Haymarket 1886 - Aus den Briefen an Gouverneur Richard Oglesby

Die Verurteilten lehnten jedes Gnadengesuch, zum Teil recht schroff, ab. Von Justus Schwab, einem bekannten Wortführer der New Yorker Anarchisten, wurde ihnen folgende Depesche zugesandt:

»Genossen! Ich und Zehntausende dringen in Euch, vom Gouverneur im Namen Eurer Familien, Eurer selbst und der Sache wegen eine Umwandlung der Todesstrafe zu fordern. Gebt uns Gelegenheit, Eure Unschuld und Rechtschaffenheit zu beweisen. Die Geschichte und die Zukunft werden sicherlich einen anderen Wahrspruch fällen. Ein besseres Urteil wird durchdringen. Wenn Ihr leben bleibt, wird die Freiheit weiter leben. Jeder hat das Recht, sein Leben zu opfern, aber nicht das seiner Mitmenschen. Erhaltet Euch für die Menschheit, rettet den Fortschritt. Mit Brudergruß Justus Schwab.«

Die Aufforderung von Justus Schwab und das Drängen ihrer Angehörigen veranlaßten August Spies, Michael Schwab und Samuel Fielden folgendes Schriftstück zu unterzeichnen:

»An den Gouverneur Richard Oglesby. Geehrter Herr! Um Sie und das Publikum, das Sie repräsentieren, von der wahren Sachlage zu unterrichten, wollen wir hiermit erklären, daß wir der Anwendung von Gewalt nur dann das Wort redeten, wenn es sich um Selbstverteidigung handelte. Die gegen uns erhobene Anklage, daß wir am 4. Mai 1886 oder zu irgendeiner anderen Zeit den Versuch machten, die Gesetze und die Regierung zu stürzen, ist ebenso falsch wie absurd. Was immer wir taten, wurde öffentlich gesagt und getan; wir haben uns niemals zu einer ungesetzlichen Tat verschworen. Während wir die bestehenden sozialen Verhältnisse und Ungleichheiten in Wort und Schrift tadelten, haben wir die Gesetze wissentlich niemals verletzt. Als Freunde der Arbeit und Freiheit erachten wir es als unsere Pflicht, zur Anwendung von Gewalt nur dann zu raten, wenn es sich um die Verteidigung heiliger Rechte gegen ungesetzliche Angriffe handelt. Unsere Arbeit war eine uneigennützige; wir wurden dazu durch keinerlei Motive persönlichen Gewinns oder Ehrgeizes veranlaßt. Wenn wir in dem Enthusiasmus, für unsere Sache Propaganda zu machen, uns zu Ausdrücken verstiegen, daß aggressive Gewalt ein legitimes Reformmittel sei, so bedauern wir das. Wir beklagen den Verlust von Menschenleben auf dem Heumarkt, vor der McCormick-Fabrik, in East St. Louis, sowie bei den Chicagoer Schlachthöfen.«

Parsons und die übrigen Angeklagten weigerten sich, die Erklärung ihrer Genossen zu unterschreiben. Louis Lingg, Georg Engel und Adolph Fischer sandten an den Gouverneur folgende Schreiben ab, in denen sie ersuchten, entweder freigelassen oder hingerichtet zu werden:

Adolph Fischer in seinem offenen Brief an den Gouverneur:

»Werter Herr! Ich habe erfahren, daß Petitionen im Umlauf sind, unterzeichnet von einem Teil der Bevölkerung, in denen Sie ersucht werden, das Urteil aufzuheben. Auch wenn ich die Handlungsweise unserer Sympathisanten wohl anerkenne und zu würdigen weiß, so erkläre ich jedoch, daß ich sie nicht billige. Als Mann mit Ehre, als Mann mit Gewissen und als Mann mit Prinzipien kann ich keine Gnade annehmen.

Ich bin kein Mörder und kann nicht für eine Handlung um Verzeihung bitten, die ich nicht begangen habe. Und soll ich um Gnade flehen wegen meiner Prinzipien, die ich für wahr und edel halte? Nein! Ich bin kein Heuchler und habe daher Zweifel weit mehr Erfolg gehabt, als die fortwährenden juristischen Finessen, die nur teures Geld verschlangen und noch dazu den Hohn und Spott der herrschenden demokratisch-republikanischen Justiz und sonstiger Banditen der Politik hervorriefen. Bedauerlicherweise gab es damals aber viele, die aus falscher Rücksichtsnahme für die Verurteilten eine revolutionäre Propaganda eingestellt sehen wollten. Besonders die amerikanischen Sozialdemokraten beharrten auf diesem Standpunkt, gegen den die Genossen hinter den Kerkermauern vergeblich protestierten.

