„Die Banken haben eh zu viel, wir haben zu wenig“ - Johann Breitwieser

Der heutige Wiener Gemeindebezirk Meidling bildete sich 1890/1892 u. a aus den Gemeinden Untermeidling und Obermeidling. Aus den eher beschaulichen Vorortgemeinden mit kleinen Sommerschlössern entwickelte sich mehr und mehr ein Arbeiter*innen- und Industriebezirk.

Die Industrialisierung hatte in Österreich ca. 1850 eingesetzt und mit ihr bildete sich auch hier die neue Klasse der Arbeiter*innen. Mit ihr entsteht das System der„arbeitsteiligen Fabrik“, die den Einsatz vieler ungelernter Arbeiter*innen ermöglicht, deren Arbeitsverhältnisse nun immer schlechter werden – es wird oft bis zu 16 Stunden gearbeitet, durch den Einsatz von Frauen und Kindern noch weiter an den Kosten bei steigender Produktivität gespart.

In dieser Zeit wird Johann Breitwieser 1891 als sechstes von zwölf Kindern in Meidling geboren. Die Familie ist arm, elendiglich arm und muss immer wieder in immer kleiner werdende Wohnungen umziehen. Diese Wohnverhältnisse wurden von privaten Unternehmern bestimmt. Sie gingen vom Hausflur direkt in die Küche, hatten nur einen Wasseranschluss („Bassena“) und eine Belüftung im Hausflur und weder Bad noch (selten) Toilette. Die immens hohen Mieten konnten von vielen nur durch so genannte „Bettgeher“ aufgebracht werden, wo einzelne Betten tagsüber vermietet wurden an die Leute, vor allem Schichtarbeiter*innen, die sich keine eigene Wohnung leisten konnten.

Johann ist dadurch tagsüber immer unterwegs, meistens auf den Brachflächen rund um Meidling. Nachts schläft er gerne im Park des Schlosses Schönbrunn in der Nähe.

1906 wird er zum ersten Mal wegen Diebstahl vor Gericht gestellt. Auf die Frage warum er dies getan habe, antwortete er aus „Not“. Weitere Diebstähle und Gefängnisaufenthalte. 1908 taucht er dann unter, um einer weiteren Gefängnisstrafe zu entgehen, arbeitet als Fahrradbote und erweckt die Aufmerksamkeit der Gruppe „Bruderschaft der schwarzen Larve“, die ziemlich professionell Enteignungsaktionen durchführt und den größten Teil davon an die Menschen des Bezirkes verteilt. Johann Breitwieser stürzt sich mit Eifer in seine neue Aufgabe, wird vom einfachen Einbrecher zum hochspezialisierten Tresorknacker („Die Banken, die Pülcher(Gauner) haben eh zu viel, wir haben zu wenig …).

In den Gefängnissen hatte er in langen Gesprächen mit anderen dazu das Organisieren von Gruppen und Unterstützer*innen gelernt. Er wird die Autorität in der „Bruderschaft“.

Im Laufe der Diebstähle, die dann schon mal 80.000 Kronen aus einem Tresor des Reichskriegsministerium bringen, baut er sich ein Labor aus, die Polizei findet dort später neben einer technischen Bibliothek Kassenschränke, Metallsorten, einen Schweißapparat, Schränke voll von Feilen, Dietrichen und Brecheisen – alles selber hergestellt und jederzeit und überall problemlos verwendbar.

Die Verelendung vieler Menschen in Wien erreichte in den Jahren 1909 und 1910 durch schlechte Ernten einen Tiefpunkt. Der Mehlpreis war um das doppelte gestiegen, Fleisch unerschwinglich. Am 17. September 1911 kam es dann in Wien zu einer großen Hungerdemonstration. Ca. 100.000 Menschen hatten sich auf dem Rathausplatz versammelt, gegen Mittag wollte sich die Versammlung auflösen, als das Gerücht herumging, einige Demonstranten seien beschossen worden. Steine flogen gegen das Rathaus, gegen den Verwaltungsgerichtshof. Die Polizei schießt in die Menge der Demonstrant*innen, es werden Barrikaden errichtet, Geschäfte geplündert.

In diesem ersten größeren Aufbegehren der Ärmsten gab es am Ende vier tote Arbeiter*innen und 149 Verletzte. Fast 500 Revoltierende wurden verhaftet, davon 283 in einem Schwurgerichtsverfahren innerhalb weniger Tage zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.

Da wurde Johann Breitwieser schon wegen Fahnenflucht gesucht. Der allgemeine Kriegsdienst, in Österreich 1868 eingeführt, wurde als „Schule der Männlichkeit“ hochstilisiert, die wenig Anerkennung in der Bevölkerung zumindest bis 1914 fand.

Johann wird verhaftet und zu vier (1912-1916) Jahren Zwangsarbeit verurteilt, anschließend in die Armee gesteckt. Durch simulierte Anfälle kommt er ins Krankenhaus, wo er 1917 mit geplanter Unterstützung von außen flüchten kann. Nun gilt er als Deserteur. Es folgt der schon erwähnte Diebstahl im Reichskriegsministerium.

Als er mit seiner Gruppe nach Meidling kommt, sehen sie eine große Menge vor einer geschlossenen Bäckerei stehen. Es war Krieg und es war Mangel, für die meisten jedenfalls. Doch diese Bäckerei, eine Filiale von „Anker“, eine noch heute existierende Bäckereikette in Wien, war voll von Brot.

Breitwieser öffnete mit einem selbst hergestellten Dietrich die Eingangstür des Geschäftes so wie er es zuvor und eigentlich immer getan hatte. Geld, Lebensmittel und Kleidung hatte er immer geteilt und ließ verteilen. Hier nun plünderten die Menschen ohne Bedenken, fast fröhlich, die Bäckerei, während Johann Breitwieser schon weiterrannte.

1919 bereitete er seinen größten Coup vor. Den letzten, der, der ihn zu einem neuen Leben verhelfen sollte. Ein Einbruch in die Munitionsfabrik Hirtenberg. Er öffnete den Tresor mit einem selbst konstruierten Schweißbrenner und erbeutet eine halbe Million Kronen.

Im April wird er dann in seinem Haus in St.Andrä-Wördern in Niederösterreich von der Polizei umstellt und unter Beschuss genommen. Schwer verletzt, lebt er noch einen Tag.

Über 20.000 Menschen nehmen an seinem Begräbnis teil, mehr als bei Beerdigungen von Königen. Das Grab versinkt in einem Meer aus Blumen. Noch Jahre später werden immer wieder frische Blumen auf sein Grab gestellt.

Die Erinnerung an ihn ist in Österreich nie erloschen. Bei http://breitwieserschani.at gibt es ein interessantes Buchprojekt.

Originaltext: http://radiochiflado.blogsport.de/2012/09/05/die-banken-haben-eh-zu-viel-wir-haben-zu-wenig-johann-breitwieser/


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