Der folgende Text wurde vom sehr lesenswerten Blog "Bodenfrost" übernommen.

Wir hatten bereits vor einigen Monaten das selbstverwaltete Wohnprojekt “Comunidad la Esperanza” (Gemeinschaft Hoffnung) vorgestellt (siehe Bericht). Mittlerweile leben 250 Menschen, 150 davon Kinder, in den 4 besetzten Wohnblöcken in Santa María de Guía auf Gran Canaria. Die Bewohner organisieren sich basisdemokratisch in monatlichen Versammlungen. Verschiedene Arbeitsgruppen kümmern sich um die Umsetzung der gemeinsam gefassten Beschlüsse.

Comunidad la Esperanza:
https://www.youtube.com/watch?v=vU3Ew3Hp_cI

Die Anarchistische Föderation Gran Canaria, die die Besetzung vor zwei Jahren initiiert hat, vermittelt in einem Bericht über den Alltag in der Comunidad la Esperanza anschaulich, wie sich das Leben anfühlt, das von gegenseitiger Hilfe und Solidarität geprägt ist. Hier eine deutsche Übersetzung dieses Textes. Das spanische Original kann auf der Webseite der Anarchistischen Föderation Gran Canaria eingesehen werden.

Ein Tag im Wohnprojekt "Esperanza"

Es ist 7 Uhr morgens. Ich strecke mich und bereite mich vor, mir das Gesicht zu waschen. Ich drehe den Wasserhahn auf und es kommt Wasser. Die Tonne ist heute also offensichtlich pünktlich gekommen und Blas, Mitglied der Arbeitsgruppe Instandhaltung, konnte die Versorgung um 7 Uhr öffnen, wie es unser Zeitplan für Wassereinteilung vorsieht. Der gute Blas, und alle, die ihm bei der Wartung helfen, kümmern sich um das Wasser und um Feststellung und Behebung von Schäden, damit die Comunidad funktioniert. Sie bekommen nichts dafür. Warum sie es machen? Aus Solidarität und Engagement für “das Projekt”, das ist der einzige Grund.

Ich ziehe mich an und gehe runter in den Hof. Judith und Azu sind gerade dabei, ihn zu fegen und ihn reinigen. Heute ist nicht Montag, unser Tag des allgemeinen Reinemachens, aber sie wollen die Gemeinschaftsbereiche sauber halten. Sie wissen, dass man uns genau auf die Finger schaut, weil wir Hausbesetzer sind. Wenn es drunter und drüber geht beim Saubermachen schließen sich einige Männer an, aber bedauerlicherweise haben die Frauen den größten Anteil an dieser Arbeit. Jedoch herrscht keine Macho-Stimmung: Die Frauen sind bei fast allem die Mehrheit. Diejenigen, die kommen und sich um eine Wohnung bewerben, sind fast immer Frauen. Sie sind die Mehrheit bei den Versammlungen und sie sind diejenigen, die sich dabei am meisten einbringen. Die Arbeitsgruppen werden fast alle von den Frauen organisiert. Wenn es irgendeinen Konflikt gibt, sind die Frauen die ersten, die eingreifen und vermitteln. Das Konzept der Stärke hat in der Comunidad seinen stereotypen männlichen Charakter verloren.


Eine Gruppe von Anwohnern debattiert auf den Bänken des Innenhofs. Ich schließe mich dem Gespräch an. Sie sind besorgt wegen der gestiegenen Ausgaben für das Wasser aufgrund der sommerlichen Hitze. “Mal schauen, ob die von der Stadtverwaltung sich endlich Mal dazu entschließen, uns ans Wasser anzuschließen, wir sind doch keine Tiere, verdammt noch mal”. Sie sprechen davon, so schnell wie möglich eine Versammlung einzuberufen. “Man muss weiter Druck machen, weiter mit den Medien am Ball bleiben und, wenn das nichts bringt, Demonstrationen, oder was immer nötig sein sollte”, wiederholen sie. Einer von ihnen ist Mitglied der Anti-Zwangsräumungs-Arbeitsgruppe, die sich darum kümmert, mit den Medien zu sprechen und die versucht, Verhandlungen mit der Stadtverwaltung in Gang zu bringen. Idahira, die diesen Monat für die Gemeinschafts-Kasse zuständig ist, fällt ihm energisch ins Wort: “Und in der Zwischenzeit muss man sparen”. Sie nimmt den monatlichen freiwilligen Gemeinschaftsbeitrag von 25 Euro entgegen. Dank dieser 25 Euro können wir die Fässer mit 10.000 Liter Wasser täglich bezahlen, mit denen wir uns versorgen.

