Der ganz normale Wahnsinn

Die Situation an unseren Arbeitsplätzen hat sich in den letzten Jahren Schritt für Schritt verschlechtert: Für immer weniger Realeinkommen wird uns immer mehr Leistung abverlangt. Überstunden bis zum Umfallen und Wochenendarbeit gelten mittlerweile als normal. In der Zweidrittelgesellschaft darf man froh darüber sein, überhaupt irgendeinen Job zu haben. Das sogenannte Normalarbeitsverhältnis – tariflich abgesicherte Festeinstellung zu halbwegs akzeptablen Bedingungen - wird immer mehr zur Ausnahme. Neueinstellungen werden überwiegend als zeitlich befristete Arbeitsverträge gestaltet. Mehr als jeder zweite Job, den das Arbeitslosenamt uns aufzwingt, ist eine Tätigkeit bei Zeitarbeitsfirmen. Die Löhne, die solche Sklavenhändler bezahlen, sind unverschämt mickrig. Hinzu kommt die immer mehr um sich greifende Schein-Selbständigkeit.

Morgens früh aufstehen und malochen zu dürfen, wird als vermeintlicher Glücksfall gepriesen. Arbeit um jeden Preis lautet die Parole, die gemeinsam von Sozial- und Christdemokraten, PDSlern und Gewerkschaftsfunktionären propagiert wird. Dass die Bedingungen, zu denen wir uns verkaufen müssen, dabei immer schlechter werden, gilt als unausgesprochene Selbstverständlichkeit.

Wer das vermeintliche Unglück hat, nicht für das Wohlergehen anderer schuften gehen zu dürfen, hat auch nichts gutes zu erwarten. Die jüngsten Verschärfungen auf den Ämtern sprechen da Bände. In den vielzitierten leeren Kassen ist offensichtlich noch genug Geld vorhanden, um unsereins schikanieren zu können. Wir werden in Maßnahmen gezwungen, die uns auf Jobs vorbereiten sollen, die es gar nicht gibt. Das reicht von zweifelhaftem Bewerbungstraining bis zur Umschulung in Berufe, die wir weder wollen noch eine Perspektive bieten. Hintergrund dieser „Sozialpolitik“ ist die Ideologie: Wer nicht arbeitet - und sei es in einer noch so unsinnigen ABM - soll auch nicht essen. Oder sonst wie glücklich sein.

Aber genau das wollen wir: glücklich sein!

Es ist höchste Zeit, den immer heftiger werdenden Angriffen auf unser Leben und unsere Menschenwürde etwas entgegenzusetzen! Entgegen aller Propaganda gibt es keinerlei Grund zur Bescheidenheit. Es ist ja nicht so, dass es der Wirtschaft schlecht ginge. Die Profite der Konzerne explodieren. Die Annahme, dass die hohe Arbeitslosigkeit Ausdruck wirtschaftlicher Schwierigkeiten sei, ist eine gezielte Lüge.

Reichtum ist genug vorhanden - wir müssen ihn uns nur holen!

Dazu ist eine Bewegung notwendig - wir müssen uns organisieren! Die offiziellen Gewerkschaften haben sich dabei in der Vergangenheit eher als Hindernis erwiesen. Wenngleich wir vor dem ehrlichen Engagement vieler Kollegen in diesen Organisationen großen Respekt haben, halten wir deren Weg für falsch. Denn Sinn und Zweck der Gewerkschaften des DGB ist es, unsere Empörung, unseren Protest und unseren Widerstand in systemkonforme Bahnen zu lenken. Dies wird schon aus der Geschichte deutlich: Nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten sich an vielen Orten unabhängige Gewerkschaften, die dann von den Besatzungsmächten aufgelöst wurden, um stattdessen den DGB installieren zu können. In Hamburg war der am 11. Mai 1945 gegründeten SFG (Sozialistische Freie Gewerkschaft) nur eine Lebensdauer von sechs Wochen vergönnt.

Auch die heutige Praxis der offiziellen Gewerkschaften ist nicht an den Bedürfnissen der arbeitenden Menschen orientiert. Ein Beispiel hierfür ist die IG Metall: Ihr gelang es, mit verschiedenen Zeitarbeitsfirmen Tarifverträge abzuschließen. Die klingt zunächst gut. Der Haken dabei ist, dass die miesen Arbeitsbedingungen nun offiziellen Charakter haben und eine Änderung dieser skandalösen Zustände per tariflicher Friedenspflicht ausgeschlossen ist. Nutznießer dabei sind allein die Sklavenhändler und deren Kunden: Arbeitskräfte mieten wird schlicht billiger als welche einzustellen. Da gibt es tarifliche FacharbeiterInnen-Stundenlöhne von DM 15,62. Brutto! So unterstützt die IGM die Angriffe auf die Löhne der Festangestellten.

Die offizielle Gewerkschaftsbewegung hat sich längst von der Verbesserung unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen verabschiedet. Lautete der ursprüngliche Gewerkschaftsgedanke noch kollektiver Widerstand gegen die alltäglichen Zumutungen des Kapitalismus, so haben sich die DGB-Organisationen längst in Dienstleistungsunternehmen verwandelt, deren Geschäftsidee eine Art betrieblicher ADAC-Pannenservice ist.

Unsere Antwort darauf lautet: Selbstorganisation!

Die Freie ArbeiterInnen-Union (FAU) ist eine basisdemokratische Gewerkschaftsinitiative, in der wir uns organisiert haben, weil wir von den scheindemokratischen Funktionärsapparaten der offiziellen Gewerkschaften genug haben. Wir pfeifen auf Sozialpartnerschaft und Standortlogik. Die Grundlagen unserer Arbeit sind Verantwortung, Solidarität, gegenseitige Hilfe und ein gleichberechtigtes Zusammenwirken ohne Privilegien und Hierarchien. Bei uns entscheiden die Mitglieder, bezahlte Funktionäre haben und wollen wir nicht.

Unser Ziel ist die vollständige Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Wir brauchen niemanden, der uns sagt wo es lang geht - und dafür auf unsere Kosten lebt. Wir wollen in unseren ureigensten Angelegenheiten selbst entscheiden. Wir wollen die Kontrolle über unsere Lebensverhältnisse Stück für Stück zurückgewinnen. Es geht nicht um ein mehr oder weniger großes Stück vom Kuchen der Reichen und Mächtigen - es geht darum, wer die Bäckerei betreibt.

In diesem Sinne: Für einen kämpferischen Einstieg in das neue Jahrtausend!

Originaltext: http://www.libertaeres-zentrum.de/fau/wahnsinn.htm (Änderung: neue Rechtschreibung)


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