Anarchismus? Aber gerne!

Chaos, Bomben, Kampf Alle gegen Alle - so oder so ähnlich verstehen die meisten Menschen den Begriff der "Anarchie". Kein Mensch bei Verstand wünscht sich jedoch gesellschaftliche Zustände wie in Somalia - und AnarchistInnen schon gar nicht. Für uns ist der Anarchismus eine positiv besetzte Vorstellung einer Gesellschaft ohne Herrschaft, die auf individueller Freiheit, kollektiver Selbstbestimmung und Gegenseitiger Hilfe beruht. Kein Mensch soll über andere Menschen herrschen, keineR Sklave oder Sklavin sein. Entsprechend wendet sich der Anarchismus besonders gegen jegliche Form autoritärer Systeme, egal ob von "links", von "rechts" oder religiös motiviert.

Den Emanzipationsbewegungen von links seit den 1960er-Jahren verdanken wir eine Liberalisierung unserer Gesellschaften. Die Frauenbewegung, die Schwulen- und Lesbenbewegung und viele mehr haben einiges erreicht, vieles ist jedoch noch zu tun. Davon, dass "alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind und einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen" (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Absatz 1) kann noch lange keine Rede sein. In hierarchisch strukturierten kapitalistischen Gesellschaften wird dieses Ziel auch nicht erreichbar sein. Deswegen wenden sich AnarchistInnen gegen jede Form der Diskriminierung und Unterdrückung etwa auf Grund der Sexualität, des Geschlechts oder der ethnischen Herkunft.

Der ungerechten Reichtumsverteilung im Kapitalismus setzen wir die Utopie einer anderen Gesellschaft entgegen: Die produzierten Reichtümer sollen dafür genutzt werden, allen Menschen die gleiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, an Bildung, Kultur, medizinischer Versorgung uvm. zu ermöglichen. Heute produzieren viele den Reichtum von wenigen, während auf der anderen Seite der Medaille Menschen aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden - mangels Geld oder durch Illegalisierung bleibt ihnen der Zugang zu den Ressourcen der Gesellschaft verwehrt.

Der Anarchist Peter Kropotkin stellte um 1900 die Frage: "Wir sind reich in unseren zivilisierten Gesellschaften. Woher also das Elend, das um uns herum herrscht? Warum da die harte, die Massen abstumpfende Arbeit? Warum diese Unsicherheit, wie es einem morgen ergehen wird, die selbst den bestbezahlten Arbeiter nicht verschont? Warum alles dies inmitten der von der Vergangenheit ererbten Reichtümer und trotz der gewaltigen Produktionsmittel, die bei einer täglichen Arbeit von nur wenigen Stunden allen den Wohlstand schaffen könnten? und beantwortete sie folgendermaßen: "Die Sozialisten haben es ausgesprochen und bis zum Überdruß wiederholt; sie wiederholen es jeden Tag und belegen es durch Beweise, die den gesamten Wissenschaften entlehnt sind: Weil alles, was zur Produktion nötig ist, der Boden, die Bergwerke, die Maschinen, die Verkehrswege, die Nahrungsmittel, die Wohnungen, die Erziehung, das Wissen, weil alles das der ausschließliche Besitz einiger weniger geworden ist - im Verlauf einer langen Geschichtsperiode voller Raub, Auswanderungen, Kriege, Unwissenheit und Unterdrückung, die die Menschheit durchlebte, ehe sie gelernt hatte, die Naturkräfte zu bändigen. Weil diese wenigen sogenannte Rechte vorschützen, die sie in der Vergangenheit erworben haben wollen, und auf Grund dieser sich heute zwei Drittel des Ertrages der menschlichen Arbeit aneignen, mit der sie die unsinnigste und empörendste Verschwendung treiben. Weil sie die Massen dahin gebracht haben, daß diese nie mehr für einen Monat, kaum einmal für acht Tage genug zu leben haben, weil sie infolgedessen die Macht besitzen (welche sie auch ausnutzen), niemanden arbeiten zu lassen, der ihnen nicht stillschweigend den Löwenanteil am Gewinn überläßt; weil sie die Produktion dessen erzwingen, was dem Ausbeuter den größten Gewinn verheißt. Das ist das Wesen des Kapitalismus!"

Über 100 Jahre später hat sich daran nichts grundlegend geändert, obgleich heute mehr Menschen in den "Industrieländern" die Teilhabe am Wohlstand möglich ist - auf Kosten der ArbeiterInnen in China und anderswo, die unter beschissenen Bedingungen für den ständigen Nachschub an unseren billigen Produkten sorgen. Seit dem Zusammenbruch der staatskapitalistischen Diktaturen im Osten drehen sich die Uhren im Westen jedoch zunehmend rückwärts: ArbeiterInnenrechte werden eingegrenzt, die Schere zwischen reich & arm geht jährlich weiter auf und die Anzahl jener, die z.B. in die Langzeitarbeitslosigkeit "abgeschoben" werden, wird größer. Während die einen die Produktionsmittel und die Häuser besitzen und ihr Vermögen weiter konzentrieren und vergrößern können, haben andere nichts zu Verkaufen, außer ihre Arbeitskraft. Eine schwere Erkrankung, ein Unfall, der Jobverlust - und die geglaubte Sicherheit von gestern weicht der Angst vor dem Morgen.

Gleichzeitig steigt nicht erst seit der "großen Krise" und den hunderten Milliarden für die Banken das Unbehagen. Auf einem anarchosyndikalistischen Plakat aus dem Jahre 2000 hieß es: "Der endgültige Sieg, von dem die Mächtigen derart überzeugt sind und das "Ende der Geschichte", das den VerfechterInnen des Liberalismus so teuer ist, wird von wachsender Kritik und zunehmenden sozialen Kämpfen in Frage gestellt. Tatsächlich ist es Zeit, eine andere Zukunft zu schaffen: Eine Zukunft ohne Ausbeutung, ohne Herrschaft, eine selbstbestimmte Zukunft für freie und gleiche Männer und Frauen." Dem ist fünfzehn Jahre und eine Krise später nichts hinzuzufügen. Diese Homepage möchte durch die Verbreitung anarchistischer Ideen einen Beitrag zur Neugestaltung einer libertär-sozialistischen Bewegung in den deutschsprachigen Ländern leisten. Andere anarchistische Strömungen, die z.B. hauptsächlich den Individualismus betonen, kommen hier zugegebenermaßen zu kurz.

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