Ich überlasse sie ihrem Gespräch und nähere mich dem Asambleatorio (So nennen wir den Ort, an dem die Versammlungen, Workshops und Veranstaltungen abgehalten werden,), weil ich etwas sehe, das mir gefällt. Die Kinder proben ein kleines Theater-Stück, das ein Anwohner sich ausgedacht hat. Sie sind begeistert und schreien und ahmen Tiergeräusche nach. Einige Mütter aus der Arbeitsgruppe Work-Shops helfen ihnen bei der Probe. Ich schaue die Kinder an und denke mir, dass sie das beste an der Comunidad sind. Trotz der wirtschaftlichen Lage, in der sich ihre Eltern befanden, bevor sie hierher kamen, haben diese Kinder auf ihre Weise Glück gehabt. Nicht nur wegen des Freizeitangebots, das es in Form von Works-Shops und anderen Aktivitäten in der Comunidad gibt. Diese Kinder sind dabei, eine Erfahrung zu machen, die ihnen einen großen Vorteil bieten wird, gegenüber ihren Altersgenossen. Sie lernen und erleben von klein auf, was gegenseitige Hilfe, Mitgefühl, Vielfalt und Toleranz sind. Ich stelle mir vor, wie es sein wird, wenn sie groß sind und auf diesen Lebensabschnitt zurückblicken. Diese Kinder werden morgen Männer und Frauen sein, die sensibel sind für das Leid anderer und die wissen werden, dass Zusammenarbeit die einzige Möglichkeit ist, Widerstand zu leisten und dass Gerechtigkeit kein abstraktes Wesen ist.

Die Wartung gibt mir Bescheid: In der Garage ist ein Rohrbruch. Ich eile nach unten, um zu helfen. Wir verbringen Stunden damit, es wieder zu reparieren. Die einen gehen los, um ein Ersatzteil zu kaufen, während andere den Abschnitt absägen, um ihm ein Verbindungsstück anzubringen. Wir haben hier Facharbeiter (wie Moisés, Carmelo, Iche und viele andere) die jederzeit wissen, was zu tun ist, wenn so etwas geschieht. Ich bewundere ihre Kenntnisse und ihren Sachverstand. Sie verlieren nie die Ruhe unter diesen Umständen. Schließlich gelingt es uns, den Schaden zu reparieren.

Durch die Panne ist es spät geworden. Einige von uns haben keine Zeit gefunden, um uns ein Essen vorzubereiten. Rocío lädt einen Teil der Wartungs-Mannschaft ein, bei ihr zu essen und Francisco nimmt die übrigen mit zu sich. Diejenigen, die mit zu Francisco gehen, werden ein Menü mit typisch kolumbianischen Speisen genießen, und die anderen, die mit Rocío gehen, werden die Gelegenheit nutzen, ihre Wäsche mitzunehmen, die sie ihnen freundlicherweise am Tag davor gewaschen hat. Diese spontanen Netze gegenseitiger Hilfe werden Tag für Tag gesponnen in “La Esperanza”. Alle tragen bei, was sie können: Einige Anwohner waschen jenen die Wäsche, die keine Waschmaschine haben, andere helfen Mobiliar aus recyceltem Holz herzustellen für die Häuser, und so weiter, und so fort.

