Haymarket 1886 - Chicago am Tag der Hinrichtungen

Aus den Berichten der »New-Yorker Volkszeitung«

Für einen schnellen und leichten Tod, wie er sonst jedem Verurteilten peinlichst zugesichert wird, hatte man diesmal nicht vorgesorgt; die,vier Männer starben durch Erdrosselung und nach schwerem Todeskampf. Keinem war das Genick gebrochen, und das Zucken der Gliedmaßen war schauerlich anzusehen. Um 11 Uhr 58 war die Klappe gefallen, und 8 Minuten später erklärten die Ärzte die Leben für erloschen. Die vier Särge wurden hereingebracht und die Leichen herabgenommen; zuerst Spies, dann Fischer, Engel und schließlich Parsons. Die Leichen wurden den Angehörigen und Freunden der Ermordeten übergeben.

Während die Verurteilten das Schafott bestiegen und für ihre Überzeugung in den Tod gingen, glich die Stadt Chicago einem im Kriegszustand befindlichen Lager. Gegen 9 Uhr vormittags hatte sich vor dem Gefängnis eine beträchtliche Menschenmenge versammelt. Um das Gefängnis standen, das Gewehr im Anschlag, Polizeiketten, und niemandem wurde gestattet, ihnen zu nahe zu kommen. Auch auf den Dächern der benachbarten Häuser waren Polizisten postiert; andere marschierten in den angrenzenden Straßen auf und ab, um auch dort größere Menschenansammlungen zu verhindern.

Dabei herrschte eine feierliche Stille, denn die Menschen schienen zu fühlen, daß sich hinter den Mauern ein Stück Geschichte abspielen sollte, dessen Folgen nicht zu berechnen waren. Nichts war zu sehen als die langen Reihen der Polizisten in ihren blauen Uniformen und dahinter die nackten und frostigen Ziegelmauern des Gefängnisses, und doch blickten Tausende von Männern und Frauen wie festgebannt dorthin. Alle möglichen Nationalitäten waren vertreten, aber die Deutschen waren in der Überzahl. Es gab keinen Aufruhr, kein Gedränge und keine lauten Ausbrüche, ernst und schweigend blickten die Männer, und viele Frauen weinten.

Um 10 Uhr begann die Polizei den Platz zu räumen und dort einzuschreiten, wo sich größere Ansammlungen zu bilden drohten. Doch die Leute kehrten auf Umwegen wieder zurück.

Die öffentlichen Gebäude der Stadt waren durchweg stark bewacht. Die Polizei hatte den Wasserwerken, Hotels, Holzplätzen usw. besondere Aufmerksamkeit geschenkt, weil man befürchtete, die Arbeiter könnten sie in Brand setzen. Die an das Regierungsgebäude angrenzenden Straßen waren mit Polizisten überfüllt. Sämtliche Viehhöfe wurden von Bewaffneten bewacht, die bereit waren, jeden Verdächtigen über den Haufen zu schießen. Genauso war es auf dem Gelände der Holzfabriken und der Eisenbahnen. Scharfe Vorsicht wurde bei der Bewachung der sieben größten Bahnhöfe getroffen. Dabei wurden nicht nur die Gebäude, sondern auch alle ankommenden Passagiere observiert; verdächtige Personen wurden sofort festgenommen.

Außerdem waren umfassende militärische Operationen vorgenommen worden. Die Milizen befanden sich in ihren Kasernen unter Waffen. In der Nähe der Stadt hatte man reguläres Militär zusammengezogen, und ein Sonderzug stand bereit, um die Bundestruppen sofort in die Stadt zu werfen, sobald die Miliz nicht ausreichen würde.

Aber nicht nur die Häuser, sondern auch alle Personen, die mit dem sogenannten Anarchistenprozeß etwas zu tun hatten, wurden von der Polizei bewacht. Besonders bewacht wurden Richter Gary, Staatsanwalt Grinnell, Polizeichef Ebersold, Polizeiinspektor Bonfield, Polizeicaptain Schaack, Sheriff Matson und die Geschworenen, die sich noch in der Stadt befanden. Ihr böses Gewissen hatte viele Bourgeois veranlaßt, am 11. November 1887 Chicago zu verlassen. Doch hatten sie umsonst Furcht gezeigt. Es schien, als ob die Arbeiterklasse von Chicago durch den Schlag, der sie traf, niedergeschmettert worden war.

Originaltext: Karasek, Horst: Haymartket! 1886 – Die deutschen Anarchisten von Chicago. Reden und Lebensläufe. Wagenbachs Taschenbücherei 11, Verlag Klaus Wagenbach 1975. Digitalisiert von www.anarchismus.at


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