»Glaubt mir«, schrieb Louis Lingg aus dem Gefängnis, »daß es für einen Revolutionär hundertmal leichter ist, in der Hoffnung, seiner Sache zu nützen, zu sterben, als noch zwei bis vier Jahre auf eine ungewisse zweite Entscheidung zu warten und dabei täglich hören und lesen zu müssen, wie die Geldprotzen und ihre Handlanger das Volk immer frecher ausbeuten und niederträchtiger behandeln, während unsere Genossen, aus Furcht uns zu schaden, vor jeder revolutionären Handlung zurückschrecken.«

Georg Engels Brief lautete:

»Werter Herr! Ich, Georg Engel, Bürger der Vereinigten Staaten und von Chicago und zum Tode verurteilt, habe erfahren, daß Tausende von Bürgern Ihnen als dem höchsten Beamten des Staates Illinois eine Petition gesandt haben, mein Urteil in Gefängnisstrafe umzuwandeln. Ich protestiere energisch dagegen und zwar aus folgenden Gründen:

Ich bin mir nicht bewußt, daß ich irgendein Gesetz dieses Landes verletzt habe. Im festen Vertrauen auf die Konstitution, die die Gründer dieser Republik diesem Volk hinterlassen haben und die unverändert geblieben ist, habe ich das Recht der Redefreiheit, der Pressefreiheit, der Gedankenfreiheit und des Versammlungsrechtes ausgeübt. Ich habe die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse kritisiert und meinen Mitbürgern Ratschläge erteilt, was ich als das Recht eines jeden ehrlichen Bürgers betrachte. Die Erfahrungen, die ich während des 15jährigen Aufenthaltes in diesem Land gemacht habe, haben mir jeden Glauben an die Existenz gleicher Rechte für Arme und Reiche genommen. Die Wahl und die Verwaltung unserer öffentlichen Ämter, die total von Korruption zerfressen sind, und die Handlungsweise der öffentlichen Beamten, der Polizei und der Miliz haben den festen Glauben in mir hervorgerufen, daß es so nicht lange weitergehen kann. Aufgrund dieser Erfahrungen habe ich gelehrt und auch Rat erteilt. Ich habe das in gutem Glauben an mein Recht getan, und da ich mir keiner Schuld bewußt bin, so kann die »Macht, die jetzt herrscht«, mich zwar ermorden, jedoch nicht gesetzlich bestrafen. Ich protestiere gegen eine Umwandlung des Urteils und verlange entweder Freiheit oder Tod. Ich weise jede Gnade zurück.«

Louis Lingg schrieb an den Gouverneur:

»Angesichts der Tatsache, daß der fortschrittliche und freiheitsliebende Teil des amerikanischen Volkes versucht, Sie zu bestimmen, Ihre Vorrechte in meinem Fall geltend zu machen, fühle ich mich gezwungen, ebenso wie mein Freund und Kamerad Parsons zu erklären, daß ich »entweder die Freiheit oder den Tod« verlange. Wenn Sie in Wahrheit ein Diener des Volkes sind, wie es die Verfassung des Landes verlangt, dann werden Sie mich kraft Ihres Amtes bedingungslos freilassen.

Im Hinblick auf die allgemeinen und unveräußerlichen Menschenrechte habe ich die enterbten und unterdrückten Massen aufgerufen, der Gewalt ihrer Unterdrücker, wie sie durch bewaffnete Ausführung infamer Gesetze, die im Interesse des Kapitals gegeben wurden, ausgeübt wird, Widerstand zu leisten, und zwar mit Gewalt, um eine würdige und menschliche Existenz zu erringen, indem sie sich den vollen Ertrag ihrer Arbeit sichern. Dies und nur dies ist das »Verbrechen«, das mir bewiesen worden ist. Und dieses »Verbrechen« ist nicht nur als ein Recht, sondern als eine Pflicht durch die Verfassung der Vereinigten Staaten, als deren Vertreter Sie im Staate Illinois gedacht werden, garantiert worden.

Wenn Sie aber, wie die Mehrheit der Ämterinhaber, nicht der Vertreter dieser Verfassung, sondern nur ein Werkzeug der Monopolisten oder einer speziellen politische Clique sind, dann werden Sie dem Blutdurst, der von der Ausbeuterklasse entwickelt wird, auf keine Weise entgegentreten, weil selbst eine Umwandlung des Urteilspruches eine Feigheit sein würde und ein Beweis, daß die herrschende Klasse, die Sie vertreten, selbst vor der Ungeheuerlichkeit meiner Verurteilung und folglich vor ihrer eigenen Übertretung des Rechtes zurückschreckt.

Ihre Entscheidung in diesem Fall wird nicht allein mich, sondern Sie selbst und die, welche Sie vertreten, richten. Jetzt entscheiden Sie.«

Briefauszug von August Spies:

Von August Spies wurde außerdem noch ein Brief an den Gouverneur gesandt, in dem er bat, seinen Mitangeklagten das Leben zu schenken, und sich als Opfer anbot. Der Brief lautet:

»Während des Prozesses trat die Absicht des Staatsanwaltes, mich abzuschlachten und meine Mitangeklagten mit geringerer Strafe davonkommen zu lassen, klar hervor. Es schien mir und vielen anderen, daß der Ankläger mit einem Opfer zufrieden sein würde. Ich will jetzt nicht aufs neue meine Schuldlosigkeit an irgendeinem Verbrechen und speziell an dem, dessen ich beschuldigt bin, beteuern. Ich habe das genug getan und überlasse das Weitere der Geschichte. Aber nun wende ich, der angebliche Erzverschwörer, mich an Sie. Wenn Menschenleben geopfert werden müssen, genügt nicht meines? Der Staatsanwalt verlangt nicht mehr. Wenn gesetzlicher Mord sein muß, lassen Sie es genügen an dem Mord an mir.«

Originaltext: Karasek, Horst: Haymartket! 1886 – Die deutschen Anarchisten von Chicago. Reden und Lebensläufe. Wagenbachs Taschenbücherei 11, Verlag Klaus Wagenbach 1975. Digitalisiert von www.anarchismus.at


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