Unter den Tischgästen entdecke ich zwei unbekannte Gesichter, zusammen mit einem Kind, das ich ebenfalls nicht kenne. Ich frage Rocío und sie erklärt mir, dass es sich um Neuankömmlinge handelt. Sie sind eingezogen, weil ein anderer Bewohner Arbeit gefunden und sich entschieden hat, die Schlüssel der Unterbringungs-Arbeitsgruppe zu übergeben, um einer anderen Familie dieselbe Gelegenheit zu geben, die er bekommen hatte. Die Neuen sind schon einige Monate auf der Warteliste und haben schon die nötigen Unterlagen eingereicht, um ihre Bedürftigkeit zu belegen. Sie haben schon mehrere Gespräche geführt mit der Arbeitsgruppe Unterbringung und schließlich hat man ihnen “das Projekt” gut erklärt und sie haben den Bedingungen zugestimmt. Dass die Arbeitsgruppe Unterbringung sie anruft, war das Beste, was ihnen passieren konnte: Sie hatten seit 3 Monaten keine Miete bezahlt. Die Geduld des Vermieters war erschöpft. Er gab ihnen eine Woche um zu verschwinden und drohte, sonst den Rechtsweg der Zwangsräumung einleiten. Ihre Einnahmen von 300 € machten es ihnen unmöglich, die Miete und Lebensmittel zu bezahlen. Sie sind aufgewühlt und haben sich noch nicht an ihre neue Situation gewöhnt. Die frisch Zugezogenen kommen üblicherweise ohne alles. Direkt von der Straße, aus Notunterkünften oder aus traumatischen Zwangsräumungen. Wie in diesem Fall, wäre es nicht denkbar, dass die nächsten Nachbarn ihnen nicht einen Teller auf den Tisch stellen und ihnen helfen, sich einzuleben. Die Solidarität in “la Esperanza” ist nicht nur eine Frage der Sensibilität, sondern des Überlebens.

Nach dem Essen begebe ich mich noch auf einen Sprung in den Garten der Comunidad. Dort sind Javi und Julio und arbeiten, wie immer. Der milde Winter hat dem Garten nichts anhaben können, aber jetzt fängt die Hitze des Sommers an und drängt sie, das Aufhängen der Leitungen für die Tropfbewässerung fertigzustellen. Die Idee von Javi, der Engagierteste in der Garten-Arbeitsgruppe, ist, dass es dieses Bewässerungs-System sich über unabhängige Fässer versorgt. Angesichts der Wasser-Probleme der Comunidad gibt es keine andere Möglichkeit. Unweit des Gartens laufen Hühner und kleine Ziegen umher. Es sind allesamt Tiere die nicht mehr für die viehwirtschaftliche Ausbeutung “nützlich” waren und die davor gerettet wurden, geschlachtet zu werden. Für einige Kinder aus der Comunidad ist das der erste Kontakt, den sie mit solchen Tieren haben. Ihnen zu zeigen, welche Synergien sich zwischen unterschiedlichen Lebewesen entwickeln und mit ihnen mitzufühlen, ist eine schöne Erfahrung. Javi und Julio verabschieden sich von mir. Sie gehen los, um spezielle Futterpflanzen für die Ziegen zu suchen. Sie werden mir nach ihrer Rückkehr bestimmt davon berichten.

Der Abend bricht an. Ich muss jetzt den Bus nehmen, um zur Arbeit zu fahren (ich gehöre zu den wenigen in der Comunidad, die eine bezahlte Arbeit haben, obwohl die Leute sich ein Bein ausreißen, um sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten, wie zum Beispiel Schrott sammeln und Treppenhäuser putzen, um eine Mahlzeit zu haben). Gerade als ich rausgehe, treffe ich Azu und Rocío wieder. Jemand hat unsere Hilfegesuch im Internet gesehen und kommt, um uns Wäsche, Möbel und einige Gefäße mit Öl zu bringen. Rocío und Azu sind zusammen mit Ylenia und Lola Teil der kürzlich gegründeten Arbeitsgruppe für Solidarität. Seit wir in den Medien waren, entschieden wir uns, diese Arbeitsgruppe zu gründen, um die Hilfe zu verwalten, die wir möglicherweise erhalten würden. Sie sind in Kontakt mit ihnen getreten und warten darauf diese großzügige Spende in Empfang zu nehmen. Ich gehe aus dem Tor mit einem Lächeln, das noch breiter wird, als ich zufällig eine kleine Bewohnerin von kaum 8 Jahren treffe, die mich erinnert: “Kumpel, vergiss nicht, dass es heute Abend Film-Vorführung gibt in der Asambleatorio.” Ich nicke mit dem Kopf und denke, dass ich heute versuchen muss, früher von der Arbeit zu kommen.

Während ich zu der Haltestelle laufe, drehe ich mich um und schaue zum Eingang: “Comunidad La Esperanza, das letzte, das man verliert” steht dort. Und ich denke, dass, obwohl es unmöglich erscheint, es an einem kleinen und verborgenen Ort im Atlantik geschieht: Die Leute haben sich organisiert, sie haben die Zügel ihres Lebens in die Hand genommen und, was immer auch geschieht, sie sind nicht bereit, die Hoffnung aufzugeben.

Federación de anarquistas Gran Canaria (Anarchistische Föderation Gran Canaria) – Twitter | Web-Seite


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