÖGB darin, Kollektivverträge auszuhandeln. Das passiert im Rahmen der "Sozialpartnerschaft". Auch hierzu benötigt der ÖGB eine große Anzahl von Mitgliedern, die zwar passiv gehalten werden, aber auf dem Papier "hinter ihm stehen". Eine Wahl des Verhandlungsteams oder irgendein Einfluss auf die Verhandlungen durch die Mitglieder ist nicht vorgesehen. Man spricht zwar ab und an von einem "hohen Organisierungsgrad", praktisch handelt es sich aber dabei überwiegend um passive Mitglieder (oder auch "Karteileichen"). Der ÖGB begreift sich selbst als gesellschaftliche Kraft, welche den Interessensgegensatz zwischen Kapital und ArbeiterInnen anerkennt und vorgibt, die Interessen der ArbeiterInnen zu vertreten. Er tut dies aber im Rahmen eines "Interessensausgleichs" und empfiehlt sich Staat und Kapital als "ordnungspolitische Macht".

Das heißt nicht, dass im Umkehrschluss SyndikalistInnen gegen Ordnung sind oder destruktiv orientiert sind: Auch die syndikalistische Gewerkschaft versteht sich als Interessensvertretung, oder besser Interessensgemeinschaft. SyndikalistInnen betonen hier aber die Solidarität, welche als gemeinsamer Kampf für gemeinsame Interessen definiert ist. Diese gemeinsamen Interessen werden von allen auch gemeinsam formuliert.

Anstatt als um "Ausgleich" bemühte BittstellerInnen aufzutreten, bevorzugen SyndikalistInnen Direkte Aktion (also Aktionen, welche die direkt Betroffenen selbst ohne Vermittlung durch StellvertreterInnen beschlieen und anwenden). Natürlich verhandeln auch SyndikalistInnen. Nur haben SyndikalistInnen die umfassende soziale Selbstverwaltung und die Abschaffung von Unterdrückung, Herrschaft und Ausbeutung zum Ziel. Deshalb können SyndikalistInnen z.B. keine Verträge, die Arbeitskämpfe verbieten ("Friedenspflicht"), abschließen. Das einzige Abkommen, das dauerhaft mit dem Kapital geschlossen werden kann, ist die vollständige Übertragung der Betriebe an die organisierte ArbeiterInnenschaft.

Der Syndikalismus fühlt sich der Revolte verpflichtet - Der Revolte gegen ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, dass nicht uns dient, sondern dem wir dienen müssen. Somit ist die Aufgabe der syndikalistischen Gewerkschaft, die Vorbereitung und langfristig das Erkämpfen der ökonomischen und sozialen Selbstbestimmung. Die "betriebliche Mitbestimmung", welche uns ArbeiterInnen heute zugestanden wird und über StellvertreterInnen ausgeführt wird, mag manche Vorteile haben und ist es des Öfteren auch wert, verteidigt zu werden. Sie ist aber kein geeignetes Mittel, unsre Interessen im Hier und Jetzt zu wahren und ein besseres Morgen zu erkämpfen. Diese Aufgabe können nur die Betriebsgruppen und föderierten lokalen Branchengewerschaften, bestehend aus gleichberechtigten Mitgliedern unter Anwendung direkter Demokratie und direkter Aktion erreichen.

LISA-FAS

Originaltext: http://www.syndikate.at/node/241


Creative Commons - Infos zu den hier veröffentlichten Texten / Diese Seite ausdrucken: Drucken